Der Weg ist das Ziel

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Feuerkopf
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Do 13. Jan 2005, 15:03 - Beitrag #1

Der Weg ist das Ziel

Gestern habe ich einen Zettel mit folgendem Zitat geschenkt bekommen:

[font=Book Antiqua]"...und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst lieb zu haben wie schlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein." (Rainer Maria Rilke - Briefe an einen jungen Dichter)[/font]


Seither denke ich darüber nach, ob mein bisheriger Weg, diese ständige Zielorientiertheit, das Um-Zu, nicht gnadenlos mir selbst gegenüber ist. Vielleicht braucht man tatsächlich hin und wieder einen Zustand des Floatings, des Unbestimmten, um sich neu zu sammeln, um auszuprobieren, um in sich hinein zu horchen und diesen Zustand auch auszuhalten.

Es ist tatsächlich schwierig, Unentschlossenheit oder Orientierungslosigkeit, eben die o. g. Fragen, klaglos auszuhalten und ihnen Zeit zu geben.

Wie steht ihr zu dem Ratschlag Rilkes?

Mirf
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Do 13. Jan 2005, 15:38 - Beitrag #2

Ich denke schon dass es möglich ist einfach so in den Tag hinein zu leben. Natürlich habe ich ständig Fragen die mich Beschäftigen. Würde ich allerdings auf jeder dieser Fragen eine Antwort suchen würde ich wahrscheinlich verzweifeln... das tu ich mir nicht an... anstatt dessen genieße ich es einfach abzuwarten was kommt...
Natürlich gilt das nicht für jede Frage... Ich versuche auch mich so gut wie möglich zielorientiert zu verhalten. Wo ich mit dieser Methode nicht weiterkomme lasse ich es sein... Das klingt jetzt vielleicht als würde man aufgeben, aber das Leben wird dadurch leichter...
Ich hab letztens erst im Geo gelesen dass Einstein 1905 kurz vor der Entwicklung seiner SRT zu einem Kollegen gemeint habe: "Ich gebe auf" Erst danach kam ihm wahrscheinlich die zündende Idee die zu seinem Durchbruch führte... Er hatte sich einfach mit der Frage begnügt und sich zurückgelehnt und erst das ermöglichte ihm wieder klare Gedanken zu fassen und auf die Lösung zu kommen...
Mir geht es oft ähnlich... erst wenn ich mich schon mit etwas anderem Beschäftige fällt mir die Lösung für das vorherige Problem ein.
Ich find das Zitat sehr schön und treffend...

Ipsissimus
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Do 13. Jan 2005, 15:43 - Beitrag #3

merkwürdig, Rilkes Worte überfluten mich mit Empfindungen und ich finde es schwierig, sie in Worte zu kanalisieren ...

... Frieden mit mir selbst fand ich erst, als ich lernte, den Phänomenen in Gelassenheit gegenüberzustehen, ohne sie beständig mit meinen Kommentaren, meinen Konzepten, meinen Zielvorstellungen zu traktieren ... ohne sie zu bannen ... ohne sie zu zwingen, sich mir wohlgefällig zu verhalten ... erst als ich lernte, ihnen standzuhalten, ohne sie von vornherein in meine Zwecke einzuspannen. Erst dann begannen sie, mir zu erzählen, was sie aus sich selbst heraus sind.

Das führte beinahe wie von selbst in innere Stille. In dieser Stille findet vieles "wie von selbst" seinen Platz und führt zu Taten, die ... mit Frieden verbunden sind.

Das sind Erfahrungen, die mir als junger Mensch unerträglich gewesen wären. Was kostet die Welt? Mein Intellekt bewältigt alles. Tatsächlich hat er mich nur in eine Hetze hinein gebracht, innerhalb derer ich zwar meine Omnipotenz-Sehnsucht pflegen konnte, aber völlig an jeder nichttrivialen Erfüllung vorbeigerauscht bin, ohne lange Zeit zu merken, daß ich überhaupt etwas vermisse.

