Was ist das Wesen der Moral?

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maurice
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Fr 2. Dez 2005, 16:25 - Beitrag #61

Es ist mir klar, dass eine Argumentation keine Wirkung hat, wenn der andere die Ohren verschließt. Da ich aber davon ausgehe, bzw. hoffe, dass Pad unseren Argumenten zugänglich ist, so wie wir auch versuchen, seinen Argumenten zugänglich zu sein (zumindest gehe ich davon aus bzw. hoffe es), mache ich diese Ausführungen. Wenn ich nämlich der Meinung wäre, dass es sinnlos wäre, also Pad nur eine Diskussion vortäuscht, dann würde ich hier nichts schreiben wollen. Auf Grund der Tatsache, dass auch du hier postest und argumentierst, gehe ich davon aus, dass auch du diese Annahmen machst. ;)

Ipsissimus
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Fr 2. Dez 2005, 16:33 - Beitrag #62

ich will und wollte niemandem etwas unterstellen; immerhin erscheint es mir bemerkenswert, daß die Argumentationslinien sich offenbar jeweils teilweise oder völlig verschiedenen Kriterien verpflichtet fühlen^^

nach meinem Dafürhalten muss eine Moral, bei der auch nur ansatzweise eine Chance bestehen soll, daß sie eine "objektive" sein könnte, vor allem menschliche Psychologie - und zwar sowohl Individual- wie auch Massenpsychologie - und Soziologie berücksichtigen. Moralische Konzepte, deren Relevanz und objektive Gültigkeit nach Inhalt und Gültigkeit selbst nach hochgradig sophistischen Gedankengängen bestenfalls umstritten bleibt, sind nach meinem Empfinden - das wiederum kein Maßstab ist - nicht geeignet, diese Chance zu besetzen.

Maurice
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Fr 2. Dez 2005, 16:41 - Beitrag #63

Tja bei dem was ich als meine Vorstellung von objektiver Moral ausgeführt habe, spielt die Meinung irgendeines Menschens oder gar einer ganzen Gesellschaft keine Rolle.
Warum eine Moral aber nur dann objektiv sein kann, wenn sie von (fast?) allen anerkannt wird, kann ich leider noch nicht nachvollziehen. Zumindest, wenn ich mein Konzept von "objektiver Moral" zu Grunde lege. Ich glaube, dass wir unter diesem Begriff was grundsätzlich verschiedenes verstehen, wobei ich davon ausgehe, dass Pad und ich uns hier im Großen und Ganzen einig sein sollte. Solange wir alle aber nicht über etwa dasselbe reden, werden wir wohl notwendig auch aneinander vorbeireden.
Es kann natürlich auch sein, dass ich deine bisherigen Erläuterungen, was du unter objektiver Moral verstehst, z.T. missverstanden habe und wir doch über dasselbe sprechen. ^^

Ipsissimus
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Fr 2. Dez 2005, 16:45 - Beitrag #64

ich bin wahrscheinlich einfach nur zu skeptisch eingestellt gegenüber Konzepten, die beim menschlichen So-sein-Sollen ansetzen statt bei der Faktizität menschlicher Erweise

Maurice
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Fr 2. Dez 2005, 17:03 - Beitrag #65

Hast du zufällig eine Ader für Soziologie? Wenn ich dich so reden höre, dann meine ich oft jemanden vor mir zu haben, der mehr zu Soziologie statt zur Philosophie tendiert. Aber man kann es auch einfach so sehen, dass dein philosophischer Ansatz eben ein ungewöhnlicher ist. Als ich etwas auf deiner HP gestöbert habe, habe ich auch an Schopenhauer denken müssen, den man auch als Exot bezeichnen kann.

Oje jetzt wirds aber langsam sehr ot. ^^*

Ipsissimus
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Fr 2. Dez 2005, 17:16 - Beitrag #66

sagen wir es so, ich beziehe in mein philosophisches Denken auch Konzepte mit ein, die aus Soziologie und Psychologie stammen, besonders von Luhman, Bourdieux und Foucault (Michel). An Philosophen haben wohl Sartre und Derrida den größten Einfluss gehabt

Maurice
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Fr 2. Dez 2005, 19:00 - Beitrag #67

Ja man merkt den Strukturalismus raus... ich hoffe ich verbinde Derrida jetzt richtig mit dem Strukturalismus, habe nämlich nicht nachgeschlagen. ^^*

Ipsissimus
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Fr 2. Dez 2005, 19:30 - Beitrag #68

ja, Derrida war Strukturalist (und Dekonstruktivist)

Padreic
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Mi 7. Dez 2005, 21:05 - Beitrag #69

Tut mir leid, dass es mit meiner Antwort so lange braucht...hab irgendwie plötzlich erfahren, dass ich noch eine Philosophie-Hausarbeit bis Samstag schreiben muss und hab auch noch einiges anderes zu tun. Aber in den nächsten Tagen wird noch eine Antwort kommen.

Maurice
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Mi 7. Dez 2005, 21:12 - Beitrag #70

Kein Problem, Uni geht vor. Das ist doch gar keine Frage. ;)
Danke aber dass du Bescheid gesagt hast, sonst glaubt man am Ende noch, dass du den Thread abgeschrieben hast.

Ich zu meinem Teil bin am Wochenende bei Sarah und werde daher wahrscheinlich nichts hier schreiben können, wenn die Diskussion weitergehen sollte. Nur zu Info.

Die Maschine
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Mi 7. Dez 2005, 23:05 - Beitrag #71

Also meine Meinung zu der Diskussion:
Es gibt kein "Wesen" der Moral. Moral ist ein Gedanke oder eine Empfindung, die unser Gehirn aussendet bei bestimmten Anlässen.... es hat kein Wesen... wenn ich Wesen jetzt richtig deute.

Maurice
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Do 8. Dez 2005, 13:35 - Beitrag #72

Wenn du Moral als Empfindung oder als Gedanke definierst, dann existiert schon einmal Moral und es gibt kein Sein ohne So-Sein- Mit "Wesen" meinte ich nichts anderes, als das So-Sein.

