Was versteht ihr unter "Philosophie"?

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Maurice
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Mi 28. Nov 2007, 10:39 - Beitrag #1

Was versteht ihr unter "Philosophie"?

Ich glaube, das Thema hatten wir insgesamt schon ein paarmal in der Matrix, aber ich würde es gerne nochmal ansprechen, weil mir die Frage, was man unter "Philosophie" zu verstehen habe, in letzter immer wieder in den Sinn kam. Zeil ist für mich natürlich ein möglichst präzise Definition. Hier soll es aber erstmal um EURE Eindrücke gehen - schreibt also alle, an was ihr denkt, wenn ihr das Wort "Philosophie" hört. Wenn jemand sowas wie eine Definition hat, kann er sie natürlich auch posten. :)

Ich werde erstmal ein paar Antworten abwarten, bevor ich die Diskussion richtig eröffne - wobei sich diese wahrscheinlich auch ganz von alleine ergeben wird. Die Punkte, auf die es mir später besonders ankommt, nenne ich dann später.

Also JEDER darf und soll hier was schreiben, wenn ihm was einfällt. Es sind keine Vorbedingungen gegeben, also keine Angst! ^^

Maglor
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Mi 28. Nov 2007, 14:03 - Beitrag #2

Philosophie ist die Frage nach Wirklichkeit, nach den Dingen hinter den Dingen. :crazy:

Maurice
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Mi 28. Nov 2007, 18:05 - Beitrag #3

Das klingt für mich wie "Philosophie = Metaphysik". Wenn ich deinen Post anders lesen, würde ich diese Definition auch auf die verschiedenen Wissenschaften anwenden können, wobei du bestimmt nicht behaupten willst, oder?
Kannst du also noch etwas genauer beschreiben, was du meinst? :)
(Vielleicht kann auch das ein oder andere Beispiel zu der eigenen Definition dem allgemeinen Verständnis förderlich sein.)

Traitor
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Mi 28. Nov 2007, 18:26 - Beitrag #4

Philosophie - die Wissenschaft von allem und nichts.
In gewissem Sinne ist jedes systematische Nachdenken über irgendetwas Philosophie, in gewissem Sinne ist sie als Wissenschaft für alles zuständig, um das sich entweder keine Einzelwissenschaft kümmert oder das zwischen verschiedenen Einzelwissenschaften umstritten ist / die Metaebene mehrerer bildet. Historisch war ja ursprünglich mal alles Philosophie, dann haben sich die anderen Bereiche entwickelt / abgespalten, und nun behält die Philosophie die Reste bzw. bringt sich wieder ein, sobald etwas zu unklar ist.
Den Hauptunterschied zu anderen Wissenschaften sehe ich darin, dass die Philosophie sich nicht mit Dingen, sondern Konzepten über Dinge befasst (wobei ich mathematische Objekte hier durchaus auch als Dinge zähle), also eben eine Metaebene weiter oben steht. Dies führt leider zu ihrer allseits bekannten Beliebigkeit und Ungenauigkeit, ermöglicht aber auch das Erkennen von Inkonsistenzen der Konzepte und Denkweisen sowie der größeren Zusammenhänge.

Maurice
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Mi 28. Nov 2007, 18:40 - Beitrag #5

Traitor, wenn ich deinen Post kritisch lese, finde ich bestimmte inhaltliche Spannungen:
1. An der einen Stelle sagst du, dass die Philosophie keinen festen Gegenstandsbereich hat ("die Wissenschaft von allem und nichts"), an einer anderen Stelle, klingt es dann aber so, als ob sie einen solchen doch hätte (Philosophie als Metawissenschaft und Beschäftigung mit allem, das nicht von den Einzelwissenschaften behandelt wird).
2. Zum einen sei Philosophie systematisches Nachdenken, zum anderen zeichne sie sich durch Beliebigkeit und Ungenauigkeit gekennzeichnet.
3. Kann eine Disziplin sinnvoll als Wissenschaft bezeichnet werden, der man Beliebigkeit und Ungenauigkeit unterstellt?

