[N] Anarchismus

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Nightmare
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Mi 3. Mär 2004, 23:18 - Beitrag #1

Anarchismus

Mal was anderes als die vielen Religions / metaphysik bezogenen Themen.

Was haltet ihr von Anarchismus?

Als Grundlage vielleicht erstmal eine Definition:

Anarchismus ist die philosophisch/politisch/soziologische Lehre bzw. Überzeugung, die besagt, daß eine ideale menschliche Gesellschaft keine Regierung und keinen Staat haben sollte. Verbunden damit ist die Überzeugung, daß die Menschen von Natur aus gut seien, und erst durch die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse schlecht gemacht werden. Einige Anarchisten propagieren den gewaltsame Umsturz (z. B. Bakunin) andere lehne Gewalt zur Herbeiführung der Anarchie ab und setzen auf Erziehung (z. B. Godwin). Ersetzt soll der Staat durch grenzenlose Freiheit des Einzelnen und/oder durch freiwillige Zusammenschlüsse gleichberechtigter Menschen.

Bin sehr gespannt, würde mich vor allem über solche Antworten freuen, die nicht von Leuten stammen die sich immer hier rumtreiben *g* :D

styler
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Do 4. Mär 2004, 00:07 - Beitrag #2

Mir fällt zunächst Rousseau ein, der, wie bereits erwähnt, den Menschen als von Natur aus gut beschrieben hat und der erst durch die Gesellschaft oder eine Authorität böse bzw schlecht wird. An sich stellt er das ganz plausibel dar, doch ich persönlich bin der Ansicht, dass Anarchismus (denn ich jetzt mal mit antiautthoritärer Erziehung gleichstelle) nicht zu dem Erfolg führt, den man sich als 'Normalbürger' unserer kapitalistischen Gesellschaft vielleicht wünschen mag. Nach kurzer Zeit wird wohl das Gesetz des Stärkeren gelten. Ohne feste Regeln denkt jeder an sich (ein gesundes Maß ist natürlich nicht falsch, jedoch tendiert ein Übermaß an selbigem als Ignoranz angesehen zu werden).

Aus meiner Sicht kann eine Gruppe von Menschen ohne Verhaltensregeln nicht bestehen. Im schlimmsten Fall müssen alle Mitglieder sterben, da jeder Mensch Argwohn, Ruhmsucht und Wettstreben (Hobbes, Der Mensch als von Natur aus böse) mit sich trägt und dies auch nicht unterbinden kann. Um eine anarchistische Gesellschaft (kann man das so nennen?) führen zu können müßten die Menschen vollkommen reine Wesen sein, für die kein Böse/Schlecht existiert.

Shockk
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Do 4. Mär 2004, 00:23 - Beitrag #3

Pro styler :).

Anarchie kann meines Erachtens nicht funktionieren. Mann muss noch nicht einmal auf einen Philosophen zurückgreifen (obwohl diese Methode zugegebenermassen eleganter ist, nur fehlen mir die Quellen), um festzustellen, dass der Mensch schlecht ist. Einfach mal den Fernsehr einschalten.

Ein System, in dem gleiche Menschen gleich viel gelten, wäre zwar ideal. Allerdings würde in so einem "jungfräulichen" Gefüge irgendwann ein Individuum oder eine Gruppe erkennen, dass es Vorteile bringt, sich über die anderen zu stellen. Wie genau das aussieht und mit welcher Motivation (Platz, Nahrung, Recht, Macht ...) das geschieht sie dahingestellt, notwendigerweise wäre aber zu Anfang ein Meinungs-/Interessenkonflikt da, der dann später, wenn sich die Strukturen etabliert haben, zu einem Klassenkonflikt wird.

Als Beispiel könnte man zB eine Grundschulklasse anführen. Die Kinder, die da im Regelfall vom 6ten bis zum 10ten Lebensjahr sind, haben noch keine ausgeprägten sozialen Strukturen, vielleicht geringfügige, die sich im Kindergarten gebildet haben, aber sonst nichts. Somit kann man das Verhalten der Kinder untereinander, in der Klasse, als anarchisch gegliedert betrachten - alle sind in der gleichen, ungewohnte Situation, alle sind am Anfang gleichberechtigt. Sehr schnell wird sich das aber ändern, und spätestens am Ende der vierten Klasse gibt es dann beliebte Kinder, schlaue Kinder, unbeliebte Kinder, Aussenseiter, vielleicht auch schon einen Klassen-Macho oder ein Klassen-Girlie. Und schon ist das System wieder zu Gunsten einiger und zu Ungunsten anderer verschoben und gegliedert.

Maurice
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Do 4. Mär 2004, 01:07 - Beitrag #4

Ja dazu fällt mir natürlich auch spontan Rousseau und Hobbes ein und zu letzeren seinen "Krieg jeder gegen jeden".

Anarchisten sind nach außen hin meist sehr markant und treten wie ich sie meist nenne als "Zecken" auf. :D Kaputte Kleidung, eine Frisur die wohl die kleine Schwester verbrochen hat, eine alte Lederjacke voller Buttons und mit einem Anarchiesymbol versehen usw. ihr kennt das bestimmt alle. ;) Damit wollen sie dann ihre "Freiheit" demonstrieren und sich gegen den Staat auflehnen, der die Menschen ja unterdrücke.
Der Staat müsse abgeschafft werden damit die Menschen in Freiheit sein könnten... was für ein Fehlschluss. :shy: Ja der Staat zwingt die Menschen gewisse Regeln einzuhalten, aber die sind (in einer Demokratie) nötig um die Freiheit anderer zu schützen. Ohne staatliche Regeln würde allgemein das uneingeschränkte Recht des Stärkeren gelten und der Skrupellose hätte die Freiheit mit den Schwächeren zu tun was ihm beliebe ohne, dass er sich vor einer höheren Gewalt in Acht nehmen müsste. Natürlich auch in einem Rechtsstaat ist man nicht vor Willkür Einzelner 100% sicher, aber dort gibt es zumindest eine organisierte Instanz die sich zum Ziel gesetzt hat jedem Menschen Rechte, Freiheiten und Sicherheit zu gewährleisten. In einer Anarchie in dieser angeblichen völligen Frieheit wäre im Endeffekt weniger Freiheit, als in unserem jetzigen "Unterdrückerstaat".
Man versuche sich auszumahlen, was hier los wäre, wenn von heute auf morgen die Anarchie herschen würde....
Ich finde Anarchisten kommen einfach nicht mit der Gesellschaft klar und suchen in ihr einen Sündenbock für ihre fehlende Fähigkeit sich in dieser zurecht zu finden.

Nightmare
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Do 4. Mär 2004, 22:42 - Beitrag #5

So, nach etwas längerem Suchen habe ich dochnoch was gefunden von einem bekennenden (völlig unbedeutenden) Anarchisten, er hat ein paar Grundsätze über Anarchie und Revolution formuliert:

1.) Die Grundlage für jede Gesellschaftstruktur sind die ökonomischen Verhältnisse.
2.) Gibt es Ausbeuter und Unterdrückte, so gibt es einen organisierten Gewaltapparat, der meistens Staat genannt wird.
3.) In einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung kann es deshalb keinen Staat geben, es kann eine freie Gesellschaft nur OHNE Staat geben.
4.) AnaRKomM unterstützt alle Bestrebungen, die sie sozialen Verhältnisse der arbeitenden und der von Lohnarbeit abhängigen Menschen verbessert und die die Welt vor der Zerstörung bewahren.
5.) AnaRKomM unterstützt keine neuen Gewaltapparate, auch wenn sie im Namen der Unterdrückten aufgebaut werden.
6.) AnaRKomM unterstützt die Kämpfe für eine gerechte Welt, eine kämpfende Bewegung der beherrschten Klassen ist die Keimzelle für die neue, freie Gesellschaft.
7.) Diese kämpfende Bewegung muß die Ziele ein Stück weit vorausverwirklichen und in einen dauerhaften revolutionären Prozeß ständig weiterentwickeln.
8.) Dessenungeachtet ist eine Lösung innerhalb einer Nische jedes Systems nicht möglich.
9.) Die ökonomischen Verhältnisse sind zwar die Grundlage dieses Systems, da die Grundlagen des Systems mit dem gesellschaftlich Überbau aber auch in einer Wechselbeziehung stehen, gehen wir nicht wie Lenin z.B. in „Staat und Revolution“ von einem Absterben des Staates aus.
10.) Der herrschende Gewaltapparat muß vollständig zerstört werden, die politische und ökonomische Machteroberung ohne tatsächlich praktizierte soziale Revolution durch die breite Mehrheit der Bevölkerung kann nicht der Weg zu einer freien Gesellschaft sein.
11.) Die Verteidigung der sozialen Revolution durch die Mehrheit der Bevölkerung gegen die früheren Ausbeuter durch geeignete Mittel ist legitim und ist mit der Gewalt durch den früheren Staatsapparat nicht gleichzusetzen. Die herrschende Klasse wird ihre Macht mit Sicherheit nicht freiwillig aufgeben, sondern versuchen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln ihre Vormachtstellung zu sichern und auszubauen.
12.) „Die soziale Revolution ist ein langwieriger Vorgang, der mit der Niederringung der herrschenden Macht beginnt und nicht endet, bevor die Ordnung der Freiheit nicht alle wirtschaftlichen und menschlichen Beziehungen durchdringt“, um es mit einem Zitat aus Erich Mühsams Werk „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“ auf den Punkt zu bringen.

Maurice
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Fr 5. Mär 2004, 10:35 - Beitrag #6

Versteh ich das jetzt falsch oder läuft das echt drauf aus die Wirtschaft abzuschaffen. Na klar was bringt mir die ach so tolle Freiheit, wenn ich mich (durch fehlende rechtliche Organe) nicht sicher fühlen kann und dann auch noch nix zu fressen hab. Dieses ganze Gesülze ist imo völlig realitätsfremd. :shy:

LordSephiroth
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Fr 5. Mär 2004, 17:04 - Beitrag #7

5.) AnaRKomM unterstützt keine neuen Gewaltapparate, auch wenn sie im Namen der Unterdrückten aufgebaut werden.


AnaRKomM ist ein Gewaltapparat, der im Namen der Unterdrücktzen aufgebaut wird, da die Mitglieder AnaRKomMs entscheiden, was ein neuer Gewaltapparat ist und was nicht.
Sie dürften sich also nicht selbst unterstützen.

2.) Gibt es Ausbeuter und Unterdrückte, so gibt es einen organisierten Gewaltapparat, der meistens Staat genannt wird.

3.) In einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung kann es deshalb keinen Staat geben, es kann eine freie Gesellschaft nur OHNE Staat geben


Wie Shockk schon sagte, wird sich immer ein neuer Gewaltapparat bilden, der dann zwar von AnaRKomM, als Machtapparat, nicht zugelassen wird, was AnaRKomM jedoch nicht mit jedem Gewaltapparat machen kann, da ein Gewaltapparat in der menschlichen Veranlagung liegt.

Da es eine freie Gesellschaft nur ohne Staat (ich glaub sie meinen Machtapparat was sie dann schon mal sofort gleichgesetzt hätten), aber keine Gesellschaft ohne Gewaltapparat, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass es keine absolut freie Gesellschaft gibt.

Allerdings bin ich nun nicht ganz gegen die Anarchie. Ich halte sie für durchaus erstrebenswert, wenn man sie erreicht indem man die Gesellschaft ändert, so dass sie eben nicht augenblicklich einen Gewaltapparat bildet.

dmz
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So 7. Mär 2004, 04:19 - Beitrag #8

Moechte zunaechst noch ein paar definitive Ergaenzungen machen, weil ich diese
richtungsweisend unten benoetige:

Anarchismus wird haeufig spontan mit Umsturz, Gewalt, Buergerkrieg
und Chaos in Verbindung gebracht und begrifflich mit Anarchie verwechselt.
Auch wird bisweilen vom anarchistischen Verhalten im Gesellschaftssystem gesprochen;
in Wirklichkeit ist gemeint das autonome(gesetzlose) Verhalten .....
Genau das will aber die Lehre vom Anarchismus nicht, - ausgenommen
die revolutionaere Form voruebergehend.
Es soll jedoch eine Gesellschaft von freien Individuen erreicht werden, die sich
der Gemeinschaft gegenueber verantwortlich und verpflichtet fuehlen.
Niemand soll durch ueberzogene Freiheit eines anderen zu Schaden kommen.
Eine Gesellschaft, in welcher Herrschaftsinstrumente und die Herrschaft von Menschen
ueber Menschen abgeschafft worden ist.
:::::
Im Prinzip will Anarchismus zunaechst wie die Aufklaerung auch die Befreiung der
unmuendigen, unfreien Buerger erreichen, ohne dass diese sich danach in ueberzogenem
Konkurrenzdenken gegenseitig beeintraechtigen und schaden.
In der Eigentumsfrage unterscheiden sich die Denkrichtungen jedoch.
Im Anarchismus soll der Eigentumsanspruch des Einzelnen abgeschafft werden
zu Gunste des Gemeinschaftseigentums.
Je nach Schattierung der Richtung des Anarchismus sollen sogar Konsumgueter
zu Gemeinschaftseigentum erklaert werden.
:::::
(1) Frage: kann eine solche Gesellschaft realiter geschaffen werden und Bestand haben ?
Das haengt auf jeden Fall von der Erziehung und Einstellung der Menschen ab.
Solange die Menschen nach dem heute geltenden Wertesystem erzogen werden zu
Konkurrenzdenken, (eigenes)Eigentum, Egoismus, (ueberzogener) Selbstverwirklichung,
wird die anarchistische Gesellschaftsform in der Tat in Gewalt und Chaos (Anarchie)
ausarten muessen (fehlende Kontrollsysteme).
Der Anarchismus an sich erfordert also eine besondere Gesellschaftfaehigkeit der Menschen,
wenn er funktionieren soll (Gleichschaltung der Gesellschaft im positiven Sinne).
:::::
(2) Ist die Gesellschaftsform des Anarchismus wuenschenswert vorausgesetzt, es gelaenge
die geeigneten Menschen dazu zu erziehen und zu bekommen ?
Ich meine ja, in Anbetracht der (heute) bestehenden Gesellschaftsdefizite, die in anderen
Gesellschaftsformen immer vorhanden sein werden.
Abschaffung des herkoemmlichen Eigentumsanspruches waere zu verschmerzen,
in Anbetracht der Tatsache, dass Eigentum fuer die meisten Buerger die Merkmale von
Belastung und Risiko bedeutet, welche sie allzuoft und immer mehr nicht durchhalten und
ertragen koennen (Gruende: Verschuldung, Ueberforderung, Arbeitslosigkeit).
Ausserdem: der Zustand nicht-vorhandenen Individual-Eigentums verhindert das Entstehen von Egoismus.
:::::
(3) Bestehen Aussichten, die ideal-anarchistische Gesellschaft zu erreichen ?
Entschieden: nein. Versagensmoment: Erziehung und Entwicklung des Individuums.
Es wird m.E. weiterhin das "Parallelmodell" des Sozialismus favorisiert werden,
welcher auch im Idealfalle, dass Anarchismus ueberhaupt realisierbar waere,
als "Uebergangssystem" in Frage kaeme.

ThomasM
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So 7. Mär 2004, 13:38 - Beitrag #9

Hallo zusammen

Für mich ist die Antwort einfach: Da die Grundannahme falsch ist, wirderlegt sich Anarchismus von selbst und gerade diejenigen, die ihn vertreten sind die, die besonders gerne Gewalt ausüben würden, wenn sie die Machtposition hätten.

Ich bin dagegen nicht für Anarchie, sondern für Freiheit.

Gruß
Thomas

dmz
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So 7. Mär 2004, 14:34 - Beitrag #10

Was ist mit Grundannahme zur Lehre des Anarchismus gemeint ?

ThomasM
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Mo 8. Mär 2004, 22:43 - Beitrag #11

Re: Anarchismus

Hallo dmz

Aus dem Eingangsbeitrag:
Original geschrieben von Nightmare
...
Verbunden damit ist die Überzeugung, daß die Menschen von Natur aus gut seien, und erst durch die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse schlecht gemacht werden.
...

Das ist die Grundannahme und die ist falsch.

Gruß
Thomas

Proxy_Blue
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Mo 8. Mär 2004, 23:13 - Beitrag #12

Seh ich genauso wie ThomasM,
ich denke, ohne Staat, so wie manche in "abschaffen" wollen, fällt die komplette Struktur zusammen. Wer sorgt für Ordnung und was ist mit der sozialen Struktur?
Werden urplötzlich alle Gesetzte ausser Kraft gesetzt?

janw
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Fr 12. Mär 2004, 20:10 - Beitrag #13

Also als einer, der hier nicht so regelmäßig schreibt *blinzel, grins*
und als bekennender Archismusskeptiker will ich auch mal was dazu schreiben.

Anarchismus ist das Gegenteil von ? ich würde es Archismus oder auch Hierarchismus nennen.

Also Anarchismus in reiner Form ist sicher nicht zu erreichen, aus zwei Gründen:

Der Mensch hat die Tendenz, seine Mitmenschheit hierarchisch zu bewerten und sich in diesem hierarchischen System einen Platz zu suchen, und ist auch nicht per se gut.

Komplexe Gesellschaften haben Entscheidungen zu komplexen Problemen zu treffen, über die nicht alle Mitglieder in gleicher Weise sachkompetent sein können. Das Entstehen von Expertenhierarchien ist unvermeidlich.

Allerdings wird gerade die nicht-gutheit des Menschen gerne als "Totschlagargument" zur Rechtfertigung der hierarchischen Gesellschaftsstrukturen benutzt, und hier wird es für mich schwierig.

Für mich sind Archismus und Anarchismus zwei Pole auf einer Skala abgestufter Mitwrkungsmöglichkeiten der Menschen in einer Gesellschaft.
In diesem Sinne bedeutet für mich Anarchismus die Zulassung größtmöglicher Mitwirkung, zugleich jedoch mit der Gefahr der Ausnutzung dieser Möglichkeiten durch stärkere zu lasten schwächerer. Diese Möglichkeit ist jedoch in einem Archismus ebenfalls gegeben, dort dann aber normativ sanktioniert, in dem definierte Gesellschaftskreise regelmäßig Machtpositionen besetzen dürfen, welche anderen normativ bedingt verschlossen bleiben.

Das ganze könnte man also mit dem Wertpapierhandel vergleichen: Viel Sicherheit, wenig Renditemöglichkeit - wenig Sicherheit, hohe Renditemöglichkeit.

Die verbreitete Gleichsetzung von Anarchismus und Anarchie ist falsch: Selbst in einem archistischen System kann Anarchie herrschen, wenn bestimmte Normen nicht eingehalten und die Nichteinhaltung nicht verfolgt wird.
So gesehen, haben wir nämlich real existierend Anarchie:
Die eigentlich durch das Grundgesetz und andere Gesetze angestrebte Belastung der Menschen nach ihren Möglichkeiten wird ausgehebelt, wenn die Reichsten so gut wie keine Steuern zahlen und in die private Kranken- und Rentenversicherung gehen und damit die Alten und Armen allein gelassen werden.

Die Bestrebungen in Richtung von Eliteunis laufen auf das gleiche hinaus: Alle anderen Unis werden leer ausgehen.

Gibt es anarchistische Gesellschaften?
Es gibt sog. akephale Gesellschaften (Gesellschaften ohne zentrale Führerfigur oder -gruppe), z.B. die Paschtunen in Afghanistan und einige Völker in Westafrika.
Dort werden Entscheidungen nicht nach Mehrheitsprinzip oder Laune des Herrschers gefällt, sondern es wird durch fortdauerndes Diskutieren und gegenseitige Zugeständnisse eine gemeinschaftliche Einigung angestrebt und erreicht, wohl erfolgreich. Wobei auch hier soweit ich weiß eine Art Parlament diesen Diskussionsprozess durchführt, wobei hier aber eine andere Repräsentanz gegeben sein könnte als bei uns.

Die Situation der Frauen auch bei den Paschtunen zeigt aber, daß auch dieses Modell nicht nach unseren Vorstellungen optimal ist, weil eben doch die religiös bedingten Normen superior wirken.

Aber ich für mich wünsche mir doch ein größtmögliches Maß an Mitbestimmung und Selbstbestimmung, und daß jedem die Kraft vermittelt wird, Ausnutzer der Freiheit deshalb zu kritisieren. Insofern: Sowenig Hierarchie wie möglich, sehr wohl verneige ich mich aber vor Alter und Erfahrung.

Ender
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Fr 19. Mär 2004, 21:27 - Beitrag #14

Meiner Meinung nach ist Anarchie oder Anarchismus vom Menschen nicht realisierbar, da beides darauf aufbaut, das alle oder auch nur Gruppen von Mensch gleichgestellt werden. Nun liegt es aber in der Natur des Menschen, Macht über andere Dinge auszuüben, sei es über andere Menschen, Tiere (oder Gegenstände). Genau diese Machtausübung erstellt woeder Statten, seien es von mir aus Monarchien oder Diktaturen in vielen kleinen Gruppen.
Desweiteren ist der Mensch nicht von Natur aus Gut oder Böse, sondern leider beides. Zusätzlich ommt es dann noch auf seine Erziehung an. Ein guter Mensch kann ein böser werden durch Erziehung und umgekehrt Dieses Gut-Böse verhältniss geht wiederrum über in Unterdrückung,, die Guten die Bösen, die Bösen die Guten. Somit haben wir wieder den Anarchismuss verfehlt.
Damit Anarchie und Anarchismuss funktionieren würde, müsste alle Menschen 100% die gleiche Meinung von alle Dingen auf dieser Welt haben, um somit nie in Konflikt miteinander zu geraten und sich kontrollieren zu können (da ich weiß was ich denke, kann ich mich ja auch kontrollieren!!!)

Der Mensch wird nie eine Staatsstruktur ablegen können (und sei es eine Hierarchische) ohne eine neue zu Schaffen!

@ janw:

Es mag vieleicht diese Afrikanischen "Staaten" geben, wo man solange Diskutiert bis man eine Lösung hat, nur kann man das nicht mit 80 Mio. Menschen machen, geschweige denn den über 6 Milliarden Menschen dieser Erde, es wird immer jemanden geben, welcher anderer Meinung ist, und Unterdrückt wird.

janw
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Sa 20. Mär 2004, 15:15 - Beitrag #15

@ Ender: Daß das Diskussionsmodell Grenzen hat, habe ich ja auch gesagt, nur werden diese Grenzen IMHO gerne dazu mißbraucht, von vorneherein alle Ansätze zu einem Mehr an Mitbestimmung abzublocken, was aber letztlich nur den herrschenden Eliten die Macht sichert - und das ist der wirkliche Zweck.

Insofern wäre IMHO mal ein neuer Begriff zu kreieren, der Antielitarismus.
Hierunter würde ich ein System verstehen, daß zwar gezwungenermaßen über Machtstrukturen verfügt, die Positionen aber prinzipiell jedem zugänglich macht, also ein System ohne prädisponierende Strukturen wie Parteienproporze, "Erbhöfe", Rekrutierungsstrukturen (wie auch stud. Verbindungen, usw.)

Agnitio-Opes
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Di 23. Mär 2004, 05:08 - Beitrag #16

Den "Antelitarismus" wuerde ich einfach als Verwirklichung/ Kampf der/fuer Demokratie, nennen.
Praktisch verbessern liesse sich diese ja bereits durch bundesweite Volksentscheide bzw. vermehrte Volksentscheide auf Laenderebene und durch Kumulieren und Panaschieren bei Wahlen.
Ich habe mich oefters gefragt, ob ein Kollektiv (ich denke, da teilweise an Star Trek :s126: ) nicht ein Ausdruck von Anarchie ist.
Alle entscheiden alles gemeinsam und sind absolut gleich, gleichzeitig kann (fast) alles immer geaendert werden (staendige Revolution).
Zum anderen koennte ein Kollektiv die Ideale, die einige mit der Anarchie zu verwirklichen suchen, erfuellen.
Es koennte die Widersprueche und Nachteile einer Anarchie ausraeumen, wie beispielsweise Gefahren vor einem Neuentstehen von Herrschaftsstrukturen oder die, mit der Verwirklichung der Anarchie teilweise verbundene, Anerkennung der existierenden Herrschaftsordnung (z.B. durch eine "Anarchistische PARTEI").

janw
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Di 23. Mär 2004, 14:13 - Beitrag #17

@agnitio-opes: Klar, Kollektive sind wichtige Strukturen in anatiautoritären Systemen, leider aber bei zwangsweiser Einführung auch Herrschaftsinstrument (s. DDR, die in kiener weise antiautritär war, aber Kollektive als wichtige Organisationseinheiten hatte).

Ender
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Di 23. Mär 2004, 14:27 - Beitrag #18

Die Einführung eine Kollektives wiederspricht in ein kleinen aber doch so wichtigen Sache der Anarchie:

Es haben zwar alle an einer Entscheidung mitzuwirken (also sind wie in der Anarchie alle gleich), aber die Entscheidung die gefällt wird, wird Menschen in dem Kollektiv unterdrücken, nämlcih die, die sich gegen die Entscheidung ausgesprochen habe. Somit wird der Anarchie wiedersprochen.

Ich gehe persönlich davon aus, das die reine Anarchie oder der Anarchismus, der alle als Gleichberechtig sieht und keinen unterdrückt, nich auf den Menschen bezogen werden kann, da wir hierfür wieder zu unterschiedlich sind,´um alle einer Meinung zu sein!

Elbereth
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Di 23. Mär 2004, 17:54 - Beitrag #19

Ich finde Anarchie als einen Übergangszustand gar nicht so schlecht (nicht Anarchismus, und kein Dauerzustand), denn so kann sozusagen vom 0 die gesellschaft neu gebildet werden. Natürlich kann man jetzt sagen, das artet in einer Diktatur der stärkeren aus, aber wenn es ideal verläuft, kommen einfach die klügeren und stärkeren menschen an die macht)und es muss keine diktatur sein) die auch die Fähigkeit haben Leute zu führen und die gesellschaft zu organisieren und zu stabilisieren. Somit richtet sich die gesellschaftliche Ordnund nach den Fähigkeiten der Menschen.

Ich sehe natürlich ein wie unrealistisch das ist, aber doch realistischer als eine gesellschaft ohne jeglicher Hierarchie


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