Castaneda

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
janw
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Di 1. Mai 2007, 11:10 - Beitrag #1

Castaneda

Vor einiger Zeit ist mir bei einer Freundin mal ein Buch von Carlos Castaneda in die Hände gefallen - ich weiß nicht mehr, welches es war -, das ich mir in einer Nacht mal vorgenommen, es dann aber als mir irgendwie zu abwegig beiseite gelegt habe. Es ging darum, sich von Bindungen und Überzeugungen zu lösen, mit dem Ziel, ein nagual zu werden.
Mir ist dies im Rahmen meines Nachdenkens über Zen wieder in den Sinn gekommen, wobei ich nun darauf gestoßen bin, daß Castaneda in einigem zu hinterfragen ist.
So steht z.B. seine Behauptung, er habe seine Einsichten als Schüler des Schamanen der mexikanischen Yaqui-Indios, Don Juan Matus, erhalten, auf sehr tönernen Füßen, seitdem erhebliche Diskrepanzen zwischen den Lehren Matus' und seinen Methoden und den tatsächlichen Lebensumständen und der Kultur der Yaqui bekannt geworden sind, die eigenständige Identität Matus' ist gleichermaßen nicht anders belegt. Das öfter genannte Sterbedatum Matus' in 1973 entspricht dem von Castaneda angegebenen Jahr seiner Trennung von seinem Lehrer - nach angeblich 15jähriger Lehrzeit von 1960 an, was gleichfalls nicht passt. Hinzu kommt, daß Castaneda in späteren Interviews immer wieder betont, Matus sei noch am leben, aber schwer zu erreichen.

Was ist nun von alledem zu halten, war Castaneda ein Scharlatan oder hatte er eine gute Eingebung, von der er glaubte, er müsste sie in einen indigenen Mantel kleiden, um ihr die nötige "Credibility" zu geben?
Hat seine "Lehre" Substanz oder ist es nur eine der vielen New-Age-Pseudoreligionen der Zeit?

Ipsissimus
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Do 3. Mai 2007, 10:54 - Beitrag #2

Dichtung oder Wahrheit^^ - eine Frage, die ganze Scharen von Enthologen und Esoterikern gleichermaßen schlaflose Nächte bereitet hatte, ehe Castaneda aus dem Fokus der Aufmerksamkeit entschwand. Den wenigen verbliebenenen ernsthaft Interessierten stellt sie sich bis heute.

Einigermaßen klar ist nur, daß Castaneda den ersten Band - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens - schrieb, um einen Doktortitel in Ethnologie an der University of California zu erlangen, der ihm schließlich für die ersten 3 Bände zuerkannt wurde (Castaneda hatte 1959 einen Abschluss in Psychologie gemacht). Alles was darüber hinausgeht, bleibt fraglich im engeren Sinne, das meiste ist weder bewiesen noch widerlegt.

Als langjähriger Leser und bekennender Fan Castanedas würde ich sagen, daß historische Fakten ein Skelett der Bücher abgeben, während Gewebe und Muskeln aus etwas bestehen, was als Fiktion aufgefaßt werden könnte, in Castanedas eigener Erläuterung aber Berichte aus der "linken Seite der Aufmerksamkeit", aus der "Erklärung der Zauberer" sind.

"Linke Seite der Aufmerksamkeit" meint - äußerst grob gesagt - daß unsere Aufmerksamkeit unterschiedliche Fokuspunkte hat. Dies bewirkt, daß während unsere Aufmerksamkeit auf einen Fokuspunkt ausgerichtet ist, an anderen Fokuspunkten alles mögliche passieren kann, ohne daß wir das im Geringsten mitbekämen. Ein Zauberer lernt nun im Laufe seiner Ausbildung, bewußt von einem Fokuspunkt zu einem anderen zu wechseln, was bewirkt, daß ihm Sachverhalte bewußt werden, die ihn die ganz Zeit zwar umgeben haben, aber nicht in sein Bewußtsein vorgedrungen sind.

Die "Erklärung der Zauberer" rekurriert darauf, daß die Welt uns so erscheint, wie sie uns erscheint, weil wir - jedes einzelne Individuum - mit einem fortwährendem inneren Monolog beschäftigt sind, durch den wir uns selbst erzählen, wie die Welt ist. Eine großer Teil der Techniken, die Matus/Genaro/Castaneda lehren, beschäftigt sich mit dem Anhalten dieses Monologes, gefolgt vom Wechsel in einen anderen Monolog, eben der Erklärung der Zauberer. Gelingt es, in diesen Monolog einzutauchen, wirkt sich das optisch so aus, als ob der Betreffende in eine anderen Welt versetzt wird.

