Religionsfreiheit - Segen oder Fluch?

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Do 7. Mai 2009, 10:27 - Beitrag #1

Religionsfreiheit - Segen oder Fluch?

um direkt zum Kern des Dilemmas zu kommen und Nebenkriegsschauplätze möglichst zu vermeiden: die Errungenschaft der humanistischen Aufklärung "Religionsfreiheit" wendet das Toleranzprinzip auf Gruppen an, die ihrerseits nicht dem Toleranzprinzip verpflichtet sind - soweit mir bekannt, enthält kein einziges heiliges Buch dieses Planeten Aussagen der Art, dass gegen Andersgläubige oder Nichtglaubige Toleranz geübt werden solle, sie sind statt dessen voll mit Beispielen kriegerischer Konfliktlösung. Auch in den erweiterten Grundlagenbüchern (Kirchenväter, Theologen) der einzelnen Religionen spielt Toleranz ein eher stiefmütterliches Dasein, von der Realität der Kirchen in ihrer weltweiten Konfliktsituation ganz zu schweigen. Toleranz wird als Forderung überall dort ausgepackt, wo die eigene Position schwach ist, und mehr oder weniger vergessen, wo sie stark ist.

Wo immer sich humanistische Prinzipien durchgesetzt haben, taten sie es praktisch immer gegen den Widerstand der Religion. Aus der Sicht einer spezifischen Religion lässt sich "Religionsfreiheit" darauf verkürzen, dass die Freiheit zu gewährleisten sei, dieser spezifischen Religion angehören und sie nachteilsfrei praktizieren zu dürfen - ich habe noch nie davon gelesen, dass Katholiken dafür demonstriert haben, dass Menschen zum Islam konvertieren dürfen, oder umgekehrt, dass Muslims dafür auf die Straße gehen, dass in ihren Ländern Menschen Christen sein dürfen, ungefährdet und ohne Benachteiligung. Gleiches lässt sich auch für Hindus, Buddhisten und alle anderen Gruppen sagen.

Das heißt, die humanistische Aufklärung ist einsam unter Wölfen, und das Toleranzprinzip scheint eher zu einer Waffe gegen den Humanismus zu geraten, da Toleranz immer nur von Humanisten gefordert wird; die Meinungen der anderen sind ja durch "Religionsfreiheit" legitimiert, selbst da, wo diese Religionsfreiheit bewirkt, dass Vertretern anderer Religionen selbige verweigert bzw deren Zugehörigkeit zu einer "anderen" Religion negativ sanktioniert wird. Dies ist selbst noch für Europa wahr, wenngleich in deutlich milderer Form als z.B. für die USA, Südamerika, China, Indien und die arabische Welt.

Europa scheint mir die einzige Gegend der Erde zu sein, in der die humanistische Aufklärung einigermaßen Wurzeln gefasst hat (auch wenn ich diese Aussage nicht überbelasten würde); die USA sind gerade dabei, ihre aufklärerischen Wurzeln auszurotten, und in anderen Gegenden hat sie nie wirklich Fuß gefasst.

Sollten daher gerade in Europa den Religionen hinsichtlich ihres antihumanistischen Gepräges nicht deutlich schärfere Grenzen zugewiesen werden? Im Einzelnen:

- verbindliche Verpflichtungen auf humanistische Prinzipien
- klare und eindeutige Aussagen zum Existenzrecht anderer Religionen
- Gleichwertigkeit nontheistischer Anschauungen
- Einforderung realer Gleichwertigkeit der Geschlechter auch in den Ämtern
- und vor allem: Schutz der Kinder gegen religiöse Indoktrination

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Do 7. Mai 2009, 12:22 - Beitrag #2

Ja... wobei natürlich die Frage ist, wo die Meinungsfreiheit endet.
Mehr Frauen in den Kirchen? Mehr Schwarze in der Führungsriege der NPD? Mehr Atheisten als Immame? Irgendwo muss man natürlich auch sehen, wo da die Praktikabilität endet und die Organisation tatsächlich als solche boykottiert wird. Ich fände es gut, natürlich; aber es ist nicht machbar. Gegen die Begründung "nur wahre Gläubige sollten religiöse Ämter belegen dürfen" wird wohl niemand ankommen; und was dann "wahre Gläubige" sind, können die Kirchen beliebig definieren, wie es Padreic im Thread zur Frauendiskriminierung angedeutet hat, dh. ein Atheist ist kein wahrer Gläubiger, aber auch eine Frau, die das Priesteramt anstrebt, kann per se keine wahre Gläubige sein, weil... was weiß ich.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Do 7. Mai 2009, 13:58 - Beitrag #3

genau das ist ja die Frage: muss die Religionsfreiheit nicht genau da enden, wo sie mit der Verletzung fundamentaler humanistischer Prinzipien beginnt? Gemäß dem Prinzip "Die Freiheit des einen endet da, wo er die Freiheit des anderen antastet"?

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Do 7. Mai 2009, 14:03 - Beitrag #4

Das auf jeden Fall. Die Frage ist eben, inwieweit es die Freiheit z.B. einer Frau antastet, freiwillig einer Organisation anzugehören, die ihr weniger Rechte zugesteht. Ehrlich gesagt: Keine Ahnung!
Dass es ethisch aus meiner Sicht nicht vertretbar ist, kann ich schon mal sagen; meiner Meinung nach hat jedes Kind ein Recht darauf, freiheitlich und demokratisch etc. erzogen zu werden. Gleichzeitig haben aber auch die Eltern ihre Rechte, und oft wollen die eben lieber, dass auch ihre Töchter sich unterordnen und/oder auch ihre Söhne zu Rassisten erzogen werden.
Tja :confused: Ich glaube nicht, dass wir eine deutliche Besserung noch erleben werden, ehrlich gesagt.

