
Essay
Dieses Essay soll sich mit der stärksten Form des Skeptizismus befassen, dem Zweifel an allem. Dazu möchte ich mich zunächst an Descartes’ Meditationen orientieren, um dann Argumente für einen weiterführenden Skeptizismus aufzuführen. Im Anschluss sollen Möglichkeiten für die Überwindung eines solchen Zweifels erörtert werden.
Mit Descartes sind viele Menschen bereit, keine Wahrheit mehr als sicher zu akzeptieren außer der, dass sie selbst existieren, solange sie denken. Besonders für die Menschen, die sich im Traum schon einmal für wach hielten oder sich diesen Zustand zumindest vorstellen können, liegt es nahe, dass wir kein sicheres Wahrheitskriterium für die Existenz einer Außenwelt haben. Ebenso könnte die Vergangenheit ein Konstrukt unseres Geistes sein, wie es auch unsere Vorstellungen von der Zukunft sind, sodass letztlich nur unser gegenwärtiges Ich übrig bleibt.
Deutlich weniger Menschen waren und sind bereit, Descartes’ Überwindung des Zweifels mit Hilfe der Vorstellung eines gütigen Gottes zu akzeptieren. Und wenn man diese Erklärung nicht gelten lässt, stellt sich die Frage, wie man sonst den Zweifel überwinden kann, oder ob es nicht vielmehr notwendig ist, ihn noch weiter zu treiben, als die Behauptung „cogito, ergo sum“ dies vermag. Zur Beantwortung dieser Fragen möchte ich zunächst die Bedeutung dieses Satzes untersuchen.
Die Behauptung „ich denke, also bin ich“ enthält zunächst einmal die These, dass etwas existiert. Diese stützt sich auf die evidente und kaum zu leugnende Erfahrung des Denkens: Es wird gedacht, also müsse etwas existieren, das denkt.
Des Weiteren besagt sie, dass dieses etwas ein „Ich“ ist, und dass aus dem denkenden „Ich“ das existierende „Ich“ folge. Nehmen wir an, Ich“ sei hinreichend definiert durch ein „denkendes Wesen, […] ein Wesen, das zweifelt, einsieht, bejaht, verneint“ . „Ich bin“ heißt dann schlicht, dass mindestens ein Wesen denkt. Solange dieses Wesen denkt, also solange ich denke, kann ich sicher sein, dass ich existiere, so Descartes. Dies ist offenbar ein logisch korrekter Schluss; doch ist die Aussage darum notwendig wahr? Meiner Meinung nach nicht.
Descartes selbst gibt in der ersten Meditation zu, dass er sich vielleicht sogar in so grundlegenden Meinungen täuschen könnte wie in der, dass ein Quadrat vier Seiten habe. Um ein Quadrat zu sein, muss ein geometrisches Gebilde per definitionem vier Seiten besitzen. Die Aussage, dass ein Quadrat möglicherweise keine vier Seiten habe, heißt demnach nichts anderes, als dass ein geometrisches Objekt genau vier Seiten hat und zugleich nicht vier Seiten hat. Dieser Zustand ist für den menschlichen Geist vermutlich nicht vorstellbar, denn es handelt sich um einen kontradiktorischen Gegensatz. Dennoch müsste es, wie auch in der dritten Meditation gesagt wird, für ein allmächtiges Wesen ein Leichtes sein, einen solchen Gegensatz zu erzeugen. Da wir die Existenz eines allmächtigen Wesens nicht widerlegen können, müssen wir wohl annehmen, dass uns menschliche Logik selbst in ihren Grundlagen kein sicheres Wahrheitskriterium liefern kann, wenn selbst tautologische Schlüsse uns nicht mehr sicher erscheinen.
Ist nun aber die Logik kein sicheres Mittel der Wahrheitsfindung mehr, so sind zugleich alle für sicher gehaltenen Meinungen hinfällig: Sie alle könnten wahr und zugleich falsch sein oder auch einfach nur falsch, auf jeden Fall sind sie nicht mehr so verlässlich, dass wir von einer Gewissheit oder von „Wissen“ sprechen könnten.
Was bleibt? Zumindest ein „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, könnte man vermuten. Doch abgesehen davon, dass es sich hierbei ebenfalls um einen Widerspruch handelt, kann ich mir auch darin nicht absolut sicher sein, solange ich mir in nichts absolut sicher bin. Nicht einmal die Gewissheit der absoluten Ungewissheit bleibt somit, sondern auch sie ist dem Zweifel ausgesetzt. Man könnte höchstens sagen „Ich glaube, dass ich nichts weiß“, doch auch darin liegt keine Sicherheit, denn man kann wiederum Zweifel anmelden, ob es denn wahr sei, dass man dies glaube.
Um überhaupt noch klare Aussagen zu ermöglichen, bleiben daher keine theoretischen Lösungen für das Problem des universellen Zweifels, sondern lediglich praktische Gründe, diesen bei Bedarf beiseite zu schieben. Eine praktische Umsetzung des Zweifels dahingehend, dass man nichts annimmt, solange man es nicht bewiesen hat, würde zur Handlungsunfähigkeit führen, denn man wäre stets im Unklaren über Motive, Durchführbarkeit und Folgen der eigenen Handlung. Vielleicht habe ich im nächsten Moment gar keine Hand mehr, um zu schreiben, oder mein Stift verwandelt sich in eine Palme; ausschließen kann ich es nicht. Dennoch besteht ein Konsens, dass unsere induktiven Schlüsse ihre Berechtigung haben und die bisher erfahrene Kohärenz unseres Lebens sich in Zukunft fortsetzen wird.
Wenn nichts als sicher angenommen wird, so kann man auch keine sichere Aussage darüber machen, ob unser Leben annähernd so verläuft, wie es scheint. Es verbleiben, zumindest aus unserer eingeschränkten Weltsicht, zwei Optionen: Entweder wir nehmen an, dass menschliche Logik ihre Gültigkeit hat und unsere Sinnesdaten die Wirklichkeit widerspiegeln, oder wir tun es nicht.
Angesichts zweier Thesen, deren Richtigkeit man mangels weiterer Informationen die gleiche Wahrscheinlichkeit zuschreiben kann, scheint es sinnvoll, der nützlicheren These den Vorzug zu geben, dh. derjenigen, die Voraussagen ermöglicht und mit der sich möglichst viele Phänomene erklären lassen. Auch sollten die Konsequenzen der Annahme beachtet werden.
Die erste These („die Welt ist zumeist, wie sie scheint“) hat den Vorteil, dass wir unglaublich viele Voraussagen machen können, die zum Teil wichtig für unser Überleben sind (z.B. „Wenn man sich zu weit aus dem Fenster lehnt, kann man hinaus fallen“). Die zweite These kann in dieser Hinsicht überhaupt keinen Vorteil aufweisen.
Es empfiehlt sich daher, in der zweiten These („die Welt ist völlig anders, als sie scheint“) eine möglicherweise richtige, aber ansonsten nicht relevante These zu sehen. Selbst wenn sie richtig wäre, könnte es die bessere Alternative sein, weiterhin nach der ersten These zu handeln, zumal die zweite These einer zielgerichteten Handlung geradezu entgegen wirkt.
Als Folge daraus ergibt sich die Empfehlung, den universellen Skeptizismus zwar nicht zu verwerfen, ihn jedoch im praktischen Bereich des Lebens nicht als Behinderung der Handlungsfreiheit wirksam werden zu lassen.