IpsissimusDämmerung


Beiträge: 10251Registriert: 29.10.2004
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Maurice, zumindest ist klar, daß dieses Realismuskonzept, von dem du ausgehst, menschheitshistorisch sehr neu ist, kaum älter als vielleicht 300 Jahre; und daß es in größerem Umfang erst seit allerhöchstens 50 Jahren über seinen ursprünglichen Ausprägungsraum - West-/Mitteleuropa, UDSSR, USA, Canada - hinausgelangt ist
Davon, daß dieses Realismuskonzept einen Grundkonsens formulieren würde, kann keine Rede sein - es ist vielleicht ein Konsens einer bestimmten elitären Gruppe von Menschen - aber ich empfehle mal ernsthaft die Lektüre von ein paar Wisseschaftlern der ersten Riege.
wenn ich zitieren darf
Als Belohnung für all die Mühe, die ich auf die Darlegung der rein wissenschaftlichen Seite unseres Problems sine ira et studio verwandt habe, gestatte ich mir hier, meine eigene, notwendigerweise subjektive Ansicht über die philosophischen Schlüsse, zu denen es Anlaß gibt, anzuführen.
Nach dem oben Vorgebrachten sind die raumzeitlichen Abläufe im Körper eines Lebewesens, die seiner Geistestätigkeit und seinen bewußt oder sonstwie ausgeführten Handlungen entsprechen, wenn nicht strikt deterministischer, so doch statistisch-deterministischer Art (auch in Anbetracht ihrer komplexen Struktur und der allgemein anerkannten Deutung der physikalischen Chemie). Dem Physiker gegenüber möchte ich betonen, daß nach meiner Ansicht, die allerdings verschiedentlich nicht geteilt wird, die Unbestimmtheit der Quanten bei diesen Vorgängen keine biologisch wesentliche Rolle spielt, ausgenommen vielleicht durch Steigerung des Zufallscharakters von Vorgängen wie der Reifeteilung, der natürlichen und der durch Röntgenstrahlen hervorgerufenen Mutation usw. - und das ist sowieso unbestritten.
Wir wollen diese Behauptung zunächst einmal als feststehende Tatsache betrachten, wie es wohl jeder unvoreingenommene Biologe tun würde, wenn nicht das wohlbekannte unangenehme Gefühl da wäre, das entsteht, wenn man »sich selber als bloßen Mechanismus erklären« soll. Man hat nämlich den Eindruck, daß sie der Willensfreiheit, die durch die unmittelbare innere Erfahrung verbürgt ist, widerspricht.
Unmittelbare Erfahrungen aber, so verschieden und ungleichartig sie auch sein mögen, können sich logischerweise gar nicht widersprechen. Wir wollen daher versuchen, ob wir nicht aus den folgenden beiden Prämissen den richtigen, widerspruchslosen Schluß ziehen können:
1. Mein Körper funktioniert als reiner Mechanismus in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen. 2. Doch weiß ich auf Grund unbestreitbarer unmittelbarer Erfahrung, daß ich seine Bewegungen leite und deren Folgen voraussehe, die entscheidend und höchst bedeutsam sein können; in diesem Falle empfinde und übernehme ich die volle Verantwortung für sie.
Die einzig mögliche Folgerung aus diesen zwei Tatsachen ist die folgende: Ich - Ich im weitesten Sinne des Wortes, d. h. jedes bewußt denkende geistige Wesen, das sich als »Ich« bezeichnet oder empfunden hat - ist die Person, sofern es überhaupt eine gibt, welche die »Bewegung der Atome« in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen leitet.
Wenn man einem Kulturkreis angehört, in dem gewisse Begriffe, die bei anderen Völkern einen weiteren Sinn hatten oder haben, eingeengt und spezialisiert worden sind, ist es gewagt, diesen Schluß in so einfachen Worten auszudrücken, wie es die Sache erfordert. Es klingt gotteslästerlich und wahnsinnig, wenn man sich der christlichen Ausdrucksweise bedient und erklärt : »Also bin ich der Liebe Gott.« Setzen wir uns aber für den Augenblick darüber hinweg, und überlegen wir uns, ob die obige Folgerung nicht einem biologischen Beweise Gottes und der Unsterblichkeit zugleich am nächsten kommt.
