Brights

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
e-noon
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Di 17. Feb 2009, 18:06 - Beitrag #1

Brights

Hat jemand von euch schon mal von den "Brights" gehört?
Bin kürzlich im Internet darüber gestolpert und mich ein bisschen informiert. Offenbar steht "Brights" für alle Menschen mit einem naturalistischen Weltbild, dh. für Menschen, die nicht an Übernatürliches wie Osterhasen, Götter, kosmische Energien etc. glauben (das Spaghettimonster als wissenschaftlich belegte Entität ist hierbei wohl ausgenommen).
Der Begriff "bright" soll die Begriffe "Atheist" und "Naturalist" zusammenfassen und positiv belegen.
Irgendwelche Infos oder Kommentare? :)

Traitor
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Di 17. Feb 2009, 19:51 - Beitrag #2

Die sind mir bisher vor allem als suspekt-manipulative Interessengruppe in Wikipedia über den Weg gelaufen. In England und Amerika dagegen sind sie wohl eine im öffentlichen Diskurs recht relevante Bewegung.

Meines Wissens handelt es sich aber nicht primär um einen neutralen Kategorisierungsbegriff, sondern um eine Eigenbezeichnung einer Bewegung, die durch leicht sektiererisches Verhalten einen eher zweifelhaften Ruf hat. Gerade unter aufgeklärten Menschen sind feste "Grundbekenntnisse", gemeinsame Organisationen und Veröffentlichungen und derartiges ein etwas seltsamer Ansatz.

Außerdem schadet derartiges meines Erachtens dem Anliegen, denn dadurch wird der Eindruck bestätigt, Atheismus sei nur eine weitere religiöse Gruppierung, und eben nicht die Aufhebung und Überwindung dieses Schemas mit universellem Anspruch. Insbesondere bestätigt es den amerikanischen Ansatz, Atheismus als begründungspflichtige, absonderliche Absetzung vom christlichen Normalzustand zu betrachten, anstatt genau andersherum, wie es zwar nicht historisch, aber logisch naheliegend ist und in Europa zumindest halbwegs anerkannt.

Maglor
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Di 17. Feb 2009, 20:39 - Beitrag #3

Davon höre ich, dass erste Mal.
Das Wort ist wahrscheinlich nur im englischen Sprachraum zu Hause. z.B. in der englischsprachigen Wikipedia.

Der Begriff ist insofern notwendig, da Theismus und Atheismus allein unzureichende Kriterien sind. Ich denke da besonders, an diese schönen Statiskien über die Verbreitung des Glaubens an Engel, Geister usw. Tatsächlich soll es Leute geben, die an Geister, Engel und Astrologie glauben, ohne an einen Gott zu glauben.
Wie Traitor bin ich der Ansicht, dass der Grundgedanke amerikanisch ist und nur vor dem Hintergrund des merkwürdigen Verständnis von Religionsfreiheit in der USA verständlich ist.

Laut Wörterbuch ist der Begriff alles andere als wertfrei:
bright
1. leuchtend; strahlend; hell
2. (Wetter) heiter; klar
3. glücklich; freudig
4. aufgeweckt; gescheit; klug


Everybody want's to be bright. :crazy:

Das ist allerdings nicht der erste Versuch die Gottlosen in eine eigene Sekte zu pressen. Es gab schon mal so etwas wie eine Freidenker-Bewegung. Und es ist gibt eine ziemlich unbedeutenden Zentralrat der Atheisten in Deutschland.

e-noon
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Di 17. Feb 2009, 21:32 - Beitrag #4

Ich stimme zu, dass der Begriff keineswegs neutral ist, das war ja auch der Sinn der Sache; mit einem positiven Begriff die Bewegung positiv zu belegen.

Ich denke nicht, dass die Trennung Naturalismus/Atheismus so ankommt. Es will ja, wenn ich das richtig verstehe, keine Atheistenbewegung sein, sondern eine Naturalistenbewegung.

@Traitor: Stimme dir bezüglich der Wahrnehmung der Bewegung zu, denke aber, dass die Hauptintention tatsächlich eine Definition ist (die der des Naturalismus entspricht) und die positive Konnotierung derselben. Ich sehe daher die folgenden Definitionsbestandteile nicht als "Grundbekenntnisse" (jedenfalls nicht mehr als die Grundbekenntnisse, dass man als Junggeselle erstens Mann und zweitens unverheiratet sein muss):

* Ein Bright ist eine Person mit einem naturalistischen Weltbild.
* Das Weltbild eines Bright ist frei von übernatürlichen und mystischen Elementen.
* Die Ethik und Handlungen eines Bright basieren auf einem naturalistischen Weltbild.

