Zen-Buddhismus: Utopie und Wirklichkeit

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maglor
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So 27. Apr 2008, 20:33 - Beitrag #1

Zen-Buddhismus: Utopie oder Wirklichkeit?

Zitat von Maglor:Ja, Zen-Buddhisten sind ganz bestimmt die besseren Menschen. ]Dingen[/URL] führen.
Aber jetzt werde ich wahrscheinlich gleich belehrt und kriege erzählt, dass ja deutsche Schöngeister viel mehr Ahnung vom Zen haben als irgendwelche japanischen Adeligen.

Zitat von janw:Wenn Du ernsthaft darüber diskutieren möchtest, kannst Du gerne einen neuen thread dazu aufmachen, von mir hier nur so viel, daß nach meiner bescheidenen Kenntnis der Zen-Buddhismus diejenige Weltanschauung, Geisteshaltung, -ismus ist, die sich dem mit Weltanschauungen, Geisteshaltungen und -ismen implizit verbundenen Anspruch auf normative Wirkung, dem Kern jedes -ismus, am konsequentesten verweigert. Du könntest es also auch als Erziehung mit minimalstem normativen Anspruch und Weltanschauungsstrukturvermittlung lesen.

Im übrigen würde Buddha sich wegen so mancher von Buddhisten geübter Rituale im Grab umdrehen^^


Gesagt, getan. ]Also Zen hat keinen Anspruch auf normative Wirkung. Zen ist keine Religion im eigentlichen Sinn. Zen ist natürlich der Buddhismus in Reinform, der wahre, echte und einzige Buddhismus oder Bön-Einflüsse, bäuerliche Vereinfachungen etc…[/I]

[quote="Wikipedia"] Zen-Buddhismus oder Zen (jap. 禅]
Zen ist also taoistisch beeinflusst. Und da haben wir auch schon den Haken an den fernöstlichen Religionen.
Schaut man sich mal Statisken über Japan, China oder auch Indien an, wird man feststellen, dass die religiöse Zugehörigkeit des Einzelnen als relativ betrachtet. Die Lehre Buddhas lassen sich, wie wir alle aus dem Dalai-Lama-Thema wissen, wunderbar mit der alttibetanischen Bön-Religion verbinden. Gleiches ist auch mit dem Hinduismus möglich oder dem Taoismus, Konfuzianismus, Shintoismus, Maoismus…
Die Leute selbst betrachten sich zum großen Teil als mehreren Religionen angehörig. Das ist ja auch ganz unproblematisch, so lange die intoleranten Religionen Islam und Christentum aus dem Spiel bleiben.
Worauf ich hinaus will:
Zen ist ein Mythos! Eine Einbildung westlicher Freidenker, die jene Religion, die sie kennen gelernt haben, nicht mögen, weil sie kennen. So entsteht der Wunsch nach einer besseren Religion, die die verabscheuten Gemeinheiten, Traditionen und Missbräuche eben nicht kennt.
Diese Idee ist nicht neu: Schon Thomas Morus erfand in seiner Utopia eine tolerante, dogmenlose und humanistische Religion für sein fiktives Königreich. Ebenso wie der Staat sollte die deistische Religion der Utopier Modellcharakter haben; dies stand im krassen Gegensatz zur Realität der Konfessionskriege.
Diese Sehnsucht existiert noch immer und, so meine Theorie, einige Gutmenschen im Westen suchen im Zen eine Projektion für jene humanistische Freidenkerreligion nach der sich vielleicht auch schon Thomas Morus sehnte.
Gern vergessen wird da nur die Wirklichkeit in China und Japan. Die Bonzen Südostasien können doch keine Not besser sein als Pfaffen des Abendlandes. Die Unterschiede zwischen Gebetsmühle und Rosenkranz sind eher eine Frage der Klubzugehörigkeit. Und die Idee, dass Leben nur Leiden sei, klingt für mich auch nicht viel anders als die Idee, das Diesseits sei nur ein Jammertal. :boah:
Tja, liebe Zen-Sympathisanten: Zen ist nur besser und schöner, weil es so weit weg ist!
MfG Maglor :rolleyes:

