Sozialer Utilitarismus

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maurice
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Sa 19. Jun 2004, 13:29 - Beitrag #1

Sozialer Utilitarismus

Wie ihr wisst bin ich ja in meinen ethischen Vorstellungen sehr utilitaristisch ausgerichtet (ich immer mit meinem Nutzen ;)), aber die Formen, die ich bisher davon gehört habe kamen mir alle noch zu undurchdacht vor. Ich habe demnach die Überlegung begonnen, ob eine Art "sozialer Utilitarismus" möglich wäre. Das Prinzip der Marktwirtschaft konnte ja auch modifiziert werden, so dass sie nicht mehr als reine Marktwirtschaft, sondern als "soziale" Marktwirtschaft bezeichnet hat. Ob die "soziale" Marktwirtschaft wirklich sozial ist sei mal dahingestellt, wichtig ist ja, dass der freien Wettbewerb durch Regeln verändert wurde, sodass es zu keinem "wirtschaftlichen Anarchismus" wie in der Frühzeit der Industrialisierung mehr sollte. Dennoch handelt es sich bei der "sozialen" Marktwirtschaft immr noch eindeutig um eine Marktwirtschaft.
Die Frage ist also, ob dies auch dem Utilitarismus möglich ist, also bestimmte Regeln aufzustellen, die eine "Willkürsherrscahft des Nutzens" unterbindet (das ist ja die häufige Befürchtung, wenn es man nach dem Nutzen urteilt), das System aber immer noch seine Hauptcharakteristika beibehält, nämlich die teleologische Ethik.
Natürlich können wir hier auch um die bisherigen Utilitarismus-Modelle reden, wenn jemand dazu entsprechende Informationen hat. Ich hoffe meine Idee ist nicht schon wieder einmal längst x-mal gedacht worden. ^^*
Wenn nicht, dann wehe dem der mir die Idee klaut und selbst vermarktet. :D ;)

Artanis
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Sa 19. Jun 2004, 14:18 - Beitrag #2

Ich denke soz. U., so er auch etwas paradox anmutet, könnte durch eine Definition der Kriterien des U. erreicht werden. Der U.beschäftigt sich generell mit der Frage nach dem Nutzen, wenn man Nutzen also umdefiniert, in etwa so wie Kant Pflicht umdefiniert :D , dann wäre es prinzipiell möglich von einem soz. U. zu sprechen.

Traitor
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Sa 19. Jun 2004, 16:49 - Beitrag #3

Ich denke, es ist möglich, und sogar ziemlich leicht. Frei nach der goldenen Regel, kategorischem Imperativ und ähnlichem kann man sagen "Handle stets so, dass dir der größtmögliche Nutzen entsteht, ohne dass anderen dasselbe Ziel unmöglich gemacht wird" oder "Nutzen muss stets so aussehen, dass er es auch anderen ermöglicht, erhöhten Nutzen zu erzielen".

Bei mir selbst rede ich meist von "humanistischem Atheismus" oder nur "Humanismus", was deinem "sozialen Utilitarismus" sehr nahe kommen dürfte. Du gehst vom Nutzenprinzip aus und nimmst das Soziale darin auf; ich gehe von der Achtung vor allen Menschen als wichtigste Grundlage aus und folgere daraus das (soziale) Nutzenprinzip. Im Endeffekt müssten wir aber, wenn auch mit anderen Gewichtungen, bei den gleichen Ansichten herauskommen, wie es ja auch oft (nicht immer) der Fall zu sein scheint.