PS: Ein überzeugter und/oder bewanderter Katholik könnte argumentieren, dass die Forderung nach weiblichen Priestern ebenso absurd ist wie die nach männlichen Schwangerschaften. Es ist der Frau einfach nicht gegeben, die Wandlung durchzuführen, weil Jesus das nicht wollte. Tja. Das ist das Problem mit Religionen und Ideologien: Sie können jeden Schwachsinn behaupten. Sollen wir deswegen jetzt Schwachsinn verbieten? Ist das mit demokratischen Grundsätzen vereinbar? Hat nicht jeder Mensch das Recht auch auf größtmögliche Idiotie?
Keine Ahnung.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Do 7. Mai 2009, 14:44 - Beitrag #5

die Frage ist, warum wir allen möglichen Interessenverbänden eine Schranke setzen, die "Grundgesetz" heißt, bei Religionen, die auch nichts anderes als Interessenverbände sind, "Religionsfreiheit" aber höher ansetzen als das Grundgesetz, und damit höher als elementare Menschenrechte.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Do 7. Mai 2009, 15:17 - Beitrag #6

Setzen wir Interessenverbänden denn Schranken? Kann sich eine Frau in eine Männerfußballmannschaft hineinklagen? Oder ein Mann in eine Frauenfußballmannschaft? Und bei der WM?

Religionsfreiheit endet ebenfalls da, wo das Recht der anderen endet - aber es ist nicht gesetzeswidrig, eine Frau, die nicht Priesterin werden will, nicht zur Priesterin zu machen.

Was ich sonst noch sagen wollte, hab ich irgendwie vergessen... :| Auf jeden Fall gibt es ja auch Beschränkungen für bescheuerte Religionen, Hassprediger (?) und ähnliches.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Do 7. Mai 2009, 16:10 - Beitrag #7

es gibt Frauenfussball; und etwaige Unterschiede in der Leistungsfähigkeit sind körperliche, biologische, messbare Unterschiede; davon abgesehen gibt es keine Behauptung einer prinzipiellen Unfähigkeit der Frau zum Fußballspielen, und ob Frauen in einer Männermannschaft spielen können, müsste man wirklich mal juristisch prüfen lassen. Auf dem Bolzplatz in der Kindheit ging es noch, warum später nicht, falls das gesamte Leistungsvermögen dem Niveau der Mannschaft entspricht. Gibt ja auch Mixed im Tennis und anderen Sportarten, oder Golf, wo sie mittlerweile direkt gegeneinander antreten können, auch im Schach. Also, wenn da mal ne Frau wirklich Interesse dran hätte und gut genug wäre, würde das interessant im Fußball^^

demgegenüber ist der Unterschied beim Priesteramt eine reine Behauptung gegen jede Evidenz. Lass uns ein Experiment machen: wir nehmen 10 Hostien, die von einem Priester gewandelt wurden und 10 weitere Hostien, die von einer Frau gewandelt wurden (bzw. von der das Ritual vollzogen wurde). Dann mischen wir die Hostien. Wollen wir wetten, dass niemand, absolut niemand die von dem Priester gewandelten von den von der Frau gewandelten Hostien unterscheiden kann? Und wenn wir unseren Versuchspersonen nicht sagen, dass da "falsche" Hostien dabei sind, dann werden sie noch nicht mal ihre eigenen psychischen Reaktionen - wie besonderes Heiligkeitsgefühl und dergleichen - auf die Einnahme der Hostie vermissen. Ist also reines Kopfkino. Und auf Kopfkino kann man einwirken, nicht schnell, aber z.B. dadurch, dass man Kinder davor bewahrt, im Sinne dieses Kopfkinos erzogen zu werden.

aber es ist nicht gesetzeswidrig, eine Frau, die nicht Priesterin werden will, nicht zur Priesterin zu machen.


nein, natürlich nicht. Aber hier geht es um die Frauen, die es wollen

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Do 7. Mai 2009, 16:16 - Beitrag #8

Ipsi, dass ICH von der Hostienbegründung nix halte, dürfte klar sein :P aber ein Gläubiger würde dir garantiert sagen "Ich merke es nicht, aber Gott merkt es". Für uns völlig egal, aus unserer Sicht falsch, auch aus der künftiger Gläubiger vielleicht, aber für die jetzigen Gläubigen spielt das eine Rolle. Bzw. wohl eher für die Amtsträger.

Ich fände Frauen in kirchlichen Ämtern allein daher schon super, weil man da das Zölibat viel effizienter kontrollieren kann... wenn's mal nicht klappt mit der Verhütung, meine ich... :D
ob Frauen in einer Männermannschaft spielen können, müsste man wirklich mal juristisch prüfen lassen
SEEEEEEEEEHR unwahrscheinlich. Dann müssten ja theoretisch auch Männer in der Frauenmannschaft spielen können dürfen. Und DANN gäbe es wohl keinen Grund, die halbe (oder ganze?) Frauenmannschaft einfach durch männliche Spitzenfußballer zu ersetzen. Und DAS ist ja dann auch nicht Sinn der Sache. Prinzipiell aber... :cool:

nein, natürlich nicht. Aber hier geht es um die Frauen, die es wollen
Ich wette, du findest auch Männer, die gerne eine Schwangerschaft erleben würden. Recht auf Schwangerschaft? Recht auf Priesteramt? Für einen Gläubigen dasselbe; bei dem einen spricht das Naturgesetz dagegen, bei dem anderen Gottes Gesetz.
Oder so. Ist ja auch egal. Wenn eine Frau Priesterin der katholischen Kirche werden will, hat sie es eigentlich auch verdient... :rolleyes: Was nicht heißen soll, dass ich es gut finde, aber ein gewisses Maß an Reflexion sollte man voraussetzen dürfen, oder? Entweder ich glaube alles was der Papst sagt, dann halte ich mich auch für nicht geeignet, oder ich glaube nicht alles, was der Papst sagt, dann kann ich auch austreten und meine eigene Kirche gründen oder eben ganz einfach zu den Protestanten wechseln und gut ist. Echt mal. Wie kann man sich denn so was selber antun? Ich heirate ja auch keinen absoluten Macho und versuche dann in Karlsruhe mein Recht auf gleichberechtigte Behandlung einzuklagen :rolleyes:
Drum prüfe, wer sich ewig bindet...

blobbfish
Listenkandidat
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3022
Registriert: 26.01.2003
Do 7. Mai 2009, 16:50 - Beitrag #9

- klare und eindeutige Aussagen zum Existenzrecht anderer Religionen


Nun, das ist allerdings auch wieder das Problem des von dir aufgeführten Dilemmas. In einer gewissen Weise kann Religion ja als Institution mit einem ehtischen Geltungsanspruch verstanden werden. Wird das getan, und ich halte dies auch für legitim, dann kann eine Religion durchaus die Anerkennung einer anderen Religion verneinen. Der Einwand ist nun, und die muss auch die entsprechende Religion zugestehen, dass es eine Kontraposition geben kann, wie geartet auch immer (sei es eine andere Religion oder ein staatliches, freiheitliches, demokratisches System).