Gehe ich richtig in der Annahme, dass deine Vorstellung von Moral ein Werterelativismus darstellt?
Von der Richtung her stimme ich dir zu, aber ich habe Probleme damit, dass du "ein Gedanke oder eine Empfindung" schreibst. Ein Gedanke ist ja was anders als eine Empfindung. Ist Moral jetzt für dich eines der beiden oder beides zusammen?

Vielleicht schreibst du nochmal ausführlicher, was du zu dem Thema denkst, weil so eventuell neue Aspekte in die Diskussion miteinfließen, die wir bisher noch nicht bedacht haben. :)

Padreic
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Mo 12. Dez 2005, 22:33 - Beitrag #73

Notizes on morality and happiness

@Ipsissimus:
Allerdings ist "der Mensch", das Individuum, keine als Kind sich selbst überlassene autonome Einheit; es wird vielmehr sozialisiert anhand von Werten und Normen, die ihm zunächst mal unhinterfragbar auferlegt werden gemäßt den Vorgaben seines Gesellschaftssystems.

Das sei unbestritten. Nur ist die Frage, inwieweit man dem unterworfen ist.
Wenn ich tief in mich schaue, dann merke ich immer mal wieder, dass ich bestimmte Ansicht vertrete, weil ich so von meinem Elternhaus geprägt bin; andere vielleicht, weil sie mir von bestimmten Büchern, mit denen ich früh in Kontakt gekommen, eingeimpft wurden.
Aber wenn ich viel schüttle, rüttle und grabe, so fällt einiges von dem ab. Ich sehe dann vieles, was mir nur kontigent erscheint. Aber ich habe auch bei so einigem das Gefühl, dass es nicht nur kontigent und sozial aufgeprägt ist. Ich mag mich bei einigem irren, bei so manchem werde ich bei zukünftiger tieferer Erkenntnis darüber auch noch sicherlich meine Meinung ändern. Aber ich halte es für durchaus möglich/plausibel/wahrscheinlich, dass Teile von meinem moralischen Bewusstsein, nicht nur aufsozialisiert sind.

Ich halte dafür, daß das elementare Gerechtigkeitsempfinden eines Menschen, auf das du in dem zitierten Satz zu rekurrieren scheinst, ein sozial mediiertes Empfinden ist - das ist der einzige plausible Grund, der mir im Moment einfällt, dafür, daß weltweit divergierende Vorstellungen im elementaren Gerechtigkeitsempfinden von Menschen verankert sind.

Inwieweit sie wirklich divergieren und was man daraus für Folgen ziehen sollte, ist sicherlich eine sehr interessante Untersuchung, der ich mich mangels Kenntnisse aber nicht gewachsen sehe.

nun, aber das läßt immer noch die prinzipielle Wertungsmöglichkeit offen, daß es vielleicht in mancher Hinsicht besser gewesen wäre, wenn schon nicht in jeder ...

ohne Zweifel. Was willst du mir sagen?
Mein Punkt war der, dass ich darlegen wollte, dass es wohl moralische Urteile gibt, bei denen sich alle einig sind, dass sie unsinnig oder falsch sind.

ich denke, die Vollständigkeit, die du forderst, kümmert in Wirklichkeit keinen Menschen. Wenn jemensch JETZT und HIER dieses und jenes machen will, was schert es dann, daß irgendwann und woanders die Einschätzung dessen, was er/sie macht, eine andere ist?

Das kann einen schon was scheren. Es ist ja nicht einfach so, dass man JETZT und HIER etwas machen will, sondern es gibt auch die Dimension des Zweifels.
Darüberhinaus ist mir nicht wirklich klar, was du mir genau sagen willst und was du hier mit Vollständigkeit meinst.

Zu deinem ersten Posting vom 2.12:
Es geht mir erstmal nicht darum, dass andere Menschen nach meinem gusto leben sollen. Es geht mir erstmal um die Frage: Wie soll ich leben? Es geht mir darum, ob da bessere oder schlechtere Handlungen für mich existieren. Oder ob ich willkürlich alles, was mir passt, als gut oder schlecht definieren kann.
OK, dabei bleibt es nicht; der Anspruch auf 'objektive Moral' erstreckt sich dann auch auf andere Personen. Ich glaube, ich bin im großen und ganzen kein intoleranter Mensch. Sicher halte ich manches Verhalten von anderen für schlecht, manches vielleicht für besser, aber erstmal soll, so weit es kein persönlicher Freund ist, dem ich vielleicht helfen will, wenn es denn geht, jeder das für sich selbst wissen. Aber es ist nunmal nicht so einfach, dass jeder einfach nach seinem gusto lebt, wenn er die Sphäre anderer Menschen wesentlich berührt. Etwas illustriert: soll ich die Frau, die da auf der Straße vergewaltigt wird, verrecken (je nach Geschmack auch mehrfach vergewaltigt werden) lassen oder versuchen, ihr zu helfen (vorausgesetzt, dass dies mir möglich ist). Wie anmaßend ist es, dem Vergewaltiger jetzt mein gusto aufzuzwängen, indem ich sage: "Nein, es ist nicht OK, dass du diese Frau vergewaltigst. Ich werde dich davon abhalten, so weit es in meiner Macht steht."?
Es ist vielleicht diese Relativität "Jemand, der vergewaltigt, tut kein Unrecht. Es ist moralisch indifferent, jemandem zu helfen oder nicht.", gegen die ich mich wenden möchte. Und es ist übrigens auch nur sehr wenig von meiner Moral, dem ich wirklich irgendeine intersubjektiv gültige Objektivität zusprechen möchte. Aber das mit dem Vergewaltiger ist so ein Punkt.

@Maurice:
Ok es ist möglich, dass Hobbes Texte nicht mit dem übereinstimmen, was er wirklich gedacht hat.
Aber das wird wohl äußerst unwahrscheinlich und daher hier nicht relevant sein.