Maurice
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Sa 19. Jun 2004, 22:43 - Beitrag #4

ich gehe von der Achtung vor allen Menschen als wichtigste Grundlage aus und folgere daraus das (soziale) Nutzenprinzip. Im Endeffekt müssten wir aber, wenn auch mit anderen Gewichtungen, bei den gleichen Ansichten herauskommen

Ja wie die Diskussionen zeigen sind wir ja auch oft gleicher Meinung, aber gibt es in den Prinzipien Unterschiede die auch ihre Auswirkungen haben. Das Achten aller Menschen ist für mich keine notwendige Doktrin des "sozialen Utilitarismus". Ich führe mal innoffizell den Begriff für das was ich meine ein... um mir die Gänsefüßchen zu sparen. :D
Aber erstmal zu den Unterschieden: Musterbeispiel für den Unterschied unserer Systeme wäre wohl die Todesstrafe. Diese müsste bei dir generell verboten sein, bei mir hingegen wäre es eine Option. Die berechtigte Angst vor der Todesstrafe ist, auch wenn man eine unveräußerliches Recht auf Leben außen vor lassen, dass die Todesstrafe jemand falsches treffen könnte. Ein klassischer Utilitarismus hätte wohl kein Problem damit, wenn ein paar Unschuldige getötet werden würden, wenn unter den Gerichteten genug Schuldige wären. Für eine Wertesystem, wie dem der BRD wäre dies aber untragbar. Ich lehne die Todesstrafe grundsätzlich nicht ab, sehe sie aber auch kritisch. Ein solches Urteil darf nur die Höchststrafe sein und sollte nur in Fällen angewand werden in dem es keinerlei Zweifel gibt. Was Amerika praktiziert fällt imo in die erste genannte Sparte und ist auch für mich unverantwortlich. Ich gehe in dem fiktiven Anwendungsbereich, der hier genannten Vorgehensweisen, von einer mindestens teilweise mündigen und kritikfähigen Gesellschaft aus, die es nicht tolerieren würde, wenn Unschuldige hingerichtet werden würden. Geisteskrankte Serienmörder haben für mich ihr Recht auf das Leben in der Gesellschaft verloren (bzw. würden sie es bei mir), man müsste sie entweder ausschließen oder töten, denn sie stellen nur einen Balast und eine Gefahr für die Gesellscahft da. Aber die Totesstrafe darf nur für die Extremfälle "reserviert" sein, nur weil jemand weniger Nutzen bringt wie der Durchnitt sollte man ihn nicht töten. Das es aber schon solche Bestrebungen gab sehen wir in Blick auf das 3. Reich.... Dort war das Volk weder mündig noch kritikfähig, bzw. durfte keine Kritik äußern, die Willkürherrschaft des Regime blieb also weitgehend ungestraft. In meinem fiktiven Anwendungsbereich sind die Bürger dies aber und es ist auch gewollt. Eine solche Tötung von Unschuldigen stöße also auf starke Porteste und würde starke soziale Unruhen mit sich führen. Solche sozialen Unruhen halte ich für eindeutig gewichtiger, als der Tod von einigen Menschen, die der Führungsebene lästig erscheint.
Es mag gut sein Macht zu besitzen, die auf Gewehren ruht. Besser aber und beglückender ist es, das Herz eines Volkes zu gewinnen und es auch zu behalten.
Ich sag mal nicht von wem das ist, sonst würde das noch jemand falsch interpretieren. ^^* Ich stelle aber primär die Aussage über den Verfasser und der Spruch ist für mich gescheit, weshalb ich auch keine Probleme habe ihn hier zu nennen.

So jetzt bin ich ziehmlich stark vom theoretischen in praktische Beispiele abgedriftet, ich will hier gar nicht über die Todesstrafe sprechen, es ist imo nur ein gutes Beispiel um die verschiedenen Standpunkte näher darzulegen.
Von was ich mit dem sozialen Utilitarismus weg will ist die mögliche Willkür eines klassischen Utilitarismus, den eine egoistische Führung als Deckmantel für ihren alleinigen Gunsten missbrauchen könnte und der Dogmatischkeit eines Systems, welches selbstverliebt eigene Ideale preist und keine Kritik ihr gegenüber zulässt. Keiner der beiden schafft es imo das Wohl der Gesellschaft in den zentralen Mittelpunkt der Überlegungen in vollen Maße zu stellen.