Ich habe mich um Wohlwollen bemüht und deshalb absichtlich nicht von "Widersprüchen" sondern nur von "Spannungen" gesprochen. Das liegt aber wohl auch daran, dass ich in deinem Post viele Aspekte finde, die mir momentan auch durch den Kopf gehen. ^^
Das wundert mich ein wenig, da wir bei der letzten Diskussion in der Richtung iirc die Philosophie doch recht unterschiedlich bewertet hatten.

Aber soviel erstmal als Kommentar, ich will ja erstmal ein paar Äußerungen sammeln, bevor es zur eigentlichen Diskussion kommt. Falls zuviele unterschiedliche Fragen aufgeworfen werden, kann man ja auch noch entsprechende neue Threads dazu erstellen. :)

Kalenderblatt
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Mi 28. Nov 2007, 19:37 - Beitrag #6

das (Nach)Denken und (Nach)Forschen über Vorgänge im Werden und Sein, die über das eigene Verständnis gehen und meistens aus der momentanen Zeit hinausgreifen

Maurice
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Mi 28. Nov 2007, 20:00 - Beitrag #7

@Kalenderblatt: Machen das nicht aber auch die meisten Wissenschaften?

Maglor
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Mi 28. Nov 2007, 21:39 - Beitrag #8

Zitat von Maurice:Das klingt für mich wie "Philosophie = Metaphysik".

Genau das habe ich im Grunde auch ausdrücken wollen. Mir erschien es nur sinnvoll und zweckdienlich auch derartige Fachtermini zu verzichten.
MfG Maglor :rolleyes:

Kalenderblatt
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Mi 28. Nov 2007, 22:16 - Beitrag #9

Zitat von Maurice:@Kalenderblatt: Machen das nicht aber auch die meisten Wissenschaften?

ist es Bedingung, dass andere Wissenschaften aus der "Definition" ausgeschlossen werden müssen? Bild

Milena
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Do 29. Nov 2007, 00:46 - Beitrag #10

[
das (Nach)Denken und (Nach)Forschen über Vorgänge im Werden und Sein, die über das eigene Verständnis gehen und meistens aus der momentanen Zeit hinausgreifen


...nu ist mir auch völlig klar, warum ich mich nie dafür interessiert hab....^^:D

Ipsissimus
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Do 29. Nov 2007, 11:21 - Beitrag #11

du interessierst dich schon dafür, Schatz^^ nur nicht auf diese Weise^^


ich denke nach wie vor, dass es wenig Sinn macht, Philosophie über einen Kamm zu scheren; die Diskrepanzen zwischen dem, was ein professioneller, und dann fast immer akademischer Philosoph als sein Fach auffasst, und dem, was das "Drauflos Denken" eines Hobbyphilosophen ausmacht, sind einfach zu groß.

Philosophie ist eine Organisationsform von Neugierde
Philosophie ist eine Struktur des Denkens

auf mehr Allgemeina würde ich mich in erster Annäherung fast schon nicht einlassen wollen, denn fast alles, was sonst gesagt werden kann, stimmt nur für einzelne Epochen oder Schulen.

Kalenderblatt
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Do 29. Nov 2007, 12:13 - Beitrag #12

Zitat von Ipsissimus:Philosophie ist eine Organisationsform von Neugierde
Philosophie ist eine Struktur des Denkens.


ich weiß nicht mal ob ich soweit gehen würde, von Organisation und Struktur zu sprechen (zumindest wenn es um Hoppiephilosohphen geht), aber der part mit der Neugier sagt mir sehr zu

:)

Maurice
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Do 29. Nov 2007, 12:42 - Beitrag #13

Was ist Wissenschaft und welches Verhältnis zu ihr hat die Philosophie?

