Paul Watzlawick gestorben

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janw
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Di 3. Apr 2007, 22:21 - Beitrag #1

Paul Watzlawick gestorben

Wie ich heute gelesen habe, ist der Philosoph und Soziologe Paul Watzlawick am 31. März in Palo Alto in Kalifornien im Alter von 86 Jahren verstorben.
Ein Grund, an ihn zu erinnern und vielleicht über sein Werk zu diskutieren.

Paul Watzlawick war ein Vertreter des Radikalen Konstruktivismus, einer philosophisch-soziologischen Theorie, nach der der Mensch über seine Sinnesorgane und die neuronale Reizverarbeitung kein im Sinne einer wirklichen Objektivität "wahres" Bild von der Welt bekommt, sondern das Bild von der Welt viel mehr eine Konstruktion darstellt, bei der die Sinnesdaten mit Erfahrungswerten verrechnet und anhand dieser bewertet werden - abgesehen davon, daß unsere Sinneswahrnehmung uns ja per se nur einen begrenzten Zugang zur wirklichen Datenfülle der Welt bietet - Beispiel Ortungslaute von Fledermäusen, die für uns nicht wahrnehmbar sind.
Einen guten Beitrag zum Konstruktivismus liefert wikipedia hier.

Das Werk Watzlawicks besteht dabei vorrangig in seiner Kommunikationstheorie, in welcher er den Aspekt der Subjektivität hervorhebt, indem er zur bekannten Inhaltsebene - im Wesentlichen Gegenstand der Linguistik - eine Beziehungsebene hinzu fügt: Jede Kommunikation ist damit nicht nur Transfer von Kommunikationsinhalten, sondern diese stehen immer im Zusammenhang zur Beziehung der Kommunizierenden - dies betrifft insbesondere die Verarbeitung der Kommunikationsinhalte.
Da letztlich Menschen immer in irgendeiner Beziehung zu einander stehen - auch die Nicht-Bekanntheit ist ein Beziehungsfall - und Menschen unbewusst körperliche Aktionen zeigen, die von anderen Menschen unbewusst als Signale aufgefasst werden, ergibt sich daraus, daß Kommunikation immer stattfindet, wenn Menschen zusammen sind. "Man kann nicht nicht kommunizieren..." ist denn auch ein geflügeltes Zitat Watzlawicks.

Wie sehr Kommunikation bei uns selbst anfängt, in unserer eigenen Vorstellungskraft, lässt sich sehr unterhaltsam in seinem populärwissenschaftlichen Buch "Anleitung zum Unglücklichsein" nachlesen.
Ein Buch, das an dieser Stelle nur zu empfehlen ist.

C.G.B. Spender
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Mi 4. Apr 2007, 11:47 - Beitrag #2

Wenn ich lese

... Menschen unbewusst körperliche Aktionen zeigen, die von anderen Menschen unbewusst als Signale aufgefasst werden, ergibt sich daraus, daß Kommunikation immer stattfindet, wenn Menschen zusammen sind. "Man kann nicht nicht kommunizieren..." ist denn auch ein geflügeltes Zitat Watzlawicks.
dann frage ich mich, ob das auch in Internetforen der Fall ist, denn hier gibt es keine körperlichen Reaktionen. Körperlich gesehen gibt es hier also tatsächlich keine Kommunikation. Etwas, das mir, wenn ich ganz ehrlich bin, immer mißfallen hat. Allerdings gibt es in Internetforen den unschätzbaren Vorteil, neben einigen anderen, dass man immer ausreden kann, bzw. überhaupt zu Wort kommt, was im realen Leben nicht immer der Fall ist, je nach dem vielleicht sogar unmöglich.

Das wir als Mensch niemals ein vollständiges Bild der Welt wahrnehmen können, dürfte jedem klar sein, der sich einmal näher damit beschäftigt hat. Dabei liegt der Schluß nahe, dass man alles mindestens einmal bezweifeln sollte, alleine schon, um sich selbst zu überprüfen, auch wenn nur zu gerne immer die Meinungen und das Weltbild der Anderen bezweifelt werden. Selbst der Zweifel kann bezweifelt werden, denn der Zweifel ist wohl fast genauso unzureichend wie die Wahrnehmung selbst. Ein Zweifel, der womöglich aus der unzureichenden Wahrnehmung der Anderen entstanden ist.


Nichts ist wie es scheint. 23. Ach nee, falscher Film...obwohl... ;)

Das Buch "Anleitung zum Unglücklichsein" setze ich mal auf meine Wunschliste.