Traitor
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Do 13. Jan 2005, 17:03 - Beitrag #4

Wie für viele Fragen der Lebensausrichtung und Geisteshaltung gilt hier in meinen Augen: den Widerspruch sieht nur der, der an der Vereinigung scheitert.
Man hat Ziele im Leben, große und kleine, und die muss man auch haben, sonst wäre das Leben ein aktions- und damit selbstloses Vegetieren. Aber man hat und braucht auch Freiräume, Ungeklärtheiten, Einlassen auf Chancen. Sonst wäre das Leben freud- und überraschungslos.

Aber die beiden Aspekte müssen sich in keinster Weise widersprechen. Erst, wenn man prinzipielle Ziele hat, wenn man weiß, was man erreichen will, dann hat man genug Ruhe und Muße, um sich auch mal zurückzulehnen, sonst verfolgen einen die Zweifel und Gedanken. Und erst, wenn man sich auch mal Pausen gönnt, wenn man nicht zwanghaft den Zielen hinterherjagt, hat man die Klarheit und Ruhe, diese Ziele effektiv zu erreichen.

Ipsissimus
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Do 13. Jan 2005, 17:20 - Beitrag #5

das wohl, Traitor, aber warst du schon immer in der Lage, dieses Gleichgewicht zu halten? Oder auch nur zu wollen?

Feuerkopf
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Do 13. Jan 2005, 18:27 - Beitrag #6

Traitor,
das ist so eine Sache mit den persönlichen Zielen. Möglicherweise hat meine Nachdenklichkeit etwas mit meinem Alter zu tun, denn ich habe statistisch mehr als die Hälfte meines Lebens hinter mir.
Meine Ziele... Ich wollte die Welt verbessern, mindestens. Ich wollte berühmt werden, reich, erfolgreich im Beruf. Ein Haus. Kinder. Eine gute Ehe. Den berühmten Baum pflanzen.

Die klaren Ziele, die "einfach" formulierten, die habe ich erreicht. Ich habe ein Haus, Kinder, einen wunderbaren Mann und den Baum habe ich schon vor über 20 Jahren tatsächlich gepflanzt. Aber die diffusen Ziele, die sind mir entglitten.
Und so stehe ich mit Ende 40 da, so, wie vielleicht Rilkes junger Kollege viel früher, und frage mich, was jetzt noch kommt und wohin ich noch streben soll.
Mein Versuch, noch einmal zu studieren, ist an meinen falschen Vorgaben gescheitert. Ich bin einem Ziel hinterhergestürmt, das für mich falsch gesetzt war. Hätte ich inne gehalten und mir Zeit zum Nachdenken gegönnt, hätte ich mir eine Enttäuschung erspart.

Das Gefühl, sozusagen ziellos zu sein und das Hier und Jetzt bewusst wahrzunehmen, ist neu für mich. Natürlich gibt es kleinschrittige Ziele, überschaubare Pläne. Das ist normal. Aber ich plane keinen großen Wurf, sondern gebe mir und der Situation Zeit.
Geduld ist eine Eigenschaft, die ich lerne zu entwickeln.
Ich habe lange Zeit sozusagen vor mir her gelebt oder hinter mir her in Erinnerungen. Jetzt hole ich mich gewissermaßen selbst ein und habe das erstaunliche und gute !! Gefühl, ich-identisch zu werden.

Was, wenn ich von Anfang an so bei mir gewesen wäre?

aleanjre
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Do 13. Jan 2005, 18:42 - Beitrag #7

You have to learn to crawl, before you learn to walk...