Maglor, bist du dir über die Problematik bewusst, die mit dem Ausdruck "Metaphysik" verbunden ist? Wenn man ihm im Sinne von spezieller Metaphysik versteht, als Lehre vom Transzendenten, dann würde das nette Paradoxon entstehen, dass z.B. der logische Empirismus - eine philosophische Schule - sich selbst das Philosophieren abgesprochen hätte, weil sie weg von aller Metaphysik wollten. ^^
Aber selbst wenn man einen weiteren Metaphysikbegriff anwendet, fallen immer noch zuviele typische philosophischen Themen aus dem Raster, z.B. die Metaethik.

@Kalenderblatt:
ist es Bedingung, dass andere Wissenschaften aus der "Definition" ausgeschlossen werden müssen?

Ich befehle hier niemanden, wie er "Philosophie" zu definieren hat. Ich frage nur nach, um sicher zu gehen, ob ich den anderen richtig verstehe. :)

Da sich jetzt schon einige Interessenten zu dem Thema eingefunden haben scheinen, kann ich auch explizit sagen, dass es mir eigentlich geht:
Das Thema was ich gerne besprechen würde, steht als Titel über meinen Post.
Ich habe bewusst den Thread nicht so eröffnet, um erstmal ein paar unvoreingenommene Aussagen zu sammeln. Alle, die sich hier in der Weise noch nicht geäußert haben, können das natürlich gerne noch tun. :)
Mir geht es hier weniger um eine exakte Definition von "Wissenschaft", sondern mehr um die Frage, ob man die verschiedenen Fragen der Philosophie und deren Herangehensweise irgendwie zusammen fassen kann oder ob es wirklich nur ein Haufen loser Fragen und Ansätze ist, wie sie manchen erscheinen kann. Da wir mit "Philosophie" aber nicht irgendwas meinen, sollte es doch den ein oder anderen gemeinsamen Nenner geben. Und um denen etwas näher zu kommen, möchte ich mit euch diskutieren, was das Gemeinsame der unterschiedlichen philosophsichen Fragen und Disziplinen ist und ob und inwiefern sie sich von anderen Fragestellungen (z.B. die der Naturwissenschaft) unterscheiden.

Ipsissimus
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Do 29. Nov 2007, 15:02 - Beitrag #14

aus Sicht heutiger Naturwissenschaften dürfte Philosophie im Wesentlichen die "arme alte Großtante von der Uroma" sein, die es irgendwie bis in die Gegenwart geschafft hat; moderne Geisteswissenschaften, soweit sie sich nicht vom Positivismusvirus haben infizieren lassen, werden wahrscheinlich immerhin noch anerkennen, dass die Philosophie die Urformen der meisten Werkzeuge geschaffen hat, mit denen die Einzelwissenschaften heute ausgestattet sind.

Kalenderblatt
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Do 29. Nov 2007, 16:05 - Beitrag #15

NB:
Zitat von Maurice:@Kalenderblatt:
Ich befehle hier niemanden, wie er "Philosophie" zu definieren hat. Ich frage nur nach, um sicher zu gehen, ob ich den anderen richtig verstehe. :)

Wenn du es tätest (befehlen) stellte sich mir die Frage wem du befehlen würdest, warum, und warum dieser jemand sich deinen Befehlen beugen wollen würde

:P

Ich empfand und empfinde dein Nachhaken in Bezug auf andere Wissenschaften und dass du jetzt nach einem Verhältnis Wissenschaft-Philosophie fragst, bemerkenswert

henryN
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Do 29. Nov 2007, 20:32 - Beitrag #16

Ich glaube mit der Philosophie ist es genauso, wie als man auf die Strasse trat, in einen Kaugummi hinein, welcher so frisch ausgespuckt war, das er sich mit Leichtigkeit in alle Fusssohlenritzen verteilte. Das ist sehr ärgerlich und der Philosph wäre versucht, darüber nachzudenken, ob es ein Handlungs- oder ein daseinsproblem darstellt, oder ob es eine Variante gäbe es so zu denken, als wäre es Bestimmung, Zufall oder einfach nur überflüssig.