Traitor
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Sa 19. Jun 2004, 23:10 - Beitrag #5

In der Tat überraschend, zu sehen, von wem das Zitat ist :boah:

Wenn du das "Achten aller Menschen" als zusätzliche Grundlage ablehnst, wird es aber wirklich schwer, einen sozialen Utilitarismus zu begründen. Spontan fielen mir dann nur Mogeleien ein wie das Argument, dass das Wohl der Gesellschaft ja letztendlich dem Eigenwohl zugunste kommt.
Denn anderen Menschen gutes zu tun kann meinem Verständnis nach doch letztendlich nur aus drei Gründen folgen:
-einem Gott, der es direkt oder indirekt befiehlt
-einer grundsätzlichen Achtung vor diesen anderen Menschen
-erwähntem doch auf Eigeninteresse zurückzuführendem "Pseudo-Altruismus"

Maurice
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Sa 19. Jun 2004, 23:29 - Beitrag #6

Warum soll eine funktionierende Gesetzgebung nicht auch allein aus dem Gedanken des Allgemeinwohls entstehen können?
z.B. das Recht auf Unversertheit passt da sehr gut rein, das Novum ist hier nur (um es mal aus meienr Sicht so zu benennen), dass dieses Recht eingeschränkt wird, wenn jemand unrechtlich gegen dieses Recht verstößt.

Im Grunde praktizieren wir das doch auch, hier ein Beispiel:
Artikel 11
[Freizügigkeit]
(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.


Was wir z.B in Artikel 11 in Bezug auf die Bewegungsfreiheit haben, dehne ich ich jediglich auf alle Rechte aus.


@Zitat aud dem letzten Post: Dein Satz dazu habe ich nicht eindeutig verstanden, er klingt so, als wüsstest du von wem er sei. Ist das der Fall oder soll ich den Verfasser hier doch nochmal nennen? ^^

Traitor
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Sa 19. Jun 2004, 23:44 - Beitrag #7

Simples Googlen offenbarte mir den Autor des Zitats ;)

Auf den ersten Blick wäre der Blick aufs Allgemeinwohl eine vierte Begründungsalternative. Aber ich denke, man kann es auf Nummer 2 und 3 zurückführen: du strebst das Allgemeinwohl entweder an, weil du erkennst, selber in einer starken Gruppe besser dran zu sein als alleine; oder, weil du das Allgemeinwohl als größtmögliche Summe der Einzelwohle gleichberechtigter anderer siehst. Also sind wir doch wieder bei nur pseudoaltruistischem / pseudosozialem Utilitarismus oder Humanismus.

Bowu
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Mo 21. Jun 2004, 15:33 - Beitrag #8

Wo liegt der Nutzen der Todesstrafe? rein utilitaristisch wäre Zwangsarbeit wohl "nützlicher" und "sozialer"....
Die Abschaffung der Todesstrafe wäre insoweit sogar nützlich, das die Achtung vor dem Leben mehr Gewicht und damit Zwischenmenschliche Konflikte evt. anders bewertet werden würden (weniger sinnlose Menschenopfer durch geringere Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft)

Soziales ist nützlich, das zeigt vor allem der Fakt das Asozialität (von Staat Wirtschaft und Personen) kaum nutzbringende Folgen hat ausser die Asozialität zu beenden. Sozialer Frieden als Beförderer von Wohlstand (Wohlstand als Teilmenge von Nutzen?) ist ja nichts neues.

Die Gefahr des Utilitarismus ist, das wer auch immer sich dessen bedient, die soziale Komponente abwerfen wird, sobald er "effektivere" Wege gefunden hat gesellschaftliche Unruhen und ähnliche negative Folgen zu vermeiden.