Es dürfte bei vielen Philosophen so gewesen sein, dass sich ihre Lebenspraxis nicht hundertprozentig mit ihren philosophischen Äußerungen deckte. Dass das kein äußerst unwahrscheinlicher Fall ist, dürftest du schon an den Leuten in deiner Umgebung beobachten könnnen (obwohl da eher bei nicht-philosophischen Äußerungen). Und da, wo die Lebenspraxis eines philosophischen Autoren seiner Philosophie nicht entspricht, da werde ich skeptisch gegenüber der Philosophie. Es mag immer auch andere Gründe haben, aber es kann auch einen Mangel an Überzeugung von der eigenen Philosophie andeuten. Nicht jede Philosophie ist gleichermaßen lebbar...
Aber das auch nur als Gedanken nebenbei; so gut kenne ich mich mit Hobbes nicht aus, dass ich über diese Punkte ein Urteil wagen wollte.
Übrigens überzeugen mich deine Punkte nicht davon, dass Hobbes wirklich totaler Wertrelativist war. Er spricht beispielsweise (am Anfang von de cive) im Naturzustand auch von Rechten; aber der Punkt ist ein wenig heikel, da er schließlich vom Recht von jedem auf alles spricht, obwohl seine Argumentation dabei wieder für was anderes spricht...nunja. Außerdem ist es kein Wertrelativismus mehr, wenn man sagt, dass moralisch ist, was Verträgen/Gesetzen entspricht. Zumindest nach meinem Begriff von Wertrelativismus, nach dem man in jeder Situation jeder Handlung in gleichem Maße zu- oder absprechen kann, dass sie moralisch ist. Denn hier wird ja gesagt, dass in einer Situation, wo ich den von dir genannten Vertrag geschlossen habe, es moralisch ist, Jungfrauen am 4. Oktober zu köpfen, und unmoralisch, sie nicht zu köpfen. Mag sein, dass Hobbes das anders meinte. Aber immerhin trägt dann der Exkurs zur Klärung meines Begriffes von Wertrelativismus bei ;).

Wie "erlebst" du denn diese objektiven Werte, wenn nicht als Gefühl? Siehst du sie alla Platon vor dir?

Gefühl vielleicht schon, aber nicht Gefühl im Sinne von Emotion, das meinte ich; Gefühl also in einem weiteren Sinne. So wie vielleicht Intuitionen auch irgendwo gefühlt sind...schwer zu beschreiben.

Eine funktionierendes Zusammenleben ist auch ohne Werterealismus möglich. So gibt es auch andere Möglichkeiten Regeln des Zusammenlebens zu begründen, außer dass eine Handlungsweise an sich gut oder schlecht sei.

Jein. Wenn man 'funktionierend' irgendwie definiert, ist es eine rationale Frage, wie man ein funktionierendes Zusammenleben erreicht. 'Funktionierend' hat normalerweise aber schon einen wertenden Charakter. Etwas funktioniert, wenn es seinen Zweck erfüllt und das findet man gut...
Deine Anmerkung geht aber an dem vorbei, worauf ich hinaus wollte. Darauf bist du nicht eingegangen.

Und wie willst du nun für letzteres argumentieren? Mit dem kategorischen Imperativ oder mit der Bibel?

Wenn du jemals erlebt hast, dass ich in moralischen Fragen mit dem kategorischen Imperativ oder mit der Bibel argumentiert hab, dann weis mir das bitte nach ;).
Darüberhinaus hab ich schon gesagt, dass ich kein schlüssiges Gesamtkonzept einer Ethik hab. Weiterhin ist es nicht mein wesentliches Ziel, hier für eine bestimmte Wertvorstellung zu argumentieren. Ich glaube, wirklich argumentieren kann man in solchen Fällen nur vor sich selbst...

Nur weil es keine objektiven Werte gibt, heißt das doch nicht, dass man nicht mehr über Werte diskutieren könnte.

Jein. Schematisch könnte man Wertsysteme so darstellen, dass man Elementarwertungen hat (z. B. Glück ist etwas gutes) und Schlussregeln (z. B. Widerspruchfreiheit oder dass es gut ist, nach etwas Gutem zu streben) hat, woraus man dann weitere Wertvorstellungen ableiten kann. Wenn diese Ableitungen nicht plausibel sind oder wenn die Wertvorstellungen dem selbst gesetzten Gebot der Widerspruchsfreiheit widersprechen, so kann man einhaken und darüber diskutieren.
Aber wie will man über Elementarwertungen diskutieren? Du sagst vielleicht, dass es gut ist, wenn jemand glücklich ist; ich kann genauso gut sagen, dass es schlecht ist. So auch, wenn man sagt, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte haben sollen (sofern man diesen Grundsatz nicht aus anderen ableitet).
Wenn ich als Elementarwertung ansetze, dass es gut ist, Frauen zu diskriminieren, so kann man dagegen höchstens einwerfen, dass es vom theoretischen Blickwinkel her vielleicht etwas unbefriedigend ist, nicht grundlegendere Fragen als Elementarwertungen zu haben, aber sonst eigentlich nichts (außer, dass ich nicht danach lebe, aber das ist ein anderes Thema).
Wirklich über Werte diskutieren kann man nur auf einem wesentlichen Elementarwertungskonsens.


Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Musikstück als "schön" bezeichnet werden kann, wenn nicht

durch eine subjektive Wertung. Es bleibt die Frage wo denn dieser Wert herkommen soll, wenn nicht vom Subjekt.

Die Frage ist eine gute und ich kann sie nicht beantworten.

Außerdem woher willst du wissen, dass die Klassik die schönere Musik ist? Vielleicht hast du bisher die wahre Schönheit des Hip-Hop nur nicht erkannt... Wie willst du herausfinden was objektiv schön ist?

Wertfühlen. Ich weiß, dass ist wiederum nur subjektiv; aber wie gesagt, dass wir nie sicheres Wissen über eine Außenwelt haben werden, heißt nicht, dass da draußen keine objektive rumlungert.
Dass ich die wahre Schönheit des Hip-Hops bisher nicht erkannt habe, ist durchaus vorstellbar; nur ist es für mich sehr schwer vorstellbar. Das soll nicht heißen, dass Hip-Hop nicht auch seine Schönheit haben kann, auch wenn ich es persönlich nicht mag. Aber mir erscheint es irgendwie absurd, dass ein Hip-Hop-Werk die Schönheit beispielsweise von Beethovens Neunter oder den Goldberg-Variationen erreichen soll.
Vielleicht ist ein Kriterium, in wie weit die Kunst den Menschen über seine normale weltliche Existenz hinaus führt und ihm neue Sphären eröffnet. Vielleicht auch, dass sie in irgendeinem Sinne, der mir zu beschreiben schwer fällt, wahr ist...

Wenn ein unglückliches Leben ohne jede Hoffnung oder ein Leben im Drogenkonsum zur Auswahl stünden, so würde ich für letzteres plädieren, wenn nach dem Abflauten der Wirkungen entweder keine

Nebenwirkungen oder ein schneller Tod der Fall wäre.

1. Was meinst du mit plädieren?
2. Das ist deine Ansicht.

Zu deiner Handlungstheorie:
Mir ist, glaube ich, nicht hinreichend klar, was du meinst. Insbesondere, weil du dir anscheinend widersprichst ;). Nunja.
Du gibst mittlerweile ja auch selbst zu, dass es nicht erlebtes Glück ist, wonach wir letztlich streben. IMHO wäre es auch ziemlich komisch zu behaupten, dass man, wenn man gerade bewusst nicht nach Glück strebt, sondern ein Ziel verfolgt, was einem bewusstermaßen weniger Glück verschafft, gerade mit dieser Entscheidung unbewusst nach Glück strebt...
Dass man seinen stärksten Wünschen entsprechend handelt, halte ich aber für keine tiefe Erkenntnis, muss ich sagen.
Ich sehe übrigens immer noch nicht ein, warum Glück nicht weiter gerechtfertigt werden braucht.
Aristoteles sagt auch schon was in der Gegend; dass es Endziel ist, weil wir niemals glücklich sind, um irgendetwas bestimmtes zu erreichen. Aber erstens weiß ich nicht, ob das stimmt (es könnte sein, dass wir versuchen glücklich zu sein, um leistungsfähiger zu sein oder um es leichter zu haben, glücklich zu scheinen, um jemanden anders nicht zu betrüben) und zweitens ist das IMHO kein zwingendes Argument.

Zur Glücksqualitätentheorie:
Die Millsche Lehre ist auch nicht die meine; ich wollte nur anführen, dass ich sie für plausibler halte als die Benthamsche; was eben nicht heißt, dass sie ohne Lücken ist.
Deine Einteilung in verschiedene Qualitäten erstmal unabhängig von der Wertigkeit halte ich durchaus für sinnvoll. Aber in der Praxis kommen dann eben doch Wertigkeiten mit rein; Mill meint ja, dass es Glücksqualitäten gebe, die fast jeder, der diese und noch eine andere gekostet hat, gegenüber dieser anderen vorziehen würde. Und da scheint er insbsondere die Glücksqualitäten zu meinen, die höhere Fähigkeiten des Menschen ansprechen; wie eben beispielsweise intellektuelles Vergnügen. "Lieber ein unglücklicher Sokrates als ein glücklicher Dummkopf.", "Lieber ein unglücklicher Mensch als ein zufriedenes Schwein." heißt es da.

Übertragen auf die Moral bedeutet das,dass du eine objektive Moral voraussetzten muss, um sinnvoll sagen zu können, dass du eine solche erlebst. Wenn das Erleben das Argument für die Existenz einer Sache sein soll, dann wird gerade das vorausgesetzt, was es erst zu zeigen gilt. Deine Argumentation oder zumindest deine Ausdrucksweise ist hier deshalb inakzeptabel.

Du hast mich da durchaus einer ungenauen Redeweise überführt, die genauso ungenau ist, wie wenn ich sage, dass ich einen Stuhl sehen kann, was natürlich eigentlich Blödsinn ist, aber doch eine sehr praktische Kurzsprechweise.

Und um nochmal kurz auf den Vergleich von Werterelativismus und Solipsismus einzugehen: Ein wichtiger Unterschied liegt auch dahingehend vor, dass es für einen Werterelativismus plausible Erklärungsmöglichkeiten gibt (siehe z.B. Ipsis Ausführungen), der Solipspismus sich dagegen hier weit schwerer tut. Weiterer Unterschied ist, dass der Werterelativismus im Gegensatz zum Solipsismus ohne zusätzliche metaphysische Annahmen auskommt.

Zur Plausiblität: Ja, das ist ein wunder Punkt. Obwohl ich gewisse Ansätze ähnlich dem Solipsismus, wie z. B. den Berkleyschen, durchaus für plausibel halte.
Zur Metaphysik: Da würde ich dir widersprechen. Gerade den Solipsismus zu verneinen führt einen in metaphysische Abgründe [ich benutze Metaphysik quasi als Synonym zu Ontologie, weil ich alles andere für tendentiös halte]. Man muss sich mit Materie rumschlagen, wie die wieder Bewusstsein bildet und und und... Der Solipsimus ist der konsequente Ansatz, wenn man minimalistisch, auch metaphysik-minimalistisch vorgehen will. Metaphysik reduziert sich dann zur Psychologie; auch wenn es zugegenermaßen eine ziemlich seltsame Psychologie wird...

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Di 13. Dez 2005, 10:58 - Beitrag #74

Padreic, es soll auch gar nicht bestritten werden, daß neben der Sozialisation auch genetische Faktoren im späteren Sosein eines Menschen ihren Einfluss ausüben. Ich bestreite allerdings, daß diesen Faktoren eine inhaltliche Dimension im Sinne moralischer Inhalte innewohnt. Da die Menschheit nur deswegen überleben konnte, weil ihre Individuen sich als Herdentiere zu funktionalen Verbänden zusammenfanden, ist die Annahme nicht gänzlich unplausibel, daß Verhaltens-Blackboxes, die das Leben im Sozialverband erleichtern, über die Jahrhunderttausende genetisch verankert wurden.

Die Frage der Moral ist allerdings eine Frage des Inhalts, nicht eines allgemeinen moralischen Bedürfnisses, und schon gar nicht die Frage eines verallgemeinert angenommenen, tasächlich aber spezifisch gedachten konkreten Inhalts. Aus dem Bedürfnis nach einem Gott (einer Moral) folgt nicht die Existenz Gottes (einer Moral), auch wenn es möglich ist, gemäß dieser falschen Schlussfolgerung zu leben.

