Was ist das Wesen der Moral?

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Mo 14. Nov 2005, 15:58 - Beitrag #1

Was ist das Wesen der Moral?

Auf Grund Pads Interesse mache ich diesen Thread hier auf. Es soll im allgemeinen über den Begriff der Moral gehen. Das Thema ist leiderwohl sehr allgemein, aber hoffen wir mal das beste. ;)
Da ich nur die Vorgabe eines allgemeinen Threads über Moral hatte, wusste ich nicht, wie dieser Thread aufgebaut sein sollte. Ich übertrage deshalb quasi die Richtlinienkompetenz auf Padreic. Eigentlich hätte er diesen Thread aufmachen sollen, aber diesbezüglich ist er ja in letzter Zeit ziehmlich zurückhaltend.

Ich fange einfach mal plump mit der Frage an, was ihr euch unter "Moral" vorstellt.

Ich verstehe unter dem Wort zum einen gesellschaftliche Konventionen über grundsätzliche Gebote im Verhalten gegenüber Menschen und anderen Dingen.
Zum anderen verstehe ich unter "Moral" den Versuch von Menschen bestimmte ethische Vorstellungen mit diesem Wort zu imunisieren.

Das ist natürlich eine recht negative Sicht auf diesen Begriff, was darin gründet, dass ich nicht daran glaube, dass es eine "objektive Moral" im Sinne von allgemein verbindlichen Handlungsregeln gibt, die für jeden kulturunabhängig verbindlich sind.
Was "gut" und was "böse" ist, ist subjektiv. Ich sehe keine für mich ausreichenden Gründe, eine objektive Moral anzunehmen, weshalb ich diesbezüglich einen beschriebenen Subjektivismus vertrete.

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Mo 14. Nov 2005, 16:16 - Beitrag #2

Philosophisch würde ich hier eine kantische Vorstellung von Moral unterstellen. Nach Kant soll man ja gegen seine Neigung rein aus Vernunft handeln. Dies geschiet nur, wenn man nach dem kategorischen Imperativ handelt: "Handle immer so, dass die Maxime deines Handeln allgemeines Gesetz werden könnte."

Ein Aristoteles z.B. würde die Sache anders sehen. Für ihn ist nämlich das moralische Handeln Voraussetzung, um glückselig zu werden.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
Mo 14. Nov 2005, 16:18 - Beitrag #3

Grundsätzlich sollte man Moral und Ethik unterscheiden.
Die Moral ist, wenn man sie von Ethik abgrenzen möchte, subjektiver und persönlicher.
MfG Maglor :rolleyes:

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mo 14. Nov 2005, 16:26 - Beitrag #4

wobei das, was Aristoteles ("Sklaven sind lebende Werkzeuge") als "glückselig" bezeichnet, manch einen in den Selbstmord treiben würde - es wäre mir neu, daß Aristoteles Aristipp vorweggenommen hätte^^

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Mo 14. Nov 2005, 16:36 - Beitrag #5

Moral und Ethik bezeichnen für mich meist das gleiche, nur dass Moral eher der veraltete, geschichtliche mehrmals verschieden Belegte Begriff ist. Daher natürlich schwieriger im Umgang.

Wie Ethik ist Moral für mich die Zusammenfassung der Regeln, nach denen Menschen nach ihrer eigenen Meinung oder nach der Meinung anderer ihr Leben führen sollten oder wollen.
Moral hat aber zugleich auch etwas von dieser "kantigen" ^^ Moral, wie Aydee sagte, es steht irgendwie auch für die überkommenen Moralvorstellungen vergangener Jahrhunderte, die sich selbst einen Absolutheitsanspruch verpassten und dadurch viele Menschen unglücklich machten.

Moral ist also letztlich ungeeignet, um das auszudrücken, was auch Ethik meint. Bei mir jedenfalls eher negativ besetzt und eigentlich überflüssig, es sei denn eben im geschichtlichen Zusammenhang.

"Moralisch handeln" im Sinne nach einer bestimmten Ethik "gut" handeln ist imo subjektiv, und nicht in irgendeinem übergeordneten System festgeschrieben.

Anaeyon
VIP Member
VIP Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1287
Registriert: 03.08.2004
Mo 14. Nov 2005, 17:05 - Beitrag #6

Moral - für mich ungeschriebene, einschränkende, subjektive Regeln die auf das Verhalten anderer Leute übertragen wird.

Nicht rational und durchdacht sondern von jemandem übernommen, eher ein Produkt der Gesellschaft und nicht eines Einzelnen.

Ethik ist für mich meine Einstellung, ich will niemanden davon überzeugen, aber Moral ist so..wie die katholische Kirche ;). Aufzwängend, will sich allgemeingeltend machen.

Ist sicher nicht im Wort enthalten, ich nehme es aber so wahr.

Padreic
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4485
Registriert: 11.02.2001
Mo 14. Nov 2005, 22:02 - Beitrag #7

Zum Wertrelativismus:
Wo kommt bloß all dieser Wertrelativismus hier her? Ist das zum Mainstream geworden?
Ich persönlich kann wenig mit Beweiskraft gegen den Wertrelativismus einwenden. Er ist ein theoretisches Konstrukt, dem man seine innere Plausiblität nicht absprechen kann. Es ist ein wenig darin verwandt dem Solipsismus und ähnlichen Theorien. Der Wertrelativismus als Gegenstück zum Wahrheitsrelativismus.

Lehnt man den Solipsismus ab und will man redlich sein, so muss man den Wertrelativismus an den gleichen Maßstäben, die beim Solipsismus zur Ablehnung gereichen, prüfen.
Was wird gegen das Leugnen einer echten Außenwelt meist eingewandt? Es widerspricht sowohl unserem naiven Empfinden als auch unserem praktischen Tun. Und es würde unsere Handlungen irgendwie nichtig machen.
Alles das trifft meiner Meinung nach auf den Wertrelativismus zu. Unserem naivem Empfinden widerspricht er, man muss nur mal Großteile der Bevölkerung befragen. Unserem praktischen Tun? Ja, denn wir können kaum umhin, das Verhalten anderer zu bewerten und selbst wenn unsere Normvorstellungen subjektiv sind, so setzen wir sie doch bisweilen objektiv. Ein Bewusstsein, das das stets leugnet, halte ich für künstlich erzeugt und auch ohne praktische Relevanz über das Leugnen hinaus. Und unsere Handlungen nichtig klingt auch plausibel, wo doch jeder Wert, den wir unseren Handlungen zuschreiben, rein willkürlich gewählt ist und man genauso gut den Wert ins Gegenteil verkehren könnte.

Mag sein, dass mich nur meine menschliche Natur dazu verleitet, so zu urteilen, mag sein, dass mich nur meine menschliche Natur dazu verleitet, Solipsist, Berkleyist oder ähnliches abzulehnen (obwohl ich mir beim Berkleyismus gar nicht mehr so sicher bin ;)). Ich kann nur nach meiner menschlichen Natur urteilen. Wenn sie mir nur Gaukelwerk vormacht, so ist die Philosophie für mich ohnehin verloren. Da muss ich Zweckoptimist sein, ganz gegen meine sonstige Veranlagung ;).
Ich habe jetzt meine Attacke gegen den Wertrelativismus gefahren. Will sagen: Wenn man derart gegen den Common Sense steht, steht man selbst im Begründungszwang und ein einfaches "Ich sehe keine zwingenden Gründe für eine objektive Moral." reicht da nicht.

@Aydee
Das hat fast was von Nietzsche ;). Er sah auch in der Moral etwas, was den Menschen krank macht.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mo 14. Nov 2005, 22:58 - Beitrag #8

Ich finde die Differenzierung von e-noon in Moral und Ethik brauchbar im Prinzip, sehe die beiden Dinge jedoch corollar, was die Inhalte betrifft.

Nach meinem Dafürhalten gibt es Grundwerte, die allen Menschen eigen sind, die teilweise auch biologisch verankert sind, sonst eben in der kulturellen Evolviertheit des Menschen.
Das eigene Leben zähle ich dazu und das unserer nächsten Angehörigen. Ebenso eine Aufmerksamkeit gegenüber Schwachen der Gesellschaft. Gastfreundschaft scheint auch soetwas zu sein.
Wenn es Kulturen gibt, in denen rituell Kinder geopfert werden, Alte die Gemeinschaft verlassen um zu sterben,... steht das dazu nicht unbedingt im Widerspruch, den Göttern das Beste zu geben bedeutet Wertschätzung für das Opfer, würden die alten Eskimos in der Gruppe sterben, brächten sie die Gemeinschaft in Gefahr.

Diese Grundwerte, eine grundlegende Ethik, sind nun in kulturell bedingten unterschiedlichen Verhaltenscodices "materialisiert" worden. Bei der Entwicklung dieser - Moralsysteme - sind noch einige andere Werte hinzu gekommen, seien es religiös bedingte Werte, differenzierte Umgangsformen je nach sozialer Stellung, auch Werte, die nur für bestimmte Lebensräume und -Umstände erforderlich sind.
Wenn sich Lebensumstände wandeln, stehen Teile dieser Moralsysteme leicht zur Disposition. Besonders für jene, die vielleicht selbst nie die Verletzung der eigenen ethischen Grenzen erfahren haben.
In diesem Sinne ist der Werterelativismus für mich verständlich, ich halte ihn jedoch für bedenklich.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 15. Nov 2005, 09:49 - Beitrag #9

Padreic, am springenden Punkt bei der ganzen Geschichte mit dem Werterelativismus bist du allerdings elegant vorbeigegangen^^

zunächst mal, wahrscheinlich bin ich ein bißchen mit dafür verantwortlich, wenn Werterelativismus hier im Forum eine deutliche hörbare Stimme bekommen hat. Das liegt daran, daß ich die Dinge so sehe, und warum soll ich sie dann nicht so vertreten? Wenn es unerwünscht ist, möge admin mich bannen^^ oder mensch mich bitten, in seinen Threads nicht zu posten.

Dann - Werterelativismus leugnet, wie der Name schon sagt, nicht die Existenz von Werten, er leugnet lediglich ihre Rückführbarkeit auf eine absolute Begründbarkeit, betont, anders gesagt, also ihre Kontingenz und damit letztlich ihre Disponibilität. Werterelativisten haben also öfter die Neigung, bei Werten nicht zu sehen, daß sie nützen, sondern zu fragen, wem sie nützen - und wenn der faktische oder proklamierte Nutzen zu einseitig verteilt ist, den Wert als solchen in Frage zu stellen.

Deinen weiteren Ausführungen kann ich eigentlich recht gut folgen, selbstverständlich beurteilen wir ständig. Ich finde es lediglich wünschenswert, zu betonen, daß wir das auf der Basis von kontingenten Prämissen betreiben, die wir daher nicht so fürchterlich wichtig nehmen müssen, schon gar nicht dann, wenn uns die Schlussfolgerungen daraus vorschnell dazu verleiten, zu verurteilen statt zu beurteilen.

Deine Einstellung zum Common Sense teile ich eher nicht^^ da halte ich es mit Einstein "Gesunder Menschenverstand ist die Summe aller Vorurteile, die ein Mensch bis zu seinem 20ten Lebensjahr aufgenommen hat." Mensch kann sie natürlich pflegen, seine Vorurteile, aber mensch muss sie nicht pflegen.

Ganz allgemein - und ganz besonders bezogen auf das Thema Moral/Normen/Regeln - scheint mir die Welt, die ich beobachte, nicht von Wahrheiten, sondern von Beschreibungen geprägt. Der Unterschied besteht darin, daß eine Beschreibung immer einer nicht dem Sachverhalt verpflichteten Intention verpflichtet ist und damit imo grundsätzlich zur Disposition steht - immer.

Aydee
Excellent Member
Excellent Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 637
Registriert: 17.12.2004
Di 15. Nov 2005, 10:15 - Beitrag #10

OT:
Zitat von Maglor:Grundsätzlich sollte man Moral und Ethik unterscheiden.
Die Moral ist, wenn man sie von Ethik abgrenzen möchte, subjektiver und persönlicher.

Ich dachte, gerade umgekehrt.
Moral sind (Verhaltens)Regeln, Vorstellungen.... die dem Zusammenleben in Gemeinschaft nützen möchte. Ethik ist die persönlichere Auslegen von Moral für jeden Einzelnen, muss nicht, aber kann der "übergeordneten" Moral wiedersprechen. Wobei imo Ethik etwas abstrakter ist, und Moral innerhalb von Gesellschaften/Gemeinschaften eher real gelebt wird. Nicht von allen im gleichen Umfang, klar. Ethik hat für mich etwas von: So möchte ich sein. Und Moral mehr von: So muss ich sein (um hier dazugehören zu können).
Also so in etwas wie Anaeyon das (be)schreibt...


@Maurice.
Möchtest du diese Diskussion eher vom philosophischen Gesichtspunkt oder vom persönlichen?

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Di 15. Nov 2005, 10:52 - Beitrag #11

@Aydee: Der Thread steht unter Philosophie, da ist es naheliegend, dass hier philosophisch diskutiert werden soll. Das verbietet aber nicht auch persönliche Kommentare zu geben, wenn es zum Thema passt. ;)

@Moral und comon sense: Habe nur ich den Eindruck, oder verbindet man hierzulande mit "Moral" immer soetwas in Richtung Kant? Wenn man jemanden fragen würde, wie man feststellt, was moralisch ist, dann würde man meiner Einschätzung nach mindestens eines der folgenden Dinge hören:
- goldene Regel
- kat. Imperativ
- Bibel
Alles das wären dann deontologische Begründungen.
Was haltet ihr von dieser Einschätzung?

@Ipsi: Na jetzt bilde dir mal nicht zuviel ein. E-Noon, Ana und ich waren schon vor deiner Ankunft hier skeptisch gegenüber der Objektivität von Werten und Normen. Und ich habe schon lange vor dir gegen einen Werterealismus propagiert. :P

@Janw:
Das eigene Leben zähle ich dazu und das unserer nächsten Angehörigen. Ebenso eine Aufmerksamkeit gegenüber Schwachen der Gesellschaft. Gastfreundschaft scheint auch soetwas zu sein.

Aber würdest du das als Moral bezeichnen? In meinen Augen ist das erstmal "nur" ein Programm zur Nutzenmaximierung. Kann aber sein, dass mein Blick hier durch Biologie und Glücksethik zu sehr eingeschränkt ist.

@Pad: Du hast recht, dass man es sich zu einfach macht, wenn man sagt, dass der Werterealist eine zusätzliche Existenzannahme macht und dadurch allein die Beweislast trägt. Aus Zeitgründen (muss bald zur Uni) nehme ich mir später die Zeit näher daruaf einzugehen. Ipsi hat ja aber dafür schon einiges geschrieben.
Nur schon mal zu ein paar Punktent: Ich zu meinen Teil sehe alle Werte, die ich gebe, als subjektiv, weil sie von mir abhängen und von mir gegeben auch nur für mich gelten. Für andere Subjekte gelten andere Werte. Ohne jedes wertendes Subjekt gibt es dagegen keine Werte. Alles ist an sich wertlos. Dieses Wort ist hier ganz neutral und nicht abwertend gemeint.
Ich kann mich jetzt konkret an keinen Fall aus der letzten Zeit erinnern, wo ich einen meiner Werte als objektiv angesehen habe. Dass das andere machen würde mich nicht verwundern, weil imo die meisten doch vorschnell in ihren Urteilen sind und nicht darüber nachdenken. Darüber hinaus werden die meisten wohl noch einer deontologischen Moral anhängen, ohne diese aber begründen zu können. Die Meinung wird einfach nachgeplappert, weil sie durch Erziehung von außen so verinnertlicht wurde.

@Ethik und Moral im allgemeinen:
Was mir hier auffällt, ist, dass es unterschiedliche Auffassungen zu den Begriffen gibt, deren Ursprung ich aber als aus dem Sprachgebrauch des Umfeldes abstrahiert einschätze, nicht aber auf Grundlage von Lexika. Das ist jetzt kein Vorwurf, sondern nur eine Einschätzung, ich habe ja auch mein persönliches Verständnis von "Moral" wiedergegeben. ;)

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 15. Nov 2005, 11:02 - Beitrag #12

na ja, ich habe ja nur geschrieben "ein bißchen mitverantwortlich"^^ außerdem ist zumindest e-noon nur knapp vor mir mir ins Forum gekommen^^

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Di 15. Nov 2005, 12:48 - Beitrag #13

Maurice, vielleicht habe ich mich etwas unscharf ausgedrückt, aber diesen Teil bezeichne ich als Ethik.

Die dann erfolgte in-Regeln-gießung und Ergänzung um weitere Regeln, oft genug als einschränkend empfunden bzw. auch so gedacht und als Herrschaftsinstrument mißbraucht, die hat für mich die Moral hervorgebracht.

Die teilweise Willkürlichkeit eben dieser Moral macht sie für mich entsprechend teilweise disponibel.

Wobei, Ipsi, ich sehe da ein kleines Logik-Problem:
Wir sind uns alle einig, daß das Recht auf Leben ein absolutes Grundrecht ist.
Wenn nun ein herrschendes Subjekt mit den Leben anderer spielt, sie als Mittel zur Machtausübung mißbraucht, dann kann man dem doch eigentlich nur dann dagegen vorgehen, wenn man den Wert jedes einzelnen Lebens und jedes Menschen auf ein Recht daran als absolut nimmt.
Den Wert infrage zu stellen, weil er als Mittel zur Macht mißbraucht werden kann, hieße doch auch, seine Einklagbarkeit aufzugeben. Oder verstehe ich Dich falsch?

Oder haben wir da schlicht auf das falsche Pferd gesetzt, wäre eine Machtethik ultimativer?

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 15. Nov 2005, 15:14 - Beitrag #14

so langsam geht es ans Eingemachte^^

ich sehe das Recht auf Leben nicht als Grundrecht an^^ dies nicht deswegen, weil ich begehre, daß Mörder ungeschoren bleiben, sondern weil sich die Proklamation gleich welchen Rechtes an der Faktizität der Beugung desselben messen muss - und die Faktizität des Tötens von Menschen durch Menschen tanzt über jede Proklamation hinweg - so wie bei allen Proklamationen die Faktizität den eigentlich relevanten Kommentar abgibt.

Anders gesagt, Menschenrechte sind ein schönes Spiel - der Machtlosen.

noch anders gesagt: wir werden das Problem nicht in den Griff bekommen.

Daraus resultieren verschiedene Strategien, über die nicht ihre Effizienz, sondern persönlicher Geschmack und Stil entscheidet

Daß ich für mich die Haltung des zynischen Kommentators wählte, habe ich ja schon mitgeteilt. Teil dieses Weges ist für mich, daß ich nach Situation entscheide, nicht nach Prinzip.

Andere mögen den Weg der Macht gehen, selbst zu Subjekten derselben werden, anfangs möglicherweise sogar in der Hoffnung, nicht korrumpiert zu werden

Andere mögen resignieren, sich Sex, Drugs and Rocknroll ergeben, in Betäubung ihr Heil suchen

Andere mögen Proklamation auf Proklamation veröffentlichen. Ihnen wünsche ich, daß sie niemals einsichtig in die Aussichten ihrer Mühen werden müssen

Die meisten - und mensch täusche sich nicht: die Leute hier in der Matrix sind Teil der Elite^^ - die meisten kehren dem Problem den Rücken zu

der Weg durch die Instanzen ... na ja, da fragt sich der Skeptiker in mir, ob das nicht ein verschleierter Weg der Macht ist


Was hat Einklagbarkeit mit Infragestellung eines Wertes zu tun? Ein Zyniker bemerkt die Möglichkeiten, die ihm geboten werden und bedient sich ihrer, auch ohne an sie zu glauben^^ der Unterschied zwischen dem Zyniker und dem Mächtigen liegt darin, daß der Zyniker keine Maßnahmen anstrengt, Macht zu erwerben - das heißt aber nicht, daß er so naiv wäre, der Macht ins offene Messer zu laufen, indem er ihre Strukturen ignoriert oder darauf verzichtet, diese für seine Zwecke zu nutzen. Nur die Begründungen ändern sich ein bißchen, aber wie ich an anderer Stelle schon sagte: die Gründe gehen als letztes aus^^

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Di 15. Nov 2005, 16:55 - Beitrag #15

Einwurf einer Mitlesenden

Ipsi,
etwas irritiert mich :
Normalerweise argumentierst du von einer eher wissenschaftlich-abstrakten Basis aus. In deinem letzten Beitrag allerdings zeigt sich, dass die Alltagserfahrung - nämlich dass es offenbar kein Grundrecht auf Leben gibt - zum Kern deiner Argumentation wird.

Oder bilde ich mir das jetzt ein?

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 15. Nov 2005, 17:17 - Beitrag #16

Kern aller meiner Gedanken ist immer die Faktizität menschlichen Erlebens als entgegengesetzt zur Proklamation des normativ gemeinten Sollens, Feuerkopf. Allerdings gibt es Bereiche, in denen es kein solches Erleben gibt, sondern nur die Theorie - wenn über einen solchen gesprochen wird, kann ich also nicht über Faktizität sprechen und muss/kann infolgedessen anders argumentieren

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Di 15. Nov 2005, 18:16 - Beitrag #17

Manchmal vergisst du imo oder erwähnst vielleicht einfach nicht, Ipsi, dass genau diese subjektiven Werte, Ideale, wie der Glaube an die Menschenrechte, uns (wir=unser Kulturkreis) aus der selbstverständlichen Sklaverei der Antike, der Begrenzung des Wirkungskreises der Frau auf die Privaträume ihres Hauses, der Ausgeliefertheit der Bauern an ihre Lehensherren herausgeführt haben.

Wiewohl zum ausgesprochenen Zeitpunkt nicht real, haben gewisse subjektive Werte wie Achtung vor dem Leben und der Würde eines Menschen schon bei der Durchsetzung faktisch besserer Lebensumstände mitgeholfen.
Nicht, dass sie dadurch objektiver wären, aber doch für eine große Masse Menschen vorteilhaft, weswegen es doch gut wäre, wenn diese Werte verabsolutiert würden, wenn jeder sich daran halten würde.

@Pad: Wieso sollte man seine Meinung absolutieren, nur weil man sie für richtig hält? Warum sollte ich denken, es ist an sich gut, zB. jemandem zu helfen, nur weil ich es vielleicht gern tue und es in meiner Umgebung für gut befunden wird?
Welchen ontologischen Status sollte ein "objektiver Wert" denn haben? :D

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Di 15. Nov 2005, 20:36 - Beitrag #18

@Sarah: Na versuchst du gerade Pads These zu Widerlegen, dass philosophierende Frauen nicht mit Ontologie und MEtaphysik beschäftigen? :D

@Janw:
Wir sind uns alle einig, daß das Recht auf Leben ein absolutes Grundrecht ist.

Wie meinst du das? Ich sage ja und nein.
Wir sind uns alle einig, dass in der BRD das Recht auf Leben ein Grundrecht ist.
Wir sind uns nicht einig, dass das Recht auf Leben an sich ein Grundrecht ist.
An sich gibt es keine Rechte. Rechte sind immer nur verpackte Sollen-Sätze, die von einem Subjekt gegeben werden.
Person X hat an sich kein Recht auf Leben, sondern bekommt es von jemand anderen zugesprochen oder gibt es sich selbst. Rechte machen natürlich immer nur in einer Gemeinschaft Sinn und sollen das Verhalten untereinander regeln. Jede Rechtsetzung geht auf subjektive Interessen zurück. Das Recht auf Leben geht auf das Interesse derjenigen, die es festgesetzt haben, zurück, die den Schutz des eigenen Lebens und den der Mitbürger sichern wollten. Das Leben soll dahingehend durch ein Recht auf Leben gesichert werden, als dass die Verletzung gegen das Gesetz mit Strafe verbunden ist und so abschrecken soll. Im Wort "Gesetz" sieht man schon schön, dass dieses ge-setzt ist. Gesetze sind Ausdruck von Rechtsempfinden, was wiederum subjektiv ist. Wo kein Subjekt, da kein Rechtsempfinden, da keine Gesetze.

Um gleich auf einen möglichen Einwand Ipsis einzugehen: Natürlich verhindern Gesetze nicht, dass gegen diese verstoßen wird, doch bin ich mir sicher, dass es mehr Mord, Betrug, Diebstahl usw. gäbe, wenn es keine Gesetze gäbe. Gesetze machen damit in meinen Augen Sinn.

@Ipsi: Deine Ausführungen machen auf mich den Eindruck, als ob du der Meinung bist, dass es keine objektive Moral geben kann, weil es Menschen gibt, denen Moral egal ist. Wenn das so ist, dann ist das kein logischer Schluss, denn aus dem Fakt, dass sich manche Menschen nicht darum scheren, ob es einen Gott gibt, folgt nicht alleine, dass es keinen Gott gibt.
Deine Argumentation kann damit nicht die Richtigkeit eines Werterelativismus begründen, sondern wenn dann nur, dass selbst wenn der Werterealist recht hätte, es deiner Einschätzung nach nichts an den Gegebenheiten ändern würde.

Padreic
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4485
Registriert: 11.02.2001
Di 15. Nov 2005, 23:02 - Beitrag #19

@Ipsissimus
Es war auch nur meine Absicht, den Glauben an die Natürlichkeit des Werterelativismus ein wenig zu untergraben. Dass mir dabei springende Punkte entgangen sind, steht außer Frage ;).

Dann - Werterelativismus leugnet, wie der Name schon sagt, nicht die Existenz von Werten, er leugnet lediglich ihre Rückführbarkeit auf eine absolute Begründbarkeit, betont, anders gesagt, also ihre Kontingenz und damit letztlich ihre Disponibilität.

Wir sollten uns sehr genau darauf verständigen, worüber wir reden. Ich würde nicht so weit gehen, dass ich absolute Begründbarkeit postuliere. Das wird, weiß Gott, schwer genug, wenn man es mit Faktischem und nicht Normativem zu tun hat.
Mir geht es um die Existenz von absoluten Werten. Die ich womöglich nur subjektiv wahrnehmen oder vielleicht vielmehr fühlen kann.

Werterelativisten haben also öfter die Neigung, bei Werten nicht zu sehen, daß sie nützen, sondern zu fragen, wem sie nützen - und wenn der faktische oder proklamierte Nutzen zu einseitig verteilt ist, den Wert als solchen in Frage zu stellen.

Es bleibt die Frage, warum sie gerade die Werte mit einseitiger Nutzenverteilung in Frage stellen. Und ob da nicht doch noch ein versteckter Glaube an die Werthaftigkeit von irgensoetwas wie Gerechtigkeit hintersteckt.

Ich finde es lediglich wünschenswert, zu betonen, daß wir das auf der Basis von kontingenten Prämissen betreiben, die wir daher nicht so fürchterlich wichtig nehmen müssen, schon gar nicht dann, wenn uns die Schlussfolgerungen daraus vorschnell dazu verleiten, zu verurteilen statt zu beurteilen.

Was ist der genaue Unterschied zwischen beurteilen und verurteilen?
Ich sehe es aber auch sehr kritisch, wenn man seine Moral einfach absolut setzt.

Deine Einstellung zum Common Sense teile ich eher nicht^^ da halte ich es mit Einstein "Gesunder Menschenverstand ist die Summe aller Vorurteile, die ein Mensch bis zu seinem 20ten Lebensjahr aufgenommen hat." Mensch kann sie natürlich pflegen, seine Vorurteile, aber mensch muss sie nicht pflegen.

Ich halte auch nicht viel vom Common Sense. Man kann meinetwegen auch ohne Begründung von ihm abweichen. Aber nicht unbedingt in Diskussionen. Oder zumindest passte es mir für meine Argumentation gerade in den Kram, es so zu sehen ;).

Bezüglich der Menschenrechte kann ich dir übrigens im wesentlichen zustimmen.

Daß ich für mich die Haltung des zynischen Kommentators wählte, habe ich ja schon mitgeteilt. Teil dieses Weges ist für mich, daß ich nach Situation entscheide, nicht nach Prinzip.

Nach sich selbst verabsolutierenden Prinzipien zu entscheiden, sehe ich ebenfalls als Gefahr an. Dass es möglicherweise gültige moralische Prinzipien gibt, heißt noch lange nicht, dass wir sie auch erkennen können und noch viel weniger, dass wir sie erkannt haben.

@e-noon
Wiewohl zum ausgesprochenen Zeitpunkt nicht real, haben gewisse subjektive Werte wie Achtung vor dem Leben und der Würde eines Menschen schon bei der Durchsetzung faktisch besserer Lebensumstände mitgeholfen.

Oho, faktisch besser ;). Zumindest ich verbinde mit dem Wort 'faktisch' eine Wertung. Dass es nicht nur am Wort hängt, zeigt IMHO das vorangehende Zitat:

Manchmal vergisst du imo oder erwähnst vielleicht einfach nicht, Ipsi, dass genau diese subjektiven Werte, Ideale, wie der Glaube an die Menschenrechte, uns (wir=unser Kulturkreis) aus der selbstverständlichen Sklaverei der Antike, der Begrenzung des Wirkungskreises der Frau auf die Privaträume ihres Hauses, der Ausgeliefertheit der Bauern an ihre Lehensherren herausgeführt haben.

Du scheinst damit irgendwie anzudeuten, dass es wertvolle Fortschritte waren, die da stattfinden und nicht unbedingt nur deinem persönlichen und willkürlichen Geschmack nach.

Wenn du da anderer Meinung bist, die Frage an dich: unterscheiden sich deine Handlungen und Ansichten (jenseits von expliziten Äußerungen zum Thema) real von denen, die du tätigen würdest bzw. hättest, wenn du die Existenz einer objektiven Ethik annehmen würdest?

Wieso sollte man seine Meinung absolutieren, nur weil man sie für richtig hält? Warum sollte ich denken, es ist an sich gut, zB. jemandem zu helfen, nur weil ich es vielleicht gern tue und es in meiner Umgebung für gut befunden wird?

Das sind an sich keine zwingenden Gründe, da hast du völlig recht. Aber siehe dazu die Ausführungen weiter oben. Ich würde sagen, wirklich jegliche echte Werte zu leugnen und daraus die praktischen Konsequenzen zu ziehen, das ist fast unmöglich.

@Maurice
Siehst du Folgendes als wahr an?
- Man kann nie eine Begründung für einen Wert angeben.
- insbesondere gibt es keinen Grund, es als besser anzusehen, dass ein Mensch (natürlich auch man selbst) glücklich ist als dass er leidet

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Di 15. Nov 2005, 23:34 - Beitrag #20

Was bedeutet für dich "echte" Werte? Sind subjektive Werte denn nicht echt? :confused:

@Punkt 1: Klar kann man Begründungen von Werten geben, nur gründen diese im jeweiligen Individuum und nicht in meta-subjektiven Prinzipien.
Beispiel: Person X sagt, dass Sport gut ist ("gut" ist eine positive Bewertung). Fragt man ihn nun, warum er Sport für gut hält so kann er sagen, dass dieser die Gesundheit fördert. Warum ist Gesundheit nun gut? Ich würde sagen, weil es das Glück fördert.
Man kann also zusammenfassen, dass man das als gut bewerten kann, was glücksfördernd ist und als schlecht, was dem Glück schadet.
Bei Sport kann man sagen, dass er für alle Menschen gut ist, da er von allen Menschen das Glück vergrößert (zumindest strukturell, selbst wenn er manch einem keinen Spaß macht und vorausgesetzt, dass man sich nicht verletzt).
Sport ist aber nur solange für alle Menschen gut, wie er das Glück vergrößert. Würde man theoretisch eine Sorte Mensch züchten, für die jede sportliche Betätigung schädlich wäre, so wäre Sport für sie nicht gut.

@Punkt 2: Nichts ist an sich gut oder schlecht und somit besser oder schlechter. Dinge sind aber für bewertende Subjekte gut oder schlecht. So macht es für einen Menschen einen Unterschied, ob er eine geliebte Person verliert oder nicht. Das aber nicht weil der Tod der Person an sich gut oder schlecht ist, sondern weil der Tod der Person Leid erzeugt.

Du scheinst damit irgendwie anzudeuten, dass es wertvolle Fortschritte waren, die da stattfinden und nicht unbedingt nur deinem persönlichen und willkürlichen Geschmack nach.

Diese Veränderungen waren auch nur für bestimmte Menschen wertvolle Fortschritte, für manche hatten sie nämlich auch Nachteile, nämlich für die, die von den alten Umständen profitiert haben.
Wenn wir heute sagen, dass die Demokratie ein wertvoller Fortschritt ist, dann nur, weil wir selbst davon profitieren. Wenn die Demokratie für uns ein große Vergrößerung von Leid bedeutet hätte, dann würden wir sie nicht als Fortschritt bezeichnen. Natürlich kommt es streng genommen nicht immer darauf an, ob etwas faktisch für uns von Nutzen war/ist, sondern unser Urteil hängt davon ab, ob wir annehmen, dass es für uns nützlich war/ist oder nicht.


Puh habe jetzt doch mehr geschrieben als ich eigentlich wollte, muss nämlich ins Bett. Ich hoffe, dass ich nichts wichtiges in der Eile vergessen habe. Wenn doch, bitte ich um Verzeihung. ^^

Nächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste

cron