Im Prinzip sind es sogar nur zwei Grundsätze, da "naturalistisches Weltbild" und "frei von übernatürlichen und mystischen Elementen" imo auf dasselbe hinauslaufen.
Dass die Handlungen eines Menschen auf dessen Weltbild basieren, erfindet dann auch nicht das Rat neu ^^

Traitor
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Di 17. Feb 2009, 23:00 - Beitrag #5

Maglor, sehr amüsant sind auch die "Unitarian Universalists", eine Art atheistisch-pantheistische Kirche, die in den USA ziemlich viele Anhänger und Kirchen in vielen Orten hat. Siehe dazu auch den klassischen Glaubomat-Thread.

e-noon, dieser Prinzipienkatalog geht schon merklich über die reine Begriffsdefinition hinaus. Die Wahl des sehr positiven Wortes zeigt auch eindeutig, dass es mehr zur positiven Selbstabgrenzung und Gruppenbildung denn zur Bestandsaufnahme gedacht ist. Die verbreitete Kritik entzündet sich allerdings auch mehr an diesem Wort als an Organisation und Sendungsbewusstsein, daher ist es vermutlich auch bewusst zur Provokation und Aufmerksamkeitserregung gewählt worden.

Sehr lesenswert zum Thema Atheismus in Amerika und Europa ist übrigens das Interview der "American Atheists" mit Douglas Adams, abgedruckt in "The Salmon of Doubt", das diese verkrampfte Haltung zum Thema auf der anderen Seite des Atlantiks sehr anschaulich vorführt.

Padreic
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Di 17. Feb 2009, 23:12 - Beitrag #6

Da es ein Bewegung aus einem Intellektuellen Umfeld ist, war auch meine erste Assoziation zu dem Wort 'bright', es im Sinne von 'klug' oder 'gescheit' zu verstehen. Ich muss sagen, dass ich jeder weltanschaulichen Bewegung, die den Namen 'Die Klugen' trägt, ein gewisses Misstrauen entgegenbringen würde.

Es mag sein, dass es bei der mitunter aggressiven evangelikalen Propaganda in den USA, eine gewisse Berechtigung haben mag, eine solche Bewegung hervorzubringen. Im Allgemeinen bin ich aber gegen Frontenbildung. Wer seine Weltanschauungen institutionalisiert, verliert damit einen Teil seiner Offenheit und vielleicht auch Rationalität. Bei den Kirchen habe ich noch ein gewisses Verständnis dafür, bei anderen Leuten weniger...

e-noon
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Di 17. Feb 2009, 23:32 - Beitrag #7

@Traitor: Natürlich geht der Prinzipienkatalog über die reine Definition hinaus ;-) Was ich meine, ist: Die Definition will zunächst nur Definition sein und nicht Grundbekenntnisse. Wer sich dann der Bewegung anschließt, tut das natürlich unter Umständen durchaus, um etwas zu bewegen ;)

Ich denke, die Intentionen (so wie sie dargelegt werden) sind vor dem Hintergrund der us-amerikanischen Situation verständlich. Auch in Deutschland erscheint es mir sinnvoll, Atheisten/Naturalisten zusammenzufassen - wenn es zum Beispiel um Kruzifixe in Schulen geht oder die Einführung des Kreationismus im Schulunterricht, wünsche ich mir eine möglichst große, und möglichst organisierte, Opposition dagegen.

Ich denke nicht, dass man, indem man die Weltanschauung "Naturalismus" institutionalisiert, sich selbst beschränkt. Zu sagen, "ich bin ein Bright", oder zu sagen, "ich bin ein Naturalist", ist anders, als einer Religionsgemeinschaft beizutreten, es warten keine Gebühren, keine Drohungen beim Verlassen, keine Verpflichtungen. Natürlich muss jedes Individuum Kompromisse eingehen, sobald es sich mit einem anderen Individuum zu einem gemeinsamen Zweck zusammen tut (im Idealfall, man kann den anderen natürlich auch unterjochen).

Den Begriff "Bright" finde ich recht schlecht gewählt - die zitierte Analogie ist "gay" bei den Homosexuellen, und wiewohl genauso wenig jeder Schwule fröhlich ist, wie jeder Naturalist intelligent, hat das Wort einfach einen leicht arroganten Hauch, wie ich finde. Davon abgesehen, dass so viele Religionen sich, äh, "lichtnah" benennen, sodass die Sektenähnliche Konnotation allein schon durch den Namen gegeben ist.

Prinzipiell, ich wiederhols noch mal, finde ich eine Interessenorganisation Nicht-Supernaturalistischer Menschen aber sinnvoll.

Padreic
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Mi 18. Feb 2009, 00:13 - Beitrag #8

Kruzifixe in Schulen ist halt eine ähnliche Sache wie 'Oh, du fröhliche' zu singen...man sollte das nicht zu ernst nehmen, ist halt so eine Kulturgeschichte...

e-noon
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Mi 18. Feb 2009, 12:28 - Beitrag #9

Für die Anhänger einer Kultur sind deren Symbole selten ernstzunehmende Probleme ^^ Man sollte sich nur immer fragen, ob man selber dann auch bereit wäre, seine Kinder "Fatima" oder "God was never on your side" singen lassen.

Und wenn man Kruzifixe (in jedem Klassenraum, also deutlich mehr mit dem Staat verbunden als einzelne Lehrpersonen) nicht so ernst nimmt, warum dann Kopftücher?
(Rhetorische Frage, WARUM, ist schon verständlich, die Frage ist nur, sollte man).

janw
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Mi 18. Feb 2009, 16:48 - Beitrag #10

Meine boshafte Seite denkt, daß usa eine Art kulturelles Gondwanaland ist...man sollte es möglichst analog zu den Andamanen-Inseln und einigen anderen Reservaten für indigene Völker ohne Westzivilisationskontakt sich selbst überlassen, wobei sich mir allerdings die Nackenhaare krümmen, die Amerikaner mit Indios und Adivasi gleichzustellen, und ich andererseits bemerkenswert finde, daß diese kulturelle Reliktgesellschaft die erste Direktive hervorgebracht hat. Schreitet die Geschichte doch dialektisch voran?^^
Soll heißen, ich lache gequält über diesen neuen -ismus und denke mir, daß Europa sich analog zum pursuit of happiness eine Haltung der Zufriedenheit aus sich selbst zulegen sollte, wenn einige nun auch auf diesen "brighten" Zug aufspringen, so gleicht dies für mich etwa jenen, die nach Einstein im Gleichtakt zu einer Musik marschieren...

Intellektuell ist die Haltung der "brights" jedenfalls nicht, noch nicht einmal zuende gedacht.
Denn die Naturwissenschaft stellt ja nur fest, daß sie bisher keine Beweise für Existenz oder Wirken nicht naturwissenschaftlich erklärbarer Phänomene bzw. Entitäten gefunden hat - es ist noch kein Troll im CERN aufgetaucht (sollte das CERN vielleicht mal auf Island einen Tunnel bohren?^^) und sieht deshalb den Glauben an diese als nicht sachlich fundiert an. Damit ist aber nichts gegen die Existenz von Entitäten gesagt, die sich dem wissenschaftlichen Nachweis entziehen - wo wäre überhaupt die Grenze zwischen naturalistischen und nichtnaturalistischen Entitäten zu ziehen?

e-noon
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Mi 18. Feb 2009, 17:09 - Beitrag #11

So neu ist Naturalismus denn auch nicht, wobei "neu" natürlich immer relativ gesehen ist.

Deinen zweiten Absatz verstehe ich so, dass die Wissenschaft die Frage nach übernatürlichem offen lässt, da sich unphysikalisches nicht mit physikalischen Mitteln erforschen lässt. Dem würde ich widersprechen. Sicher ist das die Haltung vieler Wissenschaftler, insbesondere auch der Gläubigen unter ihnen, aber grundlegende wissenschaftliche Prinzipien wie das der Ökonomie widersprechen imo doch recht eindeutig gegen Übernatürliches.

Beispiel: Es regnet.
Erklärung 1: Wolke war voll.
Erklärung 2: Gott wollte, dass es regnet, hat die Wolke gefüllt und sie exakt dort, wo es regnete, platziert.

Keine davon ist wissenschaftlich auszuschließen, aber eine davon ist wissenschaftlicher und wird daher auch von den meisten Wissenschaftlern bevorzugt werden.

Padreic
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Mi 18. Feb 2009, 17:22 - Beitrag #12

@e-noon: Was heißt Anhänger dieser Kultur? Auch wenn ich selbst z. B. kein Christ bin, erkenne ich an, dass ich in einer christlich geprägten Kultur lebe und auch selbst von dieser geprägt wurde. Wenn man diese Prägung erneuert, indem man traditionelle Lieder singt, habe ich nichts dagegen; das gilt genauso für 'Oh, du fröhliche' wie für 'Hänschen Klein' oder 'Nehmt Abschied, Brüder'. Ich glaube nicht, dass die weltanschaulichen Untertöne darin eine große Wirkung entfachen. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn meine Kinder ein paar linke Lieder wie 'Bella ciao' oder meinetwegen auch 'Das Einheitsfront' oder die 'Internationale' singen (obwohl ich sicherlich kein Linker bin), solange das nicht mit bewusster Propaganda verbunden ist, sondern mehr als Vertrautmachen mit dem üblichen Liedbestand und Kultur zusammen mit einer gewissen Freude am gemeinsamen Singen verstanden ist.

Prinzipiell wäre es mir natürlich auch recht, wenn die von dir genannten Songs, in der Schule gesungen würden, so lange sie nicht propagandistisch eingesetzt werden. Ein Song ist nicht der richtige Ort für eine sachliche Auseinandersetzung mit einem Thema. Prinzipiell fände ich es aber vermutlich schöner, wenn in der Schule primär Liedgut gepflegt wird, dass nicht von Aggression geprägt ist.

Und ich habe nichts gegen Kopftücher in Klassenräumen, sowohl von Schülerinnen als auch von Lehrerinnen....(oder um der Gleichberechtigung willen auch nicht von Schülern oder Lehrern). Trotzdem finde ich es durchaus eine verständliche Position, wenn man nicht für eine völlige Gleichberechtigung der Religionen oder auch der religiösen Symboliken im Alltag eintritt, da eine Religion nun einmal traditionell und kulturell dominant ist. Sonst ist natürlich jeglicher Sonntagsschutz auch sofort weg (wenn man ihn abschaffen will, denke ich, sollte man es nicht aus diesem Grund tun). Auch würde ich durchaus auch Kirchenglocken anders einordnen als die Rufe des Muezzins.

Edit:
@e-noon: Wer eine Karikatur einer Gegenposition zeichnet, wird keine Schwierigkeiten haben, sie zu besiegen. Ein vielleicht sinnvollerer Ansatz für mögliche Grenzen oder Probleme einer rein-naturalistischen Position findet sich vermutlich bei den Begriffen der Person und des Bewusstseins; meinetwegen auch bei den Fatima-Offenbarungen oder was es sonst noch so an mythischen Erfahrungen gibt. Z. B. 'Bewusstsein' ist ein Begriff, über den die Naturwissenschaft noch nicht einmal sinnvoll sprechen kann. Z. B. sollte es für Naturwissenschaft wichtig sein, dass mehr als eine Person prinzipiell auf den Forschungsgegensatnd zugreifen kann. Ein anderes verwandtes Problem ist das des Beobachters. Die Naturwissenschaftler sprechen mitunter ganz gern davon, aber in dem Moment verlässt sie eigentlich schon die Naturwissenschaft, da man Beobachten und damit den Beobachter als Beobachter nicht beobachten kann und prinzipiell nicht Beobachtbares nicht in den Bereich der Naturwissenschaft fällt.
Aber selbst in deinem Beispiel gibt es Ansätze für vernünftige nicht rein naturalistische Interpretationen. Gott hast du nicht definiert. Gott könnte das sein, was der Natur ihre Gesetzmäßigkeit gibt. Dann ist deine zweite Erklärung nämlich vielleicht gar nicht so falsch; denn, dass die Wasserkonzentration in bestimmten Gegenden der Luft hoch war, ist sicherlich noch keine vollständige Erklärung für Regen.
Man sollte mit Ockhams Rasiermesser vorsichtig umgehen, um sich nicht dran zu schneiden. Ziel sollte es sein, für alle Dinge eine natürliche und angemessene Erklärung zu finden. Ockham's Razor ist da in vielen Fällen gar keine schlechte Richtschnur, aber man sollte nicht zu dogmatisch damit umgehen; zumal es in den seltensten Fällen eindeutige Aussagen trifft. (soll man neue ontologische Zustände, sogenannte "Quantenzustände" annehmen, oder soll man es auf elaborierte und systematische Missstände in unserer Wahrnehmung schieben?)

e-noon
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Mi 18. Feb 2009, 18:04 - Beitrag #13

@Padreic: Ich stimme dir zu, dass man sich nicht über einzelne Lieder aufregen sollte, solange man dieses Recht allen Liedern zugesteht (bzw. denen aller Kulturen, nicht allen Liedern aller Kulturen). Bezüglich Anhänger einer Kultur meine ich genau das, was du geschrieben hast. Dennoch finde ich, dass es weit mehr gute Gründe für den Sonntag als freien Tag gibt als den, dass eine Handvoll Leute (es sind schon einige, aber mehr, die es nicht tun) in die Kirche geht. Beispielsweise die Internationalität dieses freien Tages und die Wichtigkeit für alle Bereiche des Lebens, einen möglichst gut abgestimmten freien Tag in einem sieben-tage-rhytmus zu haben, damit Familien, Freunde etc. gemeinsam entspannen können. Sicher haben auch die meisten Atheisten Lust, zur Weltrevolution des abgeschafften Sonntags aufzurufen; ich denke nicht, dass eine rationale Begründung des Sonntags ihm schaden würde, im Gegenteil.
Auch ist nicht jede verständliche Position eine begrüßenswerte ^^
Kirchenglocken, meiner Meinung nach, SIND etwas anderes als Muezzinrufe, und daher anders zu bewerten, nicht, weil sie "unserem" Gott besser gefallen bzw. aus der europäischen Tradition erwachsen statt einer anderen.

Mein Beispiel war keine Karikatur, sondern ein Beispiel eines Gegenentwurfes. Natürlich gibt es strittigere Fälle, an denen sich die Geister scheiden. Dennoch lässt sich gerade anhand von "Bewusstsein" natürlich sehr gut die Verschiedenartigkeit der Herangehensweisen aufzeigen.
Bewusstsein entsteht mit dem Gehirn und stirbt mit dem Gehirn. Bewusstsein lässt sich sichtbar machen - im Gehirn. Wir wissen nicht, wie Gehirn und Bewusstsein zusammen hängen, vielleicht werden wir es nie verstehen, aber man kann entweder als Naturalist davon ausgehen, dass Bewusstsein prinzipiell durch Materie und deren Gesetze bestimmt ist - oder man kann davon ausgehen, dass irgendetwas von der Materie unabhängiges, ideelles das Bewusstsein bildet, das auf geheimnisvolle Weise mit dem Gehirn interagiert und zufällig genau gleichzeitig alles doppelt macht (oder, um nicht zu karikieren: dass erst das Zusammenspiel zwischen Übernatürlichem Geistbewusstsein und natürlichen Gehirnprozessen das formt, was das Individuum als Bewusstsein wahrnimmt).
Welche Erklärung ist sparsamer? Wissenschaftlicher?

"Gott" in meinem Beispiel habe ich nicht definiert und damit implizit die gängige Verwendung einer personalen übernatürlichen Entität nahegelegt... Wenn ich Gott als Energie definiere oder als Kosmos, gut, dann bin ich schon näher am Naturalismus mit solchen Aussagen, aber dann sage ich das dazu ;)

Wenn ich Gott also in meinem Beispiel als natürliche Gesetzmäßigkeit interpretiert hätte, inwiefern würde das einer nicht-naturalistischen Betrachtung näher kommen? Ich hätte nur den Begriff "Gott" umdefiniert, nichts anderes.

Padreic
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Mi 18. Feb 2009, 20:07 - Beitrag #14

Bewusstsein ist erstmal real. 'Bewusstsein' ist offenbar nicht synonym zu irgendeinem physikalischem Begriff. Ein reiner Naturalist (ich weiß nicht genau, ob das eine Karikatur ist) müsste behaupten, dass 'Bewusstsein' auf dasselbe referiert wie ein physikalischer Begriff, da man alles natürliche prinzipiell physikalisch bennenen können muss. Das halte ich persönlich für irgendwas zwischen unwahrscheinlich und totalem Blödsinn. Etwas anderes ist das, was du gesagt hast: es gibt etwas außerhalb der physikalisch beschreibbaren Natur, aber dieses ist (vollkommen) abhängig von der Natur. Aber das dürfte schon kein reiner Naturalismus mehr sein.

Ich persönlich habe Probleme mit deiner Dichotomie, da sie den Begriff der Materie unhinterfragt verwendet. Quine sagte einmal, dass physikalische Objekte Mythen von der selben Art wie die homerischen Götter sind, nur dass erstere auf wissenschaftlichere Art zustande gekommen sind. Für die Naturwissenschaft, wie ich sie sehe, ist es erstmal irrelevant, ob diese Mythen real sind, so lange sie dazu taugen, eine mögliche simple und akurate Erklärung und Vorhersage von Ereignissen erlauben.
Von allen physikalischen Beobachtungen her wäre es natürlich naheliegend, diese Mythen wirklich als real anzunehmen. Allerdings gibt es noch keine Theorie, die die Realität von all den physikalischen Objekten und von Bewusstsein in befriedigender Weise erklärt. Das deutet zumindest darauf hin, dass man den Materiebegriff nicht dogmatisch anlegen sollte, sondern bereit sein sollte, flexibel damit umzugehen. Ich denke, es macht in vielen philosophischen Fragen das Leben ein wenig angenehmer, wenn man a la Kant die physikalische Welt nicht als die Dinge an sich nimmt, sondern sich ihre Modellhaftigkeit bewusst macht. Das trifft sowohl in der Kausalitätsfrage zu wie auch eben hier in der strengen Scheidung zwischen Materie und nicht-Materie.

Bezüglich Gott: ich habe auch nicht von "natürlichen Gesetzmäßigkeiten", sondern von "dem, was der Natur ihre Gesetzmäßígkeit gibt" gesprochen. Die letztere Beschreibung ist sowohl kompatibel mit der klassischen personalen Gottesvorstellung als auch offen für etwas anderes. Dafür, einen personalen Gott anzunehmen, gibt es meines Erachtens eher wenig im weiteren Sinne wissenschaftlich/philosophische Gründe (auch wenn es wohl welche gibt). Dafür, irgendein göttliches Element, das im Kosmos wirkt, welcher Natur auch immer, anzunehmen, vermutlich schon mehr. Ich müsste aber noch näher ergründen, was ich damit überhaupt meine ;).

e-noon
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Mi 18. Feb 2009, 21:03 - Beitrag #15

Es würde mich freuen, wenn du das ergründetest, es klingt nämlich sehr interessant ^^

Bewusstsein ist real - ist eine Behauptung ^^ Die ich allerdings so teilen würde. Natürlich ist das Ökonomieprinzip nicht das einzige Prinzip der Wissenschaft und auch des Naturalismus; ökonomisch wäre (wenn ich das richtig sehe) der Solipsismus; eine einzelne Seele/ein Geist (meiner) träumt alles, was so passiert. Auf die Frage nach dem Warum habe ich immer die bequeme Antwort "weil ich das jetzt zufällig träume". Allerdings kann ich so keine Vorhersagen treffen, keine Maschinen darauf aufbauen, etc.

Ich verwende "Materie" nicht unhinterfragt; von mir aus kann man "physikalisch wahrnehmbare/messbare Entität" dafür einsetzen. Ich glaube, ich habe aber nicht ganz verstanden, was die an der Idee gefällt oder plausibel vorkommt, dass Bewusstsein nur auftaucht, wenn Gehirnaktivität da ist, dieses Bewusstsein aber etwas sein soll, das sich nicht allein auf diese Gehirnaktivität zurückführen lässt. Vielleicht machen wirs eine Stufe weniger komplex als Bewusstsein und nehmen eine andere Empfindung, vielleicht Schmerzempfinden?

Traitor
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Mi 18. Feb 2009, 21:27 - Beitrag #16

Das detaillierte Eingehen auf die Leib-Seele-Problematik sprengt hier wie so oft etwas den Rahmen. Ich möchte dazu nur sagen, dass ich genau die Position, die Padreic als "irgendwas zwischen unwahrscheinlich und totalem Blödsinn" betrachtet, vertrete und nichts gegen eine Ausführung dieser strengen Ablehnung in einem entsprechenden Thread einzuwenden hätte.

Auch das Thema "erzwungene christliche Elemente im Alltag" ist umfangreich und diffizil. Bei Liedern und Kruzifixen stimme ich Padreic zu, dass man damit gut leben kann. Bei den Kirchenglocken bitte ich aber zu beachten, dass es hier nicht nur um rein ideelle "Beleidigungen" Neutraler oder Andersgläubiger geht, sondern auch um ganz handfeste Lärmbelästigung, die von jedem Anderen als den Kirchen stammend einhellig als hochkriminell bewertet würde, also um ein Problem einer ganz anderen Kategorie.

Nun wieder möglichst eng am Thema:

@e-noon: Mein Hauptproblem mit festen Organisationen von Atheisten/Humanisten/Naturalisten ist, dass diese durch ihre Existenz eine Problemlage zugeben, die es so eigentlich nicht geben sollte und in Europa auch nicht sonderlich stark ausgeprägt gibt. Sobald sich eine derartige Interessengruppe bildet, vermittelt sie nach außen den Eindruck, es gäbe eine diskriminierte, bedrohte Randgruppe, die ihrer bedarf. Dass im Gegensatz dazu dieses Weltbild längst die Grundlage unserer Kultur ist und der christliche Anteil nur noch Folklore drumherum, wenn auch sicher sehr präsente und einflussreiche, sollte Anlass zu einem ganz anderen Auftreten geben.

@Padreic: Eine Gegenbewegung zu christlichem Eiferertum braucht es sicher, aber die sollte meines Erachtens eher in der Form von Informationsdiensten und -netzwerken auftreten. Die "Skeptikerbewegung" ist mir da vom Ansatz her weit sympathischer als die "Brights", soll allerdings auch durchaus üble dogmatische und sektiererische Tendenzen haben. Letztlich wohl ein Problem aller weltanschaulich aufgeladener Initiativen, egal aus welcher Richtung kommend.

@Jan: Dass nicht alle Amerikaner dem armseligen kulturellen Stand, der das Klischee hervorbrachte, angehören, und Glanzleistungen somit verständlich sind, muss wohl nicht ausgeführt werden.

Mit der Frage, ob die grundsätzliche Ablehnung des außernatürlichen anstatt nur des Verzichts auf seine Glaubwürdigkeitserklärung intellektuell vertretbar ist oder nicht, kommst du zum gleichen Definitionsproblem wie zwischen e-noon und Padreic. Ich bin wie eh und je der Ansicht, dass alles, was physikalisch wirkt, physikalisch ist, und somit der Naturwissenschaft zugänglich ist; alles, was wirklich völlig vom physikalischen getrennt sein soll, für dieses jedoch offenbar völlig irrelevant ist und somit in keinem sinnvollen Sinne "existent" sein kann. Es also tatsächlich nichts nicht-physikalisches (nicht-naturalistisches) geben kann und dieses völlig abzulehnen ist. Und Postulierungen den bisherigen Erkenntnissen völlig zuwiderlaufender, aber dennoch wirksamer und somit physikalisch existenter Phänomene, sich allerhöchstens auf groteske Wahrscheinlichkeits-Ausreißer berufen können und somit weitgehend zu ignorieren sind.

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Fr 20. Feb 2009, 22:31 - Beitrag #17

Zitat von Traitor:@Jan: Dass nicht alle Amerikaner dem armseligen kulturellen Stand, der das Klischee hervorbrachte, angehören, und Glanzleistungen somit verständlich sind, muss wohl nicht ausgeführt werden.

Naja, die politischen Archetypen in Amerika, die Denkmuster, auch die Tatsache, daß religiöses Bekenntnis dort nach wie vor mit politischem Verhalten verbunden ist, lassen für mich schon den Schluss zu, daß es sich dort um eine Gesellschaft handelt, die noch tief in den Denkmustern ihrer Entstehungszeit verwurzelt ist. Die geistigen Neuschöpfungen der Amerikaner sind in dieser Hinsicht nichts neues, da wird nur Gott durch den freien Markt ersetzt, der Neoliberalismus ist nur eine etwas eigentümliche Religion.

[quote]Mit der Frage, ob die grundsätzliche Ablehnung des außernatürlichen anstatt nur des Verzichts auf seine Glaubwürdigkeitserklärung intellektuell vertretbar ist oder nicht, kommst du zum gleichen Definitionsproblem wie zwischen e-noon und Padreic. Ich bin wie eh und je der Ansicht, dass alles, was physikalisch wirkt, physikalisch ist, und somit der Naturwissenschaft zugänglich ist]
Das kann man so sehen, dann könnte man für Trolle postulieren, daß sie vielleicht nur sehr selten mit unserer physischen Welt interagieren und dadurch in dem großen Schwarm kontingenter Faktoren untergehen.

EDIT:
Nur wie geht man dann mit Phänomenen um, die reproduzierbar existieren, aber aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht möglich sind, z.B. Homöopathie und Akupunktur? Homöopathie funktioniert auch bei Tieren und ergibt im Vergleich mit Placebos signifikante Wirkungen, die Energiebahnen im Akupunktursystem sind nicht mit Fixpunkten des Nervensystems parallelisierbar, ihre Reizung hat aber eindeutige und reproduzierbare Wirkungen.

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So 22. Feb 2009, 14:59 - Beitrag #18

Lust auf eine separate Reinkarnation des beliebten Amerika-Themas?

Das kann man so sehen, dann könnte man für Trolle postulieren, daß sie vielleicht nur sehr selten mit unserer physischen Welt interagieren und dadurch in dem großen Schwarm kontingenter Faktoren untergehen.

Das könnte man, ja, aber glaubwürdig wäre man damit nicht, denn das sporadische Auftauchen eines ganzen Trolls ist ein derart komplexes Phänomen, dass es wohl kaum auf physikalische Grundprozesse zurückgeführt vorkommen könnte, ohne dass es aus der Troll-Parallelwelt auch regelmäßig zu viel elementareren Interferenzen kommt.

Nur wie geht man dann mit Phänomenen um, die reproduzierbar existieren, aber aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht möglich sind, z.B. Homöopathie und Akupunktur? Homöopathie funktioniert auch bei Tieren und ergibt im Vergleich mit Placebos signifikante Wirkungen, die Energiebahnen im Akupunktursystem sind nicht mit Fixpunkten des Nervensystems parallelisierbar, ihre Reizung hat aber eindeutige und reproduzierbare Wirkungen.
Für Homöopathie kenne ich nach wie vor keine positiv ausgefallenen Metastudien (und Einzelstudien sind im medizinischen Bereich eh nie glaubwürdig). Akupunktur bewegt sich durchaus nicht außerhalb dessen, wofür im von der Medizin bisher ungenügend verstandenen Bereich ganz klassische Erklärungen zu erwarten sind.

janw
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So 22. Feb 2009, 19:43 - Beitrag #19

Die Amerikaner könnte man mal mit etwas mehr Vorarbeit durch einen eigenen thread ziehen, das tut dem hier aber keinen Abbruch.

Du meinst, wenn ein Troll auftaucht, dann bleibt das nicht unbemerkt?
Sind die Isländer wirklich nur abergläubisch?

Nicht, daß Du sonstwas denkst...ich bin auch alles andere als überzeugt davon, daß es sie gibt, aber tue mich etwas schwer damit, es kategorisch auszuschließen.

Hinsichtlich der Homöopathie war mir noch die Studie von 2003 in Erinnerung, daß die sich ja dann so schnell zerlegt hatte, war mir entgangen. Insofern fehlen dort wieder mal die belastbaren Beweise - wobei es natürlich schwierig ist, vernünftige Metastudien zu machen, wenn bei den Einzelstudien so viel Mist gemacht wurde.

Ipsissimus
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Do 12. Mär 2009, 15:20 - Beitrag #20

Ich bin wie eh und je der Ansicht, dass alles, was physikalisch wirkt, physikalisch ist


schwierig, umgekehrt hätte ich weniger Probleme damit. Nehmen wir einen Gedanken oder eine Idee oder ein Konzept, Sachverhalte, die zweifelsohne physikalisch wirksam werden können vermittels ihrer Auswirkungen auf das Handeln von Menschen. Sind sie deswegen selbst schon physikalisch? Bei Gedanken mag es da noch fraglich sein, aber bei Ideen und Konzepten?

Hinsichtlich der Brights empfinde ich ein bisschen so als würde ich aufgefordert, die Naturgesetze einzuhalten. Wenn ich verstanden habe, dass mein Leben ganz und gar nicht in der Lage ist, sich den Naturgesetzen zu verweigern, nicht eine Sekunde und nicht im geringsten Aspekt, dann benötige ich eigentlich keine Organisation, die mich beständig daran erinnert, dass ich die Lichtgeschwindigkeit nicht überschreiten darf. Als einen Bright kann ich mir derzeit nur Menschen vorstellen, die noch irgendwie dazwischen stehen, eigentlich zu einem aufgeklärten Weltbild wollen und dafür Gesinnungsgenossen suchen, die sie stützen, aber irgendwie immer noch befürchten, an den theistischen Geschichten könne doch was dran sein. Bedauerlich eigentlich.

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