Kann man sich den Willen widerspruchsfrei als frei denken?

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maurice
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Di 12. Jul 2005, 21:20 - Beitrag #61

@Ipsi: Wie E-noon bereits gesagt hat, deute ich dein Beispiel auch nur als ein Beispiel für Handlungsfreiheit. Wo dein Beispiel Willensfreiheit erläutern soll, ist mir nicht einsichtig.

Was die Relevanz der Meinung angeht: Für eine punktuelle Handlung ist es idR egal, ob ich mich als willensfrei denke oder nicht. Wohl kann die Meinung darüber strukturell gesehen, zu einer anderen Einstellung gegenüber den Ereignissen in der Welt führen.

Ipsissimus
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Mi 13. Jul 2005, 10:16 - Beitrag #62

Maurice, wie meine Anmerkungen zur Biologie zeigen könnten, gehe ich mitnichten von einem freien Willen aus; Menschen sind biologisch geprägt, und ihr Wollen folgt den Tendenzen dieser biologischen Prägung (genauso wie den Tendenzen ihrer sozialen Prägung).

Den Unterschied zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit halte ich allerdings in der Tat für ein wenig problematisches Konstrukt, mit wenig praktisher Relevanz, da sich das Unfreiheitsempfinden eher an der Stelle meldet, wo dem Handlungswillen nicht entsprochen wird, während unsere Psyche eine starke Tendenz dahingehend aufweist, sich nicht unfrei zu fühlen, wenn sie Sachen gar nicht erst wollen kann, z.B. aufgrund ihrer Prägungen.

Den wichtigsten Unterschied zwischen deinen und meinen Auffassungen sehe ich darin, daß du imo von harten Schaltungen ausgehst (digitales entweder - oder), während ich von "aufgeweichten" Schaltungen oder Tendenzen ausgehe. Ich kann nicht keinen Durst empfinden, wenn mich dürstet, selbst wenn das in einer bestimmten Situation nützlich wäre; aber ich kann meinen Willen dazu verwenden, die Befriedigung des Durstes durch Trinken in bestimmten Grenzen zu verschieben.

Menschen verfügen imo also nicht entweder über einen freien Willen oder einen unfreien Willen, sie verfügen über etwas dazwischen, vielleicht einen "geprägten" Willen, der mit seinen Möglichkeiten arbeitet und auch weitgehend klarkommt.

e-noon
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Mi 13. Jul 2005, 14:16 - Beitrag #63

Ein Problem könnten vielleicht auch die gleich aufgebauten, aber verschieden gemeinten Begriffe "Handlungsfreiheit" und "Willensfreiheit" darstellen.

Handlungsfreiheit ist dieFreiheit, seinem Willen entsprechend zu handeln.

Analog sollte Willensfreiheit die Freiheit, etwas zu wollen, sein.

Willensfreiheit meint jedoch die Freiheit des Willens, man darf also nicht nur wollen, sondern der Wille ist frei von jeglichen äußeren Einflüssen und nicht vorgegeben.

Man hat immer die Freiheit, etwas zu wollen, woraus man sich bezüglich seines Willens natürlich auch nicht eingeschränkt fühlt, Ipsi. Um diese gefühlte Freiheit geht es jedoch nicht, sondern darum, ob der Wille (oder irgendetwas) weder determiniert noch zufällig sein kann.

Natürlich gibt es nicht nur schwarz und weiß, ich kann auch ein bisschen durstig sein, sehr durstig, am verdursten...
Es widerspricht sich auch nicht, wenn ich sage, der Wille ist zum Teil zufällig, zum Teil durch meine Umstände und meine Psyche determiniert.

Allerdings ist es ein Widerspruch, wenn ich sage, der Wille ist völlig determiniert und völlig zufällig, ebenso wie wenn ich sage, der Wille ist weder in irgendeiner Weise determiniert noch zufällig, da ich mir absolut nicht vorstellen kann, was es außer determiniert und zufällig noch geben soll.
Und in diesem thread geht es ja nicht um das, was es geben könnte, sondern um das, was man sich widerspruchsfrei vorstellen kann.

Menschen verfügen imo also nicht entweder über einen freien Willen oder einen unfreien Willen, sie verfügen über etwas dazwischen, vielleicht einen "geprägten" Willen, der mit seinen Möglichkeiten arbeitet und auch weitgehend klarkommt.
Zum Teil also determiniert und zum Teil was? Könnte ein solcher Mensch, wenn man die Zeit zurückdrehen könnte, sich also anders entscheiden oder nicht?

Ipsissimus
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Mi 13. Jul 2005, 17:45 - Beitrag #64

nach meinem Dafürhalten kann ein Mensch sich, solange die Entscheidungssituation noch nicht eingetroffen ist, innerhalb der Grenzen der Prägung für verschieden Varianten entscheiden. Ich glaube nicht, daß es einem im idealistischen Sinne freien Willen gibt, also einen Willen, der frei wäre von allen Einflüssen und sogar frei von den Einflüssen, die zu seiner Entstehung geführt haben; das gleiche nehhme ich für einen im idealistischen Sinne unfreien Willen an. Ich glaube lediglich, daß diese Frei- und Unfreiheit nicht mit der Frage des Quantenverhaltens zusammenhängt, sondern mit der Natur des Menschen als biologisches Wesen. Übwohl wir Bedingungen unterliegen, sind wir unter diesen Bedingungen ja überhaupt erst entstanden. Es ist daher plausibel, anzunehmen, daß unser elementares Lebensempfinden im Prinzip mit diesen Bedingungen klar kommt, wozu auch gehört, daß wir das Empfinden haben, wollen zu können. Je mehr wir lernen, desto mehr lernen wir auch, mit den Grenzen dessen klarzukommen

Maurice
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Mi 13. Jul 2005, 21:18 - Beitrag #65

nach meinem Dafürhalten kann ein Mensch sich, solange die Entscheidungssituation noch nicht eingetroffen ist, innerhalb der Grenzen der Prägung für verschieden Varianten entscheiden.

Das klingt für mich wieder nach Willensfreiheit.
Was Handlungsfreiheit angeht, so stellt sich hier zum einen die Frage, ob diese vorhanden ist oder nicht (ein Wesen, dass keine Handlungen vollzieht, hat logischerweise auch keine Handlungsfreiheit) und zum anderen, wie hoch der Grad dieser Freiheit ist. Willensfreiheit dagegen ist nicht graduell. Entweder ich hätte in einer Situation unter den gegebenen Zuständen auch anders handeln können oder nicht. Angemerkt sei dabei auch, dass es kein Ausweg ist, indem man sagt, dass man davon ausgeht, dass man anders gehandelt hätte, wenn man etwas anderes gewollt hätte, denn dann würde es sich nicht um dieselbe Situation handeln. Anders zu handeln, wenn man etwas anderes will, ist völlig kompatibel mit dem Determinismus.

PS: Nächstes Semester gibt es ein Seminar über Willensfreiheit, wo neben dem Determinismus auch ein sogenannter Kompatibilitismus behandelt werden soll, der auf naturalistischer Basis den freien Willen mit dem Determinismus für vereinbar hält. Ich bin sehr gespannt wie das aussehen soll. :)

Ipsissimus
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Do 14. Jul 2005, 01:39 - Beitrag #66

Das klingt für mich wieder nach Willensfreiheit.


du ignorierst andere Aussagen^^

das idealistische Willensmodell, das du auf das naturalistische abbildest, halte ich auch für eine unangemessene Annäherung an die Thematik. Des Menschen Wille ist nicht frei in einem idealistischen Sinne, er ist aber auch nicht deswegen unfrei, weil Freiheit modellhaft nicht plausibel gemacht werden kann.. Des Menschen Wille unterliegt Bedingungen unf verfügt über Freiheitsgrade. Quantenphysik und Stochastik haben damit nichts zu tun.

Maetz
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Mo 18. Jul 2005, 21:09 - Beitrag #67

Geh segeln......