Inwieweit sie wirklich divergieren und was man daraus für Folgen ziehen sollte, ist sicherlich eine sehr interessante Untersuchung, der ich mich mangels Kenntnisse aber nicht gewachsen sehe


Wenn sie nicht divergieren, wieso sehen wir dann nirgendwo DIE eine große absolute Moral? Weil vielleicht das Bedürfnis universell sein mag - obwohl ich auch das nicht glaube - aber eben nicht die Inhalte dieses Bedürfnisses?

Tatsächlich halte ich dieses moralische Bedürfnis in Wirklichkeit für ein egoistisches Bedürfnis, mit Fokus auf dem Wohlergehen des eigenen Lebens, nicht auf dem Wohlergehen anderen Lebens.

Mein Punkt war der, dass ich darlegen wollte, dass es wohl moralische Urteile gibt, bei denen sich alle einig sind, dass sie unsinnig oder falsch sind.


ich bezweifele nach wie vor, daß du mir irgendein moralisches Urteil nennen kannst, bei dem sich

ausnahmslos alle Menschen
unabhängig von ihren Gemütslagen
unabhängig von ihren Interessenlagen
zu buchstäblich jedem Zeitpunkt
unabhängig vom Kontext

derart einig sind. Dabei bezweifele ich nicht, daß es möglich ist, komplexe sprachliche Formulierungen so zu deichseln, daß sie logisch nicht widerlegt werden können. Für mich ist an dieser Stelle jedoch nach wie vor Maß der Dinge nicht die Logik sondern das Empfinden und das "sich darauf beziehen lassen wollen".


Es geht mir erstmal um die Frage: Wie soll ich leben?


das andere sind nur Preliminarien, das hier ist der Kern. Denn mit dieser Frage stellst du zwei andere, imo viel wichtigere Fragen, erst gar nicht:

Wie WILL ich leben?
Wie will ICH leben?

du scheinst anzunehmen, daß es eine Instanz unabhängig von dir gibt, die die natürliche - machtunabhängige - Befugnis und Autorität hat, an deiner Stelle, für dich verbindlich (und notfalls wohl auch gegen deine Einsicht) deine Willfährigkeit im Sinne eines bestimmten moralischen Systems einzufordern, oder wie anders ist dein "soll" zu verstehen?

Dem kann ich mich nur verweigern^^

Maurice
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Di 13. Dez 2005, 12:23 - Beitrag #75

@Pad:

Zitat von Padreic:Zumindest nach meinem Begriff von Wertrelativismus, nach dem man in jeder Situation jeder Handlung in gleichem Maße zu- oder absprechen kann, dass sie moralisch ist.

So eine These habe ich nicht behauptet. Ein solcher Relativismus macht keinen Sinn, weil jede Wertung auf einen Kontext beruht und bestimmte Kontexte bestimmte Urteile einfach nicht möglich machen. So kann niemand einfach etwas ohne Hintergrund als moralisch oder unmoralisch bewerten. Bezeichnen ja, aber nicht bewerten. Ich kann auch nicht einfach meinen, dass XY moralisch ist, wenn es für mich amoralisch ist. Was Ipsi und ich (wenn ich ihn richtig verstehe) meinen ist, dass es weder eine objektive Moral gibt, im Sinne eines Systems, was überindividuell unabhängig vom Geschmack des Einzelnen für alle gilt (/zu gelten hat). Es gibt nur subjektive Moralkonzepte. Moral ist relativ. Das heißt aber nicht, dass jede Person in jeder Situation aus dem Nichts moralische Urteile fällen kann, sondern nur, dass diese Urteile rein subjektiv sind, sein müssen und sich auf kein objektives Prinzip beziehen. Das jeweilige Urteil ist subjektiv, aber nicht bloße Willkür, weil es aus bestehenden Wertevorstellungen resultiert. Der Papst kann deshalb trotz fehlender objektiver Moral nicht einfach Homosexualität als moralisch gut bezeichnen, weil es seinen Vorstellungen zuwider läuft. Objektiv wird dieses Urteil dadurch aber nicht. Es erhebt lediglich den Anspruch.

Gefühl vielleicht schon, aber nicht Gefühl im Sinne von Emotion, das meinte ich]
Erinnert mich jetzt spontan an das Thema "Wer hat schon Gott erlebt?".

Jein. Wenn man 'funktionierend' irgendwie definiert, ist es eine rationale Frage, wie man ein funktionierendes Zusammenleben erreicht. 'Funktionierend' hat normalerweise aber schon einen wertenden Charakter. Etwas funktioniert, wenn es seinen Zweck erfüllt und das findet man gut...

Wenn wir den Zweck einer Gesellschaft so bestimmen, dass durch eine staatliche Lenkung die grundlegenden Bedürfnisse aller Bürger gesichert werden, dann sehe ich kein Problem darin, warum dies nicht auch unter einem Werterelativismus erreicht werden sollte.
Aber was die Aufgaben des Staates sind (/sein sollen), würde hier etwas weit führen, falls wir es diskutieren wollten. Ich habe versucht die Ergebnisse des vergangenen Threads über das Thema in einen Satz zusammen zu fassen.

Wenn du jemals erlebt hast, dass ich in moralischen Fragen mit dem kategorischen Imperativ oder mit der Bibel argumentiert hab, dann weis mir das bitte nach.

Das habe ich nicht behauptet. :P
Ich habe nur spontan zwei Methoden genannt, mit denen man eine deontologische Ethik begründen kann. Der Zusatz mit der Bibel und dem kat. Imp. war mehr rhetorisch. ;)

Darüberhinaus hab ich schon gesagt, dass ich kein schlüssiges Gesamtkonzept einer Ethik hab. Weiterhin ist es nicht mein wesentliches Ziel, hier für eine bestimmte Wertvorstellung zu argumentieren. Ich glaube, wirklich argumentieren kann man in solchen Fällen nur vor sich selbst...

Na gut, dann sprechen wir hier besser von "argumentative Entfaltung der eigenen Gedankenwelt" als von Diskussion. ;) ;) ;)

Du sagst vielleicht, dass es gut ist, wenn jemand glücklich ist; ich kann genauso gut sagen, dass es schlecht ist.

Dass Glück gut ist, ist ein analytisches Urteil aus meinem Glücksbegriff.
Wenn ich Glück als positive Emotionen verstehe, dann macht es keinen Sinn diese als etwas schlechtes zu bezeichnen, weil das ein Widerspruch in sich ist.
Wenn du nun sagst, dass du Glück nicht als etwas positives siehst, würde ich antworten, dass du nicht verstanden hast, was Glück bedeutet.

Wirklich über Werte diskutieren kann man nur auf einem wesentlichen Elementarwertungskonsens.

Das ist klar und deshalb macht es leider keinen Sinn sich mit manchen über moralische Fragen zu streiten. Wenn keine gemeinsame ausreichende Basis in den Vorstellungen besteht, ist es entweder unmöglich oder fast unmöglich auch nur theoretisch zu einem Konsens zu kommen. Schönes Beispiel dafür sind da religöse Fanatiker.

Dass ich die wahre Schönheit des Hip-Hops bisher nicht erkannt habe, ist durchaus vorstellbar; nur ist es für mich sehr schwer vorstellbar. Das soll nicht heißen, dass Hip-Hop nicht auch seine Schönheit haben kann, auch wenn ich es persönlich nicht mag. Aber mir erscheint es irgendwie absurd, dass ein Hip-Hop-Werk die Schönheit beispielsweise von Beethovens Neunter oder den Goldberg-Variationen erreichen soll.

Stell dir mal vor, dass du kein Klassik-Fan wärst, ja Klassik sogar nicht leiden kannst, weil es ein langweiliges Gedudel in deinen Ohren ist. Stattdessen ist Hip-Hop für dich die tollste Musik auf der Welt.
Du würdest genauso für deine bevorzugte Musik argumentieren, wie jetzt für Klassik, wenn auch mit vielleicht etwas anderen Worten.
Kannst du dir das vorstellen? Wenn ja, gibt dir das nicht zu denken?

Vielleicht ist ein Kriterium, in wie weit die Kunst den Menschen über seine normale weltliche Existenz hinaus führt und ihm neue Sphären eröffnet. Vielleicht auch, dass sie in irgendeinem Sinne, der mir zu beschreiben schwer fällt, wahr ist...

Bleibt die Frage, ob diese Kriterien jetzt DIE Kriterien für gute Musik sind, oder bloßt deine persönlichen.

1. Was meinst du mit plädieren?

Ich meinte mit dem Satz, dass wenn jemand in der Situation unseres Gedankenbeispiels ist und der weitere Kontext (mögliche soziale Beziehungen usw.) keine Rolle spielen, dann würde ich ihm raten, dass er die Drogen nehmen sollte.

2. Das ist deine Ansicht.

Du hast einen anderen Ausganspunkt, andere Prämissen, deshalb kommst du zu einer anderen Schlussfolgerung. Leider kannst du diese Prämisse nicht benennen.

Mir ist, glaube ich, nicht hinreichend klar, was du meinst. Insbesondere, weil du dir anscheinend widersprichst ;). Nunja.
Du gibst mittlerweile ja auch selbst zu, dass es nicht erlebtes Glück ist, wonach wir letztlich streben. IMHO wäre es auch ziemlich komisch zu behaupten, dass man, wenn man gerade bewusst nicht nach Glück strebt, sondern ein Ziel verfolgt, was einem bewusstermaßen weniger Glück verschafft, gerade mit dieser Entscheidung unbewusst nach Glück strebt.

Dass jeder nach Glück strebt, ist die Vereinfachung meiner Bedürfnisbefriedigungstheorie. Jeder versucht seine Bedürfnisse zu befriedigen und wenn sie befriedigt werden folgt daraus Glück. Deshalb kann man vereinfacht sagen, dass jeder nach Glück strebt, weil das die Bedürfnisbefriedigung voraussetzt.
Ausnahme ist natürlich, dass jemand trotz Bedürfnisbefriedigung nicht glücklich ist, wenn die Erfüllung des Bedürfnisses andere wichtigere Bedürfnisse verletzt.

Dass man seinen stärksten Wünschen entsprechend handelt, halte ich aber für keine tiefe Erkenntnis, muss ich sagen.

Oh diese Schlussfolgerung ist nicht so selbstverständlich, wie du es glaubst. Kant z.B. würde gegen diese Behauptung entschieden Einspruch erheben.

Ich sehe übrigens immer noch nicht ein, warum Glück nicht weiter gerechtfertigt werden braucht.

Man kann dies schön am Bild von "Interessensbäumen" zeigen.
I
/\
I I
/| |\
I I I I

So in der Art. ;)
Frage ich jemanden warum er arbeiten geht und er sagt mir um Geld zu verdienen, dann kann ich weiterfragen, warum er Geld verdienen will. Darauf kann er z.B. antworten, um sich einen neuen Computer kaufen zu können. Auf die Frage, warum er einen neuen Computer haben will, kann er sagen, weil er die neusten Spiele spielen möchte. Warum möchte er die neuen Spiele spielen? Weil sie ihm Spaß machen und er sich über Siege freut. Warum möchte er Spaß haben und sich freuen? "Wie warum möchte ich glücklich sein? Was ist das denn für eine doofe Frage? Ich will einfach glücklich sein, weil es gut ist glücklich zu sein. Wer würde schon das Gegenteil behaupten?"
Glück braucht nicht weiter gerechtfertigt zu werden, weil es ein höchstes Gut ist, was seiner Selbst willen gewollt wird. Soetwas muss nicht nur nicht begründet werden, sondern kann nicht weiter begründet werden, weil der Grund danach zu streben, schon im Gut enthalten ist.

"Lieber ein unglücklicher Sokrates als ein glücklicher Dummkopf.", "Lieber ein unglücklicher Mensch als ein zufriedenes Schwein." heißt es da.

Bei diesen Sätzen wird deutlich, dass Mill das Glücksprinzip nicht konsequent durchzieht und widersprüchlich wird. Voraussetzung ist natürlich ein hedonistischer Glücksbegriff (Glück=positive Emotionen). Nimmt man aber objektive Glückskriterien an, die unabhängig von positiven Emotionen sind, dann können die Aussagen stimmig sein. Wenn man z.B. sagt, dass es eine notwendige Bedingung zum Glück ist, dass man frei ist, dann kann man sagen, dass es besser ein leidvolles Leben in Freiheit zu leben, statt ein zufriedener Sklave. Mill hat offensichtlich mindestens implizit solche objektiven Kriterien verwendet. Inwieweit er diese explizit geäußert hat, weiß ich nicht, aber ich fange gerade an den "Utilitarismus" von ihm zu lesen.
Die damit verbundenen vor allem sprachlichen Problem von objektiven Glückskriterien sind offensichtlich. Man muss nämlich aufpassen glücklich nicht mehr im hedonistischen Sinne zu benutzen und muss z.T. empirische Freude mit "wahren Glück" genau trennen. Wenn Glück nämlich nur die Anwesenheit von positiven Emotionen und die Abwesenheit von negativen ist, dann macht der Satz "Lieber ein unglücklicher Sokrates als ein glücklicher Dummkopf." keinen Sinn, wenn man gleichzeitig Glück als das höchste und einzige Gut bezeichnet.

Du hast mich da durchaus einer ungenauen Redeweise überführt, die genauso ungenau ist, wie wenn ich sage, dass ich einen Stuhl sehen kann, was natürlich eigentlich Blödsinn ist, aber doch eine sehr praktische Kurzsprechweise.

Es ist nicht Blödsinn zu sagen, dass man einen Stuhl sieht, wenn man annimmt, dass da wirklich einer unabhänging von mir ist. Was ich ausdrücken wollte ist, dass du die Existenz des Stuhls nicht einem Skeptiker beweisen kannst, indem du sagst, du würdest ihn sehen.


Ja, das ist ein wunder Punkt. Obwohl ich gewisse Ansätze ähnlich dem Solipsismus, wie z. B. den Berkleyschen, durchaus für plausibel halte.

Soweit ich mich erinnere und ihn verstanden habe, war Berkley kein Solipsist, sondern nur ein idealistischer Monist. Woher hast du die Meinung, dass er Solipsist war? Oder verstehen wir nur was anderes unter dem Wort?

Da würde ich dir widersprechen. Gerade den Solipsismus zu verneinen führt einen in metaphysische Abgründe [ich benutze Metaphysik quasi als Synonym zu Ontologie, weil ich alles andere für tendentiös halte].

Wenn du einen Satz mit deinen Wortbedeutungen liest, die sich von dem des Autors unterscheiden, dann muss man sich nicht, wundern wenn ein verfälschtes Ergebnis rauskommt. ;)

Man muss sich mit Materie rumschlagen, wie die wieder Bewusstsein bildet und und und...

Das ist ja das Schöne an meinem Standpunkt. Ich kann selbstordganisierende Materie postulieren, die zu den komplexen Strukturen in der Welt (u.a. Bewusstsein) geführt haben. Wie das genau funktionieren soll, müssen die Wissenschaften erklären, die diesen Standpunkt teilen. Das ist nicht mein Aufgabenbereich. :P

Der Solipsimus ist der konsequente Ansatz, wenn man minimalistisch, auch metaphysik-minimalistisch vorgehen will.

Dazu später was, weil ich jetzt leider keine Zeit mehr habe und gleich in die Uni muss. :(

Bowu
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Di 13. Dez 2005, 13:09 - Beitrag #76

Zitat von Maurice: [..]dass es weder eine objektive Moral gibt, im Sinne eines Systems, was überindividuell unabhängig vom Geschmack des Einzelnen für alle gilt [..]


Die Gegenthese ist, dass die objektive (menschliche) Moral eben in dem Geschmack des Einzelnen also jedem Einzelnen liegt. Eine vom Wollen des Individuums unabhängige aber irgendwie wirksame Moral ist doch gar nicht (konsistent) denkbar.

@Ipsi

Wenn der noch nicht sozialisierte Mensch keine moralischen Inhalte hat, also keine Wertmaßstäbe, so musst du irgendwie erklären, wie der Mensch zu seiner Moral kam. Kopiert er am Lebensanfang die Bewertungen der anderen? Hat der erste moralische Mensch nur zufällig den Eindruck erweckt moralisch zu sein, und hat so die anderen "angesteckt"?

Die Nichtexistenz einer apriorischen Moralvorstellung bedeutet, dass wir den Beginn unserer Moralisierung gänzlich unreflektiert(unbewertet) hinnehmen müssen.
Diese Konsequenz ist für mich kontraintuitiv, da ich Werturteile in Relation zum Willen beurteile, und ich mir nicht vorstellen kann, dass mein Wille völlig "meinungslos" auf die Welt kam - ich glaube er erkannte (empirisch) was ihm genehm ist - so ist es bei der Muttermilch und auch dem Zusammenleben.

Kennt jemand ein Kind dem schon in jungen Jahren überhaupt nicht nach Kuscheln ist?

Ipsissimus
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Di 13. Dez 2005, 13:34 - Beitrag #77

Bowu, wenn wir im Rahmen der Evolutionstheorie bleiben, so hat sich die Menschheit entwickelt - am Anfang mögen es also ganz einfach instinktive Verhaltensweisen gewesen sein, etwa der Brutpflege entstammend, die sich durchgesetzt haben. Moral hat imo aber etwas mit Bewußtheit zu tun, mit Reflektion und Entscheidung. Dazu muss mensch erst mal bewußt und reflektions- und entscheidungsfähig werden.

Bowu
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Di 13. Dez 2005, 20:17 - Beitrag #78

Wenn die Grundlage der Moral aber inhaltlich-instinktiv und formell-bewußt ist, so ist die Grundlage nicht durch Sozialisierung gelegt, es sei denn einer der beiden Aspekte ist durch Sozialisierung begründet. Bei Instinkten scheint das Gegenteil auf der Hand zu liegen. Bei Bewusstsein ist das ganze etwas schwieriger, aber wenn man sich ansieht welches Bewusstsein für Moral erforderlich ist, stellt man fest, dass dies nicht notwendigerweise das Bewusstsein für einen Selbst, sondern einen viel schwächeren Grad der Bewußtheit nämlich des Erkennens der Anderen (Menschen und Dinge) und die anschließende Bewertung.

Maurice
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Di 13. Dez 2005, 22:22 - Beitrag #79

Wie die Moral in die Welt gekommen ist

Wie ist die Moral in die Welt gekommen?
Individuelle Interessen, Vorlieben und Geschmäcker wurden von Einzelnen für absolut und objektiv gut erklärt. Das ist die einfachste und mir plausibelste Erklärung. Anders kann man bestimmte moralische Gebote nicht erklären, wie z.B. das Verbot von Homosexualität oder das Essen von Schweinefleisch. Ersteres ist die Absolutsetzung eines persönlichen Ästhetikempfindens (siehe auch Pads Argumentation zur Klassik); letzteres erwächst aus dem Glauben, durch ein allgemeines Gebot den persönlichen Nutzen zu vergrößern.
Als archaischer Bewohner einer heißen Gegend, wo Schweinefleisch schnell verdirbt, will ich nicht, dass sich meine Mitmenschen reihenweise eine Lebensmittelvergiftung durch vergammeltes Fleisch einhandeln. Ich verbiete deshalb sicherheitshalber den Verzerr von leicht verderblichen Lebensmitteln. Nun haben Machthaber damals nicht über den Tellerrand ihrer Klimazone geblickt, sei es weil sie es nicht konnten oder wollten, und setzten das Verbot als allgemein gültig fest. Um sich nicht gegenüber uneinsichtigen Mitmenschen rechtfertigen zu müssen, wird der Regel unterstellt, dass sie an sich gut sei. Ein moralisches Gesetz ist geboren.
In der Bibel finden wir einen Berg an moralischen Geboten dieser Art. Dass ein Gebot an sich richtig sei wird dadurch begründet, dass es von Gott kommt. Das Gebot ist von jedem einzuhalten, weil bei Missachtung göttliche Strafen drohen. Gott wird als Blankoscheck für jedes Interesse der Machthaber benutzt. Wer die Gebote nicht befolgt wird mit Vorliebe getötet. Wer nicht gehorcht kann nicht gebraucht werden. Samthandschuhe waren damals noch nicht erfunden. Selbst die unter Moses stattfindenden Völkermorde werden nicht nur moralisch entschuldigt, sondern sogar als richtig gewertet. Gott befiehlt den Massenmord und deshalb ist dieser moralisch gut. Das Prinzip Gott dient als Legitimation von Gewalt und Mord, ersetzt eine argumentative Auseinandersetzung mit den Soll-Sätzen und sichert damit die Macht der religösen Oberhäuptern. Außerdem beruhigt es darüber hinaus auch das Gewissen, da man die eigene Verantwortung auf eine metaphysische Entität abschiebt.

Ich fasse zusammen: Ein persönliches Interesse lässt sich nur verwirklichen, wenn sich andere entsprechend verhalten. Eine Person stellt einen Soll-Satz auf, der von allen befolgt werden soll. Dieser gilt erst für eine bestimmte Situation und dann für allen Situationen eines Types. Dieser Satz wird verallgemeinert, aus seinem Kontext gelöst und als absolut gesetzt wird.
Persönliches Interesse-> Soll-Satz-> Handlungsutilitarismus-> Regelutilitarismus-> moralisches Gebot
(Ich benutze das Wort "Moral" hier im deontologischen Sinne, was unserer Alltagsintuition entspricht.)
Man kann also sagen, dass jede deontologische Moral eine verkappte teleologische Ethik, ein selbstvergessener Regelutilitarismus ist, die wiederum aus den Wünschen von Einzelpersonen entspringt.

Der Einzelne übernimmt in seiner kindlichen Naivität die tradierten Soll-Sätze, die sich nach der Verinnerlichung verselbstständigen. Der Mensch wird durch sein geformtes Gewissen mit Schuldgefühlen geplagt, wenn er gegen die verinnerlichten Gebote verstößt, das wiederum Ausdruck des Sozialtriebs ist. Der Mensch hat für gewöhnlich eine natürliche Affinität zu seinen Mitmenschen und das Bedürfnis, dass seine Mitmenschen wohlwollend ihm gegenüber sind. Das natürliche Gewissen ermahnt zum sozialen Umgang gegenüber den Nächsten. Das Gewissen hat aber auch eine gesellschaftliche Dimension, in der Weise, dass es vorgegebene Normen übernimmt. Der Mensch wird als Kind für bestimmte Taten gelobt und getadelt und versucht daraufhin sich entsprechend der Gebote zu verhalten, um sich das Wohlwollen des Normgebenden zu sichern. Dieses Handelnwollen nach verinnerlichten Normen verselbständigt sich, indem es sich dem Bewusstheit abkoppelt, dass die Norm um das Wohlwollen des anderen wegen befolgt wird. Der reale Gegenüber wird durch eine abstrakte Prinzipientreue ersetzt. Das Zuwiderhandeln gegen solche verinnerlichten Normen bestraft das Gewissen mit Schuldgefühlen.
Die verinnerlichten Normen und die instinktive Sympatie zum Nächsten werden von vielen Menschen erneut als absolute Soll-Sätze gesetzt, weil ein Gefühl der inneren Gewissheit, was nichts anderes als eine starke subjektive Plausibilität ist, als sicheres Wahrheitskriterium für eine objektive Moral gehalten wird.

So werden moralische Vorstellungen von Generation zu Generation weitergegebenen. Der Ursprung und die ehemalige Zweckgerichtetheit der Gebote sind schnell vergessen. Der Einzelne löst sich nur in den wenigsten Fällen durch eigene Reflektion von den vorgebeteten Geboten. Kommt es zu einer Reflektion, resultiert diese aus der Schwächung der Plausibilität der alten Vorstellungen durch erfahrene Widersprüchen der eigenen Prinzipien zur Realität. In der Regel kommt es aber zu einer Änderung der moralischen Vorstellungen durch eine effizientere Indoktrination einer anders denkenden Person oder Gruppe.

Aydee
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Mi 14. Dez 2005, 00:34 - Beitrag #80

Die imo eigentlich interessante(re) Frage in dieser Beziehung ist imo wengier, wie "Moral" entstandt, sondern warum. Die Antwort hierauf dürfte imo Antwort auf die Frage nach dem Wesen von Moral geben...

"Absolutsetzung eines persönlichen (...)Empfindens" von jemandem mit der Macht ggü anderen dies durchzusetzen. Und damit eine gewisse Kontrolle, zu Anfang vielleicht gutgemeint, eine Art Schutz, Beschützerfunktion... aber was Macht zum Opfer fällt.... :-)

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