Es wäre nett, wenn man mit der Weisheit des Alters geboren werden könnte, aber dem ist nun mal leider nicht so. Es ist nun mal so, dass die überschäumende Kraft der Jugend nach den Wolken greift, und es ist gut so. Denn ist es nicht gerade der Idealismus der Jugend, der so viele wertvolle Impulse gibt? Natürlich können nicht alle berühmt werden und die Welt aus den Angeln heben. Ein jeder muss in dieser Phase für sich selbst entscheiden, welchen Weg er einschlägt.
Später ist man so beschäftigt mit Kinder/Karriere oder auch beides.
Du bist jetzt in dieser schwierigen Lebensabschnittphase, wo es zum zweiten Mal heißt: Quo vadis?
Doch nun bist du mit Erfahrung gerüstet, die du mit 16 eben noch nicht hattest. Du hast nicht mehr all diese überflüssige Energie, die du bündeln müsstet. Du kannst nun nicht nur deinen Weg gehen, sondern auch noch die Aussicht genießen, ohne Angst zu haben, etwas zu verpassen. Der "Keine Zeit" - Druck ist weg.

Wie ich dich beneide...

Und trotzdem genieße ich die Zeit, die ich in meinem jetzigen Entwicklungsabschnitt verbringe. Sehr stressig und hektisch ist es hier, so viele Veränderungen prasseln täglich auf mich ein, unzählige Pläne warten darauf, angegriffen zu werden. Mir bleibt oft keine Zeit für die schöne Aussicht. Manchmal zwinge ich mich eben zum innehalten.
Und das ist gut so.

Feuerkopf
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Do 13. Jan 2005, 18:52 - Beitrag #8

Es ist nicht ganz so, alea.
Meine Energie ist nicht weniger als früher, sie ist gerichteter. Mein Idealismus ist nicht geringer als früher, eher gefestigter, denn ich sehe inzwischen Grautöne, wo früher nur Schwarz und Weiß waren.

Meine Frage ist, ob wir - unabhängig vom Alter - nicht einer ruinösen Vorstellung von uns und unserem Leben anhängen.
Wir haben vermutlich nur ein Leben. Wenn wir also den Kopf im Morgen haben und die Erinnerungen im Gestern, dann laufen wir Gefahr, im Heute mit den Füßen blind etwas plattzutrampeln, was wichtig sein könnte für uns.

Ipsissimus
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Do 13. Jan 2005, 20:16 - Beitrag #9

Meine Frage ist, ob wir - unabhängig vom Alter - nicht einer ruinösen Vorstellung von uns und unserem Leben anhängen.


ist das wirklich eine Frage? Fromm spricht von der Kunst des Liebens - vorher wäre die Kunst des Lebens zu nennen. Wir werden nicht damit geboren. Ich kenne nicht viele, denen es analog zu Fromms Darlegungen zur Kunst des Liebens
wichtig wäre - d.h. daß sie Zeit, Disziplin und Anstrengung darauf verwenden - diese Kunst zu lernen

Rosalie
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Do 13. Jan 2005, 20:36 - Beitrag #10

das Zitat von Rilke ist wunderbar ..... gerade der Satz "Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen ", trifft mich i.M.sehr. Da ist so viel ....die Jahre gehen so schnell, viel zu schnell, dahin und plötzlich schaust Du zurück und erkennst, dass da etwas falsch gelaufen ist, oder auch nicht? Mußte es vielleicht so sein? Was wäre, wenn es anders gelaufen wäre?

Da es auf all diese Fragen, keine Anwort geben kann, hilft nur Geduld. Den Dingen ihren Lauf lassen, den Tag bewußt erleben, Menschen bewußt erleben, alles mit den Augen der Liebe zu sehen und zuversichlich in die Zukunft zu blicken oder besser,ja viel besser: ganz bewußt in der Gegenwart leben, jeden einzelnen Tag, jede einzelne Stunde , jede einzelne Minute ...

aleanjre
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Do 13. Jan 2005, 22:30 - Beitrag #11

Zitat von Feuerkopf:Meine Energie ist nicht weniger als früher, sie ist gerichteter. Mein Idealismus ist nicht geringer als früher, eher gefestigter, denn ich sehe inzwischen Grautöne, wo früher nur Schwarz und Weiß waren.