Ein überzeugter und/oder bewanderter Katholik könnte argumentieren, dass die Forderung nach weiblichen Priestern ebenso absurd ist wie die nach männlichen Schwangerschaften. Es ist der Frau einfach nicht gegeben, die Wandlung durchzuführen, weil Jesus das nicht wollte. Tja. Das ist das Problem mit Religionen und Ideologien: Sie können jeden Schwachsinn behaupten.

Sollte vielleicht nicht per se als Schwachsinn abgetan werden, in einer naturalistischen Denkweise durchaus legitim. Richtig ist aber, dass alles mögliche Behauptet werden kann, aber wofür hat man denn Wissenschaftstheorie? Sinnvoll ist es also den Streit nicht auf der Ebene der einer Strömung o. Einstellung zu führen, sondern auf der Ebene tiefer anzusetzen und zu fragen, wie die jeweilige Position zu der These kommt und wie diese gerechtfertigt werden kann. Insbesondere gehört dazu, worüber man da eigentlich redet.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Do 7. Mai 2009, 16:51 - Beitrag #10

Ich wette, du findest auch Männer, die gerne eine Schwangerschaft erleben würden. Recht auf Schwangerschaft? Recht auf Priesteramt?


ähm^^ Schwangerschaft ist nach Stand der Technik für Männer derzeit nicht machbar. Das ist Biologie, kein Wahn.

Priesteramt ist Ausübung von Ritualen. Können auch Frauen. Jede weitere damit angeblich verbundene Wirkung ist frei gequirlter Blödsinn, keine Biologie.

Genau wie der Drachen vor der Tür, vor dem das kleine Mädchen Angst hat und den auch nur sie sieht. Bei dem kleinen Mädchen sagen wir es freundlich, sie lernt noch, Realität und Imagination zu unterscheiden. Wenn sie aber mit 25 immer noch Drachen sieht, sehen wir es auch da nicht mehr freundlich. Nur der Gläubige darf seine Wahnvorstellungen aufrechterhalten?

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Do 7. Mai 2009, 17:01 - Beitrag #11

Haaaaaaaallo Ipsi, muss ich mir jetzt ein advocatusdiaboli-schild basteln oder was? MIR ist das klar, dass das eine eine biologische Tatsache darstellt und das andere aus der Luft gegriffener Unsinn. Selbst wenn es wahr wäre, wäre es im Übrigen aus der Luft gegriffener Unsinn.

(Was nicht heißt, dass alle Glaubensinhalte Schwachsinn sind, sondern nur, dass man, wenn man Gott glaubt, diesem allen möglichen Schwachsinn unterstellen kann, wenn man denn will, und viele wollen.)

Jede weitere damit angeblich verbundene Wirkung ist frei gequirlter Blödsinn, keine Biologie.
Jaaaaaaaaaaaaaaa aber für dich und für mich und viele andere, für den Gläubigen ist das unumstößliche Tatsache. Weil is halt so.

Wenn sie aber mit 25 immer noch Drachen sieht, sehen wir es auch da nicht mehr freundlich.
Je nachdem, wie überzeugend sie ist, könnte auch ne neue, coole Drachenreligion draus werden, die dann zwar von außen belächelt wird, aber nicht von denen drinnen...

Nur der Gläubige darf seine Wahnvorstellungen aufrechterhalten?
Ja was willste machen? Im Irrenhaus ist der Arzt der Außenseiter!

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Fr 8. Mai 2009, 02:36 - Beitrag #12

Zitat von Ipsissimus:- verbindliche Verpflichtungen auf humanistische Prinzipien
- klare und eindeutige Aussagen zum Existenzrecht anderer Religionen
- Gleichwertigkeit nontheistischer Anschauungen
- Einforderung realer Gleichwertigkeit der Geschlechter auch in den Ämtern
- und vor allem: Schutz der Kinder gegen religiöse Indoktrination


1. Das Problem ist, daß die humanistischen Prinzipien nur mittelbar, durch ihre Verwirklichung in Gesetzen, Teil der gesetzlichen Ordnung sind. Die Einhaltung dieser Gesetze ist für die Glaubensgemeinschaften verpflichtend, wobei gewisse Ausnahmen gemacht werden, die in ihrer Inkonsistenz durchaus hinterfragbar sind: Z.B. Nichtgleichberechtigung von Frauen in mehreren christlichen Glaubensgemeinschaften, im Islam (und im Judentum?), Beschneidung von Jungen im Islam und Judentum (eigentlich Körperverletzung) - aber Verbot des Schächtens von Opfertieren im Islam aus Tierschutzgründen.
Einer Verpflichtung auf die Grundwerte des Humanismus könnte auch entgegen gehalten werden, daß dieser Wertekanon wesentlich auch Toleranz beinhaltet, die nun auch der Religion gelten müsse, so weit davon keine schädlichen Wirkungen ausgehen.
Auch wäre zu sehen, daß eine Übertragung humanistischer Wertanforderungen auf nicht von der Aufklärung geprägte Religionsgemeinschaften (v.a. Buddhismus, Hinduismus, Islam, wie weit ist das Judentum davon gestreift?) einen Hauch von Wertekolonialismus hätte - dabei wäre ich doch dafür, die Erste Direktive ins GG aufzunehmen^^ - ich denke, eine Verankerung im Humanismus liefe nur darauf hinaus, eine Weltanschauung zum Maß aller Dinge zu machen, das sie eben gerade nicht sein will und mit Mitteln, gegen die sie einst entwickelt wurde.