Schopenhauer, Kant und alle anderen haben auch nur ihre sicht der dinge vermittelt. Sie zu zitieren bringt einem selber die Antwort nicht näher, im Gegenteil, man fährt sich fest im denken und wägt nicht mehr ab. Bei jeder Frage, gibt es immer mehr als eine Antwort. Es kommt auf den Betrachter und die Umstände an. Wenn du das Schicksal hinterfragst glaubst du bereits an das Schicksal und somit ist ein freier Wille ausgeschlossen, oder erst dein Wille formt dein Schicksal, womit du das Schicksal bestimmst und somit kein Schicksal existiert. Denke einfach das, was dich am meisten beruhigt, denn eine eindeutige Antwort, mit der alle zufrieden sind bekommst du erstmal nicht. Die einen haben z.B. eine romantische Vorstellung vom Schicksal, (schicksalhafte Begegnungen) (der Zug der nicht genommen wurde und dann entgleiste etcetc) andere nicht (Kriege, Krankheit, Terror etcetc)Es kommt auf den Menschen an. Segelst du gerne mit einem Boot auf einem stürmischen Ozean? Dann rate ich nimm einen Anker mit, an dem du dich festhalten kannst.

Snake Charmer
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Mi 3. Aug 2005, 11:15 - Beitrag #68

PS: Nächstes Semester gibt es ein Seminar über Willensfreiheit, wo neben dem Determinismus auch ein sogenannter Kompatibilitismus behandelt werden soll, der auf naturalistischer Basis den freien Willen mit dem Determinismus für vereinbar hält. Ich bin sehr gespannt wie das aussehen soll.


Hatte letztes Semester schon das Vergnügen in einem unglaublich überfülltem Proseminar zu diesem Thema zu sitzen. Seitdem tendiere ich ziemlich stark Richtung Determinismus...
@Maurice:
Erwarte dir lieber nicht zuviel vom "Kompatibilismus", denn dieser hängt nur daran, wie die Kompatibilisten ihren Begriff von "Freiheit" definieren, und diese Definition läuft letztendlich auf Handlungsfreiheit hinaus, Handlungsfreiheit ohne Zwänge. Sie besteht letztendlich darin seinen eigenen Wertevorstellungen zu folgen und sich nicht von Gemütszuständen mitreisen zu lassen, eine Person, die z.B. eigentlich das Rauchen aufgeben will, nach einem miesen Tag aber trotzdem zur Kippe greift und es fünf Minuten später bitterlich bereut handelt nach dieser Definition "unfrei". Lässt sie es aber sein, so hat sie, wenn ich es richtig verstanden habe, laut den Kompatibilisten "frei" (von Gemütsregungen und inneren Zwängen) gehandelt. Eine reine Willensfreiheit (zu entscheiden, was man will)
ist laut diesen Vertretern des reinen Determinismus allerdings auch nicht möglich...darin besteht der ganze Zauber...

Mich interessieren nun, da ich, mangels halbwegs vorstellbarer Alternativen, für mich selbst den Determinismus als wahr betrachte vor allem die moralischen und ethischen Aspekte, die meiner Meinung nach sehr wohl einen Einfluss auf den Alltag haben könnten...
Wie steht es denn in einem determinierten Universum mit Begriffen wie z.B. "Schuld", "Verantwortung" und "Strafe"?
Theoretisch ist der Begriff der "Schuld" ja nun eigentlich schon passé, oder etwa doch nicht? Wie kann eine Person schuld an etwas sein, wenn ihre Handlungen spätestens seit dem Beginn des Universums (sollte es soetwas jemals gegeben haben) feststanden? :rolleyes:
Hm, vielleicht lohnt es sich, dafür einen neuen Thread aufzumachen ?

Bowu
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Mi 3. Aug 2005, 15:15 - Beitrag #69

Ich glaube es gab bzw. gibt schon einen Thread dazu ;)

Die Fragen die du aufwirfst sind durchaus zentral, versuchen die Kritiker des Determinismus doch häufig die moralischen Folgen eines Konsequenten Determinismus hervorzuheben.

Der Begriff der Schuld ist in einem deterministischen System sicher ein anderer. Schuld tragen dabei die Entitäten, die etwas verursacht haben, also die, die hinreichende Bedingungen geschaffen haben jemanden zu verletzen zum Beispiel. Das hat die (meiner Meinung nach) positive Folge, dass in unserer moralischen Bewertung kein systematischer Unterschied zwischen Mensch-Tier-Gegenstand mehr besteht. Es kommt nur zu einer Mehrstufigkeit von Schuld - Der Mörder ist Schuld am Mord, der Auftraggeber schuld an der Beauftragung des Mordes, der Waffenausbilder des Mörders schuld an der Fähigkeit des Mörders zum morden, die Polizei ist schuld einem Hinweis nicht nachgegangen zu sein (Unterlassungsschuld).
Die Probleme die viele Moralethiker mit dem Determinismus haben rührt nur daher, dass sie die Bedeutungen der Begriffe aus den Freiheitsethiken nehmen, also dass es irgendjemanden gibt, der eine 1. Ursache setzte für die Kette der Ursache-Wirkung Beziehungen. Im Determinismus gibt es soetwas nicht, und wenn man Begriffe die Freiheitsgeprägt sind verwendet kommt man zwangsläufig zu Widersprüchen.

Die Begriffe Schuld Verantwortung Strafe sind auch im Determinismus anwendbar, und sind noch immer geeignete Hilfsmittel für moralische Analysen.

Bowu
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Mi 3. Aug 2005, 15:29 - Beitrag #70

@ Maetz

Schopenhauer, Kant und die anderen zu zitieren bringt einen vielleicht nicht weiter, sie zu interpretieren schon. Denn jede Interpretation trägt die Handschrift des Interpreten. Wenn man versteht wie man Dinge versteht, so versteht man sich selbst. Sicher fährt man sich fest. Aber es gibt in einem Bezugssystem auch immer nur eine mögliche Antwort. Man fährt sich in jedem Bezugssystem irgendwann fest.... .

Ipsissimus
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Mi 3. Aug 2005, 15:36 - Beitrag #71

so ganz bin ich mit diesen Auffassungen nie klar gekommen, Bowu.

Wenn denn die Kausalkette, die zu einer Tat führt, lange vor der Geburt des Täters einsetzt, wenn denn der Täter keinerlei Möglichkeit hat, dieser Kausalkette eine eigene Willensentscheidung entgegenzusetzen, da auch sein Wille streng determiniert in die Kette eingebunden ist, dann ist der Schuldbegriff einfach sachlich unsinnig. Es tragen dann auch keine Entitäten irgendwelche Schuld, weil auch sie streng determiniert sind.

Und was heißt "moralische Analyse" beim Ablauf eines Uhrwerks, und nichts anderes behauptet ja der Determinismus in letzter Konsequenz?

Schuld setzt unabdingbar absolute Willens- und Handlungsfreiheit voraus (zumindest in Bezug auf die entscheidende Komponente des Schuldigwerdens) - einer der Gründe, warum forensische Wirklichkeitsauffassung immer wieder darauf abzielt, nachzuweisen, daß der Täter "auch anders gekonnt hätte".

Daß dem Dilemma nicht wirklich beizukommen ist, ohne den strengen Determinismus aufzugeben, zeigt sich imo z.B. schon daran, daß die katholische Kirche sich genötigt sah, ihre Auffassungen von Erbsünde und Sündenvergebung als Dogma zu sichern. Ohne diese Dogmen, also dem verbindlich vorgeschriebenen "so tun als ob" wäre es sonst wohl schon längst dazu gekommen, daß ein Theologe diese ganze Geschichte als "Kopfkino Gottes" beschrieben hätte, das mit einer echten Schuldfrage nicht das geringste zu tun hat.

Bowu
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Mi 3. Aug 2005, 15:52 - Beitrag #72

Wenn ein Auto an einer Kette hängt, so ist es nicht unsinnig zu sagen, dass das unterste Glied das Gewicht des Autos trägt, dass das zweitunterste das Gewicht des untersten Gliedes und allem was daranhängt usw.

Warum soll es dann sachlich unsinnig sein allen Gliedern einer kausalen Kette gewisse Schuld zuzuweisen?

Sicher kann eine moralische Analyse sich nicht aus dem Determinismus herausbewegen, sie kann in ihm jedoch wirksam werden. Der Determinismus ist ein viel höherer Garant der Wirkung von Moralsystemen als die Freiheit es je sein könnte.

Ein präsenter freier Lenker widerspricht dem Determinismus, aber müssen wir denn einen annehmen?

Ipsissimus
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Mi 3. Aug 2005, 16:13 - Beitrag #73

"Warum soll es dann sachlich unsinnig sein allen Gliedern einer kausalen Kette gewisse Schuld zuzuweisen?"

weil kein Glied der Kette seine Schuld zu verantworten hat, sondern durch den kausalen Vorgänger unwiderstehlich zu seinem Tun genötigt wurde. Hinzu kommt, daß der Determinismus behauptet, daß diese Kette niemals abreißt, zumindest nicht bis zum Augenblick des Urknalls.


wenn du vom "Garant der Wirkung von Moralsystemen" sprichst, hast du dich schon aus dem Determinismus herausbewegt, denn innerhalb dessen gibt es nichts zu garantieren, weil alles mit Notwendigkeit genau so abläuft, wie es abläuft, ohne jede Abweichungsmöglichkeit

Bowu
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Mi 3. Aug 2005, 17:24 - Beitrag #74

Wenn kein Glied der Kette schuld trüge, so trüge nichts, das die Tat bewirkte, Schuld, dann hättest du den Begriff total ausgehölt.
Wenn der Schuldbegriff erhalten werden soll, so muß er auch auf irgendjemanden oder etwas zutreffen. Nun werden Ereignisse aber nur durch ihre Ursachen verschuldet, und diese Ursachen sind durch weitere verschuldet worden.

Zu deinem Widerspruch führt also nur die Annahme, dass ein Handeln unter Zwang die Schuld komplett aufhebt. Jetzt ist die Frage was zu dieser Annahme motiviert, oder welchen Nutzen sie bringen soll.
Dagegen könnte ich sagen, dass es ebenso vollkommen unsinnig wäre jemanden für schuldig zu befinden, weil er frei von seinen Beweggründen, seiner Natur ja gar frei von sich selbst gehandelt hat.
Davon abgesehen ist die Frage ob alle Glieder der Kette 0 oder 5 Punkte in der Schuldbewertung haben wohl eine rein skalare Frage, viel entscheidender ist, dass die Schuld der Glieder erst durch andere Verschuldungen anderer Glieder bedingt wurde.

@Urknall
Die kausale Kette kann niemals abreißen, eine erste Ursache könnte niemals eine Folge von Veränderungen hervorrufen, ein sich ursachenlos Veränderndes (das Entstehen ist eine Veränderung) wäre ein Widerspruch.
An eine Schleife, die immerwieder zum Urknall führt könnte ich demnach glauben, aber nicht an einen 1. Knall .


"nichts zu garantieren"?
Schon im Halbsatz danach sprichst du von der Notwendigkeit... Mehr Garantie als die Notwendigkeit brauch ich dabei doch gar nicht :D um die Wirkung normativer Systeme im Determinismus zu verdeutlichen
Der Determinismus sichert, dass unsere abstrakten Begriffe einen ebenso determinierenden Einfluß haben wie unsere restliche konkrete Materialität.
Die Freiheit dagegen hübe nicht nur die Abhängigkeit von natürlichen Ursachen auf, sondern untergrübe ebenso alle Begriffe die normativ in uns erzeugt wurden.

Snake Charmer
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Mi 3. Aug 2005, 18:53 - Beitrag #75

Oh, hier gibt´s wohl einige Differenzen... ;)

Wenn der Schuldbegriff erhalten werden soll...

Vielleicht ist die erste Frage nicht unbedingt "wie" sondern "ob" der Schuldbegriff erhalten werden soll..."Schuld" ist für mich im Gegensatz zu "Verantwortung" ein extrem negativ konnotiertes Wörtchen, auf das in der Regel stets die Konsequenz, die "Strafe" folgt oder folgen sollte...
Und inwiefern es sinnvoll ist, das Glied der Kette dafür zu bestrafen, dass es sich nicht bar jedem Naturgesetz ohne einen Auslöser geöffnet hat, nur weil das in einer bestimmten Situation besser gewesen wäre, sei mal dahingestellt...

...so muß er auch auf irgendjemanden oder etwas zutreffen.

Das klingt aber doch schon ein wenig nach "Wir MÜSSEN einfach jemanden beschuldigen, suchen wir uns einen Sündenbock." , findest du nicht?

Jetzt ist die Frage was zu dieser Annahme motiviert,...

Der Versuch, logisch zu handeln ?

... oder welchen Nutzen sie bringen soll.

Nutzen ? Geht es hier in erster Linie nicht darum, ein Weltbild aufzubauen, das in sich halbwegs logisch und nachvollziehar ist ? Ein Weltbild zu konstruieren, das einem gerade am nützlichsten erscheint ... glaube da begibt man sich auf dünnes Eis...(Sorry, will dir keinesfalls etwas diesbezüglich unterstellen, denke auch nicht dass du darauf hinaus wolltest. ;) )

War jetzt vielleicht ein wenig provokativ, aber mir ging es eben um den Gebrauch des Wortes "Schuld" und seine Folgen (die "Strafe")...

Bowu
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Mi 3. Aug 2005, 19:47 - Beitrag #76

Auf Schuld folgt Strafe.

Schuld und Strafe sind Begriffe die nur bei schlechten Ereignissen benützt werden, ich glaube sie klingen deshalb so negativ ;)

Welchen Sinn hat Strafe?
Strafe soll Schuld vermeiden oder sie abtragen.
Nehmen wir als Beispiel die archaische Strafe, sie wirkt, indem alle das Bild der hohen Strafe vor Augen haben, und deshalb eine Tat unterlassen.
Nun ist wie bereits geschrieben meiner Meinung nach die Schuld unter zugrundelegung des Determinismus nie bei Einzelnen zu suchen, sondern stets mehrschichtig. Also folgt auf einen Auftragsmord eine Archaische Strafe für die Schuldigen, für den Mörder - den Auftragsgeber - die Komplizen usw. Natürlich muß auch hier klar festgestellt werden wer woran schuld war. Der Pistolenbauer ist sicher auch schuld daran, dass jemand erschossen wurde, ihn sollte demnach eine Strafe treffen die ihm vor Augen führt was seine Waffen anrichten, wenn sie gebraucht werden, so dass dieser ebenso bemüht ist alles zu tun damit es zu keinen Morden kommt wie jedes andere Glied der Schuldkette.

Insgesamt ist die Schuldkette quasi das Bild all der Punkte an denen eine Strafe ansetzen kann, um ein erneutes durchlaufen der Kausalkette, und damit auch das Erzeugen von Schuld, zu vermeiden.

"Sündenbock?"
Nein wir suchen nicht zwingend jemanden der die Schuld trägt, wir suchen viele und vieles , belebtes wie auch unbelebtes, dass wir verändern können um Schuld zu vermeiden oder aufzuheben.

"Schuldaufhebung durch Notwendigkeit als logische Konsequenz?"

Ein Indiz, dass es keine logische Konsequenz ist, ist die enorme Schwierigkeit bei konkreten Zwängen die Handlungsspielräume genau auszuloten.
Das problematische daran unerzwungene Handlungen anzunehmen ist, dass sobald ein gewisser Zwang (der noch nichtmal in die direkte Handlungsfreiheit eingreifen muß) dann doch mal eingetreten ist, es möglich ist die Verantwortung weiterzudelegieren (an den Befehlsgeber beispielsweise).


"Nutzen von Moralsystemen"?
Die Nützlichkeit beinhaltet in der Regel konsistenz und Verständlichkeit, denn unverstandene Worte wirken wohl akustisch, aber nicht in der Vernunft.

PS: Archaische Strafen waren nur ein Beispiel, ein meiner Meinung nach nicht sehr nützliches Element eines Moralsystems.

Ipsissimus
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Do 4. Aug 2005, 00:36 - Beitrag #77

"Zu deinem Widerspruch führt also nur die Annahme, dass ein Handeln unter Zwang die Schuld komplett aufhebt."

in mir verdichtet sich der Eindruck, daß du zwar einerseits den Deteminismus retten möchtest, andererseits aber nicht gerne auf die anscheinenden Vorteile von Schuldzuschreibungen verzichten möchtest.

Der strenge Determinismus beschreibt die Wirklichkeit, die GESAMTE Wirklichkeit mit jedem kleinstem Phänomen letztlich als ein zusammenhängendes Uhrwerk. Bei einem Uhrwerk kannst du das Zusammenspiel der Teile analysieren, die Mechanik bewundern, den Ablauf der Bewegungen in Raum-Zeit-Diagrammen erfassen usw. Es gibt nicht den geringsten Spielraum für einen wie auch immer gearteten Schuldbegriff. Ein Uhrwerk verursacht nicht selbst seine Existenz, keines seiner Teile verfügt über Wahlfreiheit oder Handlungslfreiheit, da jede Bewegung notwendig und gesetzmäßig erfolgt.

Dein Beispiel mit dem Mörder greift nicht. Auch Adolf Hitler war, streng deterministisch betrachtet, an nichts schuld. Jede, noch die kleinste Regung, erfolgt in Analogie zu einem Puppenspiel. Alles hängt an Fäden; der materialistische Deterinismus nimmt noch dazu an, daß die Fäden keinen Spieler haben, sondern "einfach so", ihren Sets an Gesetzmäßigkeiten folgend, mal hier mal da zupfen.

Wenn du versuchst, die Dinge gleichzeitig moralisch und deterministisch zu beschreiben - und das tust du - gerätst du in Antinomien, die du nur durch kontingente Spünge beseitigen kannst - auch das tust du. Damit mögen deine Aussagen zwar für ein bürgerliches Gesetzbuch brauchbar sein, aber nicht als Elemente eines philosophischen Systems - neueren Kalibers. Die alten Systeme à la Sokrates, Epikur, Augustinus, Ockhem u.a. wimmeln von kontingenten Sprüngen genau dieser Art und muten über weite Strecken genau aus diesem Grund eher wie Glaubenssysteme an, d.h. konkreter, an vielen Stellen geben sie die Logik zugunsten empfundener Notwendigkeiten auf.

Bowu
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Do 4. Aug 2005, 08:23 - Beitrag #78

Betrachten wir das Uhrwerk, so stellen wir dennoch enorme Unterschiede Fest. Bei einem Defekt in der Mechanik geht wohl keiner davon aus die Atome im Zeigerinnneren seien schuld. Aber es gibt wohl mehrere Teile (Zahnräder Federn), deren Zusammenspiel zu dem Defekt führte. In Bezug auf die Schuldigkeit (so wie ich sie verstehe) läßt sich durchaus klar unterscheiden welche Teile überhaupt die Möglichkeit der Schuld hatten, und in Betrachtung eines konkreten Falles welche kausal wirksam wurden.

Ipsissimus
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Do 4. Aug 2005, 09:16 - Beitrag #79

natürlich lassen sich kausale Verläufe feststellen, bei einem streng deterministischen System sogar eineindeutig. Nur daß in einem deterministischen System Kausalität nicht mehr impliziert: durch freien Willensentscheid herbeigeführt. Nicht mehr implizieren kann, da auch der Wille in solche einem System determiniert ist. In einem deterministischen System von Schuld zu sprechen ist ungefähr dasselbe, als wolle man das Ei dafür schuldig sprechen, daß es der Neigung des Tisches folgend denselbigen herunterrollte.

Ein analoger Fall liegt z.B. bei Kant vor, der sich wahrhaftig viel Mühe gegeben hat, die Metaphysik und die Philosophie sauber auseinander zu dröseln. Nachdem er das fein säuberlich mehrere tausend Seiten lang gemacht hat, fügt er am Ende hinzu, daß Gott trotz alledem exitieren müsse, weil seine Existenz notwendig sei, um moralische Notwendigkeiten zu begründen und deren Einhaltung plausibel einfordern zu können.

Ganz ähnlich kommt mir diese Mischung von Determinismus und Moral vor, die du anbietest. Im Determinismus ist Schuldfähigkeit wesenhaft aufgehoben, da diese wesenhaft an freien Willen geknüpft ist, welcher im Determinismus aber ebenfalls als determiniert gedacht wird. Jegliche Moral bricht daher den Rahmen des Determinismus als eine willkürliche Setzung, die nicht dem Systemprinzip entspringt sondern extrasystemischer Notwendigkeit.

Bowu
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Do 4. Aug 2005, 11:42 - Beitrag #80

Ich sage nicht, dass wir das Wort Schuld in dieser Bedeutung immer benutzen, ich sage nur dass es in dieser Bedeutung Sinn macht.

Für mich ist Schuld ene Kennzeichnung von Punkten wo die Kausalkette so verändert werden kann, dass sie kein 2. mal so abläuft.
Natürlich ist auch das Ei schuld daran, dass es den Tisch runterrollt.
Vielleicht können wir sogar die Eier eines Tages so bestrafen, dass sie fortan eine eckige Form haben. Bis dahin versuchen wir natürlich die Glieder der Kausalkette zu bestrafen die am effektivsten zur Schuldvermeidung verändert werden können - deshalb kaufen wir uns demnächst vielleicht einen Tisch mit einer hohen Kante - deshalb bekommt der Schelm der den Tisch auf einer Seite anhob eine Standpauke, und nicht das Ei.

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