Genau das meinte ich damit. Du vergeudest deine Kraft nicht mehr, weil du gar nicht weißt, wohin damit. Du hast deinen Weg bereits gefunden.
Und wer grau-sichtig ist, ist nach meinem Verständnis nicht mehr erfüllt von Idealismus. Was aber eine große Bereicherung sein kann, denn Schwarz-Weiß ist selten die bessere Sicht auf die Dinge.


>>>Meine Frage ist, ob wir - unabhängig vom Alter - nicht einer ruinösen Vorstellung von uns und unserem Leben anhängen.
Wir haben vermutlich nur ein Leben. Wenn wir also den Kopf im Morgen haben und die Erinnerungen im Gestern, dann laufen wir Gefahr, im Heute mit den Füßen blind etwas plattzutrampeln, was wichtig sein könnte für uns.

Das ist möglich, und oft genug geschieht es auch. Auch das gehört zu den wichtigen Erfahrungen, die man machen muss. Manchmal, wenn wir etwas, dass wir sehr liebten, verloren haben, erhalten wir dafür etwas anderes, was noch viel wertvoller ist. Und manchmal geht genau durch eine solche Gedankenlosigkeit alles unrettbar verloren.
Die Frage ist, ob es Sinn machen würde, wenn wir dies ändern könnten? Wissen wir denn, welche wertvolle Entwicklung wir genau dadurch verhindern würden?

JaY
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Fr 14. Jan 2005, 00:06 - Beitrag #12

Sehr geehrte Feuerkopf,

nicht nur dir geht es so. Ich denke das hat nichts mit dem alter zu tun. Ich sage jetzt einfach mal ich bin halb so alt wie du. Und doch sind wir nicht Grundverschieden. Du hast schon einige deiner Ziele erreicht welche noch vor mir liegen.

Auch wenn du einige Ziele noch nicht erreicht hast heißt das nicht, das du sie nicht mehr erreichen kannst. Auch ich mit meinen bald 23 Jahren auf dem Buckel frage mich was wäre jetzt wenn ich zu diesem oder zu jenem Zeitpunkt andersgehandelt bzw. mich anders entschieden hätte.
Doch wenn ich ehlrich bin möchte ich es auch nicht ändern so das ich den anderen Weg gehen würde.

[align=center]Denn sonst wäre ich nicht der Mensch der ich jetzt bin.[/align]

Zu der Sache mit dem Idealismus kann ich nur sagen, das eben gerade der der auch grau zwischen schwarz und weiß sieht, sehr gefestigt ist. Und wohl einen Objektiveren und Idealistischeren Blickwinkel hat als jene die Keine Nuancen zwischen schwarz und weiß warnehmen.

Nicht um sonst sagte irgen ein Weißer Mann:

[align=center]Der Weg ist das Ziel![/align]

Nur wer ein Ziel vor den Augen hat kann den richtigen Weg einschlagen. Ohne ziel bewegt sich nichts nach vorne wir bleben stehen ohne neues zu entdecken.

Traitor
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Fr 14. Jan 2005, 14:52 - Beitrag #13

@Ipsissimus:
das wohl, Traitor, aber warst du schon immer in der Lage, dieses Gleichgewicht zu halten? Oder auch nur zu wollen?

Das Gleichgewicht halte ich eher für eine sich selbst einpendelnde Sache. Wie gesagt, wenn ich keine vernünftigen Ziele habe, kann ich mich auch nicht zurücklehnen. Sprich, das eine und damit das andere kann zu schwach ausgeprägt sein und war es sicher auch schon oft, aber das Gleichgewicht dieser Aspekte blieb dabei eigentlich immer erhalten. Beziehungsweise ist in meinen Augen gar nicht wirklich ein zu betrachtender Punkt, sondern eher das Verwirklichen beider Aspekte, um auch den jeweils anderen zu stärken.

