Was ist Gerechtigkeit?

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Makeda
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Mo 13. Jul 2009, 23:03 - Beitrag #1

Was ist Gerechtigkeit?

So hier der Thread!

Makeda
die Gerechtigkeit [..] eine Methaphysische Überhöhung der eigenen Gedanken!


janw
Makeda, dazu Derrida: "Gerechtigkeit ist eine Erfahrung des Unmöglichen": Er bezieht sich auf Montaigne: "Weil sie übernommen wird, bestimmt die Gewohnheit gänzlich die Gerechtigkeit: das ist der mystische Grund ihrer Autorität (ihrer Anerkennung und ihres Ansehens). Wer sie auf ihr Prinzip zurück führt, zerstört sie". Gesetze sind nicht gerecht, sie werden nur befolgt, weil ihnen Autorität innewohnt, die sich daraus ergibt, daß sie eben Gesetze sind, und aus der Gewohnheit, daß Gesetze eben zu (be)achten sind - pacta sunt servanda.


Jeremy Bentham(Philosoph und Jusrist: Gerechtigkeit ist gegeben wenn das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl (Person in einer Gesellschaft) herbeizuführen.

Platon setzte die Gerechtigkeit mit dem Glück gleich, also: Der Gerechte ist glücklich, der Ungerechte unglücklich.


Es gibt die Idee das Glück neu zu definieren: das Glück so zu verstehen wie man die Freiheit verstanden hat. Frei von etwas sein. Mit der Prämisse in der Regierung Minderheiten dem zu unterwerfen.
Demnach wäre Gerechtigkeit gegeben wenn die gesellschaftliche Ordnung ein bestimmtes Interesse schützt, nämlich jenes, was von der Mehrheit (als Unterworfene) als Schätzenswert angesehen wird.
Aber welcher Wert ist Schützenswert? Und auch hier hat ein Urteil darüber eine subjektiven Charakter. Sie fallen verschieden aus, je nachdem aus welcher Sicht (Christen; Materialisten; u.ä.).

So und was nun, gibt es sie nicht, ist es alles nur Einbilldung und wenn es sie nicht gibt wie kommt es dann das der Mensch es in seinem Herzen verankert hat wie H. Kelsen es schreibt?
Und wie soll es in der Gesellschaft Gerechtigkeit geben, wieso wird Gerechtigkeit teilweise als von Natur gegeben angesehen, wenn die Natur uns doch alle mit unterschiedlichem Aussehen und eigenschaften bestückt?

Ist sie doch nur eine Erhebung der eigenen Interessen auf eine Objektive Ebene damit man seinem Anliegen ein professionelleres Aussehen gibt? Und wo ist jetzt der Unterschied zur Solidarität, Freiheit und Glück?

Wieso könnte selbst Jesus Pilatus nicht antworten, als er fragte: "Was ist die Wahrheit"?

Und was hat das alles mit Demokratie zu tun?


Also wer irgendwelche Ideen hat......

Ipsissimus
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Di 14. Jul 2009, 00:18 - Beitrag #2

also es wirkt auf mich so, als gingen in deinem Problemaufriss die Begriffe "Gerechtigkeit" und "Recht" ein bisschen durcheinander. Recht, als Rechtsprechung oder Gesetz, kann gerecht sein, muss es nicht sein; Gerechtigkeit kann sich des Mittels der Rechtsprechung oder des Gesetzes bedienen, muss dies aber ebenfalls nicht. Eigentlich sind die Begriffe mehr schlecht als recht korreliert, der Versuch, es so erscheinen zu lassen, als bestünde zwischen ihnen ein inhärenter Zusammenhang, ist fast immer intentional gefärbt.

Soll es also um Gerechtigkeit gehen? Oder um beides?



bzgl. Jesus

will man es zu seinen Gunsten auslegen: er gab die Antwort eines Zenmeisters
will man es zu seinen Ungunsten auslegen: er wußte es nicht und versuchte sich selbst an die Stelle der Wahrheit zu setzen

Makeda
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Di 14. Jul 2009, 10:39 - Beitrag #3

Ich beschäftige mich aus einer Vorlesung mit dem Begriff Gerechtigkeit in zusammenhang mit der Demokratie. Unter dem Titel: Was hält die Gesellschaft zusammen". Die Antwort darauf soll gerechtigkeit und Solidarität sein.
Ich lese immer mehr und immer mehr und es findet kein ende.
Und in den Texten geht es z.B. um: Die Grechtigkeit als Gleichheit; Die Gleichheit vor dem Gesetzt.

Zudem sind die beiden Begriffe miteinander verwoben: allen schon weil im Wort Gerechtigkeit das Wort "recht" auftaucht.

Aber Grundsätzlich geht es mir um: was ist den jetzt Gerechtigkeit? Wie kann sie ein Naturgesetzt sein, wenn alle Menschen unterschiedlich sind? Wieso hält sie eine Gesellschaft zusammen und was hat Gerechtigkeit mit Demokratie zu tun?


Kurz zu Jesus: "Wahrheit war nicht das wehsedliche seiner Sendung, er war Geboren, um Zeugnis zu geben für die Gerechtigkeit, jene Gerechtigkeit, die er in dem Königreich Gottes verwirklichen wollte..."
Da dieses noch eine weitere Ebene mit hereinbringt, die noch komplizierter ist, allein schon wegen dem Reich Gottes (definition) lassen wir das mal beiseite :P

Ipsissimus
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Di 14. Jul 2009, 11:55 - Beitrag #4

als Konzepte können beide Begriffe verwoben sein, ob sie sachlich inhaltlich tatsächlich unabweisbar verwoben sind, wage ich zu bezweifeln (an dieser Stelle kommt die angesprochene Intentionalität des Begriffsgebrauchs ins Spiel).

Gerechtigkeit ist kein Naturgesetz (noch nicht mal, wenn man die metaphorische Benutzung des Begriffes für zulässig hält, was ich nicht tue^^), sie ist ein Konzept. Daraus resultiert fast zwangsläufig, dass sie umstritten ist, denn wann dieser
...ideale[n] Zustand des sozialen Miteinanders, in dem es einen angemessenen, unparteilichen und einforderbaren Ausgleich der Interessen und der Verteilung von Gütern und Chancen zwischen den beteiligten Personen oder Gruppen gibt...
gegeben ist, bleibt naturgemäß offen.

Rechtsprechung muss natürlich von einer Objektivierbarkeit des Vorliegens von Gerechtigkeit ausgehen, oder sie kann sich selbst in den Wind schießen. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Begriff wirklich objektivierbar ist, denn wie bei den meisten derartigen Objektivierungen bleiben die Prämissen strittig.

Ergo: was Gerechtigkeit ist, bleibt eine Frage der Machtvollkommenheit, die die Prämissen setzt.


"Wahrheit war nicht das wehsedliche seiner Sendung, er war Geboren, um Zeugnis zu geben für die Gerechtigkeit, jene Gerechtigkeit, die er in dem Königreich Gottes verwirklichen wollte..."

worüber sprechen wir, über exegetische Positionen oder über unsere Ansichten zur Person Jesus?

janw
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Di 14. Jul 2009, 12:53 - Beitrag #5

Zu der Jesus-Geschichte:
U.a. Lapide, Pinchas ((1987): Wer war schuld an Jesu Tod?
zeigt, daß die Szene höchstwahrscheinlich eine Fälschung ist, mit dem Ziel, die Schuld auf die Juden und von den Römern weg zu lenken, denn das behauptete Recht auf Freilassung eines Gefangenen hat es nicht gegeben.

Zum Hauptthema:
Makeda, wie Ipsi schon sagt, ist Gerechtigkeit nichts fest Bestimmtes, sondern ein Konzept, eine Idee; sie kommt dann ins Spiel, wenn man Zustände begründen oder entschuldigen will, die durch Machtinstitutionen verursacht, geduldet oder unterstützt werden, wenn das von den Machtinstitutionen angewandte Rechtssystem selbst normativ auf einen Ausgleich von Interessen und Verhältnissen unter den dem Recht Unterworfenen (Bürger usw) abzielt, oder wenn dies nicht der Fall ist, aber die reine Macht hinter dem Recht verschleiert werden soll.
Weil die individuelle Ausformung des Rechts durch die Setzung von Normen (Gesetzen) in den Händen der jeweiligen Macht liegt, ist das jeweilige Recht immer auch Verkörperung der Gerechtigkeitsauffassung der betreffenden Macht - hintergründig dient also die Proklamation von Gerechtigkeit immer der Verschleierung der reinen Macht hinter dem Recht.

Ich denke, daß die gesellschaftsstabilisierende Wirkung der Gerechtigkeit eben in dieser Verschleierung begründet liegt:
Der Hartz IV-Empfänger würde rebellieren, wenn Staat ihm sagen würde "die Regeln sind so, weil wir sie so wollen, und basta", wenn er aber sagt, daß es nur gerecht sei, daß Menschen mehr Geld haben sollen, die arbeiten als jene, die nicht arbeiten, sagen die meisten "ja, kann ich irgendwie verstehen, iss denn wohl so..."
Nur mal als extremeres Beispiel.

Ipsissimus
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Di 14. Jul 2009, 13:25 - Beitrag #6

Was hält die Gesellschaft zusammen?


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Lykurg
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Di 14. Jul 2009, 13:27 - Beitrag #7

Jesus sollte man hier abspalten, denke ich; wer macht den Sektengründer? Bild
Ob die ganze Szene gleich eine "Fälschung" sein muß oder doch eher eine freie Bearbeitung, weiß ich nicht. Immerhin stellt sich mir die Frage, wer (außer Pilatus selbst und vielleicht der einen oder anderen Wache) die Vorgänge im Prätorium und auf dessen Vorplatz gleichermaßen hätte verfolgen können. Schließt Lapide die Begnadigung explizit aus, oder sagt er, daß es keinerlei Belege für eine solche Praxis gebe?
Eine dritte Möglichkeit wäre, daß er Pilatus nicht zum Träger dieser Information machen wollte. Vom Ende her interpretiert mußte er es unbedingt vermeiden, Pilatus zu seinem Anhänger zu machen, da er dann doch das Volk/die Priesterschaft dazu hätte bringen müssen, ihn umzubringen...

janw, du reduzierst den Gerechtigkeitsegriff um seine ideelle Komponente. Das mag zwar realistisch klingen und verrät kritischen Geist, ist mir aber ein bißchen zu knapp. Gerechtigkeit wird schließlich nicht nur proklamiert, sondern auch eingefordert, und diese Setzung funktioniert nicht in der von dir beschriebenen Weise. Eine gütliche Einigung, die als gerecht empfunden wird (auch das mag es von Zeit zu Zeit geben) beruht nicht unbedingt auf Verschleierung einer tatsächlich anstelle des Rechts stehenden Macht. Macht und Recht stehen in einem komplizierten Wechselverhältnis, und zweifellos begehen viele Machthaber Unrecht, das bedeutet aber nicht zwangsläufig, daß Besitz und Ausübung von Macht ein Unrecht ist. ;)

Ipsissimus
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Di 14. Jul 2009, 14:02 - Beitrag #8

Gerechtigkeit wird schließlich nicht nur proklamiert, sondern auch eingefordert


komplex, komplex^^ mag sein, dass sie eingefordert wird, die Einforderung selbst misst aber mit unterschiedlichem Maß. Oder sollte ich besser sagen, die Werkzeuge der Einforderung sind unterschiedlich befähigt, abhängig davon, was mensch sich leisten kann.

Natürlich kann es in Straf- wie in Zivilprozessen immer wieder mal Überraschungen geben und der kleine unerfahrene Anfänger im Rechtsanwaltsberuf, der mich für 500 Euro vertritt, entpuppt sich als begnadetes Naturtalent und besiegt den 50000 Euro Anwalt der Gegenseite, aber die Regel ist das nicht^^

oder auch ohne Anwalt und Gericht: vielleicht bin ich objektiv im Recht, aber leider ein Dummkopf und grober Kotz im Umgang mit Menschen und stoße die vor den Kopf, die ansonsten mir Gerechtigkeit hätten zukommen lassen können.

Also: Gerechtigkeit ist selbst in der Einforderung noch eine Proklamation, kein Sachverhalt.



Im Grunde ist der Ausspruch Jesu eine Ungeheuerlichkeit: er setzt sich in Personam mit !!der!! Wahrheit gleich. Fundamentalisten konstruieren daraus eines ihrer Lieblingsargumente: das ist so ungeheuerlich, dass es entweder einfach stimmen muss oder Jesus einer der größten Hochstabler der Menschheitsgeschichte ist. Andere Möglichkeiten gibt es natürlich nicht^^ dass er sich geirrt haben könnte, dass er einfach ein Irrer war wie es sie auch heute noch gibt, dass er etwas anderes gemeint haben könnte, als seine Nachfolger meinten, dass der Kontext unvollständig, weil stilisiert widergegeben ist uvm.^^

Als ich sagte, bei wohlwollender Auslegung könnte er die Antwort eines Zenmeisters gegeben haben, dachte ich mir schon was dabei^^ seine Antwort hat etwas von einem Koan, wenngleich kein sehr kompliziertes^^

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Di 14. Jul 2009, 14:28 - Beitrag #9

Ipsissimus, meinst du Joh 14,6 ("Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich")? Denn in der Passionsgeschichte selbst wird das nicht so deutlich, da deklariert Jesus die Wahrheit als seine Aufgabe und sich als ihren (einzigen?) Mittler, aber nicht als Personifikation; auf die Frage des Pilatus, was Wahrheit ist, wird keine Antwort gegeben (ebenso wie auf "Woher bist du"). - Ich finde die entsprechende Passage eine der faszinierendsten des ganzen NT^^

Ein Mißverständnis - ich meinte mit 'einfordern' schlicht 'verlangen' und bezog mich auf das dahinterstehende Ideal, nicht seine Praxis. Dadurch, daß ihr die systematisch negiert, entsteht (sicherlich nicht unbeabsichtigt) ein begriffliches Vakuum.

Ipsissimus
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Di 14. Jul 2009, 14:54 - Beitrag #10

ach Mist, stimmt ja^^ ich habe die beiden Stellen gerade durcheinander geworfen, sorry^^ andererseits könnte man es natürlich so verstehen, dass an der einen Stelle die fehlende Antwort von der anderen Stelle nachgereicht wird^^

lasse ich die Stelle aber für sich stehen, gibt es wieder zwei Antworten:
entweder er wusste es nicht oder aber
er wusste, dass es keine Wahrheit gibt^^ (in dem Fall hätte Pilatus natürlich die Finger in eine offene Wunde gelegt^^)

... und bezog mich auf das dahinterstehende Ideal, nicht seine Praxis. Dadurch, daß ihr die systematisch negiert, entsteht (sicherlich nicht unbeabsichtigt) ein begriffliches Vakuum.


das dahinterstehende Ideal ist so vielfältig wie die Formulierungen des Konzepts^^ ich ignoriere eigentlich weder Ideal noch Praxis, ich weigere mich nur, das Ideal ohne seine Praxis zu denken. Denn an wundervollen Forderungen, Ansprüchen, Proklamationen, Ideen und Konzepten besteht überhaupt kein Mangel, allein die Praxis ist viel zu oft viel zu häßlich. Ein begriffliches Vakuum sehe ich dadurch nicht, im Gegenteil, die Theorie wird mit Leben erfüllt, wenn sie auf ihre Praxis bezogen wird

janw
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Di 14. Jul 2009, 16:47 - Beitrag #11

Zitat von Lykurg:Eine gütliche Einigung, die als gerecht empfunden wird (auch das mag es von Zeit zu Zeit geben) beruht nicht unbedingt auf Verschleierung einer tatsächlich anstelle des Rechts stehenden Macht.

Nun, dann ist die Setzung dessen, was als gerecht zu gelten habe, Sache der sich Einigenden, die im Einigungsprozess als interagierende Mächte auftreten und in der Einigungsnorm selber Recht schaffen.
Wie weit die Einigung wirklich gütlich erfolgt oder der Klügere nachgibt, wird von Fall zu Fall verschieden sein, die gegenseitige implizite Fürgerechterklärung der Einigungsnorm verdeckt aber derartige Machteinwirkungen.

janw
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Di 14. Jul 2009, 23:25 - Beitrag #12

Lykurg, nur zur Ergänzung, weil das letzte etwas abbügelnd gewirkt haben könnte:
Macht und Recht stehen in einem komplizierten Wechselverhältnis, und zweifellos begehen viele Machthaber Unrecht, das bedeutet aber nicht zwangsläufig, daß Besitz und Ausübung von Macht ein Unrecht ist.

Mir ging es eher darum, welche Rolle die Macht in diesem Zusammenhang spielt, nicht um die Bewertung der Macht. Die hat ja doch auch eine helle Seite ;)

Die idealistische Sicht ist insofern ja auch nicht verkehrt, als sie die Grundlage für ein funktionierendes alltägliches Miteinander ist. Aber es ist ganz hilfreich, den Boden zu kennen, wenn man im Moore wandelt^^

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Mi 15. Jul 2009, 10:16 - Beitrag #13

Zitat von Makeda:Ich beschäftige mich aus einer Vorlesung mit dem Begriff Gerechtigkeit in zusammenhang mit der Demokratie. Unter dem Titel: Was hält die Gesellschaft zusammen". Die Antwort darauf soll gerechtigkeit und Solidarität sein.

das liebe ich ja, wenn bei einer Diskussion vorher schon gesagt wird, was am Ende dabei heraus zu kommen hat^^ gut, ist ne Vorlesung, aber da frage ich mich trotzdem, wie der Wissenschaftler zu Beginn seiner Untersuchung schon wissen kann, was er am Ende herausfinden wird^^ Oder lege ich da zuviel in deine Formulierung hinein? Ist das "soll" eher ein zweifelnd-hinterfragendes?^^


Zitat von Makeda:Aber Grundsätzlich geht es mir um: was ist den jetzt Gerechtigkeit? Wie kann sie ein Naturgesetzt sein, wenn alle Menschen unterschiedlich sind? Wieso hält sie eine Gesellschaft zusammen und was hat Gerechtigkeit mit Demokratie zu tun?

was Gerechtigkeit so "recht eigentlich" ist, das ist hochgradig Ideologie-abhängig. Im weitesten Sinne ist sie ein Ausgleich zwischen divergierenden Ansprüchen anhand sich objektiv gebender Kriterien. Schon daran kannst du erkennen, dass sie kein Naturgesetz sein kann (der Stein fällt immer, egal was Menschen davon halten, was hingegen als Ausgleich in menschlichen Relationen für gerecht gilt, ist heftig umstritten und in nationalen Gesetzgebungen höchst unterschiedlich festgelegt). Auch das folgende Zitat
Zitat von Makeda:Wahrheit war nicht das wehsedliche seiner Sendung, er war Geboren, um Zeugnis zu geben für die Gerechtigkeit, jene Gerechtigkeit, die er in dem Königreich Gottes verwirklichen wollte...
zeigt im Prinzip nur, wie schwierig es ist, den Gerechtigkeits-Begriff zu objektivieren, denn was das nun für eine Art von Gerechtigkeit ist, die er angeblich im Königreich Gottes verwirklichen wollte, darauf wird nicht eingegangen. Wahrscheinlich "Gottes Gerechtigkeit", aber das wäre entweder mit klingenden Worten mal wieder nichts gesagt, oder schlimmer noch, die Überhöhung eines menschlichen Gerechtigkeitsbegriffes ins Unhinterfragbare.

Am ehesten halte ich persönlich einen prozesshaften Gerechtigkeitsbegriff für fruchtbar. Gerechtigkeit ist nichts, was a priori gegeben oder garantiert werden kann, auch nicht durch noch so formalisierte Vorgaben, sie kann sich vielmehr nur im Prozess ihrer Findung herauskristallisieren, wenn es ein echtes Bemühen gibt, alle für die Beurteilung einer Situation in ihrem Kontext relevanten Parameter angemessen zu berücksichtigen. Schon bei der Wichtung der Parameter zeigt sich dabei die Ernsthaftigkeit oder Oberflächlichkeit des Bemühens, um so mehr bei der Ermittlung von Angemessenheit. Ein schablonenhaftes "Tat/Problem -> formalisierte Reaktion" halte ich demgegenüber für bequem, aber nicht annähernd dem idealisierten Anspruch von Gerechtigkeit standhaltend.

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Mi 15. Jul 2009, 10:36 - Beitrag #14

Ipsissimus, so läuft das vermutlich in der Pädagogik öfters: Wenn die Klasse etwas anderes herausbekommt, als im Lehrplan steht, war der Lehrer schlecht. Bild

Dein prozeßhafter Gerechtigkeitsbegriff sagt mir sehr zu (der in meinen Augen durchaus auch die Wirklichkeit idealtypisch abbildet^