Beides zusammen, linke Seite der Aufmerksamkeit und Erklärung der Zauberer, entziehen sich gewöhnlicher Historizität, schreiben ihre eigene Historie, die nur plausibel und verfolgbar ist für Menschen, welche die entsprechenden Fertigkeiten selbst entwickelt haben, also im Wesentlichen nur für Schüler und Schülerinnen von Zauberern.

Ob mensch Castaneda das glaubt, ist natürlich jedem völlig freigestellt. Die Bücher handeln in einigen Teilen davon, wie Mescalin eingesetzt werden kann, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen, es bietet sich also die relativ einfache Erklärung an, große Teile der Bücher als künstlerisch ausgestaltete Beschreibung von Mescalinräuschen aufzufassen. Ich selbst glaube, daß die Bücher einen historischen Erlebniskern enthalten, dessen Impilkationen, Voraussetzungen und Konsequenzen dann aber fiktiv ausgestaltet wurden, wünschenswerterweise^^ anhand der Darlegungen von Don Juan, schlimmstenfalls auf Castanedas eigenen Mist gewachsen^^

Jedenfalls schreibt Castaneda aber explizit im fünften Band darüber, daß Don Juan und dessen Kriegergruppe vollständig vom Tonal ins Nagual übergegangen wären und daher in der normalen Wirklichkeit nicht mehr erreichbar seien. Es wäre daher genauso richtig zu sagen, sie seien tot, wie auch, daß sie noch leben; letztlich bleibt es Auffassungssache, inwieweit man sich darauf einläßt, daß/ob derartige Dinge überhaupt möglich sein können.

Für mich ist Castaneda ein verdammt guter Märchenerzähler, mit Märchen, die - wie alle guten Märchen - unter die Haut gehen und psychoaktiv werden können, wenn mensch sie denn nur lässt. Spätestens mit dem Tensegrity-Mist hatte es sich aber für mich erledigt, mich noch mit diesen Märchen zu beschäftigen^^ aber für ein paar Jahre waren sie nette und fordernde Begleiter^^

janw
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Fr 4. Mai 2007, 02:37 - Beitrag #3

Märchen oder neudeutsch "Ethno-Fantasy"^^ den Eindruck habe ich auch, wobei die Methoden tatsächlich funktionieren - im Gegensatz zum "Tischlein Deck Dich" (oder fehlt es da nur an der richtigen rituellen Praxis?^^)
Frag ich mich ein wenig, wie eine sich selbst ernst nehmende ethnologische Fakultät für eine ethnologisch so wackelig fudierte Arbeit den Doktortitel vergeben konnte.

Es wäre daher genauso richtig zu sagen, sie seien tot, wie auch, daß sie noch leben; letztlich bleibt es Auffassungssache, inwieweit man sich darauf einläßt, daß/ob derartige Dinge überhaupt möglich sein können.

Liefe das darauf hinaus, daß das Nagual der buddhistischen Erleuchtung analog ist, mit der ein Mensch auch noch auf Erden herumwandeln kann?
Ich finde es etwas problematisch, daß Castaneda durch die 80er immer wieder angemerkt hat, Don Juan lebe noch und sei nur schwer zu erreichen - wegen "reist nicht gern" oder ähnlichem.
Wobei ich aufgrunddessen, daß das Motiv des vom Körper getrennt existierenden Geistwesens ein kulturell so universelles ist, die Sache an sich nicht kategorisch ausschließen möchte.

Tensegrity scheint mir wirklich eine merkwürdige Sache zu sein...
Die Sache mit dem Kokon passt irgendwie nicht zu den Ausgangsvorstellungen, komisch ist aber, daß die Übungen tatsächlich etwas auslösen, optische Halluzinationen, Verschiebungen des Fokuspunkts wenn man so will - nachzulesen in Berichten von Sessions mit Castaneda. Gibt es dafür irgendwelche Erklärungen?

Sein Auftreten dort wirkt auf mich etwas guruhaft; wie er mit manchen Teilnehmern umgeht, Meinungen und Gerüchte kultiviert ist schon etwas fragwürdig für meinen Geschmack.
Ansonsten...es scheint ein verbreiteter Zug alter Lehrer heute zu sein, daß sie auf ihre anerkannte Arbeit ein abstruses Alterswerk aufsatteln. Analog zu Rolando Toro, der auf sein Biodanza eine merkwürdige Vorstellung aufgesattelt hat, wonach die Geschichte des Universums in allen Zellen verankert sein soll.

