Todesstrafe vs. Haftstrafe & Sicherungsverwahrung

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Yanāpaw
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Sa 11. Nov 2006, 18:47 - Beitrag #1

Todesstrafe vs. Haftstrafe & Sicherungsverwahrung

In Anbetracht der Komplexität dieser Thematik, unterscheide ich verschiedene Themenkomplexe.



I) Grundsätzliche Werte-Diskussion



-> Hat jeder Mensch den gleichen Wert? Ab wann hat er diesen Wert? Hat er ihn ab der Zeugung, ab der Geburt, ab dem 3ten Monat der Schwangerschaft?

-> Kann ein Mensch, den Wert, den sein Leben hat verlieren? Kann der Wert sich durch eigene Handlungen ändern?

-> Hat jeder Mensch den gleichen Wert, weil er der biologischen Klassifizierung nach Bestandteil meiner Art ist? Hatten Hitler, Mao, Stalin, Lenin und Cortez' den gleichen immanenten Wert, wie ich?

-> Hat der Mensch, der die 14 järige Stefanie entfuehrt, 6 wochen gefangen hielt und 100 mal vergewaltigt hat den gleichen Wert wie ich? Oder Dutroux.
Meiner Ansicht nach nein.


Meiner Ansicht nach, kann ein Mensch seinen Wert, den ihm bei Geburt immanenten Wert, durch seine Handlungen verlieren. Aber legitimiert dieser Werteverlust dann die Verurteilung zum Tode?




II) Verfahrensprocedere und allgemeine Probleme


-> Sollte man die Verurteilung zum Tode überhaupt in Erwägung ziehen, müsste das Verfahren ein idealisiertes Verfahren sein, ein Verfahren in dem der Urteilsspruch nicht falsch sein kann, in dem Richter und Anwaelte der Wahrheit verpflichete sind. Diesem idealisierten Verfahren koennte man sich annaehern, auch wenn man es nie ganz erreicht, aber eine extreme Annaehrung ware imo auch aktzeptabel.

-> Ist die Todesstrafe überhaupt sinnvoll als Bestrafung, oder ist sie nur ein Racheakt, der sich im Gewand einer Strafe kleidet? Unbestreitbar ist der präventive Nutzen, dieser Strafe, Wiederholungstäter werden keine weiteren Opfer fordern. Aber ist Bestrafung nicht mehr als nur Schutz der Gesellschaft?
Außerdem wuerden umfangreiche Reformen an der deutschen Justiz und im Strafvollzug diesem Ziel auch ein großes Stück dienen. Ist ein Todesurteil mehr als nur Rache? Hat sie einen Sinn? Ist sie nur kostenguenstigere Alternative zur lebenslangen Haft? Oder ist sie mehr? Warum einen Menschen 40 Jahre auf Staatskosten einsperren, wenn er doch nie wieder resozialisiert werden wird, als Strafe, sollte die Allgemeinheit dafuer soviel finanzielle Belastungen tragen?



III) Einwände


-> Man könne einen Menschen nicht zum Tode verurteilen, wenn man ihn des Mordes für schuldig befinde, da man somit gleiches mit gleichem vergelte. Dieser Einwand kritisiert nicht nur die todesstrafe an sich mit Berufung auf die "Auge um Auge Zahn um Zahn Analogie" sondern er kritisiert per se das gesamte bestrafungssystem, da menschen die wegen Freiheitsberaubung verurteilt werden, auch zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Menschen die stehlen werden zu einer geldbuße verurteilt. et cetera. Der Einwand ist also in der Diskussion um die Todesstrafe an sich insofern unberechtigt, da er sich nicht spezielle gegen diese sondern gegen jede Form der Bestrafung richtet.


-> Wenn man einen Menschen zum Tode verurteile, mache man sich (die Justiz) und den Henker des gleich Verbrechens schuldig. Dieser Einwand ist nicht dem dem ersten identisch, da er nicht das Bestrafungssystem an sich sondern die moralische Bindung der Justiz aufgrift. Es wird argumentiert, das es dem Staat nicht zustehe, Leben zu nehmen, wenn er das dem Volk verwehre. Der Grundsatz "Gleichheit vor dem Gesetz" und die Prinzipen der Rechtsstaatlichkeit werden hier als als Belege für den Einwand angeführt. Nun ist es aber so, dass der Henker nicht als Mensch sondern als Instrument der Justiz zu sehen ist, es stellt sich also nur die Frage, ob der Staat das Recht und die Legitimation habe, Menschen zu exekutieren, wenn ein gewisser Kriterienkatalog erfüllt sei, oder nicht.


IV) Differenzierte Betrachtung des Definitionssystems


-> Meine Ausführungen basieren auf dem Definitionssystem, der westlichen humanistischen Ethik, selbstverständlich gibt es auch andere Definitonssysteme, aber deren Nutzen in dieser Diskussion ist äußerst begrenzt.
Unterstellt man beispielsweise regelutilitaristische Axiome, dann wäre das im Definitionssystem "deutsche Justiz" nicht zu realisieren, insofern kann dieses Definitionssystem, also nur bei I von Nutzen sein und wird dann unabdingbar einen logischen Bruch kreieren.
Oder alternative Wertesysteme, in denen der Wert zwar bei Geburt festeht, aber vom Status abhängig variant ist.

Bei der Diskussion der Werte vom Grundsatz her sollte also das Definitionssystem, der Humanwerteethik zwar als Basis, aber auch als modifizierbar gelten.

e-noon
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Sa 11. Nov 2006, 22:46 - Beitrag #2

Meine Meinung dazu:

I) Ein Wert ist keinem Menschen von Geburt an immanent, sondern Werte können Subjekten oder Objekten nur von urteilenden Subjekten zugesprochen werden. Wird ein Mensch also von niemandem für wertvoll befunden, so ist er wert-los im neutralen Sinne.

Jeder Mensch hat aber in der Bundesrepublik vom Beginn des 3. Schwangerschaftsmonats gewisse Rechte, und sollte diese Rechte meines Empfindens auch haben. Dazu gehören das Recht auf Leben, das Recht auf Unversehrtheit, das Recht auf Freiheit.

In Bezug auf das Verhältnis der Taten eines Menschen zu seinen Rechten stimmt meine Meinung ungefähr mit der des BGB und des StGB überein:
Verletzt ein Mensch die Rechte anderer, so muss er erstens bestraft und zweitens von einer Wiederholung seiner Tat abgehalten werden. Abgesehen von der "gerechten Strafe" muss die Unversehrtheit anderer, z.B. junger Mädchen, gegen sein Recht auf Freiheit abgewogen werden, und nach meinem Empfinden ist der Schutz von Opfern (auch zukünftigen) weit wichtiger.

Dem Strafmaß der deutschen Justiz stehe ich gespalten gegenüber; einerseits finde ich es zu hart, den Familien der Täter, insbesondere bei nicht gewalttätigen Straftaten, auf Jahre hinweg den Vater/Ehemann oder die Freundin/Mutter zu entziehen. Andererseits finde ich es schrecklich, wenn Gewalttäter nur eine kurze Haftstrafe bekommen, und danach häufig rückfällig werden.

Ich würde mir eine längere Dauer der Haftstrafe wünschen, und dafür mehr Besuchsmöglichkeiten für die Angehörigen, deren Leben unverschuldet stark beeinträchtigt wird, sowie effizientere Nutzung der Arbeitskraft der Sträflinge.

Für die Todesstrafe bin ich nur in besonders schweren Fällen wie Völkermord oder Terrorismus, da dort die Gefahr besteht, dass die Häftlinge freigepresst werden.

Ansonsten plädiere ich dagegen, nicht, weil die Täter es nicht verdient hätten (s. aktuellen Fall), sondern, weil keine Justiz Justizirrtum vollständig ausschließen kann und weil das Leben der Angehörigen wiederum unverschuldet vom Staat zerstört würde.

Für mich haben Vergewaltiger und Mörder einen 1000... fach negativen Wert aufgrund ihrer Handlungen, Menschen können demnach durchaus wertloser (im negativen Sinne) sein als jedes x-beliebige Tier.

II) Hätte ich besser mal gelesen, bevor ich die Antwort in I) verpackt habe, also siehe oben. Zustimmen kann ich dem finanziellen Aspekt, nicht nur aus Gründen der Staatsraison, sondern auch im Hinblick auf das Opfer, das mit seiner Steuer seinem Täter (etwas vereinfacht) die Zigaretten bezahlt.

III) Ich denke, ein Staat sollte das tun, was für die Bevölkerung am besten ist, und im Fall von Straftaten ist es das beste, wenn man die Bevölkerung vor weiteren Straftaten schützt.

IV) In III) kommt schon zum Ausdruck, dass ein Staat das Glück seiner Bevölkerung schützen und mehren sollte, was für mich der westlichen humanistischen Ethik entspricht. Nach dem Regelutilitarismus müsste es, wenn ich das richtig verstehe, die Todesstrafe kein ethisches Problem darstellen; dem kann ich überhaupt nicht zustimmen. Als Orientierung dient mir das Prinzip des humanen Utilitarismus von Bernward Gesang.

janw
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So 12. Nov 2006, 21:31 - Beitrag #3

Zum Wert des menschlichen Lebens:
Eine letztliche Begründung für einen als universell empfundenen Wert des menschlichen Lebens wird man schwerlich finden können, vielleicht lässt er sich als Aussagekern der menschlichen (und für die Gläubigen als von Gott(heiten) implementiert angesehenen Religionssysteme ) erkennen oder konstruieren.
Es hat sich aber global eingebürgert, auch wenn einige Machthaber dies nicht wahrhaben wollen/oder sie agieren gerade deshalb so?), dem Menschen ein mit seinem Menschsein untrennbar verbundenes Grundrecht auf Leben und einiges mehr zuzusprechen.

Unter dem Gesichtspunkt, daß der Mensch des Menschen bedeutendster Konfliktpartner ist, stellt diese Wertzuweisung eine gewisse Handlungsbremse dar, Eingriffe in die Sphäre des Anderen, zumal von staatlicher/obrigkeitlicher Seite, haben vor dessen Leben und körperlicher Integrität halt zu machen, und zwar unabhängig davon, mit welcher Motivation diese Eingriffe betrieben werden.
Die Defizite in der täglichen Umsetzung dieses Imperativs sind offenkundig, stellen in meinen Augen jedoch nicht seine Sinnhaftigkeit in Frage.