Feuerkopf
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Fr 13. Apr 2007, 22:36 - Beitrag #3

Ich hab erst heute erfahren, dass Watzlawick gestorben ist.
Ein kluger, humorvoller Wissenschaftler. Die "Anleitung zum Unglücklichsein" ist ein echter Augenöffner!
Sehr amüsant ist auch die "Gebrauchsanweisung für Amerika". Watzlawick hat den Großteil seines Lebens in Kalifornien gelebt und schrieb das Buch in einer liebevoll-ironischen Distanz zu seiner Wahlheimat.

Ipsissimus
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Mo 16. Apr 2007, 12:30 - Beitrag #4

mich hat die Anleitung zum Unglücklichsein nicht beeindruckt. Zu hemdsärmelig-positivistisch, zu sehr davon geprägt, daß der Autor imo davon ausgeht, daß die von ihm behandelten, sehr stereotyp geschilderten Situationen immer nur selbstverschuldete Eigenprogrammierung sind, für die ein Tritt in den Arsch statt Empathie sehr viel hilfreicher ist. Mir kam das Buch vor wie finsterstes positivistisches Amerika^^ Behaviourimus in seiner verhaltenstherapeutischen Variante als Allheilmittel, und das Verständnis, was wirklich in einer Psyche passiert, gleich null

andererseits, er hat mit Gregory Bateson zusammengearbeitet^^ irgendwie kann ich mir die beiden gar nicht richtig zusammen vorstellen^^ na ja, wird ne lässliche Sünde von Bateson gewesen sein^^

C.G.B. Spender
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Mo 16. Apr 2007, 15:07 - Beitrag #5

Lustig ist, wenn jemand Anleitungen zum Glücklichsein kritisiert und Anleitungen an sich kritisiert, dann aber eine Anleitung zum Unglücklichsein gibt. ;)

Ich schätze das ist die feine Ironie.

Was war nochmal die Ironie?
Günther Lazik sagte: "Überlegenheit ohne Liebe macht ironisch."

Wahrscheinlich werde ich diesem Buch kritisch gegenüber stehen, da ich am liebsten realistisch bin, also weder optimistisch, noch pessimistisch.

janw
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Mo 16. Apr 2007, 17:21 - Beitrag #6

Ipsi, eine treffend gebündelte Kritik an Watzlawicks Konstruktivismus! :)

Die Empathie hat für mich bezüglich ihrer Behandlung ein wenig Ähnlichkeiten mit der Dunklen Materie - jeder weiß, daß es sie gibt und geben muss, aber keiner hat sie je gesehen, keiner weiß, wo sie sitzt und was sie ist -, und das macht es in einer sowieso von mechanistischen Konzepten dominierten Kultur leicht, sie auszublenden und zu suggerieren, alles Wahrnehmen und Handeln sei rein mechanistisch zu erklären und zu beschreiben.

Letztlich läuft das auch auf den ewigen Streit zwischen Psychiatern und Psychotherapeuten um die bessere "Behandlung" als "abweichend" eingestufter Personen hinaus - fehlen da nur ein paar Neurotransmitter oder eher Verständnis für den Menschen?

C.G.B. Spender
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Di 17. Apr 2007, 14:52 - Beitrag #7

Letztlich läuft das auch auf den ewigen Streit zwischen Psychiatern und Psychotherapeuten um die bessere "Behandlung" als "abweichend" eingestufter Personen hinaus - fehlen da nur ein paar Neurotransmitter oder eher Verständnis für den Menschen?
Wobei man sich hier vielleicht wirklich einmal fragen sollte, inwieweit vermeindliche Schwächen, nicht auch in anderer Hinsicht Stärken mit sich bringen? Ob man dies nur bei Inselbegabtenfragen sollte, oder ob dies nicht auch auf viele andere "Kranke" zutrifft.

Daniel Tammet könnte ohne seine Synästesien kaum so hervorragend rechnen.

Die Empathie hat für mich bezüglich ihrer Behandlung ein wenig Ähnlichkeiten mit der Dunklen Materie - jeder weiß, daß es sie gibt und geben muss, aber keiner hat sie je gesehen, keiner weiß, wo sie sitzt und was sie ist -, und das macht es in einer sowieso von mechanistischen Konzepten dominierten Kultur leicht, sie auszublenden und zu suggerieren, alles Wahrnehmen und Handeln sei rein mechanistisch zu erklären und zu beschreiben.
Dieses mechanistische erinnert mich daran, dass es doch die Theorie gibt, bestimmte Präferenzen beim Geschlechtsverkehr hätten grundsätzlich mit Erlebnissen in der Kindheit zu tun. Das habe ich schon immer bezweifelt. Es mag bei manchen Fällen zutreffen, aber bei vielen anderen garnicht.

Vor einiger Zeit dachte man sogar, Homosexuelle könnte man mit Pädophilen in einen Topf werfen.


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