An sich ist die Einsicht nicht neu. Die frühesten Aufzeichnungen datieren meines Wissens mindestens 2500 Jahre zurück. Seit den frühen großen »Upanischaden« betrachtet die indische Philosophie die Gleichsetzung Atman = Brahman (das persönliche Selbst ist dem allgegenwärtigen, allesumfassenden ewigen Selbst gleich) keineswegs als Gotteslästerung, sondern ganz im Gegenteil als die tiefste Einsicht in das Weltgeschehen. Das Streben aller Vedanta-Schüler war, kaum daß ihre Lippen Worte zu formen vermochten, darauf gerichtet, sich diesen größten aller Gedanken wirklich einzuverleiben.
Auch die Mystiker vieler Jahrhunderte haben unabhängig voneinander und doch in vollkommener Harmonie (den Partikeln eines Idealgases vergleichbar) die einzigartige Erfahrung ihres Lebens in Worten beschrieben, die sich zu dem Satz verdichten lassen: Deus factus sum (»Ich bin Gott geworden«). Dem westlichen Denken ist diese Vorstellung fremd geblieben, trotz Schopenhauer und andern, welche sie vertraten, und trotz aller wahrhaft Liebenden, die beim Anblick des geliebten Wesens gewahr werden, daß Denken und Freuen ihnen gemeinsam und nicht nur ähnlich oder gleichartig sind. Allerdings sind sie meist zu sehr mit ihrem Gefühlsüberschwang beschäftigt, um noch klar denken zu können - und darin sind sie den Mystikern recht ähnlich.
Man erlaube mir einige weitere Bemerkungen. Bewußtsein. wird nie in der Mehrzahl, stets nur in der Einzahl erlebt. Sogar in den pathologischen Fällen der Bewußtseins- oder Persönlichkeitsspaltung wechseln die zwei Personen, sie offenbaren sich nie gleichzeitig. In einem Traum spielen wir tatsächlich die Rollen verschiedener Personen zur gleichen Zeit, aber nicht ohne zu unterscheiden: Wir sind eine Person und handeln und sprechen als solche unmittelbar, während wir oft ungeduldig die Antworten oder die Reaktion einer anderen Person erwarten, ohne darauf zu achten, daß wir selbst ihr Reden und Handeln gerade so in der Hand haben wie unser eigenes.
Wie entsteht überhaupt die (von den Verfassern der »Upanischaden« so nachdrücklich bestrittene) Vorstellung der Vielheit? Das Bewußtsein findet sich in engster Beziehung und Abhängigkeit vom physikalischen Zustand eines begrenzten Teiles des Stofflichen, des Körpers. (Man beachte die geistigen Veränderungen während der körperlichen Entwicklung in der Pubertät, beim Altern, beim Vergreisen usw., oder man denke an die Wirkungen von Fieber, Rausch, Narkose, Gehirnverletzungen usw.) Nun gibt es eine große Vielzahl gleicher Körper. Daher liegt es nahe, sich Bewußtsein oder Geist in der Mehrzahl zu denken. Wahrscheinlich teilen alle einfachen und unverbildeten Menschen diese Denkweise mit den meisten westlichen Philosophen.
Von da zum Erfinden von Seelen - von so vielen Seelen, wie es Leiber gibt - ist es kein weiter Schritt, und die Frage liegt nahe, ob sie sterblich sind wie der Leib oder ob sie unsterblich und eines Eigendaseins fähig sind. Die erste Möglichkeit will uns nicht recht eingehen, während die zweite die Tatsachen, auf welche sich die Hypothese von der Vielfalt stützt, einfach vergißt, übersieht oder verleugnet. Aber es sind schon viel einfältigere Fragen aufgeworfen worden: Haben auch die Tiere Seelen? Man hat sogar gefragt, ob auch die Frauen oder nur die Männer eine Seele besitzen.
Folgerungen dieser Art erschüttern, auch wenn sie nur zögernd gezogen werden, das Vertrauen in die Vielheitshypothese, die allen offiziellen westlichen Glaubensbekenntnissen gemeinsam ist.
