Das Ersthelfer-Dilemma

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Ipsissimus
Dämmerung
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Mo 29. Okt 2007, 14:07 - Beitrag #21

eigentlich habe ich diesen Thread im Philosophieforum eröffnet, weil ich eine philosophisch orientierte Diskussion über eine ethisch-moralische Zwickmühle führen wollte, nicht aber eine Diskussion über derzeitige Einsatzstrategien und allgemeine Probleme der medizinischen Versorgung in Deutschland.

Ich bezweifele nach deinen Darlegungen, Nazgul, gar nicht, dass die Pragmatik Wege gefunden hat, den einzelnen Helfern die Auseinandersetzung mit dem Dilemma zu ersparen.

Ich möchte aber den Teilnehmern an diesem Thread die Auseinandersetzung mit dem Dilemma nicht ersparen, sonst hätte ich ihn gar nicht erst eröffnet. Bitte setzt euch daher bei Interesse inhaltlich mit dem in meinem einleitenden Betrag skizzierten Problem auseinander, wenigstens größtenteils. Ich habe nichts dagegen, wenn auch andere Themen und Probleme gestreift werden, aber bei dem Ausmaß, das diese anderen Themen mittlerweile hier einnehmen, verdienen sie eigentlich einen eigenen Thread, wenn denn das eigentliche Thema dieses Threads zu uninteressant sein sollte.

Milena
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Mo 29. Okt 2007, 18:05 - Beitrag #22

Was sagt ihr zu folgendem Szenario: Person A ist tödlich verletzt, Person B nur schwer. In der Zeit, in der Person A bis zum Todeseintritt betreut wird, kommt Person B unversorgt dem Tode nahe, kann aber immer noch gerettet werden. Würdet ihr Person A Zuspruch geben? Warum ja, warum nein?

...würde ich person A zuspruch geben...?
ja, warum nicht..?^^
zumal ich jetzt kein arzt bin und in keinster weise abschätzen kann, wer wie stark verletzt ist (innere, nicht offensichtliche verletzung), so würde ich beiden meinen zuspruch geben, zumal ich nicht erkennen kann, wer jetzt stärker todesgefährdet wäre....
allerdings, wäre eine person davon ein kind, die andere ein älterer mensch,
so glaube ich,
würde ich doch einen unterschied machen,
in sekundenschnelle würde mir durch den kopf gehen, kind ist vorrangig zu behandeln, da es erst am lebensanfang steht......
aber das sind alles nur vermutungen,
wie, was und ob überhaupt im ernstfall ich gedenke zu tun,
das vermag ich hier nur zu spekulieren.....^^

jazz
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Mo 29. Okt 2007, 18:55 - Beitrag #23

Du sollst auch keine Diagnose geben,
denn er hat ja gesagt , daß A tödlich verletzt ist, und B nur schwer.
Das Problem , daß er aufzeigen möchte ist wohl der, wie kann ich beiden gerecht werden, wenn ich mich um A kümmere ohne daß ich dabei das Leben von B auf das Spiel setze.
Das ist das Dilemma von der Geschicht´, nicht wahr?

Kalenderblatt
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Mo 29. Okt 2007, 20:00 - Beitrag #24

Das führt in solchen Situationen regelmäßig dazu, dass Menschen, die noch leben, auch wenn sie tödlich verletzt sind, längere Zeit, im schlimmsten Fall bis zum Tod, ohne Behandlung oder auch nur Zuspruch bleiben.

Ethisch / moralisch gerechtfertigt? Wie würde ihr es handhaben? Würdet ihr es in jedem Fall so handhaben, wie ihr es beschreibt? Gäbe es für euch Ausnahmen?



Ich finds interessant dass sich im Grunde nur einer hier der ursprünglichen Fragestellung überhaupt gestellt hat

Ich stelle mich ihr nicht, ich weiß warum ich nicht im medizinischem Bereich arbeite: ich würde vermutlich niemandem letztendlich helfen (können), ich wäre schon froh wenn ich in der Lage wäre, einem der Verletzten Zuspruch geben zu können, aber entscheiden wen ich sterben lasse(n muss) und wen ich rette.... :rolleyes: :(

janw
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Mo 29. Okt 2007, 21:05 - Beitrag #25

Um auf Ipsis Anmerkung einzugehen...
Deine ursprüngliche Intention des threads ist etwas untergegangen, das ist wahr, und sie ist gleichwohl wichtig, weil es um die letztlich individuelle Bewältigung eines Wertkonfliktes geht - das Gebot der Hilfe für möglichst viele auf der einen, das Gebot der Zuwendung gerade in der existentiellsten Phase des Lebens, dem Sterben, auf der anderen - in einer Situation, in der beides für den Betreffenden bzw. seine Gruppe nicht zu bewerkstelligen ist.
Natürlich muss sich dieser Wertkonflikt tatsächlich real stellen, eine Diskussion über unmögliche Fallkonstellationen wäre wenig ergiebig, und hier hat Nazgul gut aufgezeigt, wie derartige Situationen administrativ-technisch bewältigt werden.

Ich denke, dieser Schritt war wichtig, weil die Tatsache, daß es einen administrativ-technischen Bewältigungsmodus gibt und die Darstellung seiner Regelungstiefe, also des Umfangs der von ihm erfassten denkbaren Einzelfallkonstellationen, der Differenziertheit des Regelsystems und die aus der Regelung sich ergebende Handlungsfreiheit für die administrativ-technischen Anwender - bzw. die ihnen noch verbleibenden Freiheitsgrade - aufzeigt, welchen Stellenwert die individuelle ethisch-moralische Werthaltung noch besitzt, wie weit hier noch eine individuelle ethisch-moralische Wertauseinandersetzung stattfindet, stattfinden kann, stattzufinden vorgesehen bzw. erwünscht ist.
Es wird damit klar, daß Formalkorrektheit die individuelle ethisch-für-angemessen, geboten oder tragbar-Haltung abgelöst hat - und die Gefahren dessen sind offensichtlich: Das Formalkorrekte ist sich keine ethisch-moralische Rechenschaft schuldig, es unterliegt vielmehr allein dem Primat des Politischen und damit den Primaten, welchen das Politische an sich unterliegt.

Ich denke, daß die Exkurse dienlich waren, um den Rahmen abzustecken, in welchem sich die zugrunde liegende Frage bewegt und um auf diese Aspekte ein Augenmerk zu werfen. Nun aber sollte die Ausgangsfrage wieder mehr Gewicht bekommen.

Ipsi, gibt es zu meiner Äußerung bezüglich der Aporie etwas zu sagen?

Kalenderblatt, das Problem ist, daß keiner sich dieser Frage wirklich sicher entziehen kann, sie kann sich hinter jeder Kurve stellen, 20 km vom nächsten Ort im Funkloch bei Nacht...

Ipsissimus
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Di 30. Okt 2007, 15:35 - Beitrag #26

Schätzle, wenn ich deinen letzten Beitrag richtig verstehe, vermutest du also, dass im besagten Fall ein gerüttelt Maß Willkür der Entscheidung mit ins Spiel kommt, erst recht, wenn persönliche Betroffenheit vorhanden ist. Das ist einer der Punkte, auf die ich hinaus wollte^^

Kalenderblatt, das finde ich auch interessant^^

Jazz, das Szenario mit sterbender Person A und schwerverletzter Person B ist nur eine Variante, die dazu gedacht ist, das Argument zu kontern, wonach im Rahmen einer allgemeinen Nützlichkeits- und Wirkungsabwägung sich nur um die Personen gekümmert wird, die eine Überlebenschance haben. Das eigentliche Dilemma ist in der Darlegung davor enthalten.

Janw, ich stimme deinem zweiten Absatz zu, wünschte mir aber, du würdest noch einen Denkschritt weiter gehen^^ dies auch hinsichtlich deiner Darlegung der möglichen Aporie^^

Kalenderblatt
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Di 30. Okt 2007, 18:38 - Beitrag #27

Wir WISSEN im Grunde schon dass es jederzeit jeden von uns treffen kann, dass jeder von uns vor so einer Entscheidung stehen kann. Aber solange es nicht jeden (mich, mir nahe Menschen) tatsächlich trifft, solange es also andere trifft, beschäftigen sich eher die wenigstens wirklich damit, im Sinne sich dieser "Aufgabenstellung" wirklich zu stellen.

Auf welche Grundlage entscheide ich im Ernstfall wem ich zu helfen versuche - mal unabhängig davon inwieweit ich das Wissen besitze wirklich helfen zu können (unter dem Gesichtspunkt fällt es mir enorm schwer mir so eine Situation überhaupt vorzustellen, da ich mich damals mit Hilfe des Unbemerkbarkeitsschleiers selbst vor der Abschlussprüfung beim Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein gedrückt habe ;-)) - aber mal unabhängig vom tatsächlich fehlenden Wissen, und einfach frech vorrausgesetzt ich HÄTTE dieses Wissen, zu erkennen, dieser Mensch ist unrettbar verletzt und jener noch rettbar (wenn ich mich um ihn kümmere in absehbarer Zeit) ...


Faden verloren.... noch mal von vorn ;-)

Auf welcher Grundlage entscheide ich im Ernstfall wem ich zu helfen versuche - (bitte im Absatz darüber nachlesen sonst verheder ich mich wieder ;-)) - und was mache ich mit jenen für die ich entscheidend erkenne dass ihr Leben nicht mehr zu retten ist. Ich bin gerade sehr unsicher ob ich mich mit einem Sterbenden beschäftigen kann. Ob ich das wirklich kann, dem Tod ins Auge zu sehen (sozusagen)

Und wie werd ich hinterher damit fertig jemandem sterben zu lassen? Was meint ihr: ist das Wissen dass dieser Mensch nicht mehr zu retten war, genug für das eigene Seelenheil ihm nicht geholfen zu haben, weil...... (weil man denen helfen wollte die man als rettbar einstufte... )

Ich denke man braucht für so einen Job ein (eigenes) moralisches Gerüst, eine Moral/Ethik die für einen selbst genüg (Seelen)Stärke vermittelt Menschen sterben lassen zu können. Ich bin nicht-gläubig (jedenfalls nicht im Sinne der europäisch gängigen Religionen); hilft eigentlich ein solcher Glaube dabei einem Menschen beim Sterben zuzusehen....?

Je mehr ich versuche mich der "Aufgabe" zu stellen, desto mehr drehe und winde ich mich....


Frage: Ist es ethisch/moralisch gerechtfertigt, "Menschen, die noch leben, auch wenn sie tödlich verletzt sind, längere Zeit, im schlimmsten Fall bis zum Tod, ohne Behandlung oder auch nur Zuspruch" zu lassen?
(meine) Antwort: nein, nicht für mich. Ich stelle mir vor dass diese Menschen wissen dass sie sterben werden, und sie dann allein zu lassen...? Vielleicht möchten sie noch etwas hinterlassen, ihren Verwandten, ihrer Familie, Freunden.... Ihnen dass im Alleinlassen verwehren...? Aber wieviel Zeit kann ich ihnen geben wenn ich in dieser Zeit andere retten könnte? puh.....

(übrigens bedeutet das "Nein" nicht unbedingt dass ich das letztendlich dann auch wirklich TUE, was ich da so wunderbar theoretisch schreibe. Es ist gut möglich dass ich die Flucht ergreife, vor dieser Entscheidung. Und dann sowohl B als auch A sterben)

Szenario: "Person A ist tödlich verletzt, Person B nur schwer. In der Zeit, in der Person A bis zum Todeseintritt betreut wird, kommt Person B unversorgt dem Tode nahe, kann aber immer noch gerettet werden. "
Frage: Würdet ihr Person A Zuspruch geben? Warum ja, warum nein?
Antwort: Wenn ich für mich entscheidend erkennen kann, dass B nach dem Tod von A rettbar ist, möchte ich A nicht allein sterben lassen

Für mich kitzliger: Kann ich A Zuspruch geben wenn ich erkennne, dass B sterben wird, tue ich nicht JETZT etwas...?
Gedanke: Würde A es verstehen, wenn ich ihn allein (sterben) lasse um das Leben eines anderen zu retten...?


Denkt ihr dass das Sterben ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist?



(Wenn ein professioneller Ersthelfer sich in seinem Handeln am Unfallort außerhalb der oben beschriebenen Standardprozedur bewegt, was geschieht dann eigentlich mit ihm?)

Kalenderblatt
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Di 30. Okt 2007, 18:45 - Beitrag #28

Ich glaube was ich eigentlich sagen möchte: Es gibt eine äußere Moral/Ethik (also z.B. auf Ebene der Gesellschaft, oder des Berufes), es gibt eine (die ein Mensch für sich fühlt und verinnerlicht hat) und es gibt die nach der man dann letztendlich im Extremfall handelt.

Ich denke ich möchte gern Zuspruch geben, únd retten. Aber vielleicht kann ich in der Praxis keines von beidem


Edit:

Grad gegrübelt: könnte ich jemanden helfen (gleich welche der beiden Arten) den ich nicht mag...?

Ipsissimus
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Di 30. Okt 2007, 21:49 - Beitrag #29

Kalenderblatt, du hast das Wesen des Dilemmas wirklich gut erfasst^^ unserer Entscheidung in dieser Situation sagt etwas darüber aus, wer wir wirklich sind; und das fürchten die meisten Menschen wie der Teufel das Weihwasser - etwas zu tun oder zu unterlassen, was sie unleugbar offenbart^^

meine - derzeit proklamierte, nicht in der Praxis erprobte - Lösung der Dilemmas wäre:
die ich kenne vor denen, die ich nicht kenne
kenne ich keinen, dann diejenigen, die am elendigsten stöhnen
bei denen die ich kenne zuerst die, die ich liebe, dann die, die ich mag, zuletzt die, die ich sympathisch finde

henryN
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Mi 31. Okt 2007, 03:25 - Beitrag #30

und alle anderen liebe ich nicht, weil sie mich nicht zurücklieben oder weil ich Angst davor habe das sie es nicht könnten oder können wollen würden...

wusste doch, dass die eigentlichen Dilemmata Angst und Liebe sind.....

@Ipsi hab dich echt gern kennengelernt :-) aber im Notfall wüsste ich gar nicht wie Du aussiehst. tja Pech gehabt. ;-) :-)

Ipsissimus
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Mi 31. Okt 2007, 10:26 - Beitrag #31

ich bin der breitschultrige Hässliche, Henry^^ und im Ernstfall würdest du zuerst deine Frau/Freundin oder dein Kind retten^^

als das eigentliche Dilemma würde ich übrigens Angst halten; für die Liebe ist die Sache ziemlich eindeutig^^

henryN
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Mi 31. Okt 2007, 17:44 - Beitrag #32

nur wenn der Hässliche meine Hilfe verweigert und nur über meine Leiche, denn ich wäre schon tot, wenn ich sie dort liegen sehen würde.....^

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