2. In den Dokumenten zum 2. Vaticanum ist iirc das Existenzrecht anderer Religionen anerkannt, die Vertretungen des Islam in Deutschland haben ähnliches formuliert und sind um Abgrenzung zu fundamentalistischen Strömungen bemüht.

3. Wie jeder Sportverein halten auch die Religionsgemeinschaften ein Leben mit Religion (und da natürlich mit ihrer eigenen) für besser als ein Leben ohne, das klingt zumindest implizit aus jeder christlichen Predigt heraus, ich würde vermuten gleichermaßen in den anderen Glaubensgemeinschaften.
Wenn ich mir gelegentlich den Eifer dickbäuchiger Sportfunktionäre bei der Werbung um jugendlichen Nachwuchs ansehe, kommen mir dabei nicht unbedingt bessere Gedanken, als bei der Nachwuchswerbung der Kirchen, das Maß an Nichtentfaltung geistiger Potentiale dürfte IMHO jedenfalls ähnlich sein.
Was sollte also nun wem gleichwertig sein, Religiosität der Nichtreligiosität, der Sportlichkeit, der Unsportlichkeit, der kulturellen Betätigung, der Kompensation innerer Leere durch Konsum und Kommerz?

4. Das unbedingt und sofort, wenn es Ärztinnen und Bauarbeiterinnen gibt, muss es auch Priesterinnen, Imamas und Rabbinerinnen geben.
Allerdings gäbe es da sicher Probleme der Akzeptanz in den Gemeinden.

5. In der Schule sicher denkbar, Berlin macht es gerade vor, aber in den Familien? Ist DSDS und GNTM und die Burger-Doof-Werbung besser als eine Erziehung, in der das Wort "Gott" einmal am Tag nicht als Ausdruck des Entsetzens vorkommt?
Ich bin hier offen zwiegespalten, kann/mag? in meiner nicht ganz nichtreligiösen Erziehung keine Indoktrination erkennen, vielleicht könnte ich einiges auch nicht so deutlich sehen, wenn glauben für mich keine Kategorie wäre.
Andererseits sehe ich auch viele, die in Glaubenssätzen gefangen sind, teils ohne es zu merken - und da tun mir jene besonders leid, deren Glaubenssätze um Glücksgewinn durch Leistung, Besitz und Ruhm kreisen.
Und ich sehe, wie z.B. der hiesige Pastor die Grenze, die einzuhalten Kirche von der Welt einfordert, selber überschreitet, indem er naturwissenschaftliche Erkenntnisse so zurecht dreht, daß sie für einen Glaubenstext passen, und das in einer Konfirmandenzeitung.

Letztlich, was tun die nichtreligiös Sozialisierten in nicht unerheblicher Anzahl? Sie wenden sich neuen Religionen zu, Glinus-Gruppen des Christentums, westlich weichgespültem Neo-Advaita, in Russland hat die Orthodoxe Kirche regen Zulauf, in China ist das Christentum regelrecht Mode.
Wenn dies so weiter geht, wird der römische Verein in der nächsten Generation keine Größe mehr sein, mit der sich auseinderzusetzen lohnt.
Wird die Welt davon eine bessere sein?

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Fr 8. Mai 2009, 10:59 - Beitrag #13

Sollte vielleicht nicht per se als Schwachsinn abgetan werden, in einer naturalistischen Denkweise durchaus legitim. Richtig ist aber, dass alles mögliche Behauptet werden kann, aber wofür hat man denn Wissenschaftstheorie? Sinnvoll ist es also den Streit nicht auf der Ebene der einer Strömung o. Einstellung zu führen, sondern auf der Ebene tiefer anzusetzen und zu fragen, wie die jeweilige Position zu der These kommt und wie diese gerechtfertigt werden kann. Insbesondere gehört dazu, worüber man da eigentlich redet.

Blobbfish, damit läufst du bei Freigeistern offene Türen ein; versuch mal einen Kreationisten zu finden, der sich dafür begeistern lässt UND NICHT innerhalb von 5 Minuten von der Priorität der Bibel zu erzählen beginnt


Jaaaaaaaaaaaaaaa aber für dich und für mich und viele andere, für den Gläubigen ist das unumstößliche Tatsache. Weil is halt so.

e-noon, ich verweise noch mal auf Kant. Glaubst du, irgendein noch so gläubiger Katholik würde dir im Normalfall 10000 Euro leihen, wenn du ihm sagst, dass er einen Monat später dafür 1 Million imaginierte Euro zurückerhält? Da funktioniert die Unterscheidung zwischen echten und geglaubten Realitäten plötzlich sehr gut, und das heißt, auch der gläubige Krist weiß, dass er sich bei Kommunion/Abendmahl die Hucke voll lügt. Er möchte dieses Wissen nur gern unbewusst halten.

Je nachdem, wie überzeugend sie ist, könnte auch ne neue, coole Drachenreligion draus werden, die dann zwar von außen belächelt wird, aber nicht von denen drinnen...

wieviele neue kühle Drachenreligionen kennst du? Und wieviele hängengebliebene 25jährige darfst du demgegenüber in den Anstalten vermuten?

Einer Verpflichtung auf die Grundwerte des Humanismus könnte auch entgegen gehalten werden, daß dieser Wertekanon wesentlich auch Toleranz beinhaltet, die nun auch der Religion gelten müsse, so weit davon keine schädlichen Wirkungen ausgehen.

jan, das ist ja genau das Dilemma, das ich im Eingangsthread angesprochen habe, die Anwendung des Toleranzprinzips auf Gruppen, die sich dem Toleranzprinzip nicht verpflichtet fühlen. Wäre es nicht wesentlich realistischer und fruchtbarer, das Prinzip bedingungsloser Toleranz in ein Prinzip der bedingten Toleranz überzuführen "Dir wird soviel Toleranz gewährt, als du selbst anderen Toleranz gewährst."? Der Knackpunkt bei der Goldenen Regel "Behandle andere in jeder Situation so, wie du bei vertauschten Rollen in der Situation behandelt werden möchtest" ist die Asymmetrie zwischen Menschen, die sich dem Prinzip verpflichtet fühlen und denen, für die es gegenstandslos ist.

