Gerechtigkeit in Staat und Gesellschaft

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janw
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Mi 24. Nov 2004, 21:56 - Beitrag #1

Gerechtigkeit in Staat und Gesellschaft

Ersten sah ich auf 3sat eine Buchrezension zu einem Werk des Soziologen Günter Dux. "Die Moral in der prozessualen Logik der Moderne"
Er behandelt die Frage, ob staatliche Gerechtigkeit existieren kann.

Die grundlegenden Argumentationslinien wurden in einem Interview erörtert, und ich stelle sie hier einmal zur Diskussion.

Allgemein wird gefordert, daß der Staat für vergleichbare Lebensverhältnisse unter den Bürgern sorgen muß, und für eine gerechte Verteilung grundlegender Chancen und Güter.
Rechtsgrundlage hierfür ist in der BRD u.a. das Grundgesetz. "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich".

Dux argumentiert nun, daß dieses prinzipiell im Sinne einer prozessualen Logik der Gesellschaft nicht möglich ist, da der Begriff der Gerechtigkeit eine moralische Kategorie ist, der Staat aber amoralisch.

Nach Dux ist Moral nichts mit dem Menschsein genetisch oder sonstwie intrinsisch verbundenenes, sondern ein Produkt aus der Erfordernis eines förderlichen Miteinanders der Menschen. Moralische Konventionen seien also zeitlich nach der biologischen Evolution des Menschen entwickelt worden, würden aber eben nur für die mitinander intensiv verkehrenden Mitglieder einer Gemeinschaft gelten.
Für die nur lose miteinader verkehrenden Mneschen einer Gesellschaft würden diese Normen jedoch nicht gelten, hier gelten nur die Normen auf der Basis der minima moralia, also das Recht auf Leben, Eigentum, Gesundheit usw.

Gerechtigkeit sei hier also gewissermaßen nicht definiert.

Als weitere Begründung führt Dux an, daß die Gesellschaft und der Staat ihre Existenz aus der wirtschaftlichen Tätigkeit der Bürger ziehen würden, und Wirtschaft und Märkte seien eben per se amoralisch, sehe man von kleinen Ausnahmen wie Sozialplänen usw. ab.

Ich finde diese Thesen sehr interessant, sie bieten allerhand sozialen Sprengstoff, was die Begründung der sozialen Marktwirtschaft in einer globalisierten Welt betrifft.
Können wir wider eigentliche Logik Mittel im Staat umverteilen, um einer Entmischung der Gesellschaft und einem Chancenverlust weiter Kreise entgegen zu wirken?

Ipsissimus
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Fr 26. Nov 2004, 12:41 - Beitrag #2

nun ja, Luhmann hat das schon etwas früher etwas umfassender zusammengetragen :-)

nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten scheitert jede Moral an ihrer Faktizität. "Moral" ist zunächst nichts als eine Sammlung von Forderungen, mehr oder weniger verbindlich mit Sanktionen belegt, je nach Macht des Fordernden. Es sind diese Sanktionen, die die Willfährigkeit von Menschen unter einem moralischen System sicherstellen, nicht der Umstand, daß irgendein moralisches System in der Lage wäre, Menschen von sich aus "an der Kehle zu packen" und sie durch die inhärente und unabweisbare Überzeugungskraft der Systeminhalte zu systemkonformem Verhalten zu bewegen.

Dux´ Gedankengang formuliert imo lediglich eine Konsequenz dieses Umstandes, eine, die nicht wirklich überrascht. Daß bei ihrer expliziten großflächigen Mediation eine ganze Menge Leute ins Grübeln geraten würde ("sozialer Sprengstoff"), liegt imo nur daran, daß eine ganze Menge Leute zu viel Zeit damit verbringen, gar nicht oder über irrelevante Sachverhalte oder über relevante Sachverhalte auf irrelvante Weise zu grübeln (Stichwort: systematische, willfährige Verwechslung von Sollen mit Faktizität)

Maglor
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Fr 26. Nov 2004, 13:06 - Beitrag #3

Re: Gerechtigkeit in Staat und Gesellschaft

Wenn die Argumentation des Herrn Dux weiterführt, kommt man freilich zu dem Schluss, dass ein Mensch ebenfalls nicht gerecht sein.
Original geschrieben von janw
Nach Dux ist Moral nichts mit dem Menschsein genetisch oder sonstwie intrinsisch verbundenenes, sondern ein Produkt aus der Erfordernis eines förderlichen Miteinanders der Menschen. Moralische Konventionen seien also zeitlich nach der biologischen Evolution des Menschen entwickelt worden, würden aber eben nur für die mitinander intensiv verkehrenden Mitglieder einer Gemeinschaft gelten.
Für die nur lose miteinader verkehrenden Mneschen einer Gesellschaft würden diese Normen jedoch nicht gelten, hier gelten nur die Normen auf der Basis der minima moralia, also das Recht auf Leben, Eigentum, Gesundheit usw.

Gerechtigkeit sei hier also gewissermaßen nicht definiert.

Doch ist da nicht ein kleiner Widerspruch? Wenn Moral zwar genetisch nicht vorherprogrammiert ist, jedoch aber Produkt der kulturellen Evolution, so ist der Mensch nach Dux sehr wohl moralisch, wenn auch nur im Bekanntenkreis, wenn gleich verfeindete Verwandte und ehemalige Freunde doch gerade einander das schlimmste wünschen.
Allerdings schließt Dux, den moralischen Staat nicht aus, wenn man eine Mikrogemeinschaft als Staat zählen möchte. Ein solches Gesellschafts-System, welches wegen der Kleinheit und Überschaubarkeit der Gruppe, moralisch agieren kann, würden altehrwürdige Stammesgebilde wie die der Irokesen oder Germanen durchaus bewerkstelligen. Die Frage ist nur ob man solche Sippengebilde Staat nennen darf.

MfG Maglor :s11:


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