@Feuerkopf:

Die genauen Umstände mit deinem Studium sind mir nicht bekannt (ehrlich gesagt hatte ich das gar nicht mitbekommen, sondern mich nur gewundert, warum du im Wmig? so oft freie Vormittage hattest...) Aber ich vermute doch mal, dass es nicht prinzipiell falsch war, sich ein derartiges Ziel zu setzen, sondern es nur irgendwo mehr oder weniger konkret gehakt hat? (Ich spreche natürlich nur aus einer sehr theoretischen, weder eigenerfahrungs- noch situationsgestützten Position).

Allgemein fällt es mir schwer, den Schritt von deiner Beschreibung der Entwicklungen und Erkenntnisse "des Alters" zur Kritik der Zielgerichtetheit nachzuvollziehen. Dinge wie gerichteter Energieeinsatz, abgeklärte Weltsicht, Wahrnehmen der Freuden des Heute sind für mich keine Eigenschaften, die mit dem Verfolgen von Zielen gegenläufig sind oder dies ersetzen würden.
Selbst reines Erhaltenwollen des erreichten Lebenszustands wäre doch ein großes Ziel (wenn auch aufgrund der Unmöglichkeit sicher kein glücklichmachendes), und davon bist du ja weit entfernt.

Ich würde es mir so vorstellen: Du hast einen Punkt im Leben erreicht - Familie, Erfahrungen - mit dem man bereits zu einem nicht geringen Grad zufrieden sein kann, und nimmst diesen als sicheres Fundament wahr. Das große Ziel ist jetzt nicht mehr, dem Leben eine neue Richtung zu geben, sondern, die eingeschlagene zu verbessern, zu erweitern, sei es durch kleine Dinge oder auch durch größere (Studium). Wenn einer dieser Wege sich als irreführend herausstellt, ändert das aber nichts am Ziel.
Also schon zu einem gewissen Teil "der Weg ist das Ziel", aber noch treffender "viele Wege führen zum Ziel".

Meine Frage ist, ob wir - unabhängig vom Alter - nicht einer ruinösen Vorstellung von uns und unserem Leben anhängen.
Wir haben vermutlich nur ein Leben. Wenn wir also den Kopf im Morgen haben und die Erinnerungen im Gestern, dann laufen wir Gefahr, im Heute mit den Füßen blind etwas plattzutrampeln, was wichtig sein könnte für uns.

Wer nur in seinen Plänen von der Zukunft lebt, wird nie dazu kommen, diese umzusetzen, da er an der Gegenwart scheitert. Das ist sicherlich so. Aber auch gerade deshalb sind diese drei Zeit- und Erlebensebenen nie getrennt zu sehen, keine der anderen vorzuziehen, auch nicht die Gegenwart den "imaginäreren" anderen, da jede nur unter Einfluss der anderen erblühen kann.

Abschließend: Wenn du der Ansicht bist, einiges hiervon ließe sich nur aus jugendlicher Sicht so sagen, weise ruhig darauf hin. Aus deinem Mund ist so ein Urteil bedenkenswert.

Padreic
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Fr 14. Jan 2005, 19:23 - Beitrag #14

Wir müssen anerkennen, dass wir nicht wirklich wissen, was wir wollen, noch, was gut für uns ist, auch wenn wir das manchmal glauben. Insbesondere, wenn wir ein großes Ziel verfolgen.
Deshalb müssen wir ein Leben führen, das sich selbst und sein Herz immer wieder befragt und auf es horcht. Wichtig ist es, ein Leben führen zu können, dass wir an jedem Punkt des Weges wollen können und auch wirklich wollen und das nicht nur auf ein Ziel hin. Ideal ist es, dass Wollen des Jetzt und die Perspektive der Zukunft in Deckung zu bringen, denn dann ergibt sich das gewünschte wie von selbst. Aber sehr schwer ist das.
Im Alltagsstress mit all seinen großen und kleinen Zielen, den Arbeit hier und dort, überhören wir oft unser eigentliches Wollen, unsere Bestimmung, wenn wir so wollen, weil wir so damit beschäftigt sind, Dinge zu tun, die uns nicht befriedigen werden. Ich glaube, es war Heidegger, der sagte, dass aus tiefe Langeweile tiefe Erkenntnis geboren werden kann. Wenn einem langweilig ist, also man das Ungenügen der Tätigkeiten, die sich einem unmittelbar bieten, spürt, so sollte man nicht immer nach neuer Tätigkeit suchen, die diese Langeweile betäuben kann, sondern vielleicht auch mal ganz im Gegenteil alles Tun von sich stoßen und nachdenkend und horchend verweilen. Am besten in Dunkelheit und Stille.

@aleanjre
Es ist nun mal so, dass die überschäumende Kraft der Jugend nach den Wolken greift, und es ist gut so. Denn ist es nicht gerade der Idealismus der Jugend, der so viele wertvolle Impulse gibt?

Welche überschäumende Kraft, welcher Idealismus?

Padreic

janw
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Fr 14. Jan 2005, 21:18 - Beitrag #15

Es ist seltsam, aber das Problem treibt mich in ähnlicher Form auch gerade etwas um...
Als ich 1992 Abi machte, hatte ich ein Motto, das da lautete "Neue Wege denken, gehen, mitbeschreiten"
Viel Idealismus steckte damals hinter diesem Motto, etwas Weltverbesserungsanspruch durchaus. Was ist davon geblieben, was aus den Zielen geworden, frage ich mich heute, nachdem mir jemand in einem Verband, in dem ich seit dem aktiv bin, eine gewisse Realitätsferne vorgeworfen hat, nur weil ich meine Ideen nicht allein umsetzen konnte und mir beim Versuch, eine Sache allein zu machen, etwas ziemlich schief gegangen ist.
Einiges habe ich dennoch erreicht, dort und im restlichen Leben, und mir ist dabei aufgefallen, daß dabei das Wort "irgendwie" recht gut beschreibt, wie es dazu kam.
Der direkte Weg, das Um-Zu, war bei mir eher die Ausnahme, die Regel war eher ein Schritt für Schritt und dann zur Seite, ein gewundener Weg, der am Ende zum Ziel führte, oder auch noch nicht, aber für sich neue Einsichten brachte.
Letztlich ein Weg, ohne den ich vieles nicht hätte an Erfahrung heute, der mir in manchem auch aufgezwungen war, der aber in einer nach Zielerreichung bewertenden Welt allerdings weniger gut weg kommt.
Vielleicht ist es aber doch eine Idee, mehr auf die kleinen Dinge zu achten, die einem passieren auf dem Weg, nicht nur das ferne Ziel krampfhaft im Blick, sondern den Weg als gleichwertig betrachtend.
So verstehe ich auch Rilke und stimme ihm zu.

Mein Idealismus ist heute sicher ein anderer, gerundet durch die Einsicht in menschliche Schwächen und ihre normative Kraft. Und doch ist er weiterhin der Motor, der hinter meinem Streben steckt.

dmz
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Fr 14. Jan 2005, 23:16 - Beitrag #16

Zitat von Feuerkopf:Gestern habe ich einen Zettel mit folgendem Zitat geschenkt bekommen:
"...und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst lieb zu haben wie schlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein." (Rainer Maria Rilke - Briefe an einen jungen Dichter)

Seither denke ich darüber nach, ob mein bisheriger Weg, diese ständige Zielorientiertheit, das Um-Zu, nicht gnadenlos mir selbst gegenüber ist. Vielleicht braucht man tatsächlich hin und wieder einen Zustand des Floatings, des Unbestimmten, um sich neu zu sammeln, um auszuprobieren, um in sich hinein zu horchen und diesen Zustand auch auszuhalten.

Es ist tatsächlich schwierig, Unentschlossenheit oder Orientierungslosigkeit, eben die o. g. Fragen, klaglos auszuhalten und ihnen Zeit zu geben.

Wie steht ihr zu dem Ratschlag Rilkes?

Ich habe bisher keine vorausschauende 'Zielplanung' betrieben,
sondern situationsbedingte Loesungen meiner Lebensaufgaben von Fall zu Fall vorgenommen.
So komme ich mit meiner 'Lebensphilosophie' den zitierten Rilkeschen Worten wohl sehr nahe.
:::
Ich habe z.B. eine allgemeine Richtung der Berufswahl vorgenommen,
und alles weitere hat sich 'zufaellig' ergeben.
So war ich im Rahmen meines Berufslebens fuer 3 Jahre im Iran gelandet;
eine Situation, welche ich vorher nicht haette planen moegen.
Die Situation hatte mich eines Tages vor die Wahl gestellt,
und ich hatte zugesagt und war am Ende zufrieden gewesen.
Ich habe in meiner Zeit des Erwachsenenwerdens auch nicht ein eigenes Familienleben angestrebt,
und ich bin halt alleine geblieben, ohne diesen Umstand nachtraeglich zu bereuen.
:::
Ich bin einerseits einer nihilistischen Lebenseinstellung verdaechtig und meine andererseits:
es haengt damit zusammen, dass ich das Dasein immer skeptisch betrachtet habe.
Oder habe ich frueh begriffen, dass am Ende des Lebens die Menschen mehrheitlich gescheitert sind,
dass Zielsetzung nicht unbedingt erstrebenswert ist ?

+Luinalda+
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Mi 19. Jan 2005, 17:31 - Beitrag #17

"...und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst lieb zu haben wie schlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein." (Rainer Maria Rilke - Briefe an einen jungen Dichter)

Ein sehr schönes und ebenso wahres Zitat , finde ich .
Ich kann damit nur übereinstimmen . Besonders als junger Mensch umgeben einen ständig die Fragen , die einem das Leben Tag für Tag stellt und auf die man einfach keine Antwort finden kann . Und wer versucht auf jede einzelne dieser Fragen die perfekte Antwort zu finden , wird kläglich daran scheitern . Deswegen stimme ich mit dem Ratschlag überein , einfach in den Tag hinein zu leben , ohne groß darüber nachzudenken was er bringen mag . Die Antworten finden sich ganz von selbst .

Feuerkopf
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Mi 19. Jan 2005, 17:36 - Beitrag #18

Luinalda,
ich glaube nicht, dass Rilke ein "In-den-Tag-Hineinleben" gemeint hat.
Ich verstehe ihn vielmehr so, dass man eine gewisse Achtsamkeit sich selbst gegenüber an den Tag legen soll, Geduld mit sich selbst haben und der Zeit, die manch eine Entwicklung benötigt.
Es geht sehr wohl um Bewusstsein, aber eines, das das Hier und Jetzt wahrnimmt und nicht im Gestern oder Morgen herumirrt.

Chennyboy
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Mi 19. Jan 2005, 21:23 - Beitrag #19

Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten.


Wenn er damit meint, dass man sich nicht den Kopf zerbrechen soll bei einer Frage, die nicht gelöst werden kann, würde ich ihm zustimmen.
Wenn er damit meint, dass man auf die Frage, die man selbst nicht lösen kann, aber welche vergleichsweise einfach gelöst werden kann, z.B. durch Recherche, würde ich nicht zustimmen.

Monostratos
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Mi 19. Jan 2005, 21:28 - Beitrag #20

Sicher, Chenny, aber Du vergisst den Kontext und den letzten Teil des Satzes: "...Weil Sie sie nicht leben können."

Im Übrigen halte ich Luinaldas Zitat für eine sehr schöne Lebenseinstellung, wenn auch ich sie nicht auf mich beziehen kann... Die wichtigsten Fragen sind mir schon beantwortet.

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