In den Dokumenten zum 2. Vaticanum ist iirc das Existenzrecht anderer Religionen anerkannt, die Vertretungen des Islam in Deutschland haben ähnliches formuliert und sind um Abgrenzung zu fundamentalistischen Strömungen bemüht.


du weißt, in welchem Ausmaße die Ergebnisse des 2. Vaticanicums von JP2 und Benedikt wieder rückgängig gemacht wurden, ganz zu schweigen von der Untergrundarbeit von Gruppen wie Opus Dei oder Schönstatt. Und die Aussagen deutscher Muslime haben für die Lehren des Islams ungefähr soviel Relevanz wie der tiefe Wunsch nach Frieden unserer Politiker für die Beendigung aller Kriege

Was sollte also nun wem gleichwertig sein, Religiosität der Nichtreligiosität, der Sportlichkeit, der Unsportlichkeit, der kulturellen Betätigung, der Kompensation innerer Leere durch Konsum und Kommerz?

hier geht es gerade um das Verhältnis zwischen Humanismus und Religion^^ oder anders ausgedrückt, um das Verhältnis zwischen reflektierten, sich hinterfragen lassenden und bei neuen Faktenlagen entwicklungswilligen Ansichten über die Welt einerseits und übernommenen, mit dem Nimbus der Unhinterfragbarkeit versehenen und im wesentlichen imaginierten (schlimmstenfalls sogar halluzinierten) Auffassungen über die Welt andererseits. Ich frage mich einfach nur, weswegen der letzteren Sorte von Auffassungen der Schutz der Verfassung gebühren soll, wenn dieser Schutz lediglich dazu benutzt wird, Auffassungen der ersten Art zu bekämpfen, obwohl der Schutz nur aufgrund von Auffassungen der ersten Art überhaupt entstanden ist. Zumindest eine Gleichwertigkeit des Schutzes müßte eigentlich gegeben sein, oder? Nun berufe dich bei Gewissensentscheidungen, wie sie z.B. früher mal bzgl Wehrdienst abgefragt wurden, auf humanistische Überzeugungen und einmal auf religiöse Überzeugungen und schau dann mal, womit du durchkommst.

Ist DSDS und GNTM und die Burger-Doof-Werbung besser als eine Erziehung, in der das Wort "Gott" einmal am Tag nicht als Ausdruck des Entsetzens vorkommt?

Sind DAS die zur Debatte stehenden Alternativen?^^

Ich (nein, nicht nur ich, die Forderung wird derzeit weltweit diskutiert) fordere ein Menschenrecht der Kinder auf indoktrinationsfreie Erziehung, auch im Elternhaus. Das betrifft nicht nur religiöse Inhalte. Unser Schulsystem zielt zunehmend massiv darauf ab, Funktionsroboter herzustellen, die später passgenau eine Position im Produktionsablauf einnehmen können. Demgegenüber müsste ein Schulsystem, das gegen Indoktrination schützen soll, grundlegende Fertigkeiten vermitteln, Fertigkeiten, die nicht darauf aus sind, Inhalte zu internalisieren, sondern Inhalte zu hinterfragen.

wann ist ein Faktum ein Faktum
wann ist Wissen Wissen und nicht Meinung oder Proklamation
wie bewerte ich die Belastbarkeit einer Aussage
wie erkenne ich die Relevanz einer Aussage
wie erkenne ich die verborgenen Absichten einer Aussage

solche Fertigkeiten, konsequent als Gewohnheit des Denkens vermittelt, gewähren ein Fundament, das in kritischen Konfrontationen mit allen Arten von indoktrinösen Inhalten der Vereinnahmung infolge Emotionalisierung und Suggestion entgegen wirkt. Natürlich gibt es da eine Grundbedingung, und die lautet Ehrlichkeit. Wenn ein junger Mensch den Eindruck gewinnt, dass humanistische Positionen auch nur dazu da sind, um hinter schönen Worthülsen sein reibungsfreies Funktionieren sicherstellen, brauchen wir es gar nicht erst zu versuchen. Dann ist die Welt, zumindest soweit wie für Menschen von Belang, demnächst Geschichte. Google doch mal zum Thema "amerikanische Kristen und US Army". Wir haben da ein echtes Problem, auch wenn es kaum einer kennt^^

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4280
Registriert: 25.12.2001
Fr 8. Mai 2009, 15:48 - Beitrag #14

Das westliche Verständnis von Religionsfreiheit hat seine Wurzeln im Zeitalter des Konfessionalismus. Also in einer Zeit als die Fürsten ihren Untertanen nach eigenem Gutdünken eine Religion aufdrückten und gegen die gegnerische Konfession zu Felde zogen. So empfanden es die aufgeklärten Menschen schon als wahren Fortschritt, dass eben nicht mehr staatlicher Zwang und Gewalt über die eigene Religionszugehörigkeit entschieden. Um das und nicht mehr, geht es eigentlich.
Ob nun Eltern ihre Kinder mit ihren eigenen Vorstellungen indoktrinieren dürfen oder nicht, ist eine Frage die sich auch leicht praktisch beantwortet werden. Gibt es denn eine Alternative? Man kann ja auch sagen, mach was du willst, nimm aber bloß kein Heroin! Welche andere Möglichkeit haben den Eltern, als ihre eigenen Werte zu vermitteln? Die Eltern nun dazu zwingen, was zu indoktrinieren haben oder nicht, ist eigentlich eine Form von Totalitarismus. Man kann nicht nicht indoktrinieren. Vielleicht weist ja meine Signatur einen Ausweg aud dem Dilemma. :crazy:
Die eigentliche Frage ist doch, ob es Denkverbote geben muss oder darf.
Ein schönes Beispiel ist das kemalistische Verständnis eines säkularen Staates. Dieses Quasi-Totalverbot von Religion außerhalb der Moschee ist doch alles andere als Freiheit. Und die gleichzeitige Duldung sogenannter "Ehrenmorde" und Blutfehden zeigt ja, dass die Religion nicht der einzige Bösewicht ist, entscheidender scheint die weltliche Blutrache-Mentalität kriegerischen Bergvölker. Grundlegend ist die Erkenntnis, dass keineswegs alle Moralvorstellungen der Ewiggestrigen religiös begründet sind sondern auch eben und sogar entgegen der Religion existieren können.