Der Physiker würde sich einfach nur freuen, da er in diesem Moment vielleicht die entscheidende Einleuchtung hätte, in der Herstellung adhäsiver Verfahrenstechnologie komplexer technischer Materialien.

Der Mathematiker hätte sehr viel zu berechnen, möglicherweise bis zum Lebensende, um seinem Modell die Determiniertheit des Alltags anhaften zu lassen. Kurz vor dem Tod findet er heraus, dass es vielleicht eine bessere Idee gewesen wäre, nicht vor die Tür zu gehen, bzw. woanders hinzuziehen, dort wo es keine Kaugummis gibt. Dort wird auch viel leichter reinkarniert, weil dem Leben nicht ganz so viel anhaftet und die Luft sauber ist aber auch nicht mehr lange. Es gibt dort auch mehr Berge.....

Hat der Profiphilosoph einen anderen Grund als jene Fragen, die da heissen:

Wer bin ich? Was mache ich hier eigentlich? Und warum überhaupt? Kann man Schwachsinn entkommen?

Ein Psychologe könnte allem ein krankhaftes Verhalten unterstellen und ich würde daraufhin die Frage äussern, ob es überhaupt ein "gesundes" Leben gibt.

usw.usf.... ;)

Vielleicht ist es auch besser gar nicht darüber nachzudenken, denn aus neurobiologischer Sicht, wäre Denken eher eine "Irritation"....

Traitor
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Fr 30. Nov 2007, 06:40 - Beitrag #17

1. An der einen Stelle sagst du, dass die Philosophie keinen festen Gegenstandsbereich hat ("die Wissenschaft von allem und nichts"), an einer anderen Stelle, klingt es dann aber so, als ob sie einen solchen doch hätte (Philosophie als Metawissenschaft und Beschäftigung mit allem, das nicht von den Einzelwissenschaften behandelt wird).
Das zweite sehe ich als weitere Ausführung des ersten. "allem" - prinzipiell lässt sich zu allem, was eine andere Wissenschaft untersucht, auch eine philosophische Betrachtung anstellen. Quantenmechanik - Kausalität, Determinismus? Neurologie - Freier Wille? Archäologie - Menschwerdung? "nichts" - keines dieser Gebiete ist eines, für das die Philosophie wirklich zuständig wäre, in dem Sinne, dass man von ihr wissenschaftlich ausgearbeitete Lösungen oder verbindliche Aussagen erwartet. Sie macht sich Gedanken dazu, schärft den Blick für Probleme und Grenzen der anderen Disziplinen, kann deren Arbeit aber im Gegensatz zur Zeit vor 1000 oder 2000 Jahren nicht mehr übernehmen.
2. Zum einen sei Philosophie systematisches Nachdenken, zum anderen zeichne sie sich durch Beliebigkeit und Ungenauigkeit gekennzeichnet.
Das Problem hier ist, dass selbst gute Philosophie meist gezwungen ist, auf mangelnden Grundlagen zu arbeiten oder über die existieren hinauszugehen, sodass selbst das bestgeschulte systematische Denken nichts genaues und eindeutiges mehr hervorbringen kann. Kant war ein genialer und stringenter Denker, aber zum Großteil seiner Positionen hätte er ebenso überzeugend auch das genaue Gegenteil darlegen können. Man könnte sagen, dass Philosophen zwar eigentlich die gleichen Prinzipien wie "echte Wissenschaftler" verfolgen, aber im Gegensatz zu diesen nicht die Zurückhaltung gelernt haben, bei mangelnder Tragfähigkeit der wissenschaftlichen Methode in einem unsicheren Gebiet auf das weitere Vorarbeiten zu verzichten. "Ich weiß, dass ich nichts weiß" wird zwar auf den Philosophen Sokrates zurückgeführt, aber keine andere Disziplin berücksichtigt dies so wenig wie die Philosophie.
All dies ganz davon abgesehen, wie leicht es ist, schlechte Philosophie zu betreiben, die nur schwer von guter zu unterscheiden ist. Auch gute Philosophie mit untadeliger Logik scheitert oft daran, in zu wenig beschränkten Systemen nahezu alles herleiten zu können, aber ein Großteil auch der erfolgreichen Philosophen kriegt leider nichtmal ihre Logik fehlerfrei beisammen.
3. Kann eine Disziplin sinnvoll als Wissenschaft bezeichnet werden, der man Beliebigkeit und Ungenauigkeit unterstellt?
Die Disziplin als ganzer mit Sicherheit nicht. Aber ein gesundes Bemühen, sich dazu zu entwickeln, möchte ich der Philosophie durchaus zusprechen. Wobei auch der Großteil der sonstigen Disziplinen meines Erachtens auf dem Weg zu einer systematischen und sauberen Wissenschaft noch ein großes Stück zurückzulegen hat, die Geisteswissenschaften hinken der Mathematik und Physik hier um Jahrhunderte hinterher. (Ohne ihnen dies zum Vorwurf machen zu wollen, ihre Themen sind einfach viel schwerer in voller Wissenschaftlichkeit zu beherrschen.)