Ich glaub, ich werd mir den Nagual nochmal vornehmen...^^

Ankh
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Fr 4. Mai 2007, 10:08 - Beitrag #4

Die schönste Philosphie, namentlich auch Melancholie genannt, ist doch die, die man insich trägt - und nicht nachlesen zu braucht (o, radebrechende Grammatik gerade).

Die Vortextbeiträge sind doch wieder sooo analytisch und zugleich zunichte machend; ähnlich einem jungem Liebespaar mit einem Handbuch über Kamasutra keuchend gerad in Bett versuchend zu wälzend (uih, so herrlich mehrfach dreifachdeutig).

Tod der Analyse!

Ankh, herzerfrischend :)

Ipsissimus
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Fr 4. Mai 2007, 10:54 - Beitrag #5

jan, im Prinzip brauchst du nur den vierten Band zu lesen "Don Juan in den Städten", er ist mit Abstand das Luzideste, was Castaneda geschrieben hat.

janw
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Fr 4. Mai 2007, 11:27 - Beitrag #6

Das Kamasutra, wer würde das nichten? Doch was nur die Mode vereint, was Mode ist, weils vorgibt, alt und heilig unnichtbar zu sein, das muss sich erweisen im Lösemittel des Geistes, als Liebesdienst an der Weisheit.

Aber umsonsten ist nichts und dein Exkurs gewiss nicht - Castaneda hat im Daumenlutschen auch einen Weg zur Verschiebung des Fokuspunkts gefunden...

janw
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Fr 4. Mai 2007, 13:16 - Beitrag #7

Maurice, er hat schon recht, man sollte nie aus den Augen verlieren, daß man da etwas macht, anstatt sich seinem Gefühl hinzugeben - welche Rolle spielt es, ob Castaneda seine Geschichten nur ersonnen hat oder ob sie wirklich uraltem Wissen entstammen, wenn sie doch ein schlüssiges Bild ergeben und helfen können?
Durchaus eine Anregung zur Weiterentwicklung des threads...

Ankh, die Frage sollten wir wirklich mal diskutieren. :)

Ipsi, danke für den Hinweis! Werds mir mal besorgen :)

janw
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Mo 7. Mai 2007, 18:11 - Beitrag #8

Hab eine Reihe von Beiträgen zu folgenden threads abgetrennt:
Fragen zum Forum

Der Sinn des Philosophierens

Möge hier nun weiter über Castaneda und im weiteren Sinne über Bezüge zu anderen New-Age-Kulten diskutieet werden :)

Micha_Nbg
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Mi 9. Mai 2007, 13:45 - Beitrag #9

Castaneda

Bevor man über etwas urteilt, sollte man sich schon damit hinreichend auseinadergestzt haben.
Für 3 literarisch wertvolle Bücher einen Doktortitel zu verleihen ist sicherlich nicht unangemessen. Es gibt anerkannte Dissertationen, die aus nur ganz wenigen Seiten bestehen.
"Glauben kann man Kartoffeln". Probieren geht über studieren.
Ich denke, daß das ganze nicht ein Märchen ist. Auch gibt es ja weitere Autoren aus dem Kreis, wie "Donnergrau".
Auch Tensegrity widerspricht dem ganzen nicht. Auch entdeckt man natürlich Ähnlichkeiten zu Buddhismus und Kelten und anderen naturreligionen, da Naturgesetze ja immer gelten.
Der Begriff "Zauberer/Hexe" beschreibt eben am besten das Bewußtsein so zu trainieren und auf natürliche Art so zu erweitern, daß man nicht in den Alltagsroutinen und den gebundenem "Menschformverhalten" verbleiben muß und Zugang zu verschiedenen Bewußtseinsquellen haben kann. Be den Indianern auch heute noch "die Verbindung zum Geist" genannt. Bei uns im weitesten Sinne Gott, der eine eigenständige Bewußtheit hat und wir ein teil in diesem alles verbindenden Netz sind. (Vgl. kelten im Zusammenhang damit zB die Fiktion "WYRD" von Brian Bates(?).
Mit dem alten historischen Begriff HExe/Zauberer, der ja eher negativ oder märchenhaft anbehaftet ist, hat das nur entfernt zu tun bzw. gar nicht, wie Castaneda oder Donnergrau ja immer wieder schreiben.
Wobei auch noch der Unterschied zw. Philosoph, Zauberer und Mann/Frau/Individuum des Wissens zB bei Donnregrau "Der Pfad des Träumens" sehr gut nochmals aufgeführt wird.
Ziel ist es einen Evolutionsschritt zu machen und statt nur die soziale Rolle von Mann und Frau zu spielen "über-"menschlich, bewußtseinserweiter, unabhängiger und frei (als höcstes Ziel) zu werden, ohne zu sterben." (Details siehe Bücher.) Analog gibt es ja auch eine "Christi Himmelfahrt" zB, die ähnlich danach klingen mag, wenn die Zauberer als leuchtende Bälle verwandelt /Fire from within" letzte in unserer Welt sichtbare Kreise drehen. Egal.

Einen Personenkult wollte er oder auch die genannten Vorläufernaguals wie Don Juan bzw. Nagual Elias oder Nagual Lujan etc., der "modernen Generation " wollte er meiner Meinung jedoch nie drauß machen, da ja auch ausdrücklich im Buch Tensegrity von einem schematischen Lehrer-Schüler-Verhältnis gewarnt wird. Auch wird immer wieder betont, daß eine persönliche Erreichung des Ziels nie garantiert werden kann. Bei dem in den Erzählungen genannten Linien-Nagual Julian kam das auch nicht so genau raus ob er sein Ziel letztendlich erreicht hat.
Auch wurde dargestellt, daß jede generation von Zauberern, jedes Individuum alle Lehren immer wieder neu zu hinterfragen bzw. gegebenenfalls zu ergänzen oder zu ändern hat, also dynamisch bleiben kann und nicht starr.
tensegrity stellt ja laut dem Autor Castaneda einen krönenden Abschluß der Linie da, dessen Ende er ja als letzer Nagual der Linie mit darstellt und das Wissen uns gegeben hat. (Ähnlich ja auch tai chi und anderes), wobei hier das Zusammenspiel energitischer/Transzendentaler Körper und physischer Körper sehr gut herauskommt nach mehrern tausend/Jahrhunderten von pionierhaften Erfahrungen.

Als Guru würde ich Castaneda also keineswegs bezeichnen, auch wenn einige immer sektenhaft vergleichen wollen, sondern eher als Berichterstatter, der uns Hinweise gegeben hat und die durchaus nachvollziehbar und auch glaubhaft interpretiert werden können, egal ob es jetzt genau 13 oder rund 15 jahre sind.

Ipsissimus
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Mi 9. Mai 2007, 14:41 - Beitrag #10

im wesentlichen d´accord, Micha, auch wenn du vielleicht zugeben wirst, daß es ein gewisser Widerspruch ist, wenn in den Büchern immer und immer wieder darauf hingewiesen wird, daß Castaneda sich schriftliche Aufzeichnungen von praktisch allem gemacht hat, und er dann bei so was einfachem wie der Chronologie ins Schleudern kommt. Also ich denke tatsächlich, daß man den Faktenkern der Bücher nicht überstrapazieren sollte, das allermeiste dürfte aus der linken Seite stammen.

Wegen der Unmöglichkeit, den Erfolg zu garantieren, wird ja auch immer wieder die Makellosigkeit des Kriegers als das eigentliche Ziel der Ausbildung dargestellt; sie bleibt bestehen, auch wenn du nicht am Adler vorbei kommst^^

janw
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Mi 9. Mai 2007, 23:12 - Beitrag #11

Naja...
Zitat von Micha_Nbg:Für 3 literarisch wertvolle Bücher einen Doktortitel zu verleihen ist sicherlich nicht unangemessen. Es gibt anerkannte Dissertationen, die aus nur ganz wenigen Seiten bestehen.

Mit dem Doktortitel wird nun aber eine wissenschaftliche Leistung bedacht, in diesem Falle im Fach der Ethnologie - und da ist eine ansprechende sprachliche Ausgestaltung sicher wünschenswert, aber eben immer nur Kür, Pflicht ist die methodisch saubere Gewinnung der Erkenntnisse und die Präsentation und transparente Auswertung der gewonnenen Ergebnisse. Die offenbaren Defizite in der Chronologie, erst recht aber die erheblichen Zweifel, ob das, was Castaneda da präsentiert, irgend etwas mit den von ihm vorgeblich untersuchten Yaquis zu tun hat, werfen für mich doch die Frage auf, ob die Bücher nicht besser als um einen wie auch immer großen wahren Kern gestrickte Prosa zu betrachten sind, Ethno-Fiction. Ich verzichte jetzt mal auf einen Seitenhieb in Richtung "Land der unbegrenzten Möglichkeiten"...

Auch, daß Don Juan nach Castanedas Aussagen nur zwei Schüler gehabt habe, sich jetzt aber mit Florinda Donner-Grau, Carol Tiggs und Taisha Abelar drei weitere Frauen als seine Schülerinnen ausgeben, mutet merkwürdig an.

Die tranzendentalen Aspekte sind dementsprechend auch ein schwieriges Terrain - ich habe überhaupt keine Probleme damit, zuzugestehen, daß es möglicherweise bis recht sicher "Wirkursachen" jenseits des physikalisch Begründbaren gibt, und vor den Schamanen indigener Völker habe ich großen Respekt.
Aber dies nährt ich daraus, daß ihre Weltbilder und Erklärungen in sich und in übergreifender Weise konsistent sind, zumindest nicht auf den ersten Blick als Fiktion des einzelnen Schamanen zur Ergötzung von Touristen oder orientierungsloser Westler zu erkennen.
Manches an Castanedas Gedanken erinnert mich grob an Dinge, die sich in Rolando Toros Biodanza-Ideologie wiederfinden - aber Toro sagt frei, daß er seine Ideen selbst bekommen habe, beschreibt etwa den Weg dazu und die Mechanismen, und so hat die Sache einen festen Boden. Wo kulturelle Elemente eingeflossen sind, wird dies deutlich gemacht.

Wenn Castaneda sexuelle Enthaltsamkeit so hoch hält, warum hat er dann ganz offensichtlich selbst ein recht ausschweifendes Sexualleben geführt - auch den Frauen nehem ich ihr Bekenntnis nicht ab.

Was die "Sekte" betrifft, nenn es "Weltanschauungsgemeinschaft" - wenn ich mir die Berichte der Sessions durchlese, dann erscheint es mir als solche. Castaneda mag vielleicht selbst nicht den Anspruch eines Gurus gehabt haben, aber wenn er davon spricht, daß Teilnehmerinnen beklagen, nicht genug Zuwendung, gemeint als sexuelle Zuwendung, bekommen zu haben, deutet das für mich schon darauf hin, daß zumindest eine Reihe der Teilnehmer an seinen Sessions ihn als Guru angesehen haben in ähnlicher Weise, wie dies bei Bhagwan der Fall war.
Gut, mag man natürlich einwenden, für die Projektionen der Teilnehmer könne er nichts...

elegolo
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Di 15. Mai 2007, 10:16 - Beitrag #12

CC war kein Nagual!

:cool: Dieser Herr Castaneda hat sich doch in seinen Schilderungen als Schüler von D.J. selbst bestens charakterisiert und im Grunde auch sein Scheitern als "Nagual" vorweggenommen. Bei der geltungssüchtigen Person, die er wohl war (vgl. Amy Wallace), glaube ich dabei nicht an einen literarischen Trick sondern eher an seine Ehrlichkeit, den Versuch, wenigstens in diesem Punkt "makellos" zu sein. Für mich persönlich spricht zumindest aus den Büchern 3 und 4 eine aufrichtige Wahrheit. Was die späteren Bücher betrifft, bin ich eher im Zweifel, die früheren hat er ja zumindest in Ihrer Intention selbst als Fehleinschätzung bezeichnet, auch wenn die dortigen Schilderungen ebenfalls interessante Aspekte darstellen.

:crazy: Ich vermute mal, dass ihn der Ruhm "seiner" Bücher einfach korrumpiert und von seinem möglichen Weg abgebracht hat und er dann auch noch den Rest seiner Frauschaft. Amy Wallace beschreibt Castanedas Charakter und Entwicklung (und die seiner Gruppe) in seinen letzen Jahren sehr deutlich - sehr zu empfehlen: Sorcerer's Apprentice. (Bislang so weit ich weiß nur auf Englisch - aber in einem sehr guten, literarisch anspruchsvollen und doch verständlichen Stil.)

:confused: Mit Tensegrity habe ich mich noch nicht beschäftigt, vermute aber, dass dies nicht wirklich eine konsequente Essenz der "Lehren" sein kann, sondern eher ein Weg zur Kultvermarktung über seinen Cleargreen-Verein - kann mir da jemand noch was dazu sagen? (Micha?)

:( Ich bin kein Foren-Freak, weiß eigentlich auch nicht so recht, was das bringen soll - was bringt es euch, hier über Castaneda zu plaudern?

:) Interessieren würde mich auch, ob eine/r von Euch auch praktische Erfahrungen auf diesem "Weg des Wissens" gemacht hat oder das Ganze nur als Idee in seinem Hirn herumwälzt? Alleine oder in Gruppen? Workshops?

:P Mir macht es jedenfalls mächtig Spaß, die Bücher immer wieder zu lesen - und das seit 35 Jahren!!

janw
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Di 15. Mai 2007, 12:30 - Beitrag #13

Erstmal herzlich willkommen, elegolo :)
Möge es Dir hier gefallen und wir noch einiges von Dir lesen dürfen. :)

Nun, warum diskutieren wir hier über Castaneda?
Spaß an der Freud^^ bzw. ist es einfach interessant, etwas über die Wirkung und Hintergründe dieser doch nicht ganz unbedeutenden Person zu erfahren einschließlich fachkundiger Lesehinweise.
Geht zumindest mir so..

Interessant, was Du schreibst über seine Geltungssucht, betrifft als Motiv sicher nicht nur ihn allein...
Die Korruption durch den Erfolg - auch das ein running gag der "Guru"-Szene des 20. JH. - "Sorcerer's apprentice" könnte das erhellen, werds mir mal vornehmen, wenn ich mit dem 4. Band durch bin.

Durch Fluch oder Gnade der etwas späten Geburt, vielleicht auch des Ortes, bin ich mit der Sache nicht in ihrer Hoch-Zeit in Berührung gekommen, aber mich bewegt der Gedanke, was mir da wohl entgangen ist^^
Andere "Sekten"-Erfahrungen hab ich auch nicht, und was ich über Tensegrity lese, würde mich höchstens in wallraffscher Absicht anlocken.

Ipsissimus
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Di 15. Mai 2007, 12:34 - Beitrag #14

wenn man die Aussagen Castanedas in den Büchern ernst nimmt, dann war er nicht kein Nagual, er war nur, im Unterschied zu den bekannten Naguals, kein "vierspitziger" sondern ein "dreispitziger" Nagual. Ich entsinne mich nicht mehr genau an das Charakteristikum, welches dieses Unterschied definiert, erinnere mich aber noch, daß dies weitreichende und dramatische Konsequenzen für die Organisationsform seiner eigenen Kriegergruppe hatte.

was bringt es euch, hier über Castaneda zu plaudern?


Zeitvertreib auf dem Weg durch samsara^^

elegolo
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Do 17. Mai 2007, 17:10 - Beitrag #15

Ihr macht mir so richtig Mut!

Hupps, Ihr seid ja richtig aktiv in eurem Forum! :D
Danke für die freundliche Begrüßung, janw.

Das mit dem 3- oder 4-spitzigen Nagual kenne ich schon - letztlich aber zählt die Art und Weise, wie C.C. sein Leben beendet hat - ganz sicher nicht tanzend auf "Seinem Berggipfel" sondern schwerleidend im Bett - wo immer auch sein Doppelgänger-Ich dabei gewesen sein mag. Ich denke, er hat sein Ziel verfehlt und sich insgesamt als viel zu dumm erwiesen, den Weg des Kriegers konsequent zu gehen, sondern war eher zu einer Art Sektenführer geworden. Ein sehr fragwürdiger Nagual. Er hätte ab und zu mal wieder seine eigenen Bücher lesen sollen!

Die Castaneda-Seiten in
http://www.sustainedaction.org/
kennt Ihr sicher. Viel Diskutiererei usw. wie halt in allen Foren :).

Trotzdem finde ich die Lehren des Don Juan sehr überzeugend, habe bloß keinen Schimmer, wie man so etwas eingebettet in unserer westlichen Zivilisation umsetzen könnte.

Samsara samsara samsara ...

Gruß,
elegolo

Ipsissimus
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Do 17. Mai 2007, 22:09 - Beitrag #16

na ja, elegolo, wie ich schon sagte, halte ich Castaneda für einen Märchenerzähler, dessen Märchen sich um einen Ereigniskern herum scharen mögen oder nicht - es sind gute Märchen, sie ziehen Leute in ihren Bann, und manchen brachten und bringen sie auch zum Nachdenken^^ letzteres kreide ich ihnen hoch an

wie immer es sich auch mit Castaneda persönlich verhalten mag, er wäre nicht der erste und wird auch nicht der letzte Religionsgründer sein, dessen Lehren aus dem Ruder gelaufen sind vor lauter gutmeinenden Anhängern^^

henryN
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Fr 18. Mai 2007, 01:36 - Beitrag #17

danke für die Inspiration :-) hab beim googlen dann doch wieder einige interessante Ideen gefunden. Würde gern einen Weg finden diese wahrnehmungspsychologischen Prozesse in einer Weise zu erfassen die losgelöst ist von den Märchen oder dem Festhalten an bestimmten Bildern und Praktiken. Mir wäre es total Wurst ob Ihm das ein alter Indianer ins Ohr geflüstert hat oder er nur selbst darauf gekommen ist. Alter und Zeit ist für mich kein Beleg für Wahrhaftigkeit oder Kompetenz. Sobald es jemand geschafft hat eine bestimmte Ebene des Seins zu überschreiten, sehe ich da gern mal zu (ich sage extra nicht hören) wie sich das im Tätigsein oder meinetwegen auch untätigsein auswirkt bzw. ausstrahlt.....

....das ego auslöschen....ein alter traum.....

elegolo
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Fr 1. Jun 2007, 01:50 - Beitrag #18

"wahrnehmungspsychologische Prozesse"

Das eben ist die Frage - ist die Wahrnehmung ein psychologischer Prozess oder ist die Psyche nur eine (physische oder geistige oder biochemische oder neurophysiologische) Ausprägung oder gar ein reines Verstandeskonstrukt und die Wahrnehmung, die Glut der Bewusstheit, das eigentliche, umfassende Geheimnis?
Wie willst du deine Grenzen und es geht dabei ja um die Grenzen des Verstandes und auch ganz spezifisch um die Grenzen der Physik, der Naturwissenschaften etc., um den Weg in nicht Verstehbares sondern nur Erlebbares, um Dinge, die nicht erkärt sondern nur persönlich und wohl auch in einer jeweils sehr persönlichen Ausprägung wahrgenommen werden können und damit nicht "beweisbar" sind, wie also willst du diese Grenzen überschreiten ohne irgendwelche erprobten Praktiken von Zenmeistern oder Schamanen oder (vielleicht auch) Mönchen, die diese Grenzen überschritten haben.
Und wie willst du verhindern, dass du dabei irgendwelchen (Austo)suggestionen oder Wahnvorstellungen erliegst?
Das ist doch die Botschaft in Castanedas Büchern: Es gibt Bereiche des Seins, die uns mit unserem Alltagsbewußtsein und dem mit diesem eng verwobenem Verstand nicht zugänglich sind, weil wir diese Ordnungsfähigkeiten (Verstand, Beschreibung) zur Strukturierung und Erklärung der Welt benötigen, um Sicherheit zu erlangen. Aus dieser Schutzfunktion ist ein Gefängnis geworden und wir sehen noch nicht einmal, dass es da Mauern (unsere Welterklärung) gibt, die überwunden werden könnten und müssten, wenn wir zur "Ganzheit unseres Selbst" gelangen wollten.
Da geht's aber nicht mehr um Erläutern und Erklären und wissenschaftliche Nachweise, weil all dies unseren Verstand und unser Weltverständnis ad absurdum führt durch seine Unbeschreiblichkeit, ja Absurdität. Da kannst du dran glauben oder nicht oder du kannst den Weg einschlagen oder nicht oder du lebst halt dein Leben weiter so, was soll's? Du kannst dir auch dein Leben lang die tollen Storys reinzieh'n und überall nach Erklärungen fragen, in allen foren schnüffeln und hast am Ende doch keinen Funken davon erhascht.

Gruß,
elegolo

Ipsissimus
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Fr 1. Jun 2007, 11:16 - Beitrag #19

Fertigkeit kann durch Wissen eben nur ungenügend ersetzt werden^^

Elegolo, ich empfehle dir, Castaneda eher als Schelm denn als Weisen oder Lehrer aufzufassen^^ du erinnerst dich - daß wir uns nach etwas sehnen, ist keine Garantie dafür, daß es jenes, wonach wir uns sehnen, auch tatsächlich gibt. Castaneda spielt auf´s beste mit menschlichen Sehnsüchten nach Bedeutsamkeit, mit der Sehnsuch nach einer Alternative zur bestehenden und zunhemend als kalt empfundenen Wirklichkeit, aber das besagt nicht, daß es diese Bedeutsamkeit und diese Alternative wirklich gibt.

Ob Schamanen die Grenzen der Alltagswirklichkeit "wirklich" anders als nur im drogen- oder suggestionsinduzierten Rausch überschreiten, sei dahingestellt, für Zenpraktiker kann ich nur sagen, daß diese Grenzen mitnichten überschritten werden, weil es da um etwas ganz anderes geht als neuartige auditive und optische Sensationen. Und zuguterletzt sehe ich unser wissenschaftliches Weltbild nicht auf der Grundlage von Märchen in Frage gestellt. Bevor ich nicht den ersten ohne Hilfsmittel gegen die Schwerkraft fliegenden Menschen in natura an mir vorbeischweben sehe, während ich in meinem Alltagsbewußtsein bin, glaube ich zwar gerne, daß Märchen psychoaktive Prozesse in Gang bringen können, aber solange glaube ich ganz sicher nicht, daß Magie so funktioniert, wie sie es in Fantasybüchern oder -spielen tut^^

elegolo
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Sa 2. Jun 2007, 02:06 - Beitrag #20

Hm, Ipsissimus,

danke für den guten Rat, ich werde darüber nachgrübeln.

Mein Empfinden sagt mir allerdings auf eine kraftvolle Weise, dass an der beschriebenen Sache wirklich was dran ist - auch wenn es vielleicht nur der märchenhafte Traum-Spiegel meiner Weltflucht-Sehnsucht sein mag wie du wohl vermutest. Es fällt mir immer wieder auf, dass Menschen das, was sie lesen, gar nicht verstehen (wollen), sondern einfach nur die ganze Welt in schon angelegte Schubladen einordnen. Viele aber glauben zu verstehen, was sie gerne verstehen möchten. Patt.

Was wäre so schlimm daran, unser (derzeitiges) wissenschaftliches Weltbild in Frage zu stellen. Ist nicht gerade das "in Frage stellen" eines der herausragendsten Kennzeichen der wissenschaftlichen Entwicklung und Erkenntnis selbst - auch in Bezug auf sich selbst? Und warum sollen dazu nicht auch "verrückte" Sichweisen beitragen können. Die Verrücktheit liegt immer im Auge des Betrachters - oder so ähnlich ;).
Ich persönlich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sich hinter unserem Alltag-Sein, unserer "physikalischen Welt", hinter unserem derzeitigen Weltverständnis noch vieles verbirgt, auch Dinge, die unsere Vorstellungskraft bzw. unser Denkvermögen übersteigen und vielleicht doch irgendwie erfahrbar sind, wobei es mir nicht um irgendwelche übersensorischen Erlebnisse (oder "neuartige auditive und optische Sensationen") geht, sondern einfach um meine ganz persönliche Neugierde in Bezug auf mein Menschsein und seine Grenzen und um eine Sehnsucht nach Freiheit und zugleich auch nach Harmonie.

Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, wohin seine Reise geht - sie endet ohnehin (zumindest erst einmal - je nach Glaube) ganz offensichtlich mit dem Tod. Warum diese nicht interessant und lebendig gestalten?
Ja, ich würde schon gerne mal mit den Fingern schnippsen und einfach so durch die Luft schweben. Aber dazu mit dem Paraglidergeraffel auf dem Lift auf den Berg rauf zum Rumfliegen - das ist es dann auch nicht (bin halt nicht so sportlich veranlagt :)).
Leider bin ich ein fauler Mensch, der sich z.B. die Disziplin regelmäßiger Übungen nicht aufzuerlegen vermag (Thema Zen oder auch nur Tai Chi) - so dass ich auch nichts Konkretes glaubhaft zu berichten wüßte. Bleib' ich also beim Träumen und Lesen - wie auch immer; lieber schöne Träume-Schäume als gar keine Schaumschlägerei.

Und jedem seinen persönlichen Glauben! Solange er diesen anderen nicht aufzwingen will!


Gruß an den weisen Skeptiker,
vom in der Badewanne lesenden und schaumschlagenden elegolo

P.S. Übrigens eine ganz nette, wenn auch teilw. recht interpretative Zusammenfassung der Werke Castanedas und viele Links und Hinweise auf Sekundärliteratur in
http://de.wikipedia.org/wiki/Carlos_Castaneda

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