Dass Ipsimissimus den Unterschied zwischen Toleranz und Akzeptanz nicht verstanden hat, macht es nicht leichter.
Wie oben beschrieben war es vor 200 Jahren durchaus nach üblich, dass alle anderen, wenigstens aber fast alle anderen Religion verboten waren, ihre Anhänger verfolgt wurden. Schön das dies wenigstens halbwegs überwunden wurde. Eine Kirche kann den Islam tolerieren. Kann sie ihn aber akzeptieren, also gutheißen? Wenn eine Kirche behaupten würde, dass die anderen Religionen oder Konfessionen genauso richtig oder falsch sind wie die eigene, würde sie damit nicht zeigen, dass sie unnötig ist?
Ich erwähnte bereits das es sich um einen abendlischen Problem handelt. Interessant ist nämlich, dass "nicht aufklärte" "Religionen" dieses Problem offenbar nicht haben. Buddhismus und Bön sind ja keine Widersprüche, ebenso wenig wie Buddhismus und Konzianismus... Daoismis, Taoismus usw... Ein derartiger Relativismus wie im Fernen Osten ist in den abrahamitischen, monotheistischen Religionen ja nicht vorgesehen. Man kann zwar gleichzeitg Konfuzianer, Buddhist und Anhänger der coolen Drachenreligion sein, aber noch nicht gleichzeitig Muslim oder Christ, oder gar gleichtig Katholik oder Protestant.
Die Forderung eine (abrahamitische) Religion müsse davon ab sehen, sich als alleinseeligmachend zu bezeichnen, ist geradezu absurd.

Und was nun Fakt und was nicht:
Ich stelle die gewagte These auf, dass jene, die in ihrer Kindheit indoktriniert wurden, und diese Doktrin aufgaben, die schlimmsten sind. Konvertiten und wiedergeborene Atheisten sind gleichermaßen die Radikalen in der eigenen Sache wie sie auch erbarmungslose Kritiker des Abgelegten sind.
Ich weiß, dass du dieses Argument als unfair ansiehst... und im Grunde ist es das auch.
Fakt ist zumindest, dass man das Wesen einer Religion verkennt, wenn man versucht diese Lehre nach anderen Kriterien als religiösen zu bewerten.

Padreic
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4485
Registriert: 11.02.2001
Mo 11. Mai 2009, 00:09 - Beitrag #15

Ich halte Meinungs- und Religionsfreiheit für sehr hohe Güter. Sie einzuschränken, ist einer der besten Wege zu einem totalitären Staat. Wenn jemand im Besitz der absoluten Wahrheit wäre, dann könnte man ihm vielleicht noch das Recht zugestehen, Leute, die dieser widersprechen, zu maßregeln. Aber bekanntlich ist das mit der Wahrheit alles nicht so einfach. Und bei dem Gedanken, dass da irgendeiner (und sei es die breite Masse) daher kommt und mir sagt, was ich zu meinen und zu glauben hab, da grauselt's mir.

Wenn ich dich recht verstehe, Ipsi, bist du dafür, dass auch Frauen katholische Priester werden dürfen. Wenn ich dich recht verstehe, siehst du auch so, dass es nicht nur irgendwie besser wäre, sondern es auch wünschenswert wäre, wenn Maßnahmen in die Richtung ergriffen würden. Wie sollten solche aussehen?
Wenn du sagst: "Wenn die katholische Kirche sich nicht an diese und jene Regeln hält, dann zieht der Staat keine Kirchensteuer mehr ein und es gibt auch keinen katholischen Religionsunterricht mehr." - dann würde ich sagen: das ist mir recht (das erstere würde ich sogar gutheißen). Wenn du allerdings sagen würdest, dass der Staat juristische Strafen verhängen sollte, dann würde ich sagen: das wird ein Unterdrückungsstaat.

Ein Grundsatz wie "Frauen dürfen bei uns keine Priester werden." gehört für mich noch in den Bereich, der zur persönlichen Freiheit gehört. Genauso wie wenn jemand sagt: "In unsere Skatrunde nehmen wir keinen Schwarzen auf." - nicht nett vielleicht, aber ich fände es nicht gut, wenn jemand deswegen juristisch belangt würde, da es letztlich seine Sache ist, mit wem er Skat spielt. Insbesondere, wenn es andere Skatrunden gibt, die kein Problem damit haben, ihn aufzunehmen.

Davon abgesehen, bin ich natürlich absolut dafür, dass Kinder nicht indoktriniert werden, sondern ihnen selber und vor allem klar denken beigebracht wird. Ich will aber auch betonen, dass kein Konsens darüber besteht, nach welchen Prinzipien am besten gedacht wird. Ich weiß auch nicht, wo der "Humanismus" sein Recht hernehmen will, solche verbindlich festzusetzen.

Wie sieht übrigens der negative Umgang von Papst Benedikt mit anderen Religionen, den du bemängelst, konkret aus, Ipsi?

