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Dogmatismus von Weltbildern

BeitragVerfasst: Di 31. Mai 2005, 08:32
von Maurice
Hier finden sich gewisse Parallelen zum Modell-Thread, aber da dieser ja einen eigenen Verlauf genommen hat, der imo vom Thema abkam, aber nicht gespalten wurde, mache ich diesen neuen Thread auf.

Wir sprechen idR so, als ob uns gute Argumente von einer uns vorher noch gegensätzlichen Meinung überzeugen könnten. Das mag auch in manchen Fällen so sein, aber wie oft kommt dies bei grundlegenden Pfeilern eines Weltbildes vor? Setzen nicht manche Systeme sich selbst unbewiesen voraus und machen sich somit für den, der es energisch vertritt, unwiderlegbar?
Welcher wissenschaftlich denkender Mensch, der ein Weltbild fern von jeder Mystik und Magie hat, lässt sich von Geschichten über Hexen, Geister oder Wunder in seiner Sicht der Welt erchüttern? Setzt nicht sojemand stets voraus, dass diese übernatürlichen Phänomene gar nicht übernatürlich sind, sondern prinzipell wissenschaftlich erklärbar sind, selbst wenn sie wissenschaftlich nicht erklärt sind? Wie soll man sojemand vom Gegenteil überzeugen? Man könnte es soweit treiben, dass derjenige selbst den lien Gott für ein Hirngespinst halten würde, wenn er ihm erscheinen würde.
Umgekehrt wird wohl keine wissenschaftliche Studie jemanden davon überzeugen, dass es unnötig ist an Magie, Geister und dergleichen zu glauben, wenn er dies ernsthaft tut. Trotz jeglicher wissenschaftlicher Stützung kann jemand an Glücksbringer, Flüche und Schutzengel glauben. Diese Menschen haben zwar keinen Beweis für die Existenz dieser Dinge, aber die Wissenschaft natürlich auch keine Beweise für die Nichtexistenz.
Hängt letzten Endes nicht alles an der Sozialisation und an der Intensität des Gebrauchs des Ökonomieprinzips (alias Ockhams Rasiermesser) ab? :confused:

BeitragVerfasst: Di 31. Mai 2005, 08:40
von aleanjre
Prinzipiell würde ich zustimmen.
Aber es gibt immer noch genug Menschen, die gar kein wirklich festes Weltbild haben, dass sie dogmatisch vertreten. Die dann vielleicht an ein wissenschaftlich orientiertes Modell glauben, aber "rein zur Vorsicht natürlich" dreimal auf Holz klopfen, wenn jemand ein Unglück erwähnt, sich halbherzig selbst als Idiot beschimpfen, wenn sie am Freitag den 13. ein mulmiges Gefühl haben und insgeheim ein bisschen davon überzeugt sind, dass die tote Omi ihnen schon einmal ein Zeichen geschickt hat ("es ist zwar nicht möglich, ich weiß, aber das Gefühl, dass ich da hatte..."). Diese Menschen sind prinzipiell bereit, nach einem entsprechenden Erlebnis dogmatisch für die eine oder andere Seite aufzuspringen. Aber dann muss eben wirklich erst etwas geschehen, dass sie absolut überzeugt.

BeitragVerfasst: Di 31. Mai 2005, 09:35
von Feuerkopf
Alea,
du hast einen sehr häufig auftretenden Menschentypus beschrieben, so wie er in wissenschaftlich orientierten Gesellschaften zu finden ist.
Grundsätzlich weiß "man", dass die Welt und ihre Phänomene in großen Teilen erklärbar sind. Dennoch lässt "man" Spielraum für Unbekanntes und (noch) nicht Erklärbares, schon, um die vielen kleinen Ungewöhnlichkeiten des eigenen Alltags mit zu erfassen und sich nicht in Grübeleien über deren Ursachen zu verlieren.
Vielleicht hat der Mensch einen Hang zum Mystizismus, sonst wäre ja auch der Gottesglaube nicht so verbreitet oder hätten nicht so viele zumindest rudimentäre Kenntnis von abergläubischen Regeln und Riten.

Hängt man hingegen dogmatisch einem Weltbild an, so ist man "zu" für neue Erkenntnisse und Entwicklungen, weil sie eben nicht zum Weltbild passen.
Die Sozialisation mag da schon wichtig sein, denn es durchaus möglich, einem Kind das Staunen und Hinterfragen gründlich auszutreiben.

Maurice,
bitte erkläre kurz den Begriff "Ockhams Rasiermesser".

BeitragVerfasst: Di 31. Mai 2005, 11:52
von Ipsissimus

Ockhams Rasiermesser ist in der Wissenschaft das Sparsamkeitsprinzip. Es besagt, dass von mehreren äquivalenten Theorien die einfachste die beste ist. Die englische Bezeichnung lautet Occam's Razor (oder auch parsimony), die lateinische novacula Occami, die traditionelle deutsche Ockhams Skalpell.
Diese Regel wurde zwar nach Wilhelm von Ockham (12801349) benannt, die Idee selbst ist jedoch sehr viel älter. Ockham selbst hat nie ausdrücklich ein solches Prinzip aufgestellt und benannt, sondern es eher implizit in seinen Schriften gebraucht.

Die bekannteste Formulierung besagt, dass Entitäten nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden dürfen“ (lat. Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem oder sine necessitate). Dieser Satz stammt nicht von Ockham selbst, sondern wurde 1654 von dem Philosophen Johannes Clauberg (16221665) geprägt. Heute würde man es etwa so ausdrücken:

Von mehreren äquivalenten Theorien ist die einfachste allen anderen vorzuziehen. Das Ockhamsche Sparsamkeitsprinzip fordert, dass man in Hypothesen nicht mehr Annahmen einführt, als tatsächlich benötigt werden, um einen bestimmten Sachverhalt zu beschreiben und empirisch nachprüfbare Voraussagen zu treffen.

Ockhams Rasiermesser ist heute ein Grundprinzip der wissenschaftlichen Methodik.

[Bearbeiten]


Auslegung

Nicht ganz klar ist bei Ockhams Rasiermesser, was einfach bzw. kompliziert bedeutet. Es geht weniger um die einfache Nachvollziehbarkeit des Erklärungsmodells, als um die Art und Qualität der erforderlichen unüberprüfbaren Annahmen.

Zum Beispiel sieht man nach einem Sturm einen umgefallenen Baum. Aus den Beobachtungen „Sturm“ und „umgefallener Baum“ lässt sich die einfache Hypothese ableiten, dass „der Baum vom starken Wind umgeweht“ wurde. Diese Hypothese erfordert nur eine Annahme, nämlich dass der Wind den Baum gefällt hat, nicht ein Meteor oder ein Elefant. Die alternative Hypothese „der Baum wurde von wilden, 200 Meter hohen Außerirdischen umgeknickt“ ist laut Ockhams Rasiermesser weniger hilfreich, da sie im Vergleich zur ersten Hypothese mehrere zusätzliche Annahmen erfordert. Zum Beispiel die Existenz von Außerirdischen, ihre Fähigkeit und ihr Wille intergalaktische Entfernungen zu bereisen, die Überlebensfähigkeit von 200m hohen Wesen bei irdischer Schwerkraft, usw.

Ähnliches gilt für die Kreationismus-Debatte. Die Evolutionstheorie ist sehr kompliziert. Tatsächlich erscheint die Minimal-Erklärung „Gott war's“ auf den ersten Blick viel einfacher. Aber damit wird einerseits die Komplexität nur verlagert, von komplizierten, aber wohldefinierten, nachvollziehbaren und falsifizierbaren Modellen auf einen uneinheitlichen, undefinierten und umstrittenen Gottesbegriff. Andererseits bietet die triviale Variante „Gott war's“ keinen Erkenntnisgewinn, zeigt keine kausalen Wirkketten auf und erlaubt keine falsifizierbaren Aussagen. Deswegen beziehen neuere kreationistische Modelle wie Intelligent Design durchaus Elemente aus der Evolutionstheorie ein. Also bietet gerade die Kreationismus-Debatte ein gutes Beispiel für von Ockhams Rasiermesser in der Variante, dass die beste Erklärung die ist, die für die Gesamtheit aller betrachteten Daten die einfachste zusammenhängende Erklärung bietet. Dabei ist zu beachten, dass dieses Sparsamkeitsprinzip keine Aussage über die Gültigkeit von Erklärungsmodellen macht, sondern nur eine Heuristik bietet, wie wirksame Erklärungen gefunden werden können.

...

Walter Chatton war ein Zeitgenosse von Wilhelm von Ockham, der eine Gegenposition zu Ockhams Sparsamkeitsprinzip einnahm. Als Antwort formulierte er sein Gegenprinzip: „Wenn drei Dinge nicht genug sind, um eine klare Aussage über etwas zu treffen, muss ein viertes hinzugefügt werden, und so weiter“. Obwohl verschiedene andere Philosophen seit Ockhams Zeiten ähnliche Gegenprinzipien zum Rasiermesser vorgeschlagen haben, gewannen sie nie eine solche Bedeutung. Gottfried Wilhelm Leibniz formulierte ein Prinzip der Vielfalt (so benannt von Arthur O. Lovejoy). Die Idee dahinter ist, dass Gott die Welt mit der größtmöglichen Vielfalt von Lebewesen geschaffen habe. Immanuel Kant (1724–1804) formulierte in seinem Gegenprinzip, dass die Vielfalt der Dinge nicht voreilig vermindert werden solle. Karl Menger findet Mathematiker zu geizig im Umgang mit Variablen und formulierte sein Gesetz gegen die Armseligkeit, das eine der beiden Formen annimmt: „Entitäten dürfen nicht bis zur Unangemessenheit reduziert werden“ und „es ist sinnlos mit weniger zu tun, was mehr erfordert“.


wikipedia


ich lasse mich von Argumenten grundsätzlich nur in rein sachbezogenen Diskussionen überzeugen; der üblliche und für mich viel spannendere Fall liegt aber vor, wenn in Diskussionen sachliche und personenbezogene Faktoren und Argumente zusammenkommen. Ich bin der Ansicht, daß die Mehrzahl sich sachlich und/oder rein rational gebender Argumente in psychischen Konstellationen ihren Ursprung haben, die natürlich nicht in die Formulierung des Argumentes einfließen sollen, oft genug aber doch einfließen. Diesen "eigentlichen" Argumentaspekten auf die Schliche zu kommen, ist eines meiner Hobbys.

Da ich desweiteren davon ausgehe, daß es "die" Wirklichkeit ebenso wenig gibt wie "die" Realität, sondern nur Beschreibungen, die mehr oder weniger stark zweckfunktionalisiert sind, untersuche ich mir angebotene Beschreibungen zwar auf Konsistenz - wenn sie mir überhaupt interessant genug scheinen - aber ich messe Konsistenz nicht unbedingt an rationalen Kriterien, sondern an der angesprochenen Kombination rationaler und individueller Kriterien. Dann kehre ich üblicherweise zu meiner eigenen Beschreibung zurück ^^

BeitragVerfasst: Di 31. Mai 2005, 12:17
von Rosalie
Vielleicht hat der Mensch einen Hang zum Mystizismus, sonst wäre ja auch der Gottesglaube nicht so verbreitet
imo ist das sicher so, mit reiner Wissenschaft" (wenn es sowas überhaupt geben soll, denn auch Wissenschaftler sehen viele Dinge hypothetisch = glauben) läßt sich höchstens vorrübergehend leben (Ausnahmen bestätigen, wie immer, die Regel) , der Mensch sucht (warum wohl?) bewußt oder unbewußt nach mehr.

Da das, was sich in unsren Breitengraden "die Kirchen" nennt, auf diesem Sektor weitgehend versagen (es geht in der Hautsache um "tue Gutes, sei ein netter Mensch" aber Mystizismus finden man relativ selten) suchen die Menschen die Antworten auf ihre Fragen in Esoterik (die streng genommen, auch eine Form von Religion ist), Okkultismus (Religion, ganz klar!) u.ä-

. Ich bin der Ansicht, daß die Mehrzahl sich sachlich und/oder rein rational gebender Argumente in psychischen Konstellationen ihren Ursprung haben, die natürlich nicht in die Formulierung des Argumentes einfließen sollen, oft genug aber doch einfließen. Diesen "eigentlichen" Argumentaspekten auf die Schliche zu kommen, ist eines meiner Hobbys.
Und natürlich Ipsi, beinhaltet auch meine Aussage personenbezogene Argumente, wir sind alle von unsren Werdegängen und Entwicklungen geprägt und können nicht so tun, als wären diese Erfahrungen nicht da. Gerade im rel./philosopischen Bereich ist es sehr spannend zu hinterfragen, wie kommt der Mensch zu dieser Meinung?? :pro:

BeitragVerfasst: Di 31. Mai 2005, 12:37
von Ipsissimus
ja, das dürfte einfach unvermeidlich sein, daß die persönlichen Werdegänge mit hineinspielen. Interessant finde ich immer die Frage, weswegen dann so oft trotzdem der Versuch unternommen wird, auf die "Quasiobjektivität" der eigenen Ansichten zu verweisen

Esoterik und Okkultismus halte ich nicht für Formen von Religion; dazu gibt es aber schon einen Thread; bei Bedarf kann der ja wieder vorgekramt werden

BeitragVerfasst: Di 31. Mai 2005, 12:45
von Feuerkopf
OT
Danke, Ipsi,
für dich habe ich sogar den Matrix-Style verändert, damit ich alles lesen konnte. ;)
OT-Ende

BeitragVerfasst: Di 31. Mai 2005, 12:55
von Ipsissimus
sorry, Feuerkopf, irgendwie habe ich anscheinend Probleme mit den Editoreistellungen. Als ich den Text in den Editor reinkopierte, sah er noch ganz normal aus :-)

Beispiele

BeitragVerfasst: Di 31. Mai 2005, 18:57
von Maurice
@Feuerkopf:
Ich glaube zwar, dass du den Text von Ipsi verstanden hast, ich bringe aber dennoch noch ein paar Beispiele zur Illustration des Prinzips. Vielleicht helfen diese eventuell dem ein oder anderen Leser weiter, falls jemand es noch nicht verstanden haben sollte, wo ich dich, wie gesagt, nicht mitzähle.
Wie aus dem Text hervorgeht nennt man Ockhams Rasiermesser z.T. auch Sparsamkeitsprinzip, was dasselbe ist, wie das von mir erwähnte Ökonomieprinzip.

1. Ich behaupte ich habe einen Kobold in der Uhr, der immer dann verschwindet, wenn ich die Uhr aufmache. Eine solche Behauptung kann ich weder beweisen, noch jemand anderes widerlegen (beweisen hier im wissenchaftlichen Sinne).
Nach dem Ökonomieprinzip würde man hier von einer Nichtexistenz des Kobolds ausgehen, weil es keinen Grund gäbe an ihn zu glauben.

2. Wir haben eine Theorie die besagt, dass der Apfel zu Boden fällt, weil er durch die Gravitation zur Erde gezogen wird und die Gravitation wiederum existiert, weil es ein Dämon so will.
Nehmen wir Ockhams Rasiermesser zur Hand, dann wird der Dämon aus der Theorie entfernt, weil dieser ein unnötiges Existenzpostulat ist. Die Theorie funktioniert auch dann und wohl sogar besser, wenn in dieser kein Dämon vorkommt.

3. Wir haben zwei Theorien vom Wesen des Menschens, einen Dualismus und einen Monismus. Der Dualismus besagt, dass der Mensch aus einem Körper besteht und einer Seele, die in ihrem Wesen grundverschieden zum Körper ist. Der Monismus sagt, dass der Mensch rein körperlich ist und keine inmateriellen Elemente hat. Abgesehen davon, dass der Monismus für manche kontraintuitiv sein könnte, wirft er weit weniger neue Fragen und Probleme auf, als ein Dualismus und kommt mit weniger ontologischen Entitäten aus. Nimmt man das Sparsamkeitsprinzip zum Maßstab, ist der Monismus die zu bevorzugende Theorie.


@Rosalie:
auch Wissenschaftler sehen viele Dinge hypothetisch = glauben

Ja und nein. Den Anspruch des Wissens wird die Wissenschaft imo nicht gerecht, wenn man sie mit einem systhematischen Skeptizismus konfrontiert. Der Übergang zu einem methodischen Skeptizismus schafft nur ein hypotetisches und kein absolutes Wissen. Wenn man die Ausdrücke "eine Meinung haben" und "glauben" gleichsetzt, dann würde ich auch sagen, dass die Wissenschaft glaubt. Dennoch würde ich sagen, dass sich der wissenschaftliche Glaube vom religösen stark unterscheidet.

BeitragVerfasst: Di 31. Mai 2005, 20:27
von e-noon
"Wissenschaft" ist wirklich ein etwas seltsames Wort für etwas, das kein Wissen schafft und sich (zumindest nach meiner momentanen Definition) nicht einmal mit Wissen beschäftigt ^^

Das Weltbild hängt nicht unbedingt von der Sozialisation ab (siehe mich :D ), sondern auch davon, wie man darauf reagiert. Ich würde aber auf jeden Fall zustimmen, dass es ab einem bestimmten Alter und ab einem bestimmten Grad des Überzeugtseins von einer Weltsicht schwieriger wird, durch Argumente grundlegende Änderungen herbeizuführen. Kinder mit Argumenten zu überzeugen ist dagegen relativ leicht, da sie sich meist noch nicht viele Gedanken über die Welt gemacht haben und nicht zu einer selbstständigen Überzeugung gelangt sind.
Ein anderes Beispiel für den Dogmatismus wäre mE eine primitive Menschengruppe, die keine Technik kennt und ihre Welt mithilfe von Magie und Zauber zu erklären versucht. Würde ein Forscher nun mit einer Taschenlampe in der Hand mit ihnen zusammenstoßen, würden sie die Ursachen des unerklärlichen Lichtes in dem Stab wohl in einer überlatürlichen Macht suchen und den Forscher für einen Zauberer halten.

Wenn der Forscher sie allerdings die Taschenlampe untersuchen lässt, ihnen andere zeigt, sie sie selbst ausprobieren lässt und erklärt, wie sie funktionieren, wären sie meiner Meinung nach auch bereit, diese Erklärung hinzunehmen, letztlich auch sein Weltbild dahingehend zu teilen, wenn er ihnen plausible Erklärungen für ihre bisher unerklärten Phänomene liefert.

Wenn jemand also wenig bis gar nicht über sein Weltbild reflektiert hat und dann guten Argumenten gegenübersteht, ist er vermutlich geneigt, sein Weltbild zu ändern.
Wenn sich jemand jedoch sehr gut informiert wähnt und zudem oft über seine Weltsicht nachgedacht hat und von ihr überzeugt ist, ist wahrscheinlich eine grundlegend neue und bahnbrechende Information nötig, ihn umzustimmen. Argumente werden hier nicht viel ausrichten können, da diese und deren Gegenargumente der Überzeugung bereits vorangegangen sind.

BeitragVerfasst: Mi 1. Jun 2005, 00:27
von Ipsissimus
Kinder mit Argumenten zu überzeugen ist dagegen relativ leicht, da sie sich meist noch nicht viele Gedanken über die Welt gemacht haben und nicht zu einer selbstständigen Überzeugung gelangt sind.


die Beobachtung halte ich für richtig, die Begründung nicht. Kinder machen sich verdammt viel Gedanken über die Welt, aber sie haben aus Mangel an Erfahrung noch keine Sicherheit darin, welche ihrer Einsichten, Gedanken und Thesen usw. der Wirklichkeitsauffassung, die ihnen sozialisationshalber abverlangt wird, entsprechen, und welche nicht.


Maurice, dein zweites Beispiel ist imo irreführend, solange "Gravitation" nur ein Synonym für "Dämon" ist, wie es derzeit der Fall ist :-) Wir benutzen ein Wort, das ein Phänomen beschreibt, wissen aber nicht, was es damit auf sich hat.

Das dritte Beispiel ist sicher ein Liebling von dir :-) aber trotzdem irreführend, weil der Monismus entweder auf die Erklärung bestimmter Phänomene verzichten oder bestimmte Sachverhalte ebenso postulieren muss wie der Dualismus, nur eben andere.

Das erste Beispiel ist ein bißchen strittig, weil die Nichtexistenz des Kobolds in der wissenschaftlichen Auffassung bereits enthalten ist. Bei einem Weltbild, das noch keine apriori-Entscheidung über Fragen der Existenz von Kobolden und den Anspruch der Wissenschaft, Wirklichkeit zu erklären, getroffen hat, wird es dir mit dem Rasiermesser schwer fallen, den Kobold so en passant rauszukicken :-)

und leztlich möchte ich dringend noch mal auf die wikipedia-Stelle hinweisen, in der darauf hingewiesen wird, daß das Rasiermesser nicht die Gültigkeit der Ergebnisse seiner Anwendung impliziert :-)

BeitragVerfasst: Mi 1. Jun 2005, 16:03
von Maurice
Der Dämon (griechisch δαίμονας, démonas - das [übernatürliche] Wesen, biblisch [Evangelium nach Matthäus] der unreine Geist, aber auch sächlich δαιμόνιο, demónio - das Genie, der Geist) war ursprünglich eine Götterbezeichnung bzw. Engelsbezeichnung, die im Laufe der Zeit den "Göttern/Engeln" entgegen gestellt und damit negativiert wurde.
Quelle: Wikipedia.de

Ipsi die Gravitation ist ein Dämon für dich? Ähh ja... ok... Ich sehe da schon gewisse Unterschiede zu einem Naturgesetz.

@Kobold: Das Ökonomieprinzip ist keine Methode, um sich der Wahrheit sicher zu nähern, aber ist imo auch generell nicht möglich. Das Rasiermesser halte ich aber für ein notwendiges Werkzeug eines rationalen Denkens.
Die Frage nach dem Kobold lässt sich damit gut lösen: Ich ahbe keinen empirischen Grund einen Kobold anzunehmen, also gehe ich von seiner Nicht-Existenz aus. Das ist kein sicheres Urteil, aber ein vernünftiges.

@Monismus/Dualismus: Für mich ist die Seele im Körper wie der Kobold in der Uhr: Ein unnötiges Existenzpostulat, das auf der Gefühlsduselei gewisser Personen gründet.
Natürlich wirft auch der Monismus Fragen auf, aber weniger und besser beantwortbare als der Dualismus. Welche Aspekte klammert iyo der Monismus denn aus? Es kann sich wenn überhaupt nicht um relevante handeln.

BeitragVerfasst: Do 2. Jun 2005, 11:16
von Ipsissimus
Maurice, ich will nur darauf hinaus, daß die wissenschaftliche Betrachtungsweise ihre eigenen Voraussetzungen hat - gewichtige, zahllose Voraussetzungen. Du tust so, als seien diese Voraussetzungen so "selbstverständlich wahr", daß sie unter den Tisch fallen gelassen werden können, und sagst dann, nachdem du sie unter den Tisch hast fallen lassen, "Ätschebätsche, die wissenschaftliche Betrachtung hat viel weniger Voraussetzungen als andere." Hat sie nicht. Du bewegst dich nur in einem Interpretationsrahmen, über dessen Rand du anscheinend nicht mehr hinausgucken willst :-)

BeitragVerfasst: Do 2. Jun 2005, 11:20
von Maurice
Nein ich möchte mich idR nicht aus diesem Interpretationsrahmen hinaus bewegen, weil man einenRahmen braucht um zu interpretieren und dieser mir am sinnvollsten erscheint. Welcher Rahmen findest du denn sinnvoller?
Außerdem habe ich durch einige Kommentare im Forum deutlich gemacht, dass ich die wissenschaftliche Vorgehensweise nicht unkritisch betrachte. Dennoch halte ich sie wie gesagt für die vernünftigste und damit für die zu bevorzugende.

BeitragVerfasst: Do 2. Jun 2005, 11:24
von Ipsissimus
es ist nicht die Frage, welchen Rahmen ich für sinnvoller halte, sondern ob ein Mensch nicht nur prinzipiell in der Lage dazu ist, sondern es real praktiziert, seinen bevorzugten Rahmen beständig zu hinterfragen und zu modifizieren.

BeitragVerfasst: Do 2. Jun 2005, 12:35
von Maurice
Ich habe meinen Rahmen immer wieder hinterfragt, sonst hätte er sich im Laufe der Zeit ja wohl kaum verändert. Den Vorwurf kannst du mir deshalb nicht machen. Man sollte immer wieder seine Perspektive hinterfragen, aber sie deshalb nicht auch immer modifizieren.
Auf jeden Fall, habe ich eben die Sichtweise, die ich im Moment habe und halte sie im Moment natürlich für die sinnvollste. Früher hielt ich eine andere für sinnvoller und in Zunkunft könnte es wieder eine andere sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass man immer seine momentane Sicht der Dinge verteidigt. Das machst du nicht anders. Und wenn du dich davor sträubst deinen Rahmen zu hinterfragen, dann wirst du deinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht.

BeitragVerfasst: Do 2. Jun 2005, 13:42
von Ipsissimus
die von dir gemachte Erfahrung, daß deine Sichtweisen sich ändern, habe ich mit meinen Sichtweisen auch gemacht.

Meine Schlussfolgerung daraus ist aber eine andere als deine: ich verteidige meine Sichtweisen nicht mehr, da ich sie mittlerweile allesamt als transitorisch empfinde, sondern beobachte nur noch, wie sie sich im Kampf der Interpretationen schlagen :-) oder weswegen sollte ich etwas verteidigen, von dem ich heute schon weiß, daß ich es morgen anders sehen werde? Es kommt mir klüger vor, den steten Wechsel, der so sicher ist wie das Amen in der Kirche, schon apriori mit zu berücksichtigen, statt immer und immer wieder so zu tun, als habe ich jetzt und immer wieder jetzt endlich den Stein der Weisen gefunden.

BeitragVerfasst: Do 2. Jun 2005, 18:48
von e-noon
Du weißt aber nicht sicher, dass sich deine Sichtweise ändert, und lebst doch wahrscheinlich immer nach der momentanen Sichtweise, wenn du auch glaubst, dass sie sich ändern kann. Die (momentane und auf dem derzeitigen Informationsstand beruhende) Sichtweise, dass das, was wir wahrnehmen, nicht gänzlich zufällig ist, sondern nach bestimmten Regeln verläuft, die wir zum Teil herausfinden können, die Sichtweise, dass das, was wir wahrnehmen überhaupt existiert oder ähnliche grundlegende Sichtweisen werden sich wohl kaum so schnell ändern oder geändert haben.

Auch wenn du denkst, dass zB. die beobachtete Kausalität nicht unbedingt einer tatsächlichen entspricht, so handelst du doch so, als würdest du annehmen, deine Umgebung wird sich auch weiterhin nach diesen Regeln verhalten. Du kannst es nicht sicher wissen, dennoch gehst du davon aus, viel anderes bleibt einem auch nicht übrig, und diese Sichtweise wird sich imo nicht in naher Zukunft ändern.

Und es ist auch möglich, die jeweilige jetzige Sichtweise zu verteidigen und dabei im Hinterkopf zu haben, dass sie sich jederzeit als falsch herausstellen oder zumindest von einer anderen abgelöst werden kann. Eine Änderung der Sichtweise fällt einem meist nicht plötzlich in den Schoß, sondern wird durch neue Informationen und überzeugende Argumente bewirkt, sonst sähe man keinen Grund, sie zu ändern. Und eben die grundlegenden Argumente, die einen selbst überzeugt haben, lassen sich dann natürlich auch im Vergleich der eigenen Sichtweise mit anderen anführen und können somit dazu dienen, sie zu verteidigen.

@Kinder: Um die Informationen zu erhalten und die Erfahrungen zu machen, müssen sie aber ein gewisses Alter erreichen. Wenn ein dreijähriger seine Mutter fragt, warum zB. die Sonne aufgeht, und ihre Antwort unbesehen glaubt, fehlen ihm natürlich andere Informationen, aber er hat wohl auch noch nicht darüber nachgedacht, oder? Um nachdenken zu können, brauchen sie imo erst einmal Informationen, aber da bin ich mir nicht so sicher ^^* Ich kann mich nicht so gut dran erinnern.

BeitragVerfasst: Do 2. Jun 2005, 19:47
von aleanjre
@e-noon: Es ist schwer zu sagen, ab wann ein Kind anfängt seine Umgebung zu reflektieren. Für die Außenwelt offensichtlich wird dies, sobald sie das erste Mal die Frage "Warum" stellen. Das geschieht im Schnitt mit 3 Jahren. Aber man kann davon ausgehen, dass Kinder auch schon lange, bevor sie dieses Wort benutzen können, darüber nachdenken, WARUM etwas so ist, wie es sich ihm nun einmal präsentiert; in der Regel beherrscht ein Kleinkind einen sachlichen Inhalt etwa 2 - 3 Monate, bevor es ihn laut äußert. Das sind aber alles schwammige statistische Werte!
Meine Miniprinzessin stellte diese Frage mit 17 Monaten das erste Mal, also in einem Alter, in dem andere Kinder noch das laufenlernen proben:
Ich schimpfte mit ihr, weil sie ständig am Lichtschalter spielte, und sagte, er soll jetzt aus bleiben. Sie sah mich an und fragte: WARUM, Mama? Und ich wußte, sie plappert nicht einfach einige Silben nach, sondern tat es ganz bewußt. Sie wußte: Manchmal ist das Licht an und manchmal ist es aus. Sie wußte nur nicht, warum es in diesem Moment ausbleiben soll.
>>> Natürlich halte ich mein Töchterchen ganz verliebt für eine pfiffige kleine Maus. Aber sie zeigt kein Anzeichen dafür, dass sie die neue Madame Curie sein wird. ;)

BeitragVerfasst: Do 2. Jun 2005, 19:48
von BioKom
Ich denke die Wichtige Frage ist hier wieder: Warum?
Warum hält der Mensch an seinen Glauben fest?
Warum überzeugt ihn ein neues Argument?

Angriffe von Außen auf gefestigtes "Wissen" eines Menschen sind meist aussichtslos, wenn man keinen anderen Zwang (heiße Nadeln, Peitschenhiebe, usw.) ausüben kann.

Bei neuem Wissen in eine unwichtigem Gebiet auf dem ein Mensch kein Vorwissen hat, gibt es meist keinen Wiederstand. Es muss nur halbwegs konsistent mit seinem restlichen Wissen sein, man sollte einen Naturwissenschaftler z.B. nicht mit Kobolden kommen. Der Mensch glaubt dann leicht alles. Es wird der einfachste Weg gegangen, da ein schwierigerer den Aufwand nicht wert ist. Wenn ich euch z.B. erklären würde wie der schnellst Allgoritmus für das n Farben Problem ist (alle Knoten eines Grapen müßen eine andere Farbe als seine Nachbarn haben), könnte ich euch wahrscheinlich alles erzählen, so lange ich nicht wirklich Blödsinn rede.

Um so wichtiger ein Thema fü jemanden ist, ist um so besser muß die Erklärung dafür sein.

Gefestigtes Wissen, das das Weltbild von jemanden ausmacht, kann man meist nur noch von "innen" ändern. Es muß gezeigt werden, warum diese Wissen nicht in sein Weltbild passt. Wenn es z.B. eine Zahnfee gibt, in welcher Währung macht sie dann Auszahlungen, wie ist der Wechselkurs und wie wird die Inflation von ihr gehandhabt? Eine Zahnfee die sich um so etwas kümmert, passt wohl schlecht in ein Weltbild.
Einiges Wissen allerdings kann für einen Menschen so wichtig sein, dass es trotz Wiedersprüche als richtig angesehen wird. Der Mensch ist sich dann aber meist dieser Wiedersprüche nicht bewußt und versteckt sie unterbewußt. So jemanden vom etwas Anderem zu Überzeugen ist dann sehr schwer.

Kurz kann gesagt werden: Wenn man jemanden von Etwas überzeugen will, muß das Neue für ihn mehr Vorteile (z.B. weniger Wiedersprüche) bringen als das Alte, damit er es annimmt.

Das etwas gut in das Weltbild eines anderen passt, ist da übrigens ein schwaches Argument.
Wenn jemand Etwas energisch vertritt, ist ein zusätzlicher Grund sich für ihn nicht von was Anderem überzeugen zu lassen, das er nicht die Auseinandersetzung verliert. Um so mehr man ihn in die defensive bring, um so schwieriger wird es ihn zu überzeugen, weil um so wichtiger es für ihn ist nicht zu verlieren. Also ist diese Vorgehen immer schwierig.
Besser ist es sein Weltbild zu hinterfragen, ohne es gleich wie ein Angriff aussehen zu lassen.
Um jemanden zu überzeugen, ist es wohl das Beste ihn glauben zu machen, das er nicht überzeugt wurde, sondern eher noch andere überzeugt hat. Das bring einem dann natürlich wenig "Siegesruhm".