Milena
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Di 29. Apr 2008, 23:41 - Beitrag #2

..mmh, ich kann dich gut verstehen Maglor,^^
ich hatte auch noch bis vor kurzem so gedacht....
aber mit den entschlüsselungen der koans,(sag ich mal) ist mir der
zen greifbar und sogar sympathisch geworden..^^Bild

Ipsissimus
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Fr 2. Mai 2008, 16:18 - Beitrag #3

Maglor, unter den japanischen Zenmeistern des 20ten Jahrhunderts sind ein knappes Dutzend, von denen bekannt ist, dass sie gemäß der Genfer Konvention wahrscheinlich als Kriegsverbrecher eingestuft werden müssen, darunter in Zenkreisen so bekannte Roshi wie Kodo Sawaki (1880-1965), Omori Sogen (1909-1994) und Soen Shaku (1859-1919). Soviel zum Thema "Zenbuddhisten sind die besseren Menschen"^^

die meisten Zenpraktiker außerhalb der USA (wo diese "Entdeckung" in den 90er Jahre zu einer echten Krise der us-amerikanischen Zen-Szene führte) sehen darin kein besonderes Problem^^ Das liegt darin begründet, dass sie Zen als ein Werkzeug auffassen. Du würdest nicht den Gebrauch von Spaten und Schaufeln usw. grundsätzlich verdammen, weil einige Leute Spaten und Schaufeln dazu verwenden, andere Menschen zu töten, oder? Zen ist ein Werkzeug, kein Moralsystem. Das ist vielleicht deswegen so schwierig zu verstehen, weil das westliche Konzept von Religion als Metasystem zur Begründung moralischer Pflichten im Zen vollkommen konterkariert wird. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der historischen Herleitung des Zen aus buddhistischen Wurzeln, auch wenn der Taoismus-Anteil mindestens ebenso bedeutend ist. Zen-BUDDHISMUS ist im Grunde eine Irreführung, wofern wir unter Buddhismus jenes riesige komplexe Lehrensystem verstehen, das sich auf Buddha beruft. Zen hat, wenn überhaupt, nur mit einem ganz kleinen Teil dieses Gebäudes zu tun, ich nenne ihn den pragmatischen Teil. Und das in expliziter Abweisung des moralischen und religiösen Teils. Der Zengeist zeigt sich vielleicht nirgends deutlicher als in dem kleinen Aphorismus "Begegnet dir der Buddha auf deinem Weg, und der Buddha hindert dich daran, ihn weiterzugehen, so töte den Buddha" - ein Gedanke, bei dem jeder religiöse Buddhist verschreckt zusammenzuckt, der für Zenpraktiker aber eine Selbstverständlichkeit formuliert.

Die unglückliche Zusammenziehung "Zen - Budhismus" ist im Wesentlichen ein Missverständnis seitens der religiösen Buddhisten und der ungebildeten Öffentlichkeit. Ob Zen der "eigentliche Buddhismus" ist, sei dahingestellt. Einigermaßen klar ist, dass Zen auf einen Kernaspekt abzielt. So wie im Zentrum des Christentums das Sühneopfer Jesu steht, ohne das nach christlicher Lehre gar nichts geht, so steht im Kern der Lehren Buddhas das Streben nach Erleuchtung, da Erleuchtung das einzige bekannte Mittel ist, welches aus samsara, dem Kreislauf der Wiedergeburten, befreit. Zen zielt ausschließlich und ganz und gar auf dieses Ziel ab. Der religiöse Buddhismus hat es sich in gewisser Weise in samsara "bequem" gemacht, nach dem Motto "nun, die meisten Menschen werden Erleuchtung ohnehin nicht so schnell erlangen, also sagen wir ihnen, wie sie zu leben haben, damit sie wenigstens ein einigermaßen anständiges Leben führen können". Um diese sicher nicht falsche Beobachtung herum ist der religiöse Buddhismus gewachsen und hat sich darin historisch als sehr viel wirkungsmächtiger erwiesen als seine Zen- und Theravada-Variante, so dass man von ihm mit einigem historischen Recht als "dem Buddhismus" sprechen kann.

Mit diesem Buddhismus habe ich genauso wenig am Hut wie mit dem Christentum oder irgend einer anderen Religion. Mir geht es nur um eines, satori, Erleuchtung. Dafür ist Zen mögliches, nicht notwendiges Werkzeug, ungeachtet dessen, dass dieses Werkzeug wie alles Menschliche auch von Menschen gebraucht werden kann, die nicht als moralische Vorbilder eignen. Da ich selbst mich aber auch nicht als moralisches Vorbild eigne, geht mir das einigermaßen am Arsch vorbei^^

janw
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Fr 2. Mai 2008, 20:39 - Beitrag #4

Verstehe ich es richtig, daß das Problem all der Mitfühlungs- und Erleuchtungshilfs-Gebote gegenüber anderen fühlenden Wesen insbesondere des Mahayana ist, daß sie darauf hinaus laufen, daß Befolgender dies dann tut, weil es geboten ist, nicht, weil es ihm selbst gemäß, Ausdruck seiner Selbst ist?
Hinsichtlich der Bodhisatwas ist das dann doch einigermaßen paradox...ein Erleuchteter steht doch per def. über derartigen Regel- und Wertsystemen, ist also nichts mehr "verpflichtet" als sich selbst, oder?

Ipsissimus
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Fr 2. Mai 2008, 23:25 - Beitrag #5

das ist der entscheidende Dissens zwischen Mahayana und Hinayana, Jan. Im Mahayana gilt es mehr oder weniger als ausgemachte Sache, dass gar nicht erleuchtet sein kann, wer sich weigert, das Boddisattwa-Gelübde abzulegen. Das Hinayana lächelt über diese Vorstellung.

janw
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Sa 3. Mai 2008, 00:35 - Beitrag #6

Das dachte ich mir...*lächel*

Sag mal, irrt wikipedia? Dort wird Zen auf Mahayana zurück geführt.
Was ist eigentlich von diesen Richtungen, Soto und Rinzai, zu halten?
Und ist satori gleichbedeutend wie Erleuchtung, führt es zur Befreiung aus samsara?

Ipsissimus
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Sa 3. Mai 2008, 10:22 - Beitrag #7

"irrt" ist vielleicht zu viel gesagt, jan. Mahayana und Hinayana haben sich erst im Laufe der Ausbreitung des Buddhismus entwickelt. Ihre wechselseitige historische Durchdringung ist noch nicht in allen Einzelheiten zufriedenstellend erforscht. Ich hatte da mal ein Seminar in Religionswissenschaft belegt, das sich mit dieser Thematik befasst hatte, und gewann damals den Eindruck, dass es in der Forschung noch keine einhellige Meinung dazu gibt. Klar ist, dass eine große Zielrichtung des Mahayana Tibet und China war, dass aber der Taoismus in China sich als Granit erwies, der den dortigen Buddhismus mehr beeinflusste als er umgekehrt sich vom Buddhismus beeinflussen ließ. Eines der Ergebnisse davon in Chan - Zen, eine Form die wesentlich mehr dem Hinayana gleicht als dem Mahayana; auch in Tibet hat es eine Anpassung gegeben, deren Ergebnis aber - obwohl als eigenständige Variante geführt - mehr dem Mahayana gleicht als dem Hinayana.

Rinzai ist sanfter in seiner Methodik, sie benutzen vor allem Koans zur Ausbildung und haben einen eher intellektuellen Touch. Soto ist brutaler in seiner Methodik; in einem Soto-Kloster bekommst du öfter mal einen Stock zu spüren.

Satori ist die große Erleuchtung, die zur endgültigen Befreiung aus samsara führt. Daneben stehen die kleinen Erleuchtungen, wie sie bei der Lösung eines Koans auftreten.

Maglor
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Sa 3. Mai 2008, 10:49 - Beitrag #8

Zitat von Ipsissimus:Die unglückliche Zusammenziehung "Zen - Budhismus" ist im Wesentlichen ein Missverständnis seitens der religiösen Buddhisten und der ungebildeten Öffentlichkeit.

Didaktisch reduziert: Zen verhält sich zu Buddhismus so, wie Yoga zum Hinduismus. Haut das ungefähr hin?

Ansonsten möchte ich gerne noch mal zu meinem Grundthema zurückkommen:
Zen ist also eher atheistisch und verfügt über keine normative Ethik, aber...
Chinesen und Japaner arbeiten irgendwie nach dem Baukasten-Prinzip. Theismus, mitunter auch Götzendienst, der im Zen fehlt, huldigt man an den Shinto-Schreinen. Konfuzius liefert jede Menge Ethik und Lao-Tse zeigt wie verwischt die Grenze zwischen Philosoph und Gott in Asien sein kann.
Am Ende haben auch die Samurai als traditionelle Träger des Zen in Japan mit ihrem Bushido einen recht radikalen Kodex mit Treue bis Tod für Kaiser, Volk und Vaterland. ;)
Also wiederhole meine These: Reines Zen ist eine Utopie oder beschränkt sich auf eine winzige Minderheit. Die häufig als negativ bewerteten Eigenschaften einer Religion, die im Zen fehlen, holt sich der ostasiatische Snykretist bei den anderen Religionen. :rolleyes:
Und eine klare Abgrenzung zwischen Zen und Buddhismus und sogar zwischen Religion, Philosophie und Kampfsport scheint es in Asien gar nicht zu geben.
MfG Maglor :rolleyes:

janw
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Sa 3. Mai 2008, 14:27 - Beitrag #9

Hm, also ich würde doch eher koans bevorzugen, als Stöcke^^
Wobei ich gerade sehe, daß das nächste dojo ein soto-dojo ist...und leider nicht ganz um die Ecke.

Also wiederhole meine These: Reines Zen ist eine Utopie oder beschränkt sich auf eine winzige Minderheit. Die häufig als negativ bewerteten Eigenschaften einer Religion, die im Zen fehlen, holt sich der ostasiatische Snykretist bei den anderen Religionen.
Und eine klare Abgrenzung zwischen Zen und Buddhismus und sogar zwischen Religion, Philosophie und Kampfsport scheint es in Asien gar nicht zu geben.

Es ist wohl immer nur eine Minderheit, die sich wirklich darauf einlassen will, ihrem eigensten Selbst zu begegnen und es auszuhalten, all die Prägungen zu überwinden. Das ist aber ein Problem der Menschen, nicht der Methode, dies zu tun.
Wer dies nicht will, dem bleibt wie überall nur das Festhalten am Gehabten oder die Erkenntnis, wie bedingt dessen Wurzeln sind und die Entwicklung eines Synkretismus aus dem Gehabten und anderem Annehmbarem.
Vergiss nicht, daß auch das heutige Massen-Christentum ein Synkretismus aus christlicher Glaubenswelt und rationaler Welterklärung ist...

Wie Ipsi schon geschrieben hat, ist Zen als Chan aus Fortentwicklungen der Lehren Buddhas entstanden, d.h. es ist eine weitere Fortentwicklung dieser, vielleicht teils dabei wieder stärker auf die Fundamente zurück greifend, "back to basics", aber eben eine der vielen Strömungen, die aus den Lehren Buddhas entstanden sind (dabei für mich einer der reineren)
Was unterscheidet Religion und Philosophie in Deinen Augen? "Sport" ist ein Produkt der Moderne, Kampfkunst war ursprünglich nur einer der Wege zur Erleuchtung; da er auch weltlichen Zwecken dienen konnte und von Menschen ausgeübt wurde und weil auch seine Meister in gesellschaftliche Strukturen eingebunden waren und nicht immer willens und mächtig, sich ihnen zu entziehen, wurde er zwangsläufig zu Mitteln der Macht gebraucht, die eigentlich dem Gelübde der Achtung gegenüber allen fühlenden Wesen zuwider liefen. Das gleiche Problem, wie die christliche Militärseelsorge.

Ipsissimus
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So 4. Mai 2008, 11:02 - Beitrag #10

Zen ist weniger Buddhismus als Yoga Hinduismus oder Mysthik Christentum ist, aber die Richtung des Vergleichs stimmt, Maglor.

Man darf für das indisch-ostasiatische Denken historisch imo nicht die gleiche Bevorzugung analytischen gegenüber synthetischem Denken annehmen, wie es im Bereich europäisch gefärbter Philosophie und Religiosität der Fall ist. Ein Spiel wie Go, bei dem aus dem Nichts ein gigantisches "Gemälde" auf dem Brett synthetisiert wird, hätte in Europa nicht oder nur sehr schwer entstehen können. Das harte "entweder -oder" europäischer Logik ist in diesem ostasiatischen Denken durch ein Denken in Wechselzuständen ersetzt, wie es in der Yin/Yang-Symbolik thematisiert ist.

"Reines Zen" ist vor allem eine westliche Vorstellung darüber, was eine Religion sein und wie sie ausgeübt werden sollte. Mittlerweile sind natürlich auch China und Japan von dieser Vorstellung "absoluter Wahrheit einer Religion" infiziert, aber das alte Denken - das sich nicht vorschreiben lassen will, wofür es welches Werkzeug einzusetzen hat - hält sich zäh, und hoffentlich noch lange, weil die westliche Vorstellung dazu eindeutig dümmer ist^^

Maglor
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So 4. Mai 2008, 15:03 - Beitrag #11

Zitat von Ipsissimus:"Reines Zen" ist vor allem eine westliche Vorstellung darüber, was eine Religion sein und wie sie ausgeübt werden sollte.

Meine These ist, dass Zen nur ein Teil der "Religion" der Ostasiaten ist.
Natürlich gibt es auch im Abendland synkretistische Tendenzen, aber hier ist Religion doch vor allem eine Frage der Klubzugehörigkeit. Ein Muslim kann kein Christ sein und umgekehrt, genauso wenig kann eine Person gleichzeitig Protestant und Katholik sein. Diese Art der Ausschließlichkeit gibt es hingegen in China und Japan nicht; über die "Ökumene" in Deutschland können Japaner wahrscheinlich nur schmunzeln. ;)
Zen ist nur eine Seite der Medaille.

Erneuter didaktisch reduzierter Vergleich: Zen verhält sich Buddhismus wie Neu-Platonismus zum Christentum???

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So 4. Mai 2008, 15:22 - Beitrag #12

ich würde es eher so sagen: Buddhismus verhält sich zu Zen wie die Scholastik zu dem, was Aristoteles geschrieben hat, oder auch wie die Renaissance zum antiken griechischen Denken. Damit lehne ich mich allerdings SEHR weit aus dem Fenster, das würden religiöse Buddhisten im Leben nicht unterschreiben^^

ansonsten, dass Zen nur eine von vielen Seiten derselben Medaille "ostasiatisches Geistesleben" ist, das versteht sich anhand des Werkzeug-Vergleiches beinahe von selbst. Ein Hammer ist nicht geeignet, Strümpfe zu nähen; und ohne die beständigen Interferenzen religiöser Interpretationen wäre das auch sehr viel offensichtlicher, als es scheint. In Europa geht es um angebliche Wahrheit, deswegen schließen sich Protestant sein und Katholik sein gegenseitig aus. In Ostasien geht es um zielbezogene Angemessenheit des Werkzeuges

Maglor
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Di 13. Mai 2008, 23:06 - Beitrag #13

Zitat von Ipsissimus:So wären z.B. Medikamente auf Basis von Tierversuchen, also erkauft mit dem Leid fühlender Wesen, für Buddhisten keine angemessene Lösung irgendeines Problemes.

Ach so, deshalb sind Medikamente auf Basis von Nashorn-Pulver, Tigerknochen oder Kragenbär-Gallensaft in Südostasien so "beliebt". :crazy:

Ipsissimus
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Mi 14. Mai 2008, 12:56 - Beitrag #14

es steht zu erwarten, dass geborene Buddhisten ihren Glauben hinsichtlich ihrer Lebenspraxis so ernst nehmen wie geborene Christen den ihren^^ glücklicherweise kann mensch nicht als Zenpraktiker geboren werden^^

Maglor
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So 18. Mai 2008, 12:19 - Beitrag #15

Erklär mir aber nur kurz wie so etwas ohne normative Ethik™ funktionieren kann? :rolleyes:
Steht das nicht im Widerspruch, was zu dem weiter, was du weiter oben über Zen und Ethik geschrieben hast? Zum Beispiel dazu, dass es kein Widerspruch Bedeutung, dass namenhafte Zen-Meister an Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg beteiligt waren?

Ipsissimus
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Mo 19. Mai 2008, 13:02 - Beitrag #16

hmm, ich bin mir nicht sicher, ob wir uns verstanden haben, Maglor. Ich gehe davon aus, dass der "Standard-Gläubige" seinen Glauben so lebt, dass er eine Vermittlung zwischen Anforderungen des Glaubens und Anforderungen des täglichen Lebens praktiziert, bei denen die Anforderungen des Glaubens nach Bedarf in den Hintergrund geschoben werden. Anders gesagt, die Religion ist wichtig für zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen und zu einigen wenigen speziellen Anlässen, und ansonsten für die Lebenspraxis irrelevant. Dies dürfte für große Teile der Christenheit (Judenheit, Muslimheit ...) genauso stimmen wie für große Teile der Buddhistenheit, auch wenn im einen wie im anderen Falle auch die emotionale Hybris, der "richtigen" Religion zuzugehören, eine nicht unerhebliche Rolle für den "Behaglichkeitshintergrund" individuellen Daseins spielen dürfte.

Meine Aussage so verstanden dürfte eigentlich keine Schwierigkeiten hinsichtlich der Vereinbarkeit von Buddhistsein und Verwendung von Tigerhoden-Aphrodisiakum mehr bieten. Es dürfte auch klar sein, dass es imo überhaupt gar nichts mit der religiösen Zugehörigkeit von Menschen zu tun hat, sondern damit, dass Erwachsenen religiöse Prämissen oft genug nur noch von theoretischer Relevanz sind, hinter denen sich die wirklichen Anschauungen verbergen, die sich in ihrem Tun erweisen.

Das ist einer der Gründe, weswegen Anfänger im Zen oft genug erst mal einen "religiösen Schock" erleiden (das stimmt heute so leider auch nicht mehr^^ mittlerweile wird Zen auch zunehmend von Religiösen verwendet und gelehrt, dabei geht Zen leider allzu oft verloren, aber der Schock wird vermieden).

Also, grundsätzlich, Zen funktioniert nicht über das, was du glaubst, meinst, lehrst, proklamierst usw. sondern ausschließlich über das, als was du dich erweist. Und sei es ein Kriegsverbrecher. Deswegen eignet es sich auch nicht für den Massenmarkt, bzw. muss da, wo es für den Massenmarkt tauglich gemacht werden soll, durch eine Ultraweichspülung erst in etwas verwandelt werden, was mit Zen abgesehen von der Form so viel zu tun hat wie eine Kuh mit Stabhochsprung.

Maglor
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Di 20. Mai 2008, 17:41 - Beitrag #17

Zitat von Ipsissimus:hmm, ich bin mir nicht sicher, ob wir uns verstanden haben, Maglor.

Und ich bin mir sicher, dass wir uns nicht verstanden haben. ]normative Ethik[/I].
Heißt das also, dass für den Zen-Meister solche Dinge wie Ahimsa und Co gelten würden? Wäre ja eine Erklärung warum angesehener Zen-Meister und Kriegsverbrecher sein, kein Widerspruch ist.
Oder reicht die Regel "Wie zahlreich auch immer die fühlenden Wesen sein mögen, ich gelobe, sie alle zu retten." nicht schon aus. :boah:

Ipsissimus
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Mi 21. Mai 2008, 14:57 - Beitrag #18

du machst nach wie vor den Fehler, das "buddhistisch" in "Zen-Buddhismus" ernst zu nehmen, Maglor. Buddhismus und Taoismus sind nichts als die historische Entwicklungsplattform des Zen, und vielleicht bewahrte der Umstand, dass die Zenklöster in Japan Eigentum der Buddhistischen Kirche sind, den einen oder anderen Meister auch schon mal davor, dem japanischen Äquivalent einer Hexenverbrennung zu erliegen. Das ist aber auch schon alles, was an Zen buddhistisch ist.

Für einen Zenmeister "gilt" gar nichts mehr, außer dem, wem er sich aus sich selbst heraus verpflichtet fühlt.

Du willst ein Heiliger Arzt in den Straßen Kalkuttas werden und 100000de versorgen und für ihr menschenwürdiges Dasein sorgen?

Zen ermutigt dich nicht dazu, Zen hindert dich nicht daran.
Du tust es, weil du es tun willst.
Und du kannst es, weil Zen dir beibrachte, deinen Willen und deine Angemessenheit unabhängig von Prägungen zu erkennen.

Du willst an der Spitze deiner Armee die Macht im Lande ergreifen, gleichgültig wieviele ziviele Opfer das kostet und wie der Staat ins Schlingern gerät?

Zen ermutigt dich nicht dazu, Zen hindert dich nicht daran.
Du tust es, weil du es tun willst.
Und du kannst es, weil Zen dir beibrachte, deinen Willen und deine Angemessenheit unabhängig von Prägungen zu erkennen.

Du willst in deiner kleinen Familie dafür sorgen, dass deine Frau und deine Kinder glücklich werden, ohne Ehrgeiz leben und auf den Tod warten?

Zen ermutigt dich nicht dazu, Zen hindert dich nicht daran.
Du tust es, weil du es tun willst.
Und du kannst es, weil Zen dir beibrachte, deinen Willen und deine Angemessenheit unabhängig von Prägungen zu erkennen.

Du willst als Killer dein Dasein verbringen, gelegentlich Frauen vergewaltigen und auch schon mal den ein oder anderen Menschen mehr und auf grausamere Weise töten, als beruflich notwendig wäre?

Zen ermutigt dich nicht dazu, Zen hindert dich nicht daran.
Du tust es, weil du es tun willst.
Und du kannst es, weil Zen dir beibrachte, deinen Willen und deine Angemessenheit unabhängig von Prägungen zu erkennen.

Du möchtest eine Religion gründen, Menschen verführen oder zum Heil leiten?

Zen ermutigt dich nicht dazu, Zen hindert dich nicht daran.
Du tust es, weil du es tun willst.
Und du kannst es, weil Zen dir beibrachte, deinen Willen und deine Angemessenheit unabhängig von Prägungen zu erkennen.


Verzeih diese "Gebets"mühle^^ vielleicht wird dadurch deutlicher, was Zen ist und was nur in Zen hineingelegt wird, von Leuten, die zwar wohlmeinend sind, aber ahnungslos.

Wenn es in irgendeiner Weise einen "moralischen" Anteil bei Zen gibt, dann in einer einzigen Einsicht, die dir durch Zen vermittelt wird: du wirst mit den Konsequenzen leben. Willst du mit den Konsequenzen leben?

Aber wenn du Zenmeister bist, ist das keine Frage mehr. Du hast als Zenmeister jede innere Freiheit, aber keine Ausrede mehr^^ du erweist dich in deinem Tun, und du schiebst es nicht mehr auf die Wirkung von Ethik, Normen, Prägungen u.dgl. ab, sondern auf dein ureigenstes Wollen. Das ist Zen, sonst gar nichts.

Maglor
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Mi 21. Mai 2008, 17:44 - Beitrag #19

Danke für die Erklärung und die vielen Beispiele. :)
Nun ist die Frage, was Zen nicht ist, wohl hinreichend und so wie Zen zu kennen glaube, ist die Frage, was Zen ist, im Grunde nicht beantwortbar aber auch nur scheinbar esoterisch, in Sinne von Geheimnistuerei. :rolleyes:

Ipsissimus
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Fr 23. Mai 2008, 15:12 - Beitrag #20

es ist ungefähr so "geheimnisvoll", Maglor, wie das, was ein Maurer macht, wenn du kein Maurer bist^^ sprich: praktizier es mal ne Weile, dann erübrigt sich die Esoterik^^


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