Übrigens möchte ich darauf hinweisen, dass deine Argumentationsmuster stellenweise arg bemüht wirken. Insbesondere an zwei Stellen:
Lass uns ein Experiment machen: wir nehmen 10 Hostien, die von einem Priester gewandelt wurden und 10 weitere Hostien, die von einer Frau gewandelt wurden (bzw. von der das Ritual vollzogen wurde). Dann mischen wir die Hostien. Wollen wir wetten, dass niemand, absolut niemand die von dem Priester gewandelten von den von der Frau gewandelten Hostien unterscheiden kann? Und wenn wir unseren Versuchspersonen nicht sagen, dass da "falsche" Hostien dabei sind, dann werden sie noch nicht mal ihre eigenen psychischen Reaktionen - wie besonderes Heiligkeitsgefühl und dergleichen - auf die Einnahme der Hostie vermissen. Ist also reines Kopfkino.
Welcher Katholik behauptet denn, dass diese "mystischen" Elemente des Katholizismus experimentell nachprüfbar sein sollen? (es mag so etwas geben, das dürfte aber nicht die offizielle Lehrmeinung sein) Wie willst du das Verhältnis von einer etwaigen Gnade Gottes zur Welt experimentell testen? Das klappt nur dadurch, dass das Ergebnis deines Experiments schon von vorneherein feststeht.
Glaubst du, irgendein noch so gläubiger Katholik würde dir im Normalfall 10000 Euro leihen, wenn du ihm sagst, dass er einen Monat später dafür 1 Million imaginierte Euro zurückerhält? Da funktioniert die Unterscheidung zwischen echten und geglaubten Realitäten plötzlich sehr gut, und das heißt, auch der gläubige Krist weiß, dass er sich bei Kommunion/Abendmahl die Hucke voll lügt.
Was ist das für eine Argumentation? Imaginierte Euro und die Gnade Gottes stehen vielleicht für dich auf der gleichen Stufe, für einen gläubigen Katholiken aber nun einmal nicht. Wenn überhaupt, sollte der Vergleich sein: bittest du einen Katholiken um 10000 Euro und machst ihm glaubhaft, dass er für dieses Geschenk ins Himmelreich kommt; nimmt er es dann an? Auch das ist sehr schwer experimentell nachprüfbar, da das mit dem Glaubhaftmachen sehr schwer sein dürfte. Aber ich sehe nirgendwo ein Argument dafür, warum es keine Leute geben sollte, die an die Realpräsenz beim Abendmahl glauben. Auch wenn ich natürlich nicht meine, dass dies die Mehrheit der offiziellen Mitglieder der katholischen Kirche ist.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Mo 11. Mai 2009, 11:50 - Beitrag #16

[quote="Padreic"]Wenn überhaupt, sollte der Vergleich sein: bittest du einen Katholiken um 10000 Euro und machst ihm glaubhaft, dass er für dieses Geschenk ins Himmelreich kommt]
Ablasshandel?

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mo 11. Mai 2009, 13:41 - Beitrag #17

Maglor, ich bin ein ehemaliger Kettenraucher, vier Päckchen gingen zu meinen diesbezüglichen Hochzeiten am Tag schon mal über die Lunge. Trotzdem habe ich mich nicht zu einem militanten Nichtraucher entwickelt, ich toleriere und akzeptiere^^ Raucher selbst in meinem unmittelbaren Nahfeld, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Auch was meine Indoktrination als Kind angeht, liegst du falsch; meine Eltern haben mich weder so noch so erzogen, es war ihnen schlicht gleichgültig^^

Deinen historischen Abriss halte ich im Wesentlichen für korrekt; nur ist heute die Frage der Religionsfreiheit nicht mehr dieselbe wie in jenen Zeiten. Der Humanismus HAT nunmal viele Dinge erkämpft, unter anderem auch Religionsfreiheit, gegen den langzeitigen dezidierten Widerstand aller in Europa aktiven Religionsgruppen übrigens, die in Religionsfreiheit immer nur die Freiheit der eigenen Religion - und damit eben NICHT Religionsfreiheit - im Sinn hatten.
Die eigentliche Frage ist doch, ob es Denkverbote geben muss oder darf.

Verzeih: Wer spricht denn die Denkverbote aus? Der Humanismus oder die Religionen? Selig sind die Armen im Geiste, denn ihnen ist das Himmelsreich. Wenn dich dein Auge ärgert, so reiße es aus, denn besser ist es, dein Auge verdirbt, als dein ganzer Körper verdirbt. Von der Praxis der Dogmatik und der Gemeindedisziplin ganz zu schweigen.

Ich habe auch nicht von einem Verbot wie in der Türkei gesprochen. Wegfall aller Privilegien, Strafbedrohung aller Regeln und Praktiken, die nicht dem Grundgesetz entsprechen wie bei jeder anderen politischen Partei auch durch Wegfall eines eigenen Punktes "Religionsfreiheit" zugunsten des allgemeineren "Weltanschauungsfreiheit" mitsamt deren Grenzen im Rahmen der Verfassung; Schutz der Kinder - das waren meine Vorschläge.

Die Hindus sind übrigens genauso schlimm wie die Muslims oder Juden und Christen - gemeint ist jeweils die nichtaufgeklärte Untermenge.

Die besagte Forderung an eine abrahamitische Religion mag absurd sein; absurder ist der Umstand, mit Moralvorstellungen von vor 2000 - 3000 Jahren die heutige Welt gestalten zu wollen. Wir sind ethisch und moralisch längst über diese alten Modelle hinweggeschritten.




Padreic, ich halte Meinungsfreiheit ebenfalls für eines der höchsten Rechtsgüter; Religionsfreiheit ist für mich nur ein Unterpunkt von Weltanschauungsfreiheit, und somit den gleichen Grenzen unterworfen wie jene. So wünschenswert es wäre, wenn sich alle Nazis besinnen würden, so sehr muss die NPD oder die DVU u.dgl. überwacht werden, damit der Sumpf, der noch lange nicht ausgetrocknet ist, nicht wieder zum allesverschlingenden Monstrum wird. Nenne mir einen Grund, warum Religionsfreiheit gegenüber Weltanschauungsfreiheit bevorteilt werden sollte?

Damit ist auch deine Frage nach den juristischen Strafen beantwortet. Da ich davon ausgehe, dass eine Religion nichts besonderes gegenüber jeder x-beliebigen Weltanschauung ist, müssen Maßnahmen gegen sie natürlich mit demselben Fingerspitzengefühl und Gespür für die Verhältnismäßigkeit durchgeführt werden, wie in jedem anderen Falle auch. Nur eben ein besonderes Schutzreservoir vor der Überprüfung durch die Menschenrechte erhält sie nicht mehr.

Ist dir eigentlich klar, dass wir in Europa, sollten die christlichen Kirchen und der Islam politisch die Macht unter sich aufteilen, in 20 Jahren wieder Inquisition, Hexenhammer, Exorzismus und Scharia hätten? Oh, natürlich würden wir es freundlicher nennen und beschreiben. Aber es wäre wieder da. Die entsprechenden Bestimmungen sind zumindest in der katholischen Kirche niemals aufgehoben worden. Sie brauchen nur wieder aus den Regalen genommen zu werden.


Die private Meinung "Frauen dürfen keine Priester werden" sei jedem unbenommen. Eine organisierte Religion ist aber in erster Linie eine Organisation. Sie steht in der Öffentlichkeit, versucht diese zu beeinflussen, ist ein Machtfaktor. Da ist nichts mehr "Privates" in ihrem Regelwerk. Einer solchen öffentlichen Organisation sind klare verfassungsmäßige Grenzen gesetzt, zum Wohle aller.
Wie sieht übrigens der negative Umgang von Papst Benedikt mit anderen Religionen, den du bemängelst, konkret aus, Ipsi?

Ich bin im Moment zu faul zum suchen. Ich traue aber meinem Gedächtnis genug. Ich entsinne mich an Äußerungen, aus seiner Zeit als Leiter der Glaubenskongregation, teilweise in Unterstützung zu Aussagen von JP2, in denen zwar freundlich im Ton, aber unmissverständlich und unnachgiebig in der Sache das Primat der Katholischen Kirche deutlich zum Ausdruck gebracht wurde. Sprachschema: "Religion xy hat diese und jene netten Features. Könnten von uns sein, verbinden uns auch in gewisser Weise mit Religion xy. Wir allein aber haben die einzige unabänderliche göttliche Wahrheit, und das unterscheidet uns von allen anderen, die nur Kondensat menschlicher Weisheit sind."
Welcher Katholik behauptet denn, dass diese "mystischen" Elemente des Katholizismus experimentell nachprüfbar sein sollen?

Durch die Konsekration des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der ganzen Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Substanz des Weines in die Substanz seines Blutes. Diese Wandlung wurde von der heiligen katholischen Kirche treffend und im eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt.
1215, viertes lateranisches Konzil, bis heute gültige Formulierung

zweifelsohne ist hier aufgrund des Zeitpunkts bei "Substanz" der Substanzbegriff der Scholastiker anzuwenden, womit also in der Tat die Accidentien nicht betroffen wären - Berengar, Lanfranc und Guitmund hatten sich ja damals schon darüber gestritten. Damit kann dein Standpunkt als belegt gelten. Trotzdem mache ich geltend, dass Sprache einer Entwicklung unterliegt und man nicht so tun kann, als sei ein heutiger Begriff auf seine damalige Bedeutung verpflichtet. Wenn also die RK darauf verzichtet, ihre Wahrheiten in heutige Begriffe zu gießen, darf sie sich nicht wundern, wenn diese nach heutigen Inhalten bewertet werden^^ Wobei ich mich Frage, wieviele Katholiken wirklich über den scholastischen Substanzbegriff bescheid wissen und nicht doch ganz naiv Jesu Fleisch und Blut zu sich nehmen^^

Bei den Münzen ist eigentlich nur wichtig, dass die Unterscheidung zwischen realen und geglaubten Inhalten sehr gut funktioniert, wenn die Situation es verlangt. Bei der Kommunion scheint sie es nicht zu verlangen, na gut^^nur, welchen Respekt sollte mir das abnötigen? Dass die Leute in der Lage sind zu imaginieren, nötigt mir sicher keinen Respekt ab, und der alberne Inhalt des Imaginierten sicher auch nicht. Das machen andere mit deutlich mehr Kontrolle über das, was sie für für welche Art von Wirklichkeit halten^^

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Mo 11. Mai 2009, 14:40 - Beitrag #18

Ich stelle die gewagte These auf, dass jene, die in ihrer Kindheit indoktriniert wurden, und diese Doktrin aufgaben, die schlimmsten sind. Konvertiten und wiedergeborene Atheisten sind gleichermaßen die Radikalen in der eigenen Sache wie sie auch erbarmungslose Kritiker des Abgelegten sind.
Wie oft sind denn Menschen in den Nachrichten, die für ihren Gott töten, im Verhältnis zu Menschen, die für ihren Atheismus zu töten bereit sind? :rolleyes: 100 Gummipunkte für aus der Luft gegriffene Pauschalisierung.
Ich finde es zwar durchaus verständlich, dass man ein System, unter dem man selbst gelitten hat, umso schärfer kritisiert, und dass man, wenn man einmal aufgehört hat, an widersprüchliche alte Legenden zu glauben, diesen Glauben auch ein wenig peinlich findet, aber es gibt ebenso jene, denen es einfach völlig egal ist, auch wenn die Eltern tief gläubig waren. Und was du mit "radikal" meinst, würde ich auch mal gern wissen. Es haben schon viele Gläubige versucht, andere umzustimmen, indem sie ihnen mit dem Messer am Hals oder dem Scheiterhaufen drohten, aber das hat meines Wissens bisher noch keiner mit dem Atheismus versucht.

Padreic
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4485
Registriert: 11.02.2001
Mo 11. Mai 2009, 19:16 - Beitrag #19

@e-noon: im Prinzip hat Stalin dies durchaus getan (auch wenn in einigen Punkten anders, aber durchaus nicht besser).

Zu anderen Punkten vielleicht später noch.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Mo 11. Mai 2009, 19:37 - Beitrag #20

@Padreic: Für eine Ideologie vielleicht, aber sicher nicht für den Atheismus. Stalin hat zwar eindeutig Gläubige verfolgen lassen, aber er hat es nicht "im Sinne des Atheismus" gemacht, so wie man es für einen Gott macht. Vielleicht für die Allgemeinheit, den Fortschritt des Kommunismus, was weiß ich, aber es würde meiner Meinung einfach keinen Sinn machen, sich selbst oder andere zu töten mit dem Slogan "Für den Atheismus". Oder so. "Ich muss mich in die Luft sprengen, weil das für den Atheismus besser ist?" Ich bezweifle es. :confused:

Außerdem liegt meines Erachtens dadrin, dass viele große Religionen in ihrer Doktrin schon Fremdenfeindlichkeit/Inhumanität enthalten haben, während das einzige, was alle Atheisten vereint, wirklich nur dieser eine Satz ist, dass sie nicht an Gott glauben. Daher ist es viel unwahrscheinlicher, dass jemand jemand anderen umbringt, WEIL er Atheist ist, als dass er es tut, WEIL er religiös ist. Denke ich.

Nächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste