Diskussions-Thread zu "Was versteht ihr unter "Moral"?"

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maurice
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Mo 28. Aug 2006, 11:51 - Beitrag #21

Moral ist also immer nur in ihrer konkreten Form subjektiv in ihren Inhalten aber nicht? Du gehst doch davon aus, dass deine moralischen Vorstellungen objektiv gültig sind, oder? ("Objektiv gültig" in dem Sinne, wie Traitor und ich das meinen.)

janw
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Mo 28. Aug 2006, 13:05 - Beitrag #22

Maurice, meine Sozialisation habe ich in dieser Gesellschaft hier in Deutschland erhalten und mich nicht grundlegend davon distanziert, insofern wäre eine erhebliche Abweichung meines moralischen Paradigmensystems vom generellen Konsens hierzulande eher verwunderlich. Meiner Erfahrung nach sind meine moralischen Vorstellungen in unserer Gesellschaft auch grundsätzlich konsensfähig, über die Feinabstimmung kann man diskutieren...

Ich muss aber nur 3 Stunden fliegen, um mich in einer Gesellschaft mit erheblich abweichenden moralischen Vorstellungen wiederzufinden.

Trotzdem gibt es auch da Übereinstimmungen, was z.B. den Wert des menschlichen Lebens an sich betrifft, aufgrund derer ich mir selbst das Recht zuspreche, für den Schutz auch ihrer Lebensrechte einzutreten. Ebenso, wie sie das Recht auf "Verschiedenheit", den eigenen Weg haben, den ich mir ja auch selbst zuspreche - in den Grenzen der Verletztlichkeit des jeweils Anderen.
Verstehst Du jetzt, was ich meine?

Maurice
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Mo 28. Aug 2006, 14:07 - Beitrag #23

Ich weiß nicht... zumindest habe ich den Eindruck, als ob du nicht ganz verstanden hast, was ich von dir wissen will, weil du nicht darauf geantwortet hast. ^^*

Es geht mir darum: Sind die moralischen Regeln alle nur ein Produkt des Menschens und haben nur einen relativen Geltungscharakter; oder gelten die moralischen Regeln deiner Meinung nach unabhängig davon, wie die Menschen zu diesen stehen?
Beispiel: Stellen wir uns einfach mal vor, dass es auf der Welt kein generelles Tötungsverbot von Menschen gäbe, wäre es dann immer noch unmoralisch einen Menschen zu töten?

Ich hatte bisher immer den Eindruck, dass für dich moralische Regeln einen universelle Gültigkeit haben, auf Grund einer Instanz die über den Menschen steht. Deshalb frage ich mich, ob ich deine Ausführungen hier richtig verstehe, da du mir hier einen ganz anderen Standpunkt zu vertreten scheinst.

janw
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Di 29. Aug 2006, 01:52 - Beitrag #24

Ah, gut, jetzt verstehe ich, worauf Du hinaus willst...

Ich würde sagen...zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust^^

Zum einen will ich immer noch nicht ausschließen, daß es eine transzendente Instanz über uns gibt, der einige konkrete Normsetzungen zugeschrieben werden. Diese Normsetzungen weisen in ihren verschiedenen "Fassungen" (wenn man die 10 Gebote, Jesu Aussagen dazu, den Koran und einiges anderes als verschiedene Fassungen ansieht) einige interessante Überschneidungen auf, neben relevanten Unterschieden. Diese Überschneidungen zeigen, daß es in einem größeren Raum, sagen wir in der arabischen Welt, Europa und sonstigen europäisch beeinflussten Gebieten hinsichtlich dieser Werte traditionell einen Konsens gegeben hat, um einen zu benennen, stellt das menschliche Leben in diesem Kulturkreis einen universellen Wert dar. Religiöse Menschen könnten nun sagen, daß diese Werthaltigkeit eben deshalb gegeben sei, weil sie eben von Gott gesetzt sei oder sich zumindest logisch aus der Glaubenstatsache der Schöpfung des Menschen durch Gott herleiten lässt.
Damit wäre der Wert allerdings nicht mehr kulturuniversell, sondern mit der Glaubensfrage verkoppelt: Ein Nichtgläubiger könnte sagen, daß der Wert für ihn nicht gelte.

So kommen wir zum anderen:
Ich kann nicht ausschließen, daß die konsensualen Werte von Judentum, Christentum und Islam göttlichen Willen repräsentieren - das Gegenteil jedoch auch nicht, und so gebe ich mich mit der Feststellung des Konsens unter den Menschen zufrieden, woher der auch immer rühren mag.
Das ist auch insofern hilfreich, als der aktuelle Wertekanon über den religiös festgelegten hinaus geht und diese Werte eben auch Werte sind.

Letztenendes kann man dabei außerdem den räumlichen Rahmen sprengen und dann zum Ergebnis kommen, daß bestimmte Werte tatsächlich in der gesamten Menschheit universell sind, z.B. der des menschlichen Lebens.
Daß es in manchen Kulturen üblich war/ist, Menschen zu bestimmten Anlässen zu töten, steht damit nicht unbedingt im Widerspruch - es sind bestimmte Menschen, und die rituelle Tötung erfolgt aus bestimmten Gründen. Die Wertschätzung dem Menschen an sich gegenüber äußert sich z.B. auch im Umgang mit Toten - in keiner menschlichen Kultur werden tote Menschen einfach auf den Mist geworfen.
Bestimmte Werte sind also in mehr oder weniger allen menschlichen Kulturen gültig, warum, ist relativ egal.
Für mein eigenes Paradigmensystem ist diese Universalität allerdings relativ unbedeutend: abgesehen davon, daß es statistisch merkwürdig wäre, wenn es nicht davon in irgendeiner Weise beeinflusst wäre, könnte ich, wenn die Universalität zu viel Bedeutung hätte, nicht die Gleichberechtigung der Frau mit dem Eifer vertreten, mit dem ich es tue - ein großer Teil der Menschheit kann mit dem Gedanken nicht allzu viel anfangen.

Maurice
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Di 29. Aug 2006, 17:57 - Beitrag #25

Ein Nichtgläubiger könnte sagen, daß der Wert für ihn nicht gelte.

Natürlich gilt der Wert auch für den Ungläubigen. Der Ungläubige wird bestreiten, dass dieser Wert für irgendjemanden unverbindlich gilt. ^^

Letztenendes kann man dabei außerdem den räumlichen Rahmen sprengen und dann zum Ergebnis kommen, daß bestimmte Werte tatsächlich in der gesamten Menschheit universell sind, z.B. der des menschlichen Lebens.

Hmm in jeder Kultur gibt es wohl die Vorstellung, dass das Leben eines Menschens einen Wert hat. Freilich wird aber nicht in jeder Kultur angenommen, dass das Leben einen absoluten Wert hat. Leider kenne ich mich mit fremden Kulturen auch nicht so aus... erinnre ich mich aber richtig, dass es auch Fälle gibt, in dem das Leben von bestimmten Menschen keinen Wert hätte? Ich denke da z.B. an weibliche Föten, die in Indien iirc dutzenweise abgetrieben werden. Wo bleibt da die Unterstellung, das Leben des ungeborenen Mädchens hätte einen Wert?

Ein weiteres Problem sehe ich außerdem darin, dass es immer einfach ist von "Kulturen" und "Gesellschaften" zu reden, wir es aber immer mit vielen unterschiedlichen Individuen zu tun haben. Es stellt sich mir die Frage, ob man der Vorstellung, das Leben jedes Menschens hätte einen Wert, als anthropologische Konstante verteidigen kann, wenn es immer mal wieder einzelne Personen gibt, die diese Vorstellung nicht teilen. Hitler z.B. wird kaum diese Vorstellung vertreten haben.

Die Wertschätzung dem Menschen an sich gegenüber äußert sich z.B. auch im Umgang mit Toten - in keiner menschlichen Kultur werden tote Menschen einfach auf den Mist geworfen.

Und was haben die Nazis mit den Juden gemacht? Ok sie haben sie nicht auf den Mist geworfen, sondern verbrannt oder Lampenschirme aus ihnen gemacht... war das auch ein Zeichen von Wertschätzung?

janw
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Di 29. Aug 2006, 20:31 - Beitrag #26

Zitat von Maurice:Und was haben die Nazis mit den Juden gemacht? Ok sie haben sie nicht auf den Mist geworfen, sondern verbrannt oder Lampenschirme aus ihnen gemacht... war das auch ein Zeichen von Wertschätzung?

Gut, man muss es einschränken, auf "Menschen der eigenen Gruppe" o.ä.
Es gibt immer wieder Fälle, wo Menschen anderen Menschen das Mensch-sein absprechen, verbal oder durch entsprechendes Handeln.
In der Antike stellte die Vernichtung der Leichname getöteter Kriegsfeinde oder Hingerichteter eine besondere zusätzliche Strafe dar, gedacht als zusätzliche Demütigung der Hinterbliebenen.

Maurice
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Di 29. Aug 2006, 22:53 - Beitrag #27

Es gibt immer wieder Fälle, wo Menschen anderen Menschen das Mensch-sein absprechen, verbal oder durch entsprechendes Handeln.

Wobei du mit "Mensch-Sein" wohl nicht behaupten willst, dass die Nazis davon ausgingen, dass die Juden keine Menschen seien, oder? Mit "Mensch-Sein" meintest du den damit verbundenen Respekt, den die meisten Menschen gegenüber ihresgleichen haben und die Nazis haben die Juden nicht wie Nicht-Menschen behandelt, sondern "unmenschlich".
Ich bin mir recht sicher, dass du sowas meinst, oder meinst du tatsächlich, dass die Nazis den Juden ihre Zugehörigkeit zur Gattung homo sapiens sapiens abgesprochen haben? :confused:

Der Punkt mit der eigenen Gruppe scheint mir ein entscheidender Punkt zu sein, da sich verschiedene Moralvorstellungen auf verschiedene Gruppen von Dingen bezieht. Mal ist nur ein Teil der Menschheit betroffen, mal alle fühlenden Lebewesen, mal die ganze Natur, usw. ...

Lykurg
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Mi 30. Aug 2006, 10:20 - Beitrag #28

Doch, Maurice, genau das könnte er mit einer gewissen Berechtigung sagen, siehe z.B. wikipedia: „geistig, seelisch tiefer stehend als jedes Tier.“
Von einer pseudobiologischen Klassifizierung als "homo sapiens iudaicus" o.ä. habe ich nie gehört, aber es gab Versuche, Judentum medizinisch nachzuweisen - sie wurden, da natürlich erfolglos, geheimgehalten.

Man könnte hinsichtlich Respekt vor dem Leben und dem menschlichen Körper auch einen Blick in die römischen Arenen tun, oder zu den Azteken...
Selbst diese "grundsätzlichen" Einstellungen sind historisch starkem Wandel unterzogen und schwerlich global zu vereinheitlichen.

janw
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Mi 30. Aug 2006, 11:36 - Beitrag #29

Zitat von janw:Gut, man muss es einschränken, auf "Menschen der eigenen Gruppe" o.ä.
Es gibt immer wieder Fälle, wo Menschen anderen Menschen das Mensch-sein absprechen, verbal oder durch entsprechendes Handeln.

Naja, das könnte man natürlich auch andersherum sehen...das als gegeben erkannte Lebensrecht des Menschen wird mit der Tatsache "verrechnet", daß dieser bestimmte Mensch oder diese Gruppe der Umsetzung eigener Ziele im Wege steht oder eine Konkurrenz darstellt oder eine Bedrohung, was dann als Rechtfertigung dient, sich über die Handlungssperre, sei sie nun moralisch bedingt oder als biologisch implementierte Tötungshemmung, hinweg zu setzen.
Das Zögern vor der Handlung, die Suche nach Gründen für die Tötung eines anderen Menschen (während man mal so just for fun etwas Gras ausreißt oder einem Frosch die Beine) sind für mich Hinweise darauf, daß das Leben eines Menschen einen relativ universellen Wert hat. Über den mensch sich natürlich mehr oder weniger bewusst hinweg setzen kann.

Zitat von Lykurg:Doch, Maurice, genau das könnte er mit einer gewissen Berechtigung sagen, siehe z.B. wikipedia: „geistig, seelisch tiefer stehend als jedes Tier.“
Von einer pseudobiologischen Klassifizierung als "homo sapiens iudaicus" o.ä. habe ich nie gehört, aber es gab Versuche, Judentum medizinisch nachzuweisen - sie wurden, da natürlich erfolglos, geheimgehalten.

Genau auf solche Äußerungen ("geistig...") bezog ich mich, hatte sie nur nicht explizit zur Hand.
Die Nazis sind wohl wirklich nicht in die biologische Klassifizierung eingestiegen, vielleicht, weil dies erst nach Abschluss der "Rassenuntersuchungen" beabsichtigt war, vielleicht auch nur, weil sie erkannten, daß sie hier auf dünnem Eise sich bewegten, weil dann auch ein wissenschaftlicher Diskurs mit Anthropologen aus Amerika ausgebrochen wäre - mit ungewissem Ausgang.

Letztlich verläuft hier die Grenze zwischen Natur- und Geisteswissenschaften - Wertzuweisungen auf den Menschen beziehen sich auf das, was als "Mensch " erkannt wird, nicht auf Homo sapiens sapiens.
Das würde gewisse materielle Probleme schaffen, wenn es noch andere Homo-Arten gäbe, etwa noch eine Neanderthaler-Population in einem Hochtal der Pyrenäen oder wenn die Homo-erectus-Population auf einer indonesischen Insel noch existieren würde. Real gibt es das Problem insofern, als manche Wissenschaftler meinen, man müsste Schimpansen und Orang-utans aufgrund genetischer Nähe zu Homo sapiens eigentlich auch in die Gattung Homo stellen. Der Wertzuweisung allein auf Art- bzw. evtl sogar Unterartebene könnten manche eine gewisse Willkür unterstellen dann.

Lykurg
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Mi 30. Aug 2006, 12:03 - Beitrag #30

Das Zögern vor der Handlung, die Suche nach Gründen für die Tötung eines anderen Menschen (während man mal so just for fun etwas Gras ausreißt oder einem Frosch die Beine) sind für mich Hinweise darauf, daß das Leben eines Menschen einen relativ universellen Wert hat. Über den mensch sich natürlich mehr oder weniger bewusst hinweg setzen kann.
Da ist ein Begriff drin, der es etwas absurdifiziert: "relativ universell". Ich denke, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Menschen sind dazu imstande, den Schutz des Lebens etc. als Wert zu begreifen, und ein (zwangsläufig nie zahlen- oder anteilsmäßig erfaßbarer) Teil der Menschheit tut dies auch. Dennoch handelt es sich dabei, sobald sich der Mensch aus seinem persönlichen Umfeld heraus begibt (wo wohl tatsächlich eine biologische Sperre zu überwinden sein mag) mE eher um eine sozialisationsbedingte Verhaltensweise.

Moralisches Empfinden wird mE eher normalerweise anerzogen (und ggf. später abgelegt), als daß es 'in einigen Fällen/Gesellschaften aberzogen' würde. Anerzogen wird es einerseits traditionsbedingt (man empfindet es aus der eigenen Sozialisation als natürlich), andererseits, weil es massiven gesamtgesellschaftlichen Nutzen hat: Ein gesundes moralisches Empfinden führt zu einem Leben in Legalität, solange die Gesetze in Ordnung sind. Das führt im Umkehrschluß dazu, daß ein Leben ohne moralisches Empfinden vor allem persönlich von Vorteil sein kann - möglicherweise zu Lasten der Gesellschaft und damit ihre Stabilität gefährdend. Dagegen wehrt sie sich zwangsläufig durch Abqualifizierung dessen, was sie als unmoralisch empfindet.

janw
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Mi 30. Aug 2006, 13:05 - Beitrag #31

Ich und mein Hang zum Absurden...tsss^^

Mit "relativ" meinte ich sinngemäß "zwangsläufig nicht zahlen- oder anteilmäßig erfassbarer Anteil", war etwas ungeschickt ausgedrückt.

Natürlich fällt dieser Wert nicht in die Wiege, sondern hat, wie alle moralischen Inhalte in meinen Augen, eine sozialisationsbedingte Fundamentierung.
Eine biologisch implementierte Handlungssperre, so es sie überhaupt gibt, das ist wohl auch wissenschaftlich nicht eindeutig klar, wäre sicher unter bekannten Mitmenschen wirksamer als unter fremden - einfach, weil da persönliche Bezogenheit hinzu kommt.

Zitat von Lykurg:Man könnte hinsichtlich Respekt vor dem Leben und dem menschlichen Körper auch einen Blick in die römischen Arenen tun, oder zu den Azteken...
Selbst diese "grundsätzlichen" Einstellungen sind historisch starkem Wandel unterzogen und schwerlich global zu vereinheitlichen.

Ich entsinne mich einer Reihe antiker Schlachtenbeschreibungen, ohne sie jetzt genauer bezeichnen zu können, in denen der Umgang mit den Körpern der Gefallenen explizit erwähnt wird, auch die Erwähnung der Zerstreuung der Leichname besonders verabscheuter Hinrichtungsopfer weist in die Richtung, daß es sich hierbei nicht um leblose belanglose Gegenstände handelt, sondern daß der bestimmte Umgang damit eine Werthaltung repräsentiert.
Dabei ist die ägyptische Praxis der Einbalsamierung gleichrangig mit der zoroastrischen Praxis der Auslegung für die Geier - entscheidend ist, daß "etwas bestimmtes mit dem Körper gemacht" wird.
Bei den Azteken handelte es sich, wenn ich nicht irre, um eine besondere Gnade, dem Gott geopfert zu werden - jedenfalls passierte dies nicht beliebig oder als Strafe. Auch da hatte demnach IMHO das menschliche Leben einen "Wert".

Maurice
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Mi 30. Aug 2006, 16:17 - Beitrag #32

@Wert:

Bei dem ganzen Aufzählen von Situationen, wo dem menshclichen Leben einen Wert unterstellt wurde bzw. diesem zukam, dürfen wir aber nicht vergessen, uns zu fragen, obn es sich um einen moralischen Wert handelte. Denn nicht jeder Wert ist auch moralischer Natur.
Nun wurde dem Zwangsarbeitet bei den Nazis auch einen Wert unterstellt, aber wohl kaum einen moralischen.

janw
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Mi 30. Aug 2006, 16:31 - Beitrag #33

Maurice, wenn ich in diesem thread das Wort "Wert" in die Tasten haue, dann nur als moralische Kategorie, nicht im Sinne ökonomischer, kultureller oder anderer Nutzbarkeitsaussagen.

Maurice
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Mi 30. Aug 2006, 16:44 - Beitrag #34

Aber warum sollten die Leichenschänder aus deinen Beispielen dem menschlichen Körper unbedingt einen moralischen Wert unterstellen. Das ist für mich jetzt erstmal kontraintuitiv.

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Mi 30. Aug 2006, 17:37 - Beitrag #35

Darin hat janw mich aber überzeugt. Mit Ausnahme einiger humanitärer Katastrophen wie des Holocaust oder der Khmerherrschaft in Kambodscha einerseits und gelegentlicher die öffentliche Moral aushebelnden Seuchen oder Naturkatastrophen andererseits ist der Umgang des Menschen mit seinen Toten grundsätzlich von einer gewissen Scheu geprägt, die im Extremfall auch in Leichenfledderei ausarten kann, dann aber als solche wahrgenommen und bewußt durchgeführt wird. (Letzteres gilt eingeschränkt auch für das massenhafte Auftreten derartiger Handlungen in Diktaturen aller Art.)

(@Maurice) Damit, daß der Leichnam eines politischen Gegners entgegen der sonstigen Sitten gefleddert wird, entmenscht man ihn. Insofern findet auch hier ein Akt im Sinne einer Moralordnung statt - eine vollkommene Ausgrenzung.

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Mi 30. Aug 2006, 17:56 - Beitrag #36

Einen sehr aufgeladenen Begriff von "Mensch" habt ihr da...
Ich sehe nicht, inweifern eine menschliche Leiche keine menschliche Leiche mehr wäre, nur weil man sie in Stücke hackt und den Hunden zum Fras vorwirft. *schulterzuck*

Ja, die meisten Menschen haben eine gewisse Scheu vor Toten, aber lässt sich davon eine moralische Regel ableiten? Weil viele Menschen Scheu vor Toten haben, sollen alle Scheu vor Toten haben? Zumindest in dieser Form kann man das nicht stehen lassen, will man keinen Fehlschluss begehen.
Aber wenden wir jetzt mal einen schwachen Moralbegriff an und verstehen moralische Regeln als grundlegende Wertvorstellungen von Menschen. Demnach wäre es für die meisten Menschen (im Normalfall) unmoralisch Leichen zu zerstückeln. Es wäre aber immer nur für jemanden unmoralisch und nicht an sich. Ein zumindest für mich kontraintuitives Ergebnis. Jedenfalls wäre dann die Zerstückelung einer Leiche nur solange für jemanden unmoralisch, wie es seinen Intuitionen widerspricht. Ändern sich seine Intuitionen, so wäre eine Zerstückelung nicht mehr unmoralisch oder sogar moralisch geboten.
Etwas als "an sich unmoralisch" zu postulieren würde einen starken Moralbegriff voraussetzen und das damit verbundene Postulat objektiver Werte.

Maurice
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Do 31. Aug 2006, 11:58 - Beitrag #37

Welcher Umgang mit dem Toten ist unmoralisch?

Da wir im Moment auch den Wert des Menschens diskutieren, ist mir gestern noch ein Gedankenexperiment eingefallen:

Stellen wir uns vor, dass wir zusammen mit einem Flugzug übers Meer fliegen und abstürzen. Glücklicherweise landen wir neben einer unbewohnten Insel. Leider haben nicht alle den Absturz überlebt, darunter e-noon. Jetzt nur mal fürs Gedankenexperiment angenommen, ich wäre sehr traurig über ihren Tod, ihr Leichnam wäre mir aber egal: "Schmeißt den Kadaver in eine Grube, ich möchte ihn nicht sehen!"
Würdet ihr ein solches Verhalten als unmoralisch bezeichnen und wenn ja inwiefern?

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Do 31. Aug 2006, 12:11 - Beitrag #38

Was genau unterscheidet das "den Kadaver in die Grube schmeißen" von der gängigen Praxis (bei Verzicht auf die entsprechenden Riten), abgesehen von der Wortwahl? Verpackung und Staffage sind in Extremsituationen verzichtbar. Wenn du aber auf die Wortwahl hinauswillst - zweifellos grob und gefühllos, aber unmoralisch? mE nicht. Vielleicht schon deshalb, weil mein Moralkonzept handlungsbasiert ist und Worte eher vernachlässigt.

Maurice
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Do 31. Aug 2006, 12:20 - Beitrag #39

Für dich macht es keine Unterschied einen Leichnam zu begraben, dieses Grab zu schmücken oder ihn zeremoniell zu verbrennen usw. oder ihn in eine Grube zu werfen?
Ursprünglich wollte ich das Szenario in der Zivilisation spielen lassen und e-noon (natürlich nur für das Gedankenexperiment!) einen einen Müllsck packen und auf die Müllhalde werfen. Wäre das unmoralisch?
Ich hatte mich kurzfristig für die Insel entschieden, damit niemand das Argument bringen könnte "wenn du das machst, kommst du ins Gefängnis". Aber um die Sache zu verdeutlichen lassen wir die Geschichte auch nochmal in der Zivilisation spielen, klammern irgendwelche Gefängnisstrafen aus und nehmen an, ich schmeiße sie auf den Müll. Was dann?

janw
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Do 31. Aug 2006, 12:23 - Beitrag #40

Das sehe ich ähnlich wie Lykurg, auch weil Moral für mich zwar durch kollektive Gegebenheiten als Teil der Sozialisation geprägt, letztlich aber doch individuell ist.
Ich würde mir aber Gedanken machen, wie es in unserer kleinen Gruppe mit dem Typen wohl weiter geht...

Es hat übrigens mal einen Fall gegeben, Maurice, wo Überlebende eines Flugzeugabsturzes die Toten gegessen haben, um zu überleben und sich in die Zivilisation durchzuschlagen.
Das ist durchaus durch meine Moralvorstellungen gedeckt. Weil Überleben vorgeht.

Lykurg, sind Worte nicht auch Handlungen?

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