Ein weiteres Problem ist das auf Gesamtgesellschaftlicher Ebene ein extremer Utilitarismus nicht funktionieren würde, aber er im kleinen der effektivste Weg zu so manchem Ziel darstellt. Beispiel: Statt in Deutschland in China produzieren... für einzelne Firmen führt das zu grösseren Profitten weil China halt billiger... wenn es aber alle tun, so hat in D. keiner mehr Geld um die billigen Autos aus China zu kaufen. Genauso wie die Chinesen kein Geld hatten bis auch dort produziert (und verdient) wurde.
Also ist die Frage wohl wirklich ob du einen Gesamtgesellschaftlichen oder einen individuellen Utilirarismus wünscht.

Maurice
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Mo 21. Jun 2004, 17:26 - Beitrag #9

geschrieben von Bowu:
Also ist die Frage wohl wirklich ob du einen Gesamtgesellschaftlichen oder einen individuellen Utilirarismus wünscht.

Das habe ich doch geschrieben --->
Warum soll eine funktionierende Gesetzgebung nicht auch allein aus dem Gedanken des Allgemeinwohls entstehen können?

Also ich finde diese Aussage recht eindeutig. ;)

@Todesstrafe: Du bist zwar nicht meiner Ansicht, aber hier offenbart sich, was der Vorteil einer utilitaristischen Vorgehensweise ist, nämlich dass wir beide über die Frage versuchen rein sachlich zu diskutieren und nicht über irgendwelche vorgegebenen gesellschaftlichen Dogmen oder religiösen Weltanschauungen. Wir diskutieren frei über den Nutzen einer eventuellen Todesstrafe und damit wäre schon mal ein Großteil von dem erreicht, was ich mir erhoffte. :)
Wie gesagt hier soll es nicht primär um die Todesstrafe gehen, sondern allein um das Konzept eines "sozialen Utilitarismus"
Und ich muss dir zustimmen, Zwangsarbeit wäre vielleicht noch nutzbringender... aber die Arbeitslager würden auch wieder Geld kosten, genauso wie die Verpflegung der Sträflinge und deren Aufseher. Ob sich das wieder rentiert? :D

Wichtig für einen sozialen Utilitarismus ist, wie ich meine, dass sich die Gesellschaft durch ihr Verhalten selbst und jeden einzelnen dazu zwingt für das Allgemeinwohl und nicht bloß für das eines Individuums zu handeln. Was wir klassisch unter Egoismus verstehen müsste automatisch zu einem Nachteil für den Abweichler werden, dann wäre Altruismus sozusagen aus egoistischer Sicht das Nützlichste für jeden. Ich damit nicht für eine völlige Gleichmachung pledieren, denn es ist auch für die Allgemeinheit von Nutzen, wenn die Möglichkeit der Kritikfähigkeit existiert.
Das alles klingt sehr utopisch, das ist mir klar, aber es ist auch ein Ideal.

Bowu
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Mo 21. Jun 2004, 19:59 - Beitrag #10

@Todesstrafe
Ich weiss nicht ob du das da richtig einschätzt meine Meinung, denn diese legt eben die zwischenmenschlichen Beziehungen mit ihren Folgen zugrunde... also unterstelle ich in dem Beispiel den Individuen ein in erster Linie soziales Handeln kein Utilitaristisches. Wenn jeder rein Utilitaristisch denken könnte und täte, so würden Emotionen (wie sie bei Strafen im allgemeinen auftreten) gar keine Wirkung haben.

Wenn du von Zwang und Abweichlern redest, solltest du evt. etwas mehr dazu sagen, sonst wird es leicht sehr "schwammig"
Der Nutzen von Zwang ist jedenfalls in vielerlei Hinsicht Widerstand

Maurice
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Mo 21. Jun 2004, 20:19 - Beitrag #11

@Todesstrafe: Ich meinte, dass wir über das Thema utilitaristisch diskutieren, also die Frage nach den größeren Nutzen in den Mittelpunkt stellen. Ich halte die Todesstrafe für eine effektive Methode für die Gesellschaft gefährliche Individuuen zu beseitigen, du hingegen schätzt die möglichen negativen sozialen Folgen für zu hoch ein. Für dich wäre also die Todesstrafe für die Gesellschaft mehr schädlich, als nützlich. Wir sprechen hier bisher meiner Auffassung nach utilitaristisch über die Frage und nicht mit irgendwelchen von der Gesellschaft aufgedrückten Dogmen oder religösen Geboten und das eben ist eine Sache, die ich erreichen wollte und generell will. :)

