Ich würde sagen, jedes System, auf das sich das Denken und Handeln eines Menschen zurückführen lässt, kann in gewisser Weise als individuelle Philosophie dieses Menschen angesehen werden.
Der Begriff des "Systems" in diesem Satz deutet dabei an, daß das Denken und Handeln eines Menschen im Ganzen IMHO nicht zufällig ist, sondern durch sein Fußen in Entscheidungen und infolge von Selbstreflexion Grundlinien erkennen lässt, die auf zugrunde liegende Maximen, Werthaltungen und Setzungen hinweisen - mithin auf das, worin die gängigen philosophischen Systeme sich unterscheiden und was sie als Eigenes ausweist.
Philosophie zu betreiben bedeutet dabei für mich zunächst, sich dieser Grundlinien an sich und als Ausdruck des Selbst bewusst zu werden und sie und sich selbst in den Kontext der Welt zu stellen.
In nächster Näherung würde ich dies mit Ipsis
Philosophie ist eine Organisationsform von Neugierde
Philosophie ist eine Struktur des Denkens
parallelisieren.
Zitat von Kalenderblatt:das (Nach)Denken und (Nach)Forschen über Vorgänge im Werden und Sein, die über das eigene Verständnis gehen und meistens aus der momentanen Zeit hinausgreifen
setzt ein Erkennen der Grenzen des eigenen Verständnisses voraus - mithin das Erkennen, daß dahinter noch etwas des Bedenkens und Erforschens harrt.
Außerdem legt die Definition einen Schwerpunkt auf Fragen der Existenz, die zweifellos wichtige Fragen der Philosophie sind, in meinen Augen jedoch nicht die einzig wichtigen.
Zitat von Traitor:Den Hauptunterschied zu anderen Wissenschaften sehe ich darin, dass die Philosophie sich nicht mit Dingen, sondern Konzepten über Dinge befasst. [...] Dies führt leider zu ihrer allseits bekannten Beliebigkeit und Ungenauigkeit, ermöglicht aber auch das Erkennen von Inkonsistenzen der Konzepte und Denkweisen sowie der größeren Zusammenhänge.
In meinen Augen besteht gerade in der Erkenntnis des Konzepts, der Grundlinie der betrachteten Materie, ein philosophischer Denkakt, so daß jede sich systematisch nennende Wissenschaft letztlich in einer Philosophie fusst.
Die "Beliebigkeit" sehe ich als Ausdruck dessen, daß Philosophie nicht den Zwängen der anderen Wissenschaften unterliegt, die sich aus ihren jeweiligen Betrachtungsgebieten und Sachzwängen des Wissenschaftsbetriebes ergeben, sondern eben Verbindungen zwischen den Gebieten der anderen Wissenschaften ziehen kann und ansonsten den gedanklichen Assoziationen ihrer Betreiber folgt.
Ich würde statt von Beliebigkeit eher von Kontingenz sprechen.
Zitat von Traitor:Das Problem hier ist, dass selbst gute Philosophie meist gezwungen ist, auf mangelnden Grundlagen zu arbeiten oder über die existieren hinauszugehen, sodass selbst das bestgeschulte systematische Denken nichts genaues und eindeutiges mehr hervorbringen kann. Kant war ein genialer und stringenter Denker, aber zum Großteil seiner Positionen hätte er ebenso überzeugend auch das genaue Gegenteil darlegen können. Man könnte sagen, dass Philosophen zwar eigentlich die gleichen Prinzipien wie "echte Wissenschaftler" verfolgen, aber im Gegensatz zu diesen nicht die Zurückhaltung gelernt haben, bei mangelnder Tragfähigkeit der wissenschaftlichen Methode in einem unsicheren Gebiet auf das weitere Vorarbeiten zu verzichten. "Ich weiß, dass ich nichts weiß" wird zwar auf den Philosophen Sokrates zurückgeführt, aber keine andere Disziplin berücksichtigt dies so wenig wie die Philosophie.
Ich denke, ersteres ist eine Folge des wissenschaftlichen Fortschritts bzw. genauer der extremen Spezialisierung, welche in den Wissenschaften eingetreten ist, die selbst den in ihren Verästelungsnischen gefangenen Wissenschaftlern oft keinen Blick für das Ganze mehr ermöglicht.
Eine Philosophie, welche die Wissenschaften, ihre Erkenntnisse und deren Wirkungen als wesentliche Faktoren und Bedingungen für den Menschen und seine Gesellschaften in der heutigen Zeit wahrnimmt, muss diese Wissenschaften und ihre Erkenntnisse und Wirkungen in ihren Betrachtungsraum integrieren - und der nicht Fach-Wissenschaftler seiende Philosoph mit dieser Spezialisierung zwangsläufig Probleme bekommen.
Ein guter Teil der brüchig fundamentierten Ansätze wird auf dieses nur selektive und oft bruchstückhafte Wissen und Verständnis der anderen Wissenschaften zurück zu führen sein.
Man kann dies bedauern, ich halte es für mehr oder weniger unvermeidbar, wenn man noch eine Philosophie haben will, die auf die anderen Wissenschaften rekurriert.
Was gewiss oft fehlt, ist diesen schwankenden Boden sich einzugestehen, auf ihn hinzuweisen, um Verstärkung zu ersuchen, bisweilen auch Logik und Stringenz im auf diesem Boden möglichen Ausmaß.
Kant stand noch nicht vor diesen Problemen, er vereinte noch in etwa das damalige Weltwissen auf sich, konnte deshalb mit seiner gedanklichen Stringenz und Logik ungehindert darauf rekurrieren.
Sicher hätte er zu vielen seiner Positionen auch das Gegenteil darlegen können]Und wenn ich jetzt erzähle, dass dieser Prof regelmäßig abgehobene Interpretationen mit der Forderung konfrontiert, diese Interpreation bitte am Text zu belegen, dann wird Ipsi bestimmt die Hände über den Kopf schlagen, weil, wenn ich seinen Post richtig deute, auch dieser Prof bereits mit dem "Positivismusvirus" infiziert ist. Und das in seinem Alter. ^^
Aber so muss es auch sein, sonst kann man auch nicht von "Wissenschaft" sprechen und das will die Literaturwissenschaft auch auf ihre Weise sein.
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Ich glaube, das siehst Du etwas zu verkniffen - eine steile These muss begründet werden, und bei einer Textinterpretation ist der Text nun mal das Referenzobjekt erster Güte. Es ist aber ebenso zulässig, eine Begründung in diesem Text zu finden, wie zu sagen "der Text gibt es nicht her". Das ist dann die Grundlage für die Suche nach weiteren Begründungen, sei es im Entstehungshintergrund des Textes, im oeuvre des Autors, in Bezügen auf diesen Text, Aussagen über ihn,...