der Knackpunkt liegt in dem Begriff der "Verteidigung". Selbstverständlich argumentiere ich nicht aus freier Willkür gemäß einer bestimmten Sichtweise, sondern deswegen, weil ich durch Verarbeitung von Erlebtem zu dieser Sichtweise gekommen bin und glaube, gute Gründe aufführen zu können. "Verteidigung" enthält meiner Ansicht nach starke psychologische Konnotationen. Wenn ich bin nicht nur der Ansicht bin, gute Gründe für eine bestimmte Sichtweise zu haben, sondern wenn mir eine bestimmte Sichtweise unerläßlich ist, damit meine geistige Gesundheit gewährleistet bleib - dann werde ich diese Sichtweise verteidigen, mit rationalen oder nichtrationalen Mitteln, das ist dann gleich. Ich sehe in einer "scharfen" Rationalität einen ernsthaften Mangel an Gelassenheit. In meinem Weltbild sind viele irrationale Momente enthalten, die ich auch dann aurechterhalte, wenn sie mir rational widerlegt werden. Weswegen? Weil vieles, was rational unerläßlich ist, trotzdem überflüssig oder einfach nicht erwünscht ist. In dem Sinne diskutiere ich, sehe, ob mich ein Argument überzeugt oder gar packt, sehe, ob das Argument es schafft, in den Fundus meiner Psyche einzudringen, und auf diese Weise ändere ich mich im Laufe der Zeit. Das ist sicher nichts Originelles, es wird vielen Menschen so gehen, aber es steht in scharfem Widerspruch zu einer Auffassung, ein Mensch müsse sich rationalen Kriterien unmittelbar nach Einsicht beugen.
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