Das wundert mich ein wenig, da wir bei der letzten Diskussion in der Richtung iirc die Philosophie doch recht unterschiedlich bewertet hatten.
Ich denke, du spielst auf die Zeit an, als du gerade zum extremen Relativismus "konvertiert" warst und ich die Möglichkeit gesicherten Wissens verteidigt habe? (Siehe Zum Verhältnis von Vernunft und Wissen)

PS: [url=Die Grenzen des Philosophierens]"Die Grenzen des Philosophierens"[/url] habe ich dazu auch noch gefunden. Soweit ich das sehe, haben sich meine eigenen Stellungnahmen seitdem nicht sonderlich verändert - außer, dass ich in diesem Thread vielleicht etwas negativer formuliere, da ich dort von meiner eigenen Vorstellung von Philosophie redete und hier davon, wie sie in der Realität funktioniert. Siehst du bei dir Verschiebungen?

Maurice
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Fr 30. Nov 2007, 14:35 - Beitrag #18

@Traitor:

@Alte Aussagen: Es würde jetzt etwas weit für mich führen, die alten Aussagen mit den jetztigen zu vergleichen. Ist mir auch nicht wichtig, es kommt mir auf die jetzigen Posts an. Das andere war nur so ein Gedanke, den ich äußern wollte. ;)
Wenn ich mich aber richtig erinnere, ging es zum einen um die Frage, ob meta-wissenschaftliche Fragen noch als Teil der jeweiligen Wissenschaft oder zur Philosophie gerechnet werden sollen. Und zum anderen, ob die Axiome einer Wissenschaft einer kritischen Hinterfragung bedürfen.
Was wer wie genau zu diesen Fragen gemeint hat, ist mir wie gesagt nicht wichtig. Wenn es sich ergibt würde ich sie gerne nur hier wieder neu stellen. :)

@Verschiebungen: Im Laufe der Jahre gab es bei mir immer wieder Verschiebungen. Was den Philosophiebegriff angeht, so war das hier wohl weniger der Fall schätze ich, was aber daran liegt, dass ich mich noch nicht auf einen Begriff festgelegt habe. Um das (für bis auf weiteres) nachzuholen, habe ich nochmal diesen Thread eröffnet. ^^