In diesem Sinne hat für mich jeder Mensch ein unveräußerliches Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Eine zeitliche Grenze des Menschseins abgesehen von Zeugung und Tod ist kaum sinnvoll zu ziehen, da jede willkürlich wäre und jedes Leben unbestreitbar mit der Zeugung seinen Anfang nimmt. In diesem Sinne gilt dieser Wert für mich ab der Zeugung, die Fristenregelung bei der Abtreibung und in der Stammzellendiskussion dient der Abwägung der Belange des Kindes mit berechtigten Belangen der Mutter und ist IMHO damit gerechtfertigt.

Anwendung auf die Justiz:
Da das Recht auf Leben unveräußerlich und untrennbar mit dem Menschsein verbunden ist, kann ein Mensch seiner nicht durch Tun, Unterlassen oder Dulden verlustig gehen - es sei denn, man spräche ihm das Menschsein ab.
So weit ist iirc gar bei Pol Pot niemand gegangen, nicht bei Stalin oder Hitler. Man müßte dazu auch erst definieren, was das genuin Menschliche am Menschen ist, das diesen dann abgesprochen werden müsste.
Es würde auch jeder Form von Willkür Tür und Tor öffnen, das Menschsein aufgrund von Taten infrage zustellen.

Schon allein deshalb ist die Todesstrafe für mich keine adäquate Form, menschliches schuldhaftes Tun rechtlich zu behandeln.

Weitere Gründe gegen die Todesstrafe:
Jedes Justizsystem wird von Menschen betrieben und ist den menschenimmanenten Fehlbarkeiten ausgesetzt.
Die Todesstrafe läuft dieser Einsicht prinzipiell zuwider, indem sie nicht wie andere Strafen in gewisser Weise kompensierbar ist. Sicher kann die Erfahrung einer zu unrecht verbüßten langjährigen Haftstrafe und der Verlust am Lebenszeit nicht wirklich geheilt werden, Ausgleichszahlungen stellen jedoch ein Mittel dar, den Schaden zu mildern. Diese Möglichkeit besteht bei der Todesstrafe nicht, da sie dem Wesen nach prinzipiell final ist.

Die menschliche Fehlbarkeit ist in diesem Zusammenhang jedoch noch von größerer Tragweite.
So ist bekannt, daß die Todesstrafe in usa überdurchschnittlich viele Farbige und Arme trifft, völlig unabhängig von tatsächlicher Delinquenz und der Verteilung schwerer Straftaten in der Gesellschaft.
Das Problem einer sozial selektiven Stafverfolgung besteht grundsätzlich wohl überall, auch in der BRD, und sie wird wohl auch immer ein Problem darstellen. In Paarung mit einer finalen Strafform läuft dieses jedoch auf die Kultivierung eines Unrechtssystems hinaus - das letztlich keiner wollen kann, der sich der Gefahr bewusst ist, sehr leicht auch hierzulande sozial abzurutschen...

Auch systematisch ist die Todesstrafe nicht ohne Probleme, denn sie sprengt in gewisser weise das Prinzip des "je Tat, desto Strafe". Es ist sehr gut möglich, für mehrfachen Mord usw. mehrfach lebenslänglich zu verhängen - was dann auch zu einer über die Regelhaftzeit von 15 oder 18 Jahren hinaus reichenden Haftzeit führt. Im Falle der Todesstrafe ist dies jedoch naturgemäß ausgeschlossen.

[Ich verzichte jetzt mal darauf, die Sinnhaftigkeit und Zielorientiertheit von Strafe im Lichte Luhmanns zu diskutieren, das würde den Rahmen sprengen]

Von daher ist die Todesstrafe in meinen Augen auch von der Sache her so problematisch, daß sie aus gutem Grunde in Deutschland abgeschafft bzw. in einigen Bundesländern ausgesetzt ist.

Zum Umgang mit ultimativen Rechtsbrechern
Die Kriminalitätsgeschichte ist reich an Beispielen, wo Menschen besonders grausam mit anderen umgegangen sind.
Der Verdacht liegt nahe, daß etliche dieser Täter in ihrem Verhaltensmodus "unnormal" waren, mit einer verringerten Empathie, erhöhter Aggressionsneigung, etc.
Das kann sowohl durch kindheitliche, also soziale, Prägung veranlasst sein wie auch Ausdruck funktioneller Hirndefekte in persönlichkeitsbestimmenden Arealen.
Man kann hier zum Ergebnis kommen, daß diese Menschen nicht ohne Therapie, die ihnen zu einer Verhaltensmodulation verhilft, in die Gesellschaft entlassen werden dürfen, im Falle irreversibler Hirnschäden wird selbst dies nicht sicher nützen.
Letztlich ist die diesbezügliche Einschätzung immer Sache von Psychologen, Menschen also, die naturgemäß irren können.
Frage sich auch jeder, ob er für sich selbst in jeder Lage bestimmtes Verhalten ausschließen kann.

Im übrigen...der mutmaßliche Entführer von Stefanie ist angeklagt derzeit, nach wie vor hat hier die Unschuldsvermutung zu gelten - bis das Gericht geurteilt hat.

e-noon
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So 12. Nov 2006, 22:11 - Beitrag #4

Den dritten Absatz finde ich etwas bedenklich, Jan; du wägst ein unveräußerliches Recht auf Leben gegen "berechtigte Belange" ab? Unveräußerlich scheint mir eher zu heißen, dass es nicht gegen diese Belange abgewogen werden darf, höchstens gegen das unveräußerliche Recht auf das Leben der Mutter, das aber in den seltensten Abtreibungsfällen bedroht ist.

Natürlich kannst du der befruchteten Eizelle dieses Recht zuschreiben, aber ist es dann sinnvoll zu erlauben, dass es gegen die Wünsche der Mutter abgewogen wird?


Hinsichtlich der Fehlbarkeit der Justiz scheinen wir uns sehr einig zu sein ^^ Zeugt ja nicht unbedingt von großem Vertrauen in die (deutsche) Rechtsprechung.

was dann auch zu einer über die Regelhaftzeit von 15 oder 18 Jahren hinaus reichenden Haftzeit führt
War es in den USA, wo mehrfache Mörder zum Beispiel 300 Jahre Haft auferlegt bekommen...? Genau umrechnen kann man das "je mehr Tat, desto mehr Strafe" wohl sowieso nicht ;)

@Unschuldsvermutung: Das Mädchen wurde in seiner Wohnung gefunden, ich schätze, sein genetischer Fingerabdruck war an ihr, sie hat ihn als Täter identifiziert und er hat gestanden. Was könnte ein Richter dem noch hinzufügen?

janw
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So 12. Nov 2006, 23:07 - Beitrag #5

Zitat von e-noon:Den dritten Absatz finde ich etwas bedenklich, Jan]
Gegen das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und möglichst etwas selbstbestimmte Lebensperspektive.
Die Gründe, weshalb abgetrieben werden darf, sind in Deutschland ziemlich eng gefasst, nämlich, wenn der Mutter Gefahr droht oder wenn die Schwangerschaft folge einer Vergewaltigung ist. Eine zu erwartende schwere Behinderung des Kindes ist...weiß ich gerade nicht.
Hier stehen sich also gleiche Belange zweier Menschen gegenüber, und da halte ich die Abwägung für zulässig.

War es in den USA, wo mehrfache Mörder zum Beispiel 300 Jahre Haft auferlegt bekommen...? Genau umrechnen kann man das "je mehr Tat, desto mehr Strafe" wohl sowieso nicht ;)

Das ist dort die gängige Lösung in den Staaten, in denen die Todesstrafe abgeschafft ist, und ich finde das systematisch in Ordnung, wenn es auch real skurril erscheint ;).

Hrhr, ich habe ein hohes Maß an Gewissheit bezüglich der Fehlbarkeit des Menschen in allen Bereichen, würde ich sagen.
Und muss mir seit meiner Kenntnis der Luhmannschen Thesen in einem Arbeitsbereich beständig auf die Zunge beißen^^

Zur Unschuldsvermutung:
Diese ist ein Kernstück des rechtsstaatlichen Rechtswesens, sowas wie das Amen in der Kirche, und das aus gutem Grunde.
All das, was derzeit berichtet wird, kommt ausschließlich aus dem Kreis der Strafverfolgung, also von Polizei und Staatsanwaltschaft, außerdem vom Vater des Kindes.
Wir haben keine letztliche Gewissheit, ob dieses alles so stimmt, oder ob da nicht Dinge erfunden worden sind, uns den Täter entlastende Tatsachen vorenthalten werden, gar, ob nicht der Täter vielleicht unter irgendeinem Zwang etwas gestanden hat, was er gar nicht begangen hat.

Ich mein, ich glaub dem Mädchen die Geschichte ja schon^^, aber die Stilisierung des Mannes zur Bestie kann ich nicht akzeptieren.

e-noon
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So 12. Nov 2006, 23:23 - Beitrag #6

Die Abtreibungspille darf jeder Erwachsene "nach Belieben" nach möglicherweise ungeschütztem Geschlechtsverkehr einnehmen. Also stehen hier eventuelle Unannehmlichkeiten der Eltern, vielleicht auch einfach nur die Karriereplanung oder ein One-night-stand, dem unveräußerlichen Recht auf Leben der (in vielen Fällen) befruchteten Eizelle gegenüber.

Ich würde das unveräußerliche Recht zeitlich schon ein bisschen mehr nach hinten verschieben.

Meiner Meinung nach passt die Bezeichnung "Bestie" auf einen Menschen, der einem Kind so etwas antut, ganz gut. Ob der Angeklagte tatsächlich der Mensch ist, der diese Straftat begangen hat, muss die Justiz entscheiden, da stimme ich dir, wenn auch ein wenig widerwillig, zu.

janw
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Mo 13. Nov 2006, 00:41 - Beitrag #7

Sehe ich das richtig, oder wirkt die "Pille danach" nur, so lange der Embryo noch nicht in der Gebärmutterschleimhaut eingenistet ist?

Dann wäre die Einnistung der Beginn der rechtlichen Wertzuweisung, was auch insofern Sinn machen würde, als die Einnistung für den Embryo eine etwas schwierige und unwägbare Phase ist. Alea könnte wissen, wieviel % befruchtete Eizellen das schaffen.

Was den Mann betrifft...mich interessieren die Hintergründe, ich möchte eher verstehen, und da sind Urteile wie "Bestie" etwas störend.
Was nichts daran ändert, daß IMHO Opfer solcher Menschen alles Mitleid und Hilfe der Welt verdienen. Mindestens.

Yanāpaw
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Mo 13. Nov 2006, 01:08 - Beitrag #8

janw,

@Wertediskussion

das unveräußerliche Recht auf Leben und körperliche Unversehrheit ist also das höchste Gut. Nun vom Prinzip her stimme ich dir zu, aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass dieses Recht, wie jedes Recht an Pflichten gebunden ist. Und wer diese Pflichten vernachlässigt, ignoriert und mit Füßen tritt, nun der verliert auch seine Rechte. Ein Mann, der ein Mädchen 100 mal vergewaltigt, Väter, die ihre Töchter über Jahre missbrauchen, ein Jeffrey Dahmer. Stellt sich mir die Frage, was mit den Rechten von deren Opfern war, wie ist es um die bestellt, wir schicken einen Strauß Blumen und eine "Wir bedauern" Karte? Das kann und will ich so nicht aktzeptieren. Zumal du kein Argument für diese These genannt hast, du meinst es solle so sein, lieferst aber keine Gründe warum dem so sein sollte. Und das diese Meinung sich global durchgesetzt hat ist zum einen falsch, wenn man die Verteilung der Weltbevölkerung auf Nationen mit Todesstrafe betrachtet, und zum anderen keine Begründung.

Da du meine Frage nicht beantworet hast, werde ich das an deiner statt tut, deiner Meinung nach, hatte Hitler genau den gleichen Wert, den ich habe. Nun wenn das deine Vorstellung von Ethik und Moral ist, dann teile ich sie nicht.


@Anwendbarkeit


Die Argumentation, derer du dich bedienst wird in der Politik häufig benutzt, man extrapoliert die Möglichkeit eines Irrtums und stellt dann die Folgen dar, wenn dieser Irrtum Usus würde. Selbstverständlich könnten unschuldige Menschen zum Tode verurteilt werden, wenn man die Todesstrafe ohne spezifische Kriterien einführt, aber davon war nicht die Rede, ich sprach explizit von besonderen Auflagen um das Riskiko eines Irrtums zu minimieren. Stellt sich natürlich die Frage, ob 40 Jahre des Lebens - durch irrtümliche Verurteilung zu lebenslanger Haft - im Wissen das man unschuldig ist, in einer Haftanstalt zu verbringen, um dann mit einem lächerlichen Geldbetrag entschädigt zu werden, besser ist, als irrtümlicherweise exekutiert zu werden. Diese Frage ist nicht zu beantworten, spricht also weder für noch gegen die Todesstrafe.



@Weitere Gründe gegen die Todesstrafe

Der Grundsatz "je Tat desto Strafe" mag auf dem Papier ganz nett erscheinen, ein Justizsystem, dass Vergewaltiger nach 4 Jahren Haft wegen guter Führung entlässt, weil sie die Großzügigkeit besaßen ihr Opfer nur zu entstellen nicht zu töten, hat diesen Grundsatz schon lange vergessen. Es gibt Verbrechen, die mit Haft nicht zu sühnen sind. Das Leben dieser Menschen ist zerstört, sieh dir Vergewaltigungsopfer an, wieviele von denen werden trotz Therapie nie wieder ruhig schlafen können, nie wieder lieben können?

Was erzählst du einem 13 Jährigen Mädchen, dass hundert mal vergewaltigt und verstümmelt wurde, dass nie wieder lachen wird, nie wieder weinen wird, emotional tot ist, seelisch und körperlich verkrüppelt ist, was erzählt du ihr, warum der Mensch, der ihr das angetan hat, nach 6 Jahren wieder auf der Straße rumläuft? Was erzählst du dem zweiten Mädchen, dass er sich dannn holt? Wie rechtfertigst du dich vor deren Eltern, dass dieser MAnn frei kam? Glaubst du die interessiert das unveräußerliche Recht auf Leben dieses Mannes?


Nein, ich habe ein absolut anderes Empfinden von Gerechtigkeit und stimme dir überhaupt nicht zu.

janw
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Mo 13. Nov 2006, 03:06 - Beitrag #9

Yanapaw, wenn Du Grundrechte an Pflichten koppelst, machst Du die Rechte aber jeder beliebigen interessegeleiteten Erosion zugänglich.
Das ist für mich eines der gewichtigsten Argumente gegen eine Aufrechnung von Menschenrechten gegen Schuld.
Eine andere, positive, Begründung ist schwer zu erbringen, da sie letztlich daran krankt, daß die Menschenrechtszuweisung selbst eine selbstreferentielle Angelegenheit ist - der Mensch weist sich selbst dieses Recht zu - und eben auch etwaige Ausnahmetatbestände.
Daß dies natürlich zur Folge hat, daß Opfer lebenslänglich mit ihrem Leid leben müssen, während die Täter irgendwann wieder frei sind, ist leider so, gefällt mir aber natürlich auch nicht.
Man muss aber sagen, daß die Strafen durchaus nicht immer kurz ausfallen und dann sehr viel von der Begutachtung des Gefangenen abhängt. Und die Psychologen sind durchaus nicht alles liebe nette Onkel und Kaffeetanten, das medial vermittelte Bild täuscht da etwas.
Wenn Du auf die Verbreitung der Todesstrafe hinweist, hast Du sicher primär recht, aber es stellt sich die Frage, ob die Menschen sie gut finden.
Frauen in Afghanistan, die noch nichts von einer Frauenrechtsbewegung gehört haben, empfinden ihre Lage als untragbar und wehren sich mit ihren Mitteln - durch Selbstverbrennung, nur um darauf aufmerksam zu machen.
Will sagen...die Vorenthaltung von Grundrechten wird von den Menschen sehr wohl wahrgenommen.
Ein Argument in diesem Kontext ist es insofern, als ich damit zum Ausdruck bringen wollte, daß IMHO die Grundrechte nicht irgendeine spinnerte Erfindung einer kleinen Sektierergruppe sind, sondern IMHO auf alle Menschen anzuwenden sind. Daß dies de facto derzeit nicht geschieht, ist bedauerlich, aber kann sich ändern.
Um aber nochmal explizit auf Deine Fragen einzugehen...

-> Hat jeder Mensch den gleichen Wert? Ab wann hat er diesen Wert? Hat er ihn ab der Zeugung, ab der Geburt, ab dem 3ten Monat der Schwangerschaft?

Prinzipiell ab der Zeugung, siehe InVitro-Fertilisation, sachlich sinnvoll im richtigen Leben ab der Einnistung im Uterus. Die ist nämlich die erste Hürde im Leben des Embryos.

-> Kann ein Mensch, den Wert, den sein Leben hat verlieren? Kann der Wert sich durch eigene Handlungen ändern?

Nein, der Wert eines Menschenlebens, der zu seiner Grundrechtszuweisung führt, ist prinzipiell als unveräußerlich gedacht. Jede Einengung würde eine Grenzziehung erfordern, die den Wert des Menschenlebens prinzipiell interessegeleiteten Zugriffen zugänglich machen würde.
Wo soll die Grenze gezogen werden? Bei einem Mord, bei zwei? Bei einem gestohlenen Sack Reis, bei drei Vergewaltigungen? Jede Grenze wäre eine rein subjektiv gezogene, wahrscheinlich spntan motiviert durch ein als singulär stilisiertes Verbrechen, das für einen wahlkämpfenden Politiker gerade recht kommt.

-> Hat jeder Mensch den gleichen Wert, weil er der biologischen Klassifizierung nach Bestandteil meiner Art ist? Hatten Hitler, Mao, Stalin, Lenin und Cortez' den gleichen immanenten Wert, wie ich?

Sie waren alles Menschen. Sie haben Gräueltaten begangen, warum auch immer, vielleicht als Ausdruck psychischer Störungen - aber das entbindet sie nicht von ihrem Mensch-sein. Abgesehen davon ist die Beurteilung bei einem Menschen aus einer anderen Zeit, wie Cortez es war, IMHO schwierig. Das war schon eine andere Kultur als heute...

-> Hat der Mensch, der die 14 järige Stefanie entfuehrt, 6 wochen gefangen hielt und 100 mal vergewaltigt hat den gleichen Wert wie ich? Oder Dutroux.
Meiner Ansicht nach nein.

Gesellschaftlich sicher nicht - Dir würde ich aus mancher Patsche helfen, denen nicht. Als Menschen aber durchaus. Was nichts daran ändert, daß sie so lange in Haft oder einer Anstalt bleiben müssen, wie sie irgendeine Gefahr für andere darstellen.
Daß du Dich jetzt mit ihnen auf eine Stufe gestellt sehen magst, ist mir dabei klar, aber das liegt an der Fragestellung.

Zitat von Yanapaw:Die Argumentation, derer du dich bedienst wird in der Politik häufig benutzt, man extrapoliert die Möglichkeit eines Irrtums und stellt dann die Folgen dar, wenn dieser Irrtum Usus würde. Selbstverständlich könnten unschuldige Menschen zum Tode verurteilt werden, wenn man die Todesstrafe ohne spezifische Kriterien einführt, aber davon war nicht die Rede, ich sprach explizit von besonderen Auflagen um das Riskiko eines Irrtums zu minimieren.

Nun, wie schon erwähnt, ist die rassische Diskriminanz durch die Todesstrafe in usa vielfach bestätigte Tatsache, ohne daß sich das in irgendwelchen Anstrengungen zur Änderung des Zustand niederschlüge. Dein Hoffen auf ein ideales Justizsystem ist mindestens so lange vergeblich, wie das Justizsystem Teil des Machtapparates ist, durch diesen gestaltet wird und diesem zu dienen gedacht ist. Vielleicht also...für immer^^

Meines Wissens waren noch alle in Deutschland nachträglich Rehabilitierten Strafgefangenen froh, am Leben zu sein.

Der Grundsatz "je Tat desto Strafe" mag auf dem Papier ganz nett erscheinen, ein Justizsystem, dass Vergewaltiger nach 4 Jahren Haft wegen guter Führung entlässt, weil sie die Großzügigkeit besaßen ihr Opfer nur zu entstellen nicht zu töten, hat diesen Grundsatz schon lange vergessen.

Daß Psychologen falsch beurteilen, passiert sicher - aber in beide Richtungen.
Das Problem ist, daß immer nur die Fälle in die Öffentlichkeit gelangen, in denen ein Täter rückfällig wird - von den nicht wenigen Fällen eines straffreien Lebens oder einer dauerhaften Unterbringung - vielfach mündet eine paarjährige Haftstrafe nämlich in eine solche, wird nie berichtet. Dadurch entsteht ein etwas verzerrtes Bild von der Lage.

Ja, was erzähl ich ihr...?
Daß sie sich nicht zu sehr davon beeinflussen lassen soll, daß der Kerl wieder draußen ist (abgesehen davon, daß das wie gesagt nicht schon nach 6 Jahren der Fall sein muss), sondern ihren eigenen Weg gehen soll, sich vor allem nicht davon beeinflussen lassen soll, daß ihr suggeriert wird, sie müsse jetzt ein lebenslanges Trauma haben.
Was nicht bedeutet, daß ich die Möglichkeit eines Traumas ausschließe, es ist sehr gut möglich und sehr sicher sehr belastend. Natürlich würde ich versuchen, ihr zu helfen, in der Situation.

Yanāpaw
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Mo 13. Nov 2006, 11:33 - Beitrag #10

janw,


vorab muss ich anmerken, dass mein letzter post bei nochmaligem Lesen sehr emotional wirkt und dass kaum die geeignete Diskussionsbasis ist, wofür ich mich an dieser Stelle entschuldigen möchte.


Yanapaw, wenn Du Grundrechte an Pflichten koppelst, machst Du die Rechte aber jeder beliebigen interessegeleiteten Erosion zugänglich.
Das ist für mich eines der gewichtigsten Argumente gegen eine Aufrechnung von Menschenrechten gegen Schuld.
Eine andere, positive, Begründung ist schwer zu erbringen, da sie letztlich daran krankt, daß die Menschenrechtszuweisung selbst eine selbstreferentielle Angelegenheit ist - der Mensch weist sich selbst dieses Recht zu - und eben auch etwaige Ausnahmetatbestände.


Mir geht es nicht um die Entstehung des Gedankens eines unveräußerlichen Grundrechts, die selbstverständlich, da sie vom Menschen erdacht ist, selbst-referentiell ist. Dennoch muss der Sinn dieses Gedankens disskutiert werden können, es muss Gründe für und gegen diesen Gedanken geben, sowie jede Theorie der Philosophie, Ethik oder Moral abgewogen und disskutiert werden kann.

Mein Denkansatz Das Grundrecht auf Leben an eine Pflicht zu koppeln ist nicht darauf gemünzt, dass diese Pflicht frei definierbar sei, sondern im Gegenteil fest definiert ist. Ein mögliches Konstrukt wäre - in Anlehung an Kants Metaphysik der Sitten - eine allgemeine Pflicht, die jeder Bürger hat, die sofern er sich an sie hält sein Grundrecht auf Leben sichert. Diese Pflicht ist weder Parteizugehörigkeit, noch Hautfaarbe oder irgendein biologisches Kriterium sondern vielmehr seine Haltung zum Grundrecht auf Leben Dritter, achtet er dieses bedingungungslos, ist auch seines bedingungslos zu achten, tut er das nicht, ist auch die Wahrung seines Rechts nicht bindend.


Man muss aber sagen, daß die Strafen durchaus nicht immer kurz ausfallen und dann sehr viel von der Begutachtung des Gefangenen abhängt. Und die Psychologen sind durchaus nicht alles liebe nette Onkel und Kaffeetanten, das medial vermittelte Bild täuscht da etwas.




§ 177
Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer eine andere Person

1.mit Gewalt, 2.durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder 3.unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist,

nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder an sich von ihm vornehmen läßt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder 2.die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, 2.sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder 3.das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder 2.das Opfer a)bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder b)durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 3 und 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.




Das ist die gesetzliche Rahem-Regelung des Strafmaß', der Eindruck den die Gutachter während des Prozesses oder in ihrem Gutachten vom Täter erlangen darf diesen Rahmen-Grundsatz nicht verletzten, des weiteren ist die Höchststrafe in besonders schweren Fällen 15 Jahre Haft, lebenslange Haft ist bei Vergewaltigung ausgeschlossen. Die besondere Schwere der Schuld festzustellen - die eine Sicherheitsverwahrung im Anschluss an die Haftstrafe bewirkt - ist aber alles andere als einfach und wird in weniger als 1% der Verfahren in denen das Urteil auf MAßgabe des Absatz 4 festegstellt wird angeordnet. Die Gutachten der Psychologen beeinflussen das Strafmaß in der überwiegenden Zahl der Verfahren aber nach UNTEN, also ist deren Einschätzung für mich nicht maßgeblich, zumal ich von Menschen, deren Objektivität einen Preis hat nicht, nichts halte. Und es gibt zahlreiche Präzedenzfälle, die diesen Schluss nahe legen.




Wenn Du auf die Verbreitung der Todesstrafe hinweist, hast Du sicher primär recht, aber es stellt sich die Frage, ob die Menschen sie gut finden.
Frauen in Afghanistan, die noch nichts von einer Frauenrechtsbewegung gehört haben, empfinden ihre Lage als untragbar und wehren sich mit ihren Mitteln - durch Selbstverbrennung, nur um darauf aufmerksam zu machen.
Will sagen...die Vorenthaltung von Grundrechten wird von den Menschen sehr wohl wahrgenommen.
Ein Argument in diesem Kontext ist es insofern, als ich damit zum Ausdruck bringen wollte, daß IMHO die Grundrechte nicht irgendeine spinnerte Erfindung einer kleinen Sektierergruppe sind, sondern IMHO auf alle Menschen anzuwenden sind. Daß dies de facto derzeit nicht geschieht, ist bedauerlich, aber kann sich ändern.



Um das noch einmal explizit zu erwähnen, ich befürworte nicht die Praxis der Todesstrafe in den USA, oder in sonst irgendeinem Land, in dem sie durchgeführt wird, da ich mir eben dieser Missstände, welche du ansprichst bewusst bin. Ich spreche von einer losgelösten, individuellen Neugestaltung der gesetzlichen Grundlage dieses Strafmaß', die Probleme, die in anderen Nationen mit der Todesstrafe einhergehen müssen aber nicht notgedrungen bei einer Neueinführung in Deutschlanfd auch auftreten sind also insofern zwar bei einer Forumlierung der gesetzlichen Verankerung zu bedenken, diskreditieren aber nicht die Todesstrafe an sich, sondern vielmehr das Procedere in besagten Nationen. In diesem Fall halte ich es mit "abusus non prohibet usum"

Dass im Bereich der Menschrechtsachtung, Gleichberechtigung und Rechtsgleichheit viel im argen liegt ist mir bekannt und das bedaure ich auch aufrichtig, aktzeptiere es aber nicht als Argument gegen die Todesstrafe sondern lediglich als Argument gegen ein Procedere analog zu dem us-amerikanischen oder chinesischen. Von korantreuen und an die Hadif angelehnten Rechtsmodellen fange ich erst gar nicht an, da die ohnehin absolut inaktzeptabel sind.



Nein, der Wert eines Menschenlebens, der zu seiner Grundrechtszuweisung führt, ist prinzipiell als unveräußerlich gedacht. Jede Einengung würde eine Grenzziehung erfordern, die den Wert des Menschenlebens prinzipiell interessegeleiteten Zugriffen zugänglich machen würde.
Wo soll die Grenze gezogen werden? Bei einem Mord, bei zwei? Bei einem gestohlenen Sack Reis, bei drei Vergewaltigungen? Jede Grenze wäre eine rein subjektiv gezogene, wahrscheinlich spntan motiviert durch ein als singulär stilisiertes Verbrechen, das für einen wahlkämpfenden Politiker gerade recht kommt.


Genau in diesem Punkt stimme ich dir absolut nicht zu, wie ich eingangs schon beschrieb. Ich bin kein Bild-Magazin Leser, der seine Meinung von Farbfotos abhängig macht und blind irgendwelchen Schlagzeilen Glauben schenkt, ich habe mich ausführlich mit einem Thema beschäftigt, bevor ich mir eine Meinung bilde. Es geht in einem Bestrafungskatalog immer ub subjektiv gezogene Grenzen, auch bei dem gegenwärtig in der BRD maßgeblichen. Oder sind die Haftstrafen-Rahmenregelungen bei jeder Tat nicht subjektiv, wie kannst du das aktzeptieren, die identische Subjektivität aber als Argument gegen das Strafmaß der Todesstrafe anführen? Es geht nicht um Todesstrafen als Resultat wahlkämpferischer Propaganda, da ich von der Todesstrafe in einem Rechtsstaat spreche, in dem die Justiz nicht an Wahlkämpfe oder politische Maachtverteilung gebunden ist, in der Rechtsgleichheit herrscht.


Daß dies natürlich zur Folge hat, daß Opfer lebenslänglich mit ihrem Leid leben müssen, während die Täter irgendwann wieder frei sind, ist leider so, gefällt mir aber natürlich auch nicht.


genau der grund, warum ich Vergewaltigung als Straftat ausgewählt habe, beschäftigt man sich mit dem Thema ausführlich, so erkennt man, dass die Therapie auf diesem gebiet zwar enorme Fortschritte gemacht hat, aber sicher keine Konvaleszenz bieten kann. Vergewaltigungsopfer leiden beispielsweise, in Abhängigkeit von individuellen Schmrztoleranzen, an:
-> psychosomatischen Schmerzen
->Schlafstörungen
-> Essstörungen
->emotionaler Leere
-> massiver Introvertiertheit bis hin zu Verlust des Realitätsbezuges
->Kommunikationsstörungen
->Verantwortungslosem Umgang mit der Sexualität bis hin zu Prostitution als Selbstbestrafung und Kompensation
-> Schuldkomplexen bis hin zu Selbstidentifikationskrisen oder Störungen
-> Tatsächlichen Geisteskrankheiten, wie Formen von Schizophrenie oder dissoziativer Identitätsstörung

Diese kleine Auswahl von kleinen Andenken, an ein traumatisches Erlebnis soll dir aufzeigen, dass vom Grundsatz je"Tat desto Strafe" keine Rede sein kann, wenn man das Strafmaß von Vergewaltigung und beispielsweise Steuerhinterziehung vergleicht. Wenn du also Vertrauen in unser Rechtssystem hast, dann sind wir ganz offensichtlich untersciedlciher Auffassung...

janw
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Di 14. Nov 2006, 03:48 - Beitrag #11

Zitat von Yanapaw:Mein Denkansatz Das Grundrecht auf Leben an eine Pflicht zu koppeln ist nicht darauf gemünzt, dass diese Pflicht frei definierbar sei, sondern im Gegenteil fest definiert ist. Ein mögliches Konstrukt wäre - in Anlehung an Kants Metaphysik der Sitten - eine allgemeine Pflicht, die jeder Bürger hat, die sofern er sich an sie hält sein Grundrecht auf Leben sichert.

Natürlich könnte man postulieren, daß die Tötung eines Menschen die Verwirkung des eigenen Lebensrechts zur Folge hat - aber das wäre ebenso eine selbstreferentielle Setzung, wie die Menschenrechtssetzung selbst eine ist, und sie wäre beliebig austauschbar gegen eine, wo dies erst bei zwei Tötungen, drei fahrlässigen Tötungen oder 10 schweren Körperverletzungen eintritt - so beliebig, wie es im Ermessen von Menschen mit hinreichender Macht ist, solche Setzungen zu erlassen.
Damit wäre aber das menschliche Leben eben zum Spielball hinreichend mächtiger Menschen degradiert, die eben jederzeit für bestimmte Gruppen, z.B. mit Hinweis auf deren angebliche gesellschaftliche geringe Nützlichkeit, ein "passendes" Level des Lebensrechtsverlustes einführen könnten.
Wie stark diese Tendenzen auf niedrigerem Level auch in unserem Rechtsstaat sind, zeigt die aktuelle Diskussion, die LKW-Mautdaten doch zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen, oder die Verfassung so zu ändern, daß eine originär staatliche Aufgabe, die Flugsicherung, doch noch privatisiert werden kann - ganz legal an unserem Bundespräsidenten vorbei.
Für mich gibt es keinen Grund, der es erlaubt, menschliches Leben der Willkür und Beliebigkeit irgendeines, wie auch immer legitimierten, menschlichen Machtapparates auszuliefern.
Davon abgesehen, durch unsere Lebensweise sind wir alle jeden Tag ursächlich daran beteiligt, daß anders wo Menschen sterben oder ihrer Heimat und Lebensperspektive beraubt werden.
Was, wenn die hinreichend mächtig werden und die Kantsche Metaphysik der Sitten entsprechend interpretieren?]In diesem Fall halte ich es mit "abusus non prohibet usum" [/QUOTE]
Nun, ich bin der festen Überzeugung, daß die Entwicklung eines Rechtssystems, das Mißbrauchstendenzen ausschließt, mit den heutigen Menschen illusorisch ist - gib Menschen Macht, und sie werden sie ergreifen. Gib ihnen Macht über Leben und Tod - und sie werden sie ergreifen, wenn Menschen ihren Interessen im Wege stehen. Und wenn im Rußland des "Lupenreinen Demokraten" Putin eine kritische Journalistin ermordet wird und der Präsident nicht mehr zu sagen hat, als daß sie für eine "unbedeutende Zeitung" gearbeitet habe und überhaupt überschätzt worden sei, und die Kanzlerin eines nun wirklich von Unrechtsstaaterei gezeichneten demokratischen Rechtsstaats dazu nur dezentes Mißfallen ausdrückt, dann weiß ich, was ich an dieser unserer Bundesrepublik und dieser, aus der Diktatur stammenden, Bundeskanzlerin habe.

Abgesehen davon ist dies nur ein Grund von mehreren, die Gefahr von irreversiblen Fehlurteilen wiegt mindestens so schwer.

Diese kleine Auswahl von kleinen Andenken, an ein traumatisches Erlebnis soll dir aufzeigen, dass vom Grundsatz je"Tat desto Strafe" keine Rede sein kann, wenn man das Strafmaß von Vergewaltigung und beispielsweise Steuerhinterziehung vergleicht. Wenn du also Vertrauen in unser Rechtssystem hast, dann sind wir ganz offensichtlich untersciedlciher Auffassung...

Wie schon gesagt, die Strafzumessung im Gesetz, wie Du es zitiert hast, ist unzureichend in meinen Augen, da müssten ein paar Jahre mehr rauskommen, und die psychologische Begutachtung ist sicherlich qualitativ zu verbessern.
Ich habe an sich kein besonderes Vertrauen in kein Rechtssystem der Welt, sie sind alle strukturell gruppendiskriminierend, begünstigen "bessere Kreise" der Gesellschaft, sind auch, wie Luhmann zeigt, nicht auf Kriminalitätsprävention und gleichmäßig gerechte Bestrafung ausgerichtet, behandeln nicht wirkungsvoll die Ursachen von Kriminalität, und bergen prinzipiell immer den Keim des Machtmißbrauchs in sich.
Dies durchaus als Ausdruck menschlicher Fehlbarkeit.

e-noon
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Di 14. Nov 2006, 13:24 - Beitrag #12

Janw, wenn jemand diese Macht hat und missbrauchen will, was interessiert es ihn dann, ob es die Todesstrafe schon gibt? Er wird sie einfach einführen! Man müsste eben die Bedingungen, unter denen ein Mensch zum Tode verurteilt werden kann, ebenso fest im Gesetz verankern, wie man jetzt verankert hat, dass niemand zum Tode verurteilt wird.

Meines Erachtens steht bei einer Tat das Opfer über dem Täter, und man sollte tun, was für das Opfer am besten ist - den Täter je wieder freizulassen, gehört nicht dazu, und ihn komfortabel dem Staat auf der Tasche liegen lassen, auch nicht.

Das Strafmaß für Vergewaltigung macht mich einfach nur wütend.

janw
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Di 14. Nov 2006, 13:53 - Beitrag #13

e-noon, das Problem ist, daß bei der Debatte um die Zuweisung bestimmter Verbrechen zu einer Strafe bereits Beispiele dieser Verbrechen durch die Köpfe geistern, meist Extrembeispiele, daß dabei die Bandbreite weniger berücksichtigt wird und durch entsprechende interessegeleitete Einflussnahme Pflöcke eingerammt werden, die bei den meisten Gesetzen eine bedauerliche Folge der Nichtobjektivierbarkeit eines Gesetzgebungsprozesses sind, hier aber direkt und unmittelbar Menschenleben betreffen.

Das aktuelle Strafmaß ist zu niedrig, darin stimme ich Dir zu.

Aber mal ein ganz anderer Ansatz, den ich nur mal zur Diskussion stellen möchte:
Wie wäre es eigentlich, wenn man die Opfer an der Strafzumessung beteiligen würde?
Ein gangbarer Weg, oder käme man dann bei "Aug um Auge..." heraus?

Yanāpaw
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Di 14. Nov 2006, 15:31 - Beitrag #14

janw,



Natürlich könnte man postulieren, daß die Tötung eines Menschen die Verwirkung des eigenen Lebensrechts zur Folge hat - aber das wäre ebenso eine selbstreferentielle Setzung, wie die Menschenrechtssetzung selbst eine ist, und sie wäre beliebig austauschbar gegen eine, wo dies erst bei zwei Tötungen, drei fahrlässigen Tötungen oder 10 schweren Körperverletzungen eintritt - so beliebig, wie es im Ermessen von Menschen mit hinreichender Macht ist, solche Setzungen zu erlassen.


Ich stimme dir zu, dass ein ethisches Konstrukt, welches den Wert eines Menschen definiert, immer selbst-referentiell ist, das ist aber kein Argument gegen ein spezielles Werte-System, sondern nur ein Subjektivitätshinweis, der alle ethischen Systeme betrifft. Zudem bedienst ignorierst du fortwährend, meine expliziten Hinweise, dass die Beliebigkeit in der Kriterienauswahl bei der Feststellung des Strafmaß, eben nicht zwangsläufig eintreten würde, sondern ausgeschlossen werden kann, indem man eine entsprechende Änderung des Grundgesetz durchführt. Somit wären die Kriterien zur Verutreilung zum Tode genauso den Interessen von Mächtigen ausgesetzt, wie die Grundrechte an sich. Haben die sich kürzlich verändert? Du argumentiertst an der Frage vorbei, indem du nur auf die möglichen Konsequenzen eines Bestrafungssystems analog zu bereits existenten hinweist, denn das ist nicht die Frage, die bezieht sich auf ein vollkommen neues.



Für mich gibt es keinen Grund, der es erlaubt, menschliches Leben der Willkür und Beliebigkeit irgendeines, wie auch immer legitimierten, menschlichen Machtapparates auszuliefern.


Bei entsprechender gesetzlicher Verankerung der Todesstrafe wäre die Wahrscheinlichkeit dafür mit der Wahrscheinlichkeit jeder anderen Änderung der Artikel 1-20 GG identisch. Du argumentierst also nicht gegen die Todesstrafe sondern gegen ein modifizierbares GG. In einem Viel-Parteien-System mit einem Hybridwahlsystem, ist eine Machtkonzentration, die erforderlich wäre um eine Abschaffung der ersten 20 Artikel des GG zu ratifizieren aber absolut unwahrscheinlich und sollte dieser Zustand doch irgendwannn eintreten ist die Kriterienauswahl bei der Todesstrafe unser kleinstes Problem...



Nun, ich bin der festen Überzeugung, daß die Entwicklung eines Rechtssystems, das Mißbrauchstendenzen ausschließt, mit den heutigen Menschen illusorisch ist - gib Menschen Macht, und sie werden sie ergreifen. Gib ihnen Macht über Leben und Tod - und sie werden sie ergreifen, wenn Menschen ihren Interessen im Wege stehen. Und wenn im Rußland des "Lupenreinen Demokraten" Putin eine kritische Journalistin ermordet wird und der Präsident nicht mehr zu sagen hat, als daß sie für eine "unbedeutende Zeitung" gearbeitet habe und überhaupt überschätzt worden sei, und die Kanzlerin eines nun wirklich von Unrechtsstaaterei gezeichneten demokratischen Rechtsstaats dazu nur dezentes Mißfallen ausdrückt, dann weiß ich, was ich an dieser unserer Bundesrepublik und dieser, aus der Diktatur stammenden, Bundeskanzlerin habe.


Sicher werden sie Macht ergreifen, aber zum einen íst das genau die hauptsächliche Begründung für die horizontale und vertikale Gewaltenteilung und zum anderen ist die Justiz an die Gesetze gebunden, es ist also unerheblich wie viel Macht wer hat, das gesetz diktiert die Rahmenbedingungen. Und um das vorwegzunehmen, ich rede von der Implementierung der Todesstrafe in unser System nicht in das russische, chinesische oder us-amerikanische...
Und dass dort eine Scheindemokratie herrscht ist zwar bedauerlich, aber kein Argument gegen die Todesstrafe in Deutschland.



Abgesehen davon ist dies nur ein Grund von mehreren, die Gefahr von irreversiblen Fehlurteilen wiegt mindestens so schwer.


Auch darauf bin ich schon eingegangen, es müsste sichergestellt sein, dass die Todesstrafe nur bei absolut "sicherer" Beweislage eingesetzt wird. Und nein, dass muss nicht notgedrungen eine erneute verwischbare grenze sein, man könnte das präzise definieren.




Wie schon gesagt, die Strafzumessung im Gesetz, wie Du es zitiert hast, ist unzureichend in meinen Augen, da müssten ein paar Jahre mehr rauskommen, und die psychologische Begutachtung ist sicherlich qualitativ zu verbessern.
Ich habe an sich kein besonderes Vertrauen in kein Rechtssystem der Welt, sie sind alle strukturell gruppendiskriminierend, begünstigen "bessere Kreise" der Gesellschaft, sind auch, wie Luhmann zeigt, nicht auf Kriminalitätsprävention und gleichmäßig gerechte Bestrafung ausgerichtet, behandeln nicht wirkungsvoll die Ursachen von Kriminalität, und bergen prinzipiell immer den Keim des Machtmißbrauchs in sich.
Dies durchaus als Ausdruck menschlicher Fehlbarkeit.


Mit Ausnahme deiner Aussage zu Luhmann stimme ich dir da absolut zu. Zu Luhmann an sich kann ich nichts sagen, da ich mich mit seiner Systemtheorie so gut wie nicht beschäftigt habe.

janw
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Sa 18. Nov 2006, 02:13 - Beitrag #15

Zitat von Yanapaw:Zudem bedienst ignorierst du fortwährend, meine expliziten Hinweise, dass die Beliebigkeit in der Kriterienauswahl bei der Feststellung des Strafmaß, eben nicht zwangsläufig eintreten würde, sondern ausgeschlossen werden kann, indem man eine entsprechende Änderung des Grundgesetz durchführt. Somit wären die Kriterien zur Verutreilung zum Tode genauso den Interessen von Mächtigen ausgesetzt, wie die Grundrechte an sich. Haben die sich kürzlich verändert? Du argumentiertst an der Frage vorbei, indem du nur auf die möglichen Konsequenzen eines Bestrafungssystems analog zu bereits existenten hinweist, denn das ist nicht die Frage, die bezieht sich auf ein vollkommen neues.

Vielleicht bin ich unklar geblieben...auf ein Neues^^
Die Feststellung der Unantastbarkeit der Menschenwürde, jedes Menschen, und die anderen Menschenrechtsnormen steht im Grundgesetz und dort unter einem expliziten Unveränderbarkeitsvorbehalt (ob auch der Satz "Die Todesstrafe ist abgeschafft" unter diesem steht, weiß ich gerade nicht).
Du hast natürlich recht damit, daß diese Normen damit auch von Mächtigen aufgestellt worden sind - es handelt sich dabei allerdings auf den Einzelnen bezogen um Freiheits- und Rechtszuweisungen eben gegenüber diesen Mächtigen, die diese gleich auch der einfachen Veränderbarkeit durch nachfolgende Mächtige entziehen - soweit diese im Verfassungsrahmen agieren.
Die Einfügung von Kriterien, unter denen eine Handlung als mit dem Tode zu bestrafen zu ahnden wäre, wäre dem insofern entgegen gesetzt, als es sich dabei um eine Freiheitsbeschneidung des Einzelnen handeln würde - sicher nicht aus purem Spaß an der Freud, aber in jedem Falle in der Gefahr, daß diese Kriterien unter dem Eindruck der jeweils aktuell gefühlten Ereignislage einschließlich des medial geschürten öffentlichen Erwartungsdrucks festgelegt würden - es wäre ein Willkürakt par excellence.
Dann würde sich dieser Willkürakt in Gestalt der Entscheidung "Delikt 110%ig nachgewiesen, 120%ig diesen Kriterien zuzuordnen = Entscheidung zwischen Leben und Tod" bei jedem im Grenzbereich zu diesen Kriterien sich bewegenden Falle wiederholen.
Ich wage zu behaupten, daß es aktuell so viele 90%-Wahrscheinlichkeits- wie 120%-Wahrscheinlichkeits-Tatzuweisungen, vulgo Urteile genannt, in der BRD gibt - und damit einen erheblichen Spielraum für Fehlverurteilungen, bezogen auf ein zu focussierendes Delikt. Damit auch Spielraum für Willkür, pardon Rücksichtnahme auf die besondere Lage sozial hochstellter Angeklagter und ihre zu berücksichtigende Lebensleistung für die Gesellschaft. War es Mord oder nur gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge? Hat der betrunkene Polizeiobermeister am Steuer das Kind nach dem Unfall im Graben richtig hingesetzt und ist nach Hause abgedüst, oder den Unfall nicht bemerkt? Im konkreten Falle 3 km von mir entfernt wurde dann übrigens auf letzteres erkannt, auch wegen den noch zu erwartenden disziplinarrechtlichen Folgen :o - obwohl Zeugen den Fahrer gesehen haben, wie er ausgestiegen war und obwohl der Schaden an seinem Fahrzeug so groß war, daß er das eigentlich nicht nicht bemerkt haben konnte. Die Verletzung eines Kindes durch einen stark angetrunkenen Polizeibeamten und Tötung durch unterlassene Hilfeleistung wurde somit mit einer Bewährungsstrafe gesühnt.

Gesetze und Urteile - d.h. die Feststellung zurück liegender Handlungen und Zuweisung zu Gesetzen und den sich aus ihnen ergebenden Rechtsfolgen - werden von Menschen gemacht und unterliegen damit prinzipiell menschlicher Fehlbarkeit. Das ist IMHO mit der einschneidenden und irreversiblen Wirkung der Todesstrafe nicht zu vereinbaren.

Ipsissimus
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Sa 18. Nov 2006, 03:11 - Beitrag #16

was du, Yanapaw, diffus zu implizieren scheinst, aber nicht explizit formulierst, ist der Umstand, daß kein Mensch irgendein Recht hat, das ihm nicht gewährt wird. Oder sagen wir es deutlicher: er ist entweder selbst mächtig genug, das, was er als sein Recht - oder wenigstens sein Privileg^^ - erachtet, durchzusetzen, oder er ist darauf angewiesen, daß dies ihm von hierfür hinreichend mächtigen Personen gewährt wird.

Anders gesagt - so wie niemand ein Recht von Belang darauf hat, vor seiner Ermordung verschont zu werden, so hat niemand ein Recht darauf, vor seiner Bestrafung für einen von ihm begangenen Mord verschont zu werden, auch nicht vor der Todesstrafe.

Folgt daraus nun, daß die Todesstrafe okay ist? Ich sage in vollem Bewußtsein "okay" und nicht "rechtens", denn "rechtens" ist eine Frage formaler Rechtsprechung, und um die geht es gerade nicht. Macht kann noch immer alles formalkorrekt formulieren, was zu tun sie beschlossen hat.

Was daraus wirklich folgt, ist folgendes:

Ein Mensch erweist sich unabweisbar als etwas, wenn er für die Todesstrafe ist, und ebenso unabweisbar als etwas anderes, wenn er dagegen ist. Wir können uns nicht verstecken hinter formalkorrekter Rechtsprechung. WIR - JEDER EINZELNE VON UNS - sind diejenigen, die den Tod als Strafe für einen anderen Menschen wollen oder nicht wollen. Das ist essentiell.

Ich habe nichts gegen Vendetta einzuwenden, insofern, als in diesem Fall ein Mensch die Konsequenzen seines Wollens übernimmt. Die Mutter, die den Vergewaltiger im Gericht erschießt, genießt meine Hochachtung, denn sie ist bereit, zu wollen und dafür 20 Jahre ins Gefängnis zu gehen. Wer für Todesstrafe ist, ist nicht bereit, sein Wollen durchzusetzen und dafür die Konsequenzen auf sich zu nehmen. Er hat damit aus meiner Sicht der Dinge auch seine moralische Legitimation verspielt, von der Gesellschaft einzufordern, seine Rache an seiner Stelle zu vollziehen.

"Der Gesellschaft" wiederum spreche ich jedes Recht ab, über derartige Dinge zu urteilen. Das ist natürlich naiv, weil es keine Rechts-, sondern eine Machtfrage ist. Die Macht,mit der ein Einzelner einen anderen Einzelnen tötet, und die Macht der Gesellschaft, dies entsprechend zu rächen, entsprechen einander in ihrer Abscheulichkeit.

Ich empfehle ernstlich, einmal "Ein kurzer Film über das Töten" von Krzysztof Kieślowski anzuschauen. Darin wird beiden Seiten ihre Abscheulichkeit vorgehalten. Vorsicht - absolut nichts für schwache Nerven.

Yanāpaw
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Sa 18. Nov 2006, 14:17 - Beitrag #17

janw,


Die Feststellung der Unantastbarkeit der Menschenwürde, jedes Menschen, und die anderen Menschenrechtsnormen steht im Grundgesetz und dort unter einem expliziten Unveränderbarkeitsvorbehalt (ob auch der Satz "Die Todesstrafe ist abgeschafft" unter diesem steht, weiß ich gerade nicht).


Meines Wissens ist das Artikel hundertirgendwas, ist aber auch egal. Wenn der Menschenwürde Absolutheitsanspruch durch das Grundgesetz zugebilligt würde, wäre jede Bestrafung durch Freiheitsentzug ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Streng genommen wird dieser Konflikt nur durch Relativierungen der ersten Artikel in diesen selbst oder anderen Artikeln gewährleistet, was also bedeutet, die Menschenwürde ist keineswegs absolut zu sehen, auch in unserem Land nicht.
Ich stimme dir zu, dass die Implementierung der Todesstrafe in unser System inaktzeptabel wäre und dass die Verfahrensgrundsätze und die Möglichkeit menschlichen Versagens die Todesstrafe an sich ad absurdum führt. Aber ist die Todesstrafe nur nicht praxisgerecht, oder ist sie auch ethisch und moralisch, völlig losgelöst von ihrer Praxis falsch? Und wenn ja warum? Möglicherweise erkenne ich nicht, dass wir uns im Kreis drehen, weil ich dich nicht verstanden habe, wenn du das so siehst und der Diskussion an dieser Stelle nichts mehr abgewinnen kannst, würde ich mich über einen entsprechenden Hinweis freuen.



Ipsissimus,

sehr beeindruckend, wie du das extrapoliert hast und ich stimme dir weitestgehend zu, allerdings frage ich mich, warum es nicht legitim sein soll, eine ethische Grundhaltung auf den Staat zu transponieren, nichts anderes geschieht jetzt auch. Jeder Bürger ist zu feige, den Menschen der ihn bestiehlt in seinem Keller einzusperren, daher übernimmt das der Staat. (ich weiß dass das eine verfälschende Simplifizierung ist, die verfälschten Faktoren sind hier aber nicht Thema) Warum ist es legitim, dem Staat die Bestrafung zu übertragen, wenn sie keine lethalen Folgen hat, aber in diesem konkreten Fall nicht? Ein Staat hat keine Moral und keine Ethik, Gesetze repräsentieren in einer Demokratie die Ethik und Moral der Mehrheit, wenn sich diese ändert, werden sich auch die Gesetze ändern. Ich diskutiere nicht die Todesstrafe, weil ich zu feige bin, im Fall der Fälle Selbstjustiz zu üben, ich diskutiere sie, weil ich hinsichtlich ihrer echtfertigung unschlüssig bin.

Wenn du die Ermordung eines Vergewaltigers durch das Opfer oder dessen Angehörige als ethisch konsistent empfindest, musst du auch die Todesstrafe vom Prinzip her als ethisch konsistent finden, oder du bist grundsätzlich gegen jegliche Form der Bestrafungsdelegation.


Ein Mensch erweist nicht als etwas, weil er einen Standpunkt hat, Standpunkte hängen von Informationen und Reflektion ab, heute denke ich so und morgen, wenn ich über mehr Wissen verfüge, revidiere ich möglicherweise meine Ansicht. Einen Menschen anhand seiner gegenwätigen Meinung zu klassifizieren ist oberflächlich. Die einzige Gemeinsamkeit, die alle Befürworter der Todesstrafe haben, ist eben jene gemeinsame Meinung, die ist aber nicht zwingend Resultat einer identischen ethischen Perspektive.




WIR - JEDER EINZELNE VON UNS - sind diejenigen, die den Tod als Strafe für einen anderen Menschen wollen oder nicht wollen. Das ist essentiell.


Das ist genau das was ich meine, was spricht dafür den Tod als Strafe zu wollen und was dagegen?

janw
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Sa 18. Nov 2006, 20:39 - Beitrag #18

Zitat von Yanapaw:Wenn der Menschenwürde Absolutheitsanspruch durch das Grundgesetz zugebilligt würde, wäre jede Bestrafung durch Freiheitsentzug ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Streng genommen wird dieser Konflikt nur durch Relativierungen der ersten Artikel in diesen selbst oder anderen Artikeln gewährleistet, was also bedeutet, die Menschenwürde ist keineswegs absolut zu sehen, auch in unserem Land nicht.

Durch Haftstrafen wird in die Grundrechte auf Freiheit der Wahl des Aufenthaltsortes und die freie Entfaltung der Persönlichkeit und so eingegriffen, die Würde ist dabei ständiger Dreh- und Angelpunkt von Beschwerden über das Wie der Umsetzung dieser Freiheitsbeschränkungen - welches Maß an Rauhbeinigkeit darf ein Bediensteter an den Tag legen, wie weit dürfen Lockerungen vorenthalten werden, wie lange darf ein kranker Gefangener auf seine Schmerzmittel warten gelassen werden oder auf einen Arzt, usw.

Möglicherweise erkenne ich nicht, dass wir uns im Kreis drehen, weil ich dich nicht verstanden habe, wenn du das so siehst und der Diskussion an dieser Stelle nichts mehr abgewinnen kannst, würde ich mich über einen entsprechenden Hinweis freuen.

Da grundlegende ethische Begründungen subjektiv sind, habe ich mich erstmal auf systemimmanente sachliche Probleme gestützt und versucht, diese zu verdeutlichen.
Es gibt da aber durchaus noch Gründe im Grenzbereich zum Moralischen bzw. zur ideologischen Begründung von Strafe überhaupt und ihrer Organisation.

Wenn man mal ad fontes geht, kommt man dahin, daß Menschen immer schon Modi hatten, sich über Grenzverletzungen zu verständigen und sich ggf gegen diese zu wehren.
Ein Methode war das Talionsprinzip - "Aug um Auge..." -, das aber erhebliche Probleme für Gemeinwesen mit sich brachte. Zum einen führt die Überlassung der Sanktionierung an die Geschädigten zu einem permanenten sozialen Unruhezustand, weil ständig irgendwer mit irgendjemand in einem Rachverhältnis steht, das letztlich um Dinge kreist, deren sich die Beteiligten selbst gar nicht mehr bewusst sind. Man schlägt sich gegenseitig die Köpfe ein, weil die Vater das getan haben...letztlich, weil im Jahre 1342 ein Hirte aus Clan A der Tochter des Clanchefs aus Clan B in einer Mondnacht etwas zu nahe gekommen ist. Das führt letztlich zu einer allgemeinen Hemmung gesellschaftlicher Entwicklung, weil diese auf die Bereitschaft zur Kooperation angewiesen ist, letztlich leiden all jene darunter, die von einer Entwicklung profitieren würden und selbst nicht in Vendetta-Strukturen verstrickt sind.
Außerdem ist dieser Unruhezustand der Etablierung zentraler Machtstrukturen nicht eben hilfreich - wie man das nun findet, hängt von der individuellen Zustimmung zu hierarchischen Systemen ab.
Zum anderen führt aber dieses System auch zu einer ungleichen Sanktionspraxis - ich bin ein armer Ziegenhirt aus Clan A, und der Clanchef von Clan B hat meine Tochter geraubt. Da werde ich notgedrungen im trauernden Nichtstun verharren müssen, wenn mir mein eigenes Leben lieb ist. Mein Clanchef wird mich mit Sicherheit eher über die Klinge springen lassen, als einen Krieg mit den mächtigen B-Leuten zu riskieren, noch dazu um eine Frau von 17 Jahren.

Eine obrigkeitliche Gerichtsbarkeit stellt hier zumindest vom Ansatz her die Möglichkeit her, daß schädliche Handlungen gegen jedermann sanktioniert werden, also keiner durch seinen niedrigen sozialen Rang auf Heilung des erlittenen Schadens verzichten muss, und daß gleiche schädliche Handlungen auf relativ gleiche Weise sanktioniert werden.
Das schafft einen Zustand eines verbreiteten sozialen Sicherheitsgefühls, in dem Menschen ihre Fähigkeiten relativ sicher ausleben können - wobei da natürlich soziale Rangpositionen, verfügbare Mittel usw. limitierend wirken, aber das kann ja geändert werden.

Jetzt ist zu fragen, was die Sanktionierung schädlicher Handlungen bewirken soll.
An Motiven steht da einiges im Raum, u.a.:

- Heilung des entstandenen Schadens
- Prävention schädlicher Handlungen
- Besserung der Täter, damit diese nicht wieder delinquent werden
- Schutz der Gesellschaft vor nicht besserbaren Tätern - indem ein Dieb ohne Hand nicht wieder stehlen kann, ein gemeingefährlicher Mensch mehr oder weniger lange weggesperrt wird oder mehr...
- Möglichste Sicherung der Person des Gefangenen als dauerhafte Humanressource
- Demonstration obrigkeitlicher Macht
- Sicherung der Gleichmäßigkeit der Sanktionierungspraxis

Wie weit diese Ziele in der Strafvollzugspraxis der BRD erreicht werden, wird sehr kontrovers diskutiert, letztlich hängt es wohl sehr vom Typ des Delikts ab.
Der durch ein Delikt entstandene Schaden wird durch entsprechende Inregreßnahme des Täters zu heilen versucht - letztlich eine Frage der Schadenshöhe und dessen Materialisierung. Körperliche Schäden sind nur mittelbar durch Schmerzensgelder und Erwerbsausfallübernahmen zu behandeln, Psychische Schäden sind hierfür kaum zugänglich, da schwer zu quantifizieren.

Eine Prävention von Straftaten ist kaum zu messen und liegt wohl eher im Bereich von Ordnungswidrigkeiten vor.

Eine "Besserung" der Täter ist wenn nur deliktspezifisch festzustellen, ironischerweise gerade bei einem klassischen Todesstrafendelikt: Mord. Die Überzahl der Morde sind Beziehungstaten, verursacht durch langanhaltende Beziehungsfehlentwicklungen unter einzelnen Menschen. Kaum ein Mörder mordet zweimal, und auch bei Einbeziehung anderer Straftaten sind hier keine deutlichen Wiederholungen der Straffälligkeit an sich festzustellen.
Letztlich zeigt sich immer wieder, daß erneute Straffälligkeit ganz wesentlich sozial und durch Mängel der sozialen Integrierbarkeit bedingt ist: Nach der Haft wieder in die alten sozialen Zusammenhänge zu rutschen und mangels Qualifikationen keinen Anschluss an die Gesellschaft und keine Arbeit zu finden, sind die wesentlichen Risikofaktoren.

Ein Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Tätern wird über die Zeit der Haftstrafe erreicht, danach wird im Regelfall von einer Unschädlichkeit ausgegangen bzw. müsste eine Feststellung der weiteren Gefährlichkeit sehr aufwändig betrieben werden. Ein reales Problem stellt dies vor allem bei Sexualdelikten dar und bei anderen Delikten mit psychologisch- neurologischem Hintergrund - und da wird durch entsprechende Begutachtung versucht, Prognosen zu gewinnen. Daß diese oft nicht treffgenau sind - in beide Richtungen - ist ein Problem.
Einem Dieb die Hand abzuhacken, damit er nicht mehr stehlen kann, präjudiziert einerseits, daß er sonst sicher wieder stehlen würde - was unbewiesen ist, außerdem steht dies einer Heilung des Schadens durch den Täter im Wege, da er dadurch nicht mehr arbeiten kann. Damit ist er auch als Humanressource nur noch eingeschränkt einsetzbar - um mal eine neoliberale Betrachtung einzuflechten, die mir aber selbst zuwider ist.

Jeder Bestrafungsakt stellt gleichzeitig einen Akt der Machtrepräsentation der Obrigkeit dar - einerseits als (berechtigte?) Einschüchterung dem Täter gegenüber, zum anderen an den Rest der Gesellschaft - "haltet die Gesetze ein, auf daß es Euch wohlergehe".
Er wird dadurch Teil des jeweiligen obrigkeitlichen Handelns und der in ihm wohnenden Repressivität.
Wie sehr ein obrigkeitliches Handeln auf Repression ausgerichtet ist, könnte man am Grad der Erreichung des letzten Zieles sehen, wie weit nämlich auch Mächtige für Straftaten belangt werden bzw. ihre Taten überhaupt entsprechend zu sanktionierenden Delikten subsummiert werden. Es ist dies wohl ein permanenter Prüfstein der Rechtsstatlichkeit, weil in der Subsummation und Verfolgung von Delikten menschliche Fehlbarkeit wie Unterwürfigkeit und Beeinflussung durch eine gefühlte Ereignislage besonders tief greifen.

Nun steht der Täter in diesem Sanktionsbegründungssystem an mehreren Stellen im Mittelpunkt - er soll den von ihm verursachten Schaden heilen, er soll sich "bessern" und er soll nutzbringender Teil der Gesellschaft werden.
Es wird außerdem prinzipiell davon ausgegangen, daß ein Täter das Potential hat, nicht wieder delinquent zu werden.
Die Vorstellung, es gebe prinzipiell unveränderlich "böse" Menschen, gehört in der Praxis der Vergangenheit an, Verhalten wird heute als zwar durch biographische und soziale Gegebenheiten mitbeeinflusst, skaliert, aber vom Einzelnen bewusst steuerbar und erlernbar angesehen, Grenzen der Veränderbarkeit ergeben sich in Einzelfällen aus unbeeinflussbaren psychischen oder auch neurologischen Gegebenheiten.
Die Tatsache, daß auch bei Sexualdelikten ein durchaus fassbarer Anteil der entlassenen Täter nicht wieder in dieser Weise auffällig wird, wie auch bei allen anderen Delikten, belegt die grundsätzliche Richtigkeit dieser Annahme.

In diesem Sinne bedeutet die Todesstrafe, auf diese Veränderungspotentiale in den straffällig gewordenen Menschen zu verzichten, sie gleichsam wegzuwerfen.
Es steht IMHO keiner Gesellschaft an, diese Veränderbarkeit bei anderen Menschen individuell in Frage zu stellen, bzw. wenn diese durch psychologische oder neurologische Gebenheiten individuell ausgeschlossen erscheint, dies zur Begründung für die Tötung zu machen.
Es mag Gründe geben, die eine Entfernung von Menschen aus dem öffentlichen Raum aufgrund ihrer mehr oder weniger permanenten individuellen Gefährlichkeit rechtfertigen, es gibt aber IMHO keinen Grund, weshalb Menschen aufgrund welcher Normabweichung auch immer getötet werden dürften.

Wenn Opfer ihre Peiniger umbringen, sehe ich es wie Ipsi: Sie müssen bereit sein, die Folgen zu tragen.
Da man nicht so ohne weiteres mit Pistolen herumläuft hierzulande, wird eine Affekthandlung als mildernder Umstand dabei schwer zu begründen sein, das nur so nebenbei.

Yanāpaw
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Sa 25. Nov 2006, 14:02 - Beitrag #19

janw,



ich habe mir sehr viel zeit mit meiner Antwort gelassen, weil ich sehr viel über das was du gesagt hast nachdachte. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass du mit deinen Ausführungen zu den system-immanenten Problemen Recht hast und die Praxis der Todesstrafe nicht mit der Rechtsstaatlichkeit zu vereinen ist. Die Gefahr des Missbrauchs und der Fehlerquote sind nicht aktzeptabel.



Nun gehts aber mit anderen Punkten weiter. ^^


I) Motiv einer Sanktionierungspraxis




Jetzt ist zu fragen, was die Sanktionierung schädlicher Handlungen bewirken soll.
An Motiven steht da einiges im Raum, u.a.:

1. Heilung des entstandenen Schadens
2. Prävention schädlicher Handlungen
3. Besserung der Täter, damit diese nicht wieder delinquent werden
4. Schutz der Gesellschaft vor nicht besserbaren Tätern - indem ein Dieb ohne Hand nicht wieder stehlen kann, ein gemeingefährlicher Mensch mehr oder weniger lange weggesperrt wird oder mehr...
5. Möglichste Sicherung der Person des Gefangenen als dauerhafte Humanressource
6. Demonstration obrigkeitlicher Macht
7. Sicherung der Gleichmäßigkeit der Sanktionierungspraxis






Ich habe deinen post mal untergliedert um die Übersichtlichkeit zu wahren:



1.Schäden zu heilen sehe ich nicht als Motiv einer Sanktionierung sondern als Teil der Sanktion an sich, sofern es sich um Sachschäden handelt, immatrielle Schäden können ohnehin nicht durch immatrielle Wiedergutmachung geheilt werden. Aber Schadensersatzzahlungen beispielsweise wären dann Teil des Strafmaß. Obwohl in manchen Fällen auch das Motiv und die Sanktion identisch sind.

2. Sehe ich als essentielle Funktion der Bestrafung an, wobei die Präventionsfunktion sehr strittig ist. Drakonische Bestrafungen erzielen beispielsweise nicht immer das gewünschte Präventionsergebnis, insbesondere bei Kavaliersdelikten wird durch eine Erhöhung des Strafmaß kein Erfolg erzielt. Im Gegensatz zur Aufklärungsquote hat das Strafmaß also weniger Einfluss auf die Strafhäufigkeit.

3. Das ist vom theoretischen Ansatz her sicher richtig, allerdings in der Praxis sehr strittig. Zum einen werden einige Straftäter während der Haft nicht gebessert sondern auf den falschen Weg gebracht, da sie mit anderen kriminellen Subjekten zusammen einsitzen. Davon losgelöst müsste dann die Therapie bewertet werden, um Straftäter, die an Geisteskrankheiten leiden zu untersuchen und gegebenfalls zu heilen und zu resozialisieren. Aber das Motiv ist zweifellos absolut richtig und auch angebracht.

4. Das ist mE eine der Hauptaufgaben der Bestrafung an sich, wobei dabei wieder das Problem beteht diese Besserbarkeit oder eben die Nichtbesserbarkeit festzustellen und da diese feststellung von Menschen erfolgt treten dabei des öfteren Fehler auf, die inaktzeptabel sind. Zudem muss die Strafe im Verhältnis zur Tat stehen, es muss also ein gewisser Angemessenheitsaspekt beachtet werden, wobei hier Intersubjektivitätspropleme en masse zu behandeln wären...

5. Das ist für mich kein Motiv für eine Sanktionierung oder sprichst du von der Prävention von Lynchjustiz?

6. Eine gewisse Achtung vor dem Gesetz ist unerlässlich, weshalb auch die Demonstration der judikativen Macht von elementarer Bedeutung sein kann, allerdings dürfte die nicht bei jedem Urteil Niederschlag finden, ist also insofern nicht Motiv für die Sanktion an sich sondern nur für das Strafmaß in exemplarischen Prozessen, so zumindest mein Verständins.

7. Auch ein sehr wichtiger Punkt, vor dem Gesetz sind alle gleich, ist aber auch kein Motiv für eine Sanktionierung an sich sondern für das spezielle, eben gleiche, Strafmaß.

8. Ist der Ausgleichsgedanke für mich ein extrem wichtiges Bestrafungsmotiv, der Täter soll büßen, für seine Verfehlung, das sehe ich losgelöst von allen bisherigen Motiven.




Eine "Besserung" der Täter ist wenn nur deliktspezifisch festzustellen, ironischerweise gerade bei einem klassischen Todesstrafendelikt: Mord. Die Überzahl der Morde sind Beziehungstaten, verursacht durch langanhaltende Beziehungsfehlentwicklungen unter einzelnen Menschen. Kaum ein Mörder mordet zweimal, und auch bei Einbeziehung anderer Straftaten sind hier keine deutlichen Wiederholungen der Straffälligkeit an sich festzustellen.
Letztlich zeigt sich immer wieder, daß erneute Straffälligkeit ganz wesentlich sozial und durch Mängel der sozialen Integrierbarkeit bedingt ist: Nach der Haft wieder in die alten sozialen Zusammenhänge zu rutschen und mangels Qualifikationen keinen Anschluss an die Gesellschaft und keine Arbeit zu finden, sind die wesentlichen Risikofaktoren.



Fragt sich natürlich inwieweit diese Aussage statistisch empirisch belegbar ist, sollten nämlich alle verurteilten Mörder als Bezugsgröße gewählt worden sein, wäre das ziemlicher Schwachsinn, weil sich in Einzelhaft oder in 2 Bett Zimmern so schlecht mordet. Diese Statistik wäre nur dann aussagekräftig, wenn sie die aus der Haft entlassenen Mörder als Bezugsgröße wählte. Hinsichtlich des Besserungsauftrages versagen die Therapiezentren der BRD übrigens kolossal, betrachtet man die Rückfallquote von vorzeitig entlassenen Sexualstraftätern. Ein absolut inaktzeptabler Sachverhalt. Eine Fehleinschätzung mit derart katastrophalen Folgen müsste als grob fahrlässiges Herbeiführen der Rückfalltat des Delinquenten gewertet werden und als eben solche mit drakonischer Härte bestraft werden...



Ein reales Problem stellt dies vor allem bei Sexualdelikten dar und bei anderen Delikten mit psychologisch- neurologischem Hintergrund - und da wird durch entsprechende Begutachtung versucht, Prognosen zu gewinnen. Daß diese oft nicht treffgenau sind - in beide Richtungen - ist ein Problem.


Stimme ich absolut zu, was schlägst du vor um das zu bessern/ändern?


Einem Dieb die Hand abzuhacken, damit er nicht mehr stehlen kann, präjudiziert einerseits, daß er sonst sicher wieder stehlen würde - was unbewiesen ist, außerdem steht dies einer Heilung des Schadens durch den Täter im Wege, da er dadurch nicht mehr arbeiten kann. Damit ist er auch als Humanressource nur noch eingeschränkt einsetzbar - um mal eine neoliberale Betrachtung einzuflechten, die mir aber selbst zuwider ist.



Stimme ich absolut zu, derart drakonische Strafen verstoßen zudem ganz klar gegen den Angemessenheitsgrundsatz, den ich als unverzichtbar erachte. Was das human capital angeht, ist zwar eine ganz nette Sichtweise, aber konkret kaum zu belegen, da nicht von einem berufstätigen Soizalversicherten Musterarbeitnehmer auszugehen ist, sein ru-Wert und daran orientiert sich der neoliberale Ansatz, wenn auch nur hinsichtlich der ökonomischen Komponente, ohne eine globale Wertquantifizierung vorzunehmen, wäre also im Einzelfall zu prüfen.


Die Tatsache, daß auch bei Sexualdelikten ein durchaus fassbarer Anteil der entlassenen Täter nicht wieder in dieser Weise auffällig wird, wie auch bei allen anderen Delikten, belegt die grundsätzliche Richtigkeit dieser Annahme.


Stellt sich die Frage, ob das so bleibt. Eine heilung ist bei krankhafter Triebsteuerung nicht möglich, es können nur Automatismen eingesetzt werden, die Hemmen und blockieren und so ein Realisieren der Bedürfnisse Ausschließen, die Bedürfnisse selbst werden nicht vernichtet, zumindest ist mir kein Fall bekannt in dem das geglückt wäre. Ich beschäftige mich allerdings auch nur hobbymäßig mit Psychologie und Therapeutiktheorie.



Die grundsätzlichen moralisch/ethischen Fragen stelle ich hinten an, sonst wird das alles etwas zu umfangreich ^^

janw
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Sa 2. Dez 2006, 03:41 - Beitrag #20

Yana, erinnerst Du mich morgen nochmal, daß ich Dir hierzu etwas antworte? Müßte morgen hinhauen :)

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