Zu deiner anderen Frage eventuell später was, ansonsten, wann ich Zeit finde. ^^

Traitor
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Di 22. Jun 2004, 12:53 - Beitrag #12

Um mal wieder auf das eigentliche Thema zurückzukommen... (ein neuer Todesstrafenthread wäre aber durchaus mal wieder möglich):

Das Problem bei Sätzen wie
Wichtig für einen sozialen Utilitarismus ist, wie ich meine, dass sich die Gesellschaft durch ihr Verhalten selbst und jeden einzelnen dazu zwingt für das Allgemeinwohl und nicht bloß für das eines Individuums zu handeln.
ist für mich, dass deine Idee vom sozialen Utilitarismus anscheinend nicht vom einzelnen Menschen ausgehen kann. Während Christentum oder Humanismus darauf setzen, durch die Einstellung des Einzelnen, die auch aus diesem heraus erklärbar ist, eine bessere Gesellschaft zu schaffen, scheint bei dir die bessere Gesellschaft notwendige Grundlage für die Einstellung des Einzelnen zu sein, da dieser in einer normalen Gesellschaft von sich aus eher zum klassischen, unsozialen Utilitarismus käme. Das ganze rückt für mich dadurch ein bisschen in die Nähe des Marxismus...

Maurice
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Di 22. Jun 2004, 23:00 - Beitrag #13

Altruismus aus eigenem Interesse

Ich kenne den Marxismus leider nicht im Detail, ich weiß nur wie der russiische Kommunismus in der Realität ausgesehen hat und dieser ist bestimmt nicht das was ich mir wünsche. Abgesehen davon, dass dort unter der Parole der Herrschaft des Arbeiter und Bürgers eine Diktatur praktiziert wurde, beinhaltet die Ideologie, soweit ich weiß keine kritischen Bürger. Alle Bürger sollen treudoof dem System huldigen und wer was anderes sagt muss um seine Gesundheit fürchten. Nein das hat nichts für mich mit der von mir geforderten theleologischen Grundeindstellung zu tun, das ist eine tyrannisierende Deontologie.

deine Idee vom sozialen Utilitarismus anscheinend nicht vom einzelnen Menschen ausgehen kann. Während Christentum oder Humanismus darauf setzen, durch die Einstellung des Einzelnen, die auch aus diesem heraus erklärbar ist, eine bessere Gesellschaft zu schaffen, scheint bei dir die bessere Gesellschaft notwendige Grundlage für die Einstellung des Einzelnen zu sein, da dieser in einer normalen Gesellschaft von sich aus eher zum klassischen, unsozialen Utilitarismus käme.