@"rückständige" Geistswissenschaften: Will dazu erstmal keine festgelegte Aussage machen, weil ich mich nicht ausreichend mit den "harten" Wissenschaften auskenne. Geisteswissenschaften müssen aber aber nicht Larifari-Blabla bedeuten - zum Glück, sonst köntne ich nichts damit anfangen.
Du müsstest mal meinen Germanistik-Prof erleben, bei dem ich gerade ein Seminar über Gedichtsinterpretation mache. Der läuft fast die Wände hoch, wenn jemand einen Kommentar alla "Was diese Zeile bedeuten soll, ist doch total subjektiv." oder "Der Sinn des Gedichts ist was rein persönliches." - und ich finde es gut, dass er dem entschieden widerspricht. Denn wenn man wirklich dieser Meinung ist, dann braucht man auch kein Seminar über Gedichtsinterpretation zu halten bzw. zu besuchen, dann wenn alles rein subjektiv ist, braucht man auch nicht darüber zu diskutieren. Denn was gäbe es dann noch zu diskutieren? Es stimmt aber auch (und auch das hat er zu meiner Freude betont), dass es in den Geisteswissenschaften viel seltener Beweise gibt als in den Naturwissenschaften. Das sei aber nicht kein Grund, alles für rein subjektiv zu halten. Denn selbst da wo es keine Beweise gibt, gibt es meistens immer noch Argumtene. Und die können besser oder schlechter sein, d.h. bestimmten Anforderungen entsprechen oder nicht. Auch bei der Interpretation eines Gedichtes kommt es auf innere und äußere Kohärenz an, argumentative Dichte, Einfachheit, Erklärungswert usw.
Und wenn ich jetzt erzähle, dass dieser Prof regelmäßig abgehobene Interpretationen mit der Forderung konfrontiert, diese Interpreation bitte am Text zu belegen, dann wird Ipsi bestimmt die Hände über den Kopf schlagen, weil, wenn ich seinen Post richtig deute, auch dieser Prof bereits mit dem "Positivismusvirus" infiziert ist. Und das in seinem Alter. ^^
Aber so muss es auch sein, sonst kann man auch nicht von "Wissenschaft" sprechen und das will die Literaturwissenschaft auch auf ihre Weise sein. :)

janw
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Sa 1. Dez 2007, 03:26 - Beitrag #19

Ich würde sagen, jedes System, auf das sich das Denken und Handeln eines Menschen zurückführen lässt, kann in gewisser Weise als individuelle Philosophie dieses Menschen angesehen werden.
Der Begriff des "Systems" in diesem Satz deutet dabei an, daß das Denken und Handeln eines Menschen im Ganzen IMHO nicht zufällig ist, sondern durch sein Fußen in Entscheidungen und infolge von Selbstreflexion Grundlinien erkennen lässt, die auf zugrunde liegende Maximen, Werthaltungen und Setzungen hinweisen - mithin auf das, worin die gängigen philosophischen Systeme sich unterscheiden und was sie als Eigenes ausweist.

Philosophie zu betreiben bedeutet dabei für mich zunächst, sich dieser Grundlinien an sich und als Ausdruck des Selbst bewusst zu werden und sie und sich selbst in den Kontext der Welt zu stellen.
In nächster Näherung würde ich dies mit Ipsis
Philosophie ist eine Organisationsform von Neugierde
Philosophie ist eine Struktur des Denkens

parallelisieren.

Zitat von Kalenderblatt:das (Nach)Denken und (Nach)Forschen über Vorgänge im Werden und Sein, die über das eigene Verständnis gehen und meistens aus der momentanen Zeit hinausgreifen

setzt ein Erkennen der Grenzen des eigenen Verständnisses voraus - mithin das Erkennen, daß dahinter noch etwas des Bedenkens und Erforschens harrt.
Außerdem legt die Definition einen Schwerpunkt auf Fragen der Existenz, die zweifellos wichtige Fragen der Philosophie sind, in meinen Augen jedoch nicht die einzig wichtigen.

Zitat von Traitor:Den Hauptunterschied zu anderen Wissenschaften sehe ich darin, dass die Philosophie sich nicht mit Dingen, sondern Konzepten über Dinge befasst. [...] Dies führt leider zu ihrer allseits bekannten Beliebigkeit und Ungenauigkeit, ermöglicht aber auch das Erkennen von Inkonsistenzen der Konzepte und Denkweisen sowie der größeren Zusammenhänge.

In meinen Augen besteht gerade in der Erkenntnis des Konzepts, der Grundlinie der betrachteten Materie, ein philosophischer Denkakt, so daß jede sich systematisch nennende Wissenschaft letztlich in einer Philosophie fusst.

Die "Beliebigkeit" sehe ich als Ausdruck dessen, daß Philosophie nicht den Zwängen der anderen Wissenschaften unterliegt, die sich aus ihren jeweiligen Betrachtungsgebieten und Sachzwängen des Wissenschaftsbetriebes ergeben, sondern eben Verbindungen zwischen den Gebieten der anderen Wissenschaften ziehen kann und ansonsten den gedanklichen Assoziationen ihrer Betreiber folgt.
Ich würde statt von Beliebigkeit eher von Kontingenz sprechen.

Zitat von Traitor:Das Problem hier ist, dass selbst gute Philosophie meist gezwungen ist, auf mangelnden Grundlagen zu arbeiten oder über die existieren hinauszugehen, sodass selbst das bestgeschulte systematische Denken nichts genaues und eindeutiges mehr hervorbringen kann. Kant war ein genialer und stringenter Denker, aber zum Großteil seiner Positionen hätte er ebenso überzeugend auch das genaue Gegenteil darlegen können. Man könnte sagen, dass Philosophen zwar eigentlich die gleichen Prinzipien wie "echte Wissenschaftler" verfolgen, aber im Gegensatz zu diesen nicht die Zurückhaltung gelernt haben, bei mangelnder Tragfähigkeit der wissenschaftlichen Methode in einem unsicheren Gebiet auf das weitere Vorarbeiten zu verzichten. "Ich weiß, dass ich nichts weiß" wird zwar auf den Philosophen Sokrates zurückgeführt, aber keine andere Disziplin berücksichtigt dies so wenig wie die Philosophie.

Ich denke, ersteres ist eine Folge des wissenschaftlichen Fortschritts bzw. genauer der extremen Spezialisierung, welche in den Wissenschaften eingetreten ist, die selbst den in ihren Verästelungsnischen gefangenen Wissenschaftlern oft keinen Blick für das Ganze mehr ermöglicht.
Eine Philosophie, welche die Wissenschaften, ihre Erkenntnisse und deren Wirkungen als wesentliche Faktoren und Bedingungen für den Menschen und seine Gesellschaften in der heutigen Zeit wahrnimmt, muss diese Wissenschaften und ihre Erkenntnisse und Wirkungen in ihren Betrachtungsraum integrieren - und der nicht Fach-Wissenschaftler seiende Philosoph mit dieser Spezialisierung zwangsläufig Probleme bekommen.
Ein guter Teil der brüchig fundamentierten Ansätze wird auf dieses nur selektive und oft bruchstückhafte Wissen und Verständnis der anderen Wissenschaften zurück zu führen sein.
Man kann dies bedauern, ich halte es für mehr oder weniger unvermeidbar, wenn man noch eine Philosophie haben will, die auf die anderen Wissenschaften rekurriert.
Was gewiss oft fehlt, ist diesen schwankenden Boden sich einzugestehen, auf ihn hinzuweisen, um Verstärkung zu ersuchen, bisweilen auch Logik und Stringenz im auf diesem Boden möglichen Ausmaß.

Kant stand noch nicht vor diesen Problemen, er vereinte noch in etwa das damalige Weltwissen auf sich, konnte deshalb mit seiner gedanklichen Stringenz und Logik ungehindert darauf rekurrieren.
Sicher hätte er zu vielen seiner Positionen auch das Gegenteil darlegen können]Und wenn ich jetzt erzähle, dass dieser Prof regelmäßig abgehobene Interpretationen mit der Forderung konfrontiert, diese Interpreation bitte am Text zu belegen, dann wird Ipsi bestimmt die Hände über den Kopf schlagen, weil, wenn ich seinen Post richtig deute, auch dieser Prof bereits mit dem "Positivismusvirus" infiziert ist. Und das in seinem Alter. ^^
Aber so muss es auch sein, sonst kann man auch nicht von "Wissenschaft" sprechen und das will die Literaturwissenschaft auch auf ihre Weise sein. :) [/QUOTE]
Ich glaube, das siehst Du etwas zu verkniffen - eine steile These muss begründet werden, und bei einer Textinterpretation ist der Text nun mal das Referenzobjekt erster Güte. Es ist aber ebenso zulässig, eine Begründung in diesem Text zu finden, wie zu sagen "der Text gibt es nicht her". Das ist dann die Grundlage für die Suche nach weiteren Begründungen, sei es im Entstehungshintergrund des Textes, im oeuvre des Autors, in Bezügen auf diesen Text, Aussagen über ihn,...

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Sa 1. Dez 2007, 06:41 - Beitrag #20

@Maurice:
Geisteswissenschaften müssen aber aber nicht Larifari-Blabla bedeuten - zum Glück, sonst köntne ich nichts damit anfangen.
Nein, sicher nicht. Weitgehend leisten die Geisteswissenschaften gute Arbeit. Aber sie haben leider weitgehend noch keine sicheren Methoden entwickelt, schlechte Arbeit auszuschließen und gute systematisch zu entwickeln. Und selbst, wenn der Versuch unternommen wird, sich zur Empirik hinzuentwickeln, ist das bestenfalls der Anfang des Weges, man sehe sich nur an, was für ein methodischer Unfug regelmäßig von anscheinend anerkannten Soziologen, Psychologen und Medizinern als "Studie" herausgegeben wird.

@Jan: Generell sollten wir hier versuchen, zwischen den verschiedenen Wörtern "die Philosophie" als Disziplin und "eine Philosophie" als einem Denkmodell zu unterscheiden. Ich gehe davon aus, dass es Maurice um ersteres geht.
Die "Beliebigkeit" sehe ich als Ausdruck dessen, daß Philosophie nicht den Zwängen der anderen Wissenschaften unterliegt, die sich aus ihren jeweiligen Betrachtungsgebieten und Sachzwängen des Wissenschaftsbetriebes ergeben, sondern eben Verbindungen zwischen den Gebieten der anderen Wissenschaften ziehen kann und ansonsten den gedanklichen Assoziationen ihrer Betreiber folgt.
Ich würde statt von Beliebigkeit eher von Kontingenz sprechen.
Kontingenz ist seit einiger Zeit dein Lieblingswort, oder? ;) "Zwänge" sind, wenn es um das Aufstellen eines sauber definierten Systems geht, aber eben nichts allgemein negatives, sondern etwas notwendiges. So, wie man für ein physikalisches Problem Anfangs- oder Randwertbedingungen braucht, braucht ein Welterklärungssystem die Überprüfbarkeit an der Welt als Zwangsbedingung, um zu etwas nutze zu sein. Indem die Philosophie über diesen überprüfbaren Teil hinausgeht, entwickelt sie zwar viel interessantes, von dem sich auch durchaus wieder brauchbare Ansätze auf die Realität herunterbrechen lassen mögen, kann aber eben auch keinerlei Anspruch auf Eindeutigkeit und Korrektheit mehr erheben, wie sie es aber leider meist tut.
Wie du im nächsten Absatz schreibst, ist es dann eben oft auch ein Problem, dass die Naturwissenschaften inzwischen einfach zu viele Erkenntnisse produziert haben, die die Philosophie berücksichtigen müsste, als dass diese sie noch alle handhaben könnte. Ein Problem ist hier sicher, dass zwar problemlos 5000 Physiker an einem Teilchenbeschleuniger kooperieren können, aber schon die Idee, dass sich 2 Philosophen die Arbeit an einer Theorie teilen, eher absurd ist. Die Erkenntnistiefe der Menschheit hat inzwischen ein Ausmaß erreicht, dass es für Individuen nicht mehr möglich ist, sie zu überblicken - sich damit auseinanderzusetzen, wird die Philosophie es schwer haben. Dennoch kann man eine gewisse Einarbeitung erwarten, Modelle, die elementaren Erkenntnissen der Physik oder Biologie widersprechen, sollte kein Philosoph mehr von sich geben, der etwas auf sich hält.

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