Verfahren wir nicht noch viel unsinniger, wenn wir zwar ihren groben Aberglauben ausmerzen, aber doch ihre naive Vorstellung von der Vielheit der Seelen behalten und ihr durch die Erklärung »beikommen« wollen, daß auch die Seelen vergänglich seien und mit ihren Leibern zugrunde gingen?
Uns bleibt nur eines übrig: Wir müssen uns an die unmittelbare Erfahrung halten, daß das Bewußtsein ein Singular ist, dessen Plural wir nicht kennen; daß nur eines wirklich ist und das, was eine Mehrzahl zu sein scheint, nur eine durch Täuschung (das indische Maja) entstandene Vielfalt von verschiedenen Erscheinungsformen dieses Einen ist. Die gleiche Illusion entsteht in einer Spiegelgalerie, und in der gleichen Weise stellten sich der Gaurisankar und der Mt. Everest als ein und derselbe, aber von verschiedenen Tälern aus gesehene Gipfel heraus. Nun haben wir allerdings den Kopf voll toller Gespenstergeschichten, die uns daran hindern, eine so einfache Lösung anzuerkennen. Man sagt mir zum Beispiel, ich könne den Baum da draußen von meinem Fenster gar nicht wirklich sehen. Durch einen listigen Trick (der erst in seinen verhältnismäßig einfachen Anfangsstadien erforscht sei) werfe der wirkliche Baum ein Bild seiner selbst auf mein Bewußtsein und meine Wahrnehmung betreffe nur dieses Bild. Wenn ein anderer an meiner Seite stehe und den gleichen Baum ansehe, so werde dieser ebenfalls sein Bild auf dessen Seele werfen. Ich sehe meinen Baum, und er sieht seinen (dem meinen bemerkenswert ähnlichen) Baum, und was der Baum eigentlich an sich ist, wissen wir nicht. Für diese Überspanntheit ist Kant verantwortlich. Sobald man aber das Bewußtsein als ein singulare tantum betrachtet, wird die Kantische Betrachtungsweise passenderweise durch die Feststellung ersetzt, daß offensichtlich nur ein Baum dasteht und all der Bilderzauber eine Spiegelfechterei ist.
Und doch haben wir alle den unbestreitbaren Eindruck, daß die Gesamtheit unserer persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen eine Einheit bildet, die von derjenigen irgendeiner anderen Person durchaus verschieden ist. Wir nennen diese Einheit unser »Ich«. Was ist dieses »Ich«?
Bei näherem Zusehen wird es sich meines Erachtens herausstellen, daß es etwas mehr ist als nur eine Anhäufung einzelner Gegebenheiten (Erfahrungen und Erinnerungen), nämlich sozusagen die Leinwand, auf welcher diese festgehalten sind. Und man wird bei eingehender Selbstprüfung gewahr werden, daß das, was man wirklich unter dem »Ich« versteht, eben jener Grundstoff ist, auf dem sie gesamthaft aufgetragen sind. Es kann geschehen, daß man in ein fernes Land verschlagen wird und alle Freunde aus den Augen verliert und fast vergißt; man wird neue Freunde gewinnen und sein Leben mit diesen ebenso intensiv teilen wie zuvor mit den alten. Die Erinnerung an das frühere Leben verliert im neuen Leben immer mehr an Bedeutung. Man mag dazu kommen, vom »Jüngling, der ich war« in der dritten Person zu sprechen, und wahrscheinlich steht einem der Held des Romans, den man gerade liest, näher, jedenfalls scheint er einem viel lebendiger und vertrauter. Und doch liegt kein Bruch, kein Todesfall dazwischen. Und selbst wenn es einem geschickten Hypnotiseur gelingen sollte, alle früheren Erinnerungen in einem Menschen auszulöschen, so würde man doch nicht feststellen, daß er ihn getötet hat. In keinem Fall ist hier ein Verlust persönlichen Daseins zu beklagen.
Und das wird auch nie der Fall sein.
Erwin Schrödinger, Über Determinismus und Willensfreiheit in: Heidi Bohnet, Klaus Piper (Hrsg.), Lust am Denken. Ein Lesebuch aus Philosophie, Natur- und Humanwissenschaften, Piper, München, 1992, Seite 82-86
Schrödinger ... es gibt analoge Texte von einigen anderen Physikern seiner Kategorie
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