Ja das ist bei mir durchaus Problem, nämlich wie man zu diesem imo Idealzustand kommen könnte. Aber auch hier sehe ich einen Kompromiss. Ich bin nicht so phantastisch und glaube, dass so eine Gesellschaft von heute auf morgen zu erreichen sei, wie es imo bei so einigen Gruppen der Fall zu sein scheint. Ich kritisiere auch, dass solche Gruppen der Ansicht sind, dass das Verhalten, dass später die Regel sein soll auch jetzt schon in möglichst reinster Form praktiziert werden sollte. Das einzige ich noch blödsinniger finde ist, wenn sie ihre "Revolution" mit Gewalt druchsetzen wollen. Ich hingegen plädiere für ein Verhalten, was an die Situation angepasst ist. Konkret für meinen "sozialen Utilitarismus" heißt das, dass sich niemand für die Allgemeinschaft aufgeben oder gar opfern muss, sondern sich einfach nur konstruktiv beteiligen soll. Das muss auch keine großen Kampagnen sein, es ist für mich schon ein Gewinn, wenn jeder versuchen würde seinen nächsten mit einem gewissen Respekt zu behandeln und auch gegenüber Fremden freundlich zu sein. Das klingt nicht nach viel oder gar vielleicht für eigentlich selbstverständlich, aber leider entspricht dies nicht der Realität. Allein wenn das praktiziert werden würde denke ich, dass es zu einer "Sozialisierung" der Gesellschaft führen würde. Was ich meine ist, dass die Gesellschaft durch die bewusste Rücksichtname dahingehend sensibilisiert werden könnte, dass sie nicht mehr bewusst anderen oder der Allgemeinschaft schaden wollen würden.
Allein durch rationale Nutzenüberlegungen eines Individuums scheint es durchaus unwahrscheinlich, dass man zu solch einer Position kommt, aber auf der anderen Seite sind wir uns wohl einig, dass es auch zu unseren eigenen Vorteil ist, wenn wir anderen gegenüber freundlich und hilfsbereit sind. Jemand der in einer Gesellschaft aufwächst, die stark von Egoismus geprägt ist und gesagt bekommt, dass es am nützlichsten sei imemr erst an sich zu denken wird wohl nur schwer von der Idee überzeugt werden können, dass es von höheren Vorteil für sich und für alle sein kann eben nicht nur fixiert auf den eigenen naheliegenden Vorteil bedacht zu sein. Es bedarf also wohl einer entsprechenden Erziehung um einen solchen kurzsichtigen, eindimensionalen Egoismus zu verhindern.

Ich hoffe ich konnte meine Idee etwas näher bringen.

Bowu
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Mi 23. Jun 2004, 11:57 - Beitrag #14

Verstehe ich dich richtig , wenn das "sozial" quasi die Richtung angibt (->Altruismus) und der Utilitarismus quasi ein Verstärker -Effektivierer dessen darstellt?
Das also der Altruismus das Ziel ist, der Utilitarismus das Mittel?
Die Frage wäre jetzt was das Individuum von deinem System für einen Nutzen hat... Und das Problem wohl das man nur den Nutzen für sich oder maximal die nähere Umgebung wahrnehmen kann. Und wenn man sich am Gesamtnutzen orientieren soll, braucht man Kenntniss des Nutzens für jeden der von den Folgen betroffen wird. Wie sind deine Vorstellungen um das zu bewerkstelligen? (Kommunikations - oder "gläserne" Gesellschaft wären hier vorstellbar für mich).
Mit diesem Kenntniss Horizont , scheint meiner Meinung nach dein System zu steigen und zu fallen... Denn wenn ich nicht wahrnehme das meine Aktiengeschäfte irgendwo in der Welt soziale Ausbeutung bedeuten, und nur den positiven Nutzen für mich und meine nähere Umgebung erkenne handele ich wohl auch falsch.

Maurice
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Mi 23. Jun 2004, 13:14 - Beitrag #15

Das System schließt ja kein mögliches Fehlverhalten aus. Es soll nur den Wunsch der Rücksichtslosigkeit der Menschen reduzieren. Um auf das Beispiel mit der Börse einzugehen. Wenn du es als Ausbeute von Menschen ansiehst mit Aktien zu handeln, dann würdest du in meiner Utopie allein deswegen mit dem Aktienhandel aufhören. Allein aus Verstandesgründen kann ein solches Urteil schwer werden, also warum sollte ich rein rational nicht egoistisch sein? Dies ist durchaus ein Problem, deshalb muss die Erziehung auch so sein, dass die Idee vermittet das Wohl der Gesamtheit zum Wohle jeden Einzelnen ist und das kurzsichtiger Egoismus dem Individuum selbst schadet. Auch wenn jemand nicht die nötige Sozialisation erfahren hat, so sollte das System so sein, dass jedes Individuum auch allein aus Egoismus altruistisch wäre. Neben der Komponente der des rationalen Nutzendenkens muss durch die Erziehung der Kontrollmeschanismus der Emotionen miteinfließen, also dass es dem Individuum Schmerzen bereitet, wenn es ein anderes bewusst ausnutzt. Um den Schmerzen zu entgehen wird es automatisch neben dem eigenen Wohl nach dem der Anderen streben. Wie gesagt das ist meine bisherige Idealvorstellung.

Das also der Altruismus das Ziel ist, der Utilitarismus das Mittel?

Das ist nicht so einfach darzustellen. Gemeinschaftssinn ist Nutzen und Nutzendenken soll zu Gemeinschaftssinn führen. Das soziale Verhalten soll die Sicherung sein, dass im Utilitarismus wirklich nach dem Wohl der Gemeinschaft und nicht der einer kleinen Gruppe gestrebt wird. Altruismus ist hier das Mittel zum Zweck Nutzen, wobei mir der Begriff Altruismus etwas zu krass ist. Auf gewisser Weise besteht hier auch ein Dualismus.

Natürlich wäre es ideal sich immer über den Gesamtnutzen der Handlungen im klaren zu sein, aber das ist noch nicht mal notwendig für einen sozialen Utilitarismus. Schon das Bestreben nach dem eigenen und dem Geimeinwohl ist die Grundlage des Systems. Man kann hier auch neben einer teleologischen von einer Gesinnungsethik sprechen. Natürlich sind Fehlurteilen bei dem Streben nach dem Wohl nicht ausgeschlossen, aber ein verstandesmäßiges Streben wird bestimmt in den meisten Fällen in die richtige Richtung gehen.

Traitor
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Mi 23. Jun 2004, 16:59 - Beitrag #16

Durch den Vergleich mit dem Marxismus wollte ich ausdrücken, dass deine wie seine Utopie davon ausgeht, den Menschen durch Veränderung der Gesellschaft komplett verändern zu können. Wie es so schön heißt: der Kommunismus ist die ideale Regierungsform für ideale Menschen, aber um sie einführen zu können, muss es ersteinmal ideale Menschen geben.
Genauso wie der Kommunismus wird deine Gesellschaftsform in der Realität nicht durchsetzbar sein, da sie wie gesagt nicht vom Menschen ausgeht.

Dass ich die grundsätzliche Achtung vor allen Menschen als Grundlage meines Weltbildes setze, folgt ja nicht aus einem religiösen Dogma oder ähnlichem, sondern aus der Überzeugung, dass diese Setzung die einzige Möglichkeit ist, eine soziale Gesellschaft zu erreichen. Denn so, wie ich die Welt sehe, ist eine Weiterentwicklung der Gesellschaft nur durch vom Einzelnen ausgehende Veränderungen machbar, die "von oben" höchstens unterstützt werden können, als durch eine Gesellschaftsreform, die die Menschen zu einer anderen Einstellung bringt.

Maurice
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Mi 23. Jun 2004, 17:16 - Beitrag #17

Es freut mich, dass deine Ansicht der Achtung aller Menschen aus einer aus meinen Augen utilitaristischen Überlegung resultiert.

Was Utopie angeht, so hast du natürlich recht und ich habe ja auch nicht das Gegenteil behauptet. Ich habe versucht das Ideal einer Utopie darzustellen und betont, dass diese vielleicht gar nicht erreicht werden kann und wenn doch dann nicht von heute auf morgen. Aber ebenfalls habe ich hervorgehoben, dass zumindest eine Annäherung an dieses Ideal möglich ist. DEN sozialen Utilitarismus halte ich mit DIESER Menschheit für ausgeschlossen, aber was imo möglich ist, dass wir zumindest ein ganzes Stück sozial-utilitaristischer werden könnten.

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Mi 23. Jun 2004, 17:50 - Beitrag #18

Der Begriff des Utilitarismus, wie ich ihn kenne, ist immer in dem Sinne sozial, als er das Wohl aller berücksichtigt. Was du vorschlägst, erinnert mich ein wenig an regeutilitaristische Strömungen, sprich, du gehst vom nutzenorientierten Egoismus aus, stellst aber gesamtgesellschaftlich-utilitarisch orientierte Regeln auf, die diesen eindämmen und eben dadurch gleichzeitig rational zu rechtfertigen, aber trotzdem praktikabel sind.

Wie in jeder Ethik ist natürlich der Zustand, das alle sie in vollkommener Weise befolgen, Utopie. Sie ist ja auch mehr als normative Aussage, die unser Handeln leiten soll, als als deskriptive Beschreibung bestmöglicher Zustände zu denken.

Übrigens denke ich, dass nicht die Achtung vor dem Menschen aus dem Utilitarismus folgt, sondern vielmehr dieser jene als Grundlage hat. Wenn ich eines Menschen Bedürfnisse anerkenne, was Grundlage dafür ist, ihn in einen Nutzenkalkül mit einzubeziehen, achte ich ihn auch und schreibe ihm auch einen Wert zu. Alles andere wäre reiner Egoismus. Dieser setzt allerdings auch eine gewisse Achtung der eigenen Person voraus.
Die Herbeiführung einer sozialen Gesellschaft als positiv zu werten, ist, will man es nicht axiomatisch als Dogma setzen, IMHO nur aus der Werthaftigkeit des Einzelnen (wie diese auch immer konkret aussehen mag; und auch nicht notwendigerweise aller Einzelnen) herzuleiten.
Jeder Utilitarismus setzt eine Nutzensfestlegung voraus und da gibt es keine selbstverständliche. Bestenfalls hat man irgendeine Begründung dafür, aber diese kann selbstverständlich nicht wieder mit Nutzen argumentieren. Somit hat jeder Utilitarismus entweder willkürliche oder nicht aus Nutzensbetrachtungen erwachsene Grundlagen.

Padreic

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Mi 23. Jun 2004, 18:39 - Beitrag #19

Der Begriff des Utilitarismus, wie ich ihn kenne, ist immer in dem Sinne sozial, als er das Wohl aller berücksichtigt.

Mein Wissen über den Begriff Utilitarismus sagt etwas anders. Der klassische Utilitarismus strebt meines Wissens nach dem höchsten Nutzen einer Gemeinschaft, aber das auch durchaus auf Kosten einer Minderheit. Im Utilitarismus ist demnach sogar Sklaverei denkbar. Wir sind uns einig, dass diese wohl kaum als sozial zu bewerten sei. ;)

Übrigens denke ich, dass nicht die Achtung vor dem Menschen aus dem Utilitarismus folgt, sondern vielmehr dieser jene als Grundlage hat.

Siehe Beispiel Sklaverei.

Ich kann aber gerne nochmal bei Utilitarismus nachschlagen bei Gelegenheit und etwas mehr darüber schreiben, falls Interesse besteht.

Abgesehen davon würde ich gerne wissen, was ihr von meinen Überlegungen haltet. Im Grunde sind sie ja nicht weit von unseren heutigen Idealen entfernt, doch will ich das Prinzip des Nutzendenkens deutlich mehr in den Vordergrund rücken und eine freiere Diskussion über die Fragen, was für die Gesellschaft am nützlichsten frei, möglichst frei von jeglichen Tabus. Allein aus der Diskussion heraus erfolgt ja kein praktizierter Bruch unserer Tabus, außer natürlich das diskutieren wäre schon einer, aber das hielte ich für ein Armutszeugnis für eine "frei denkende" Gesellschaft.

Bowu
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Do 24. Jun 2004, 15:35 - Beitrag #20

Das Prinzip des Nutzendenkens mit dem Ziel der Sozialstaatlichkeit? dann würde ich dem zustimmen können.
Das Nutzendenken an sich ist für mich immernoch nur Mittel oder "Enhancer" der Richtung die ja bei dir ja die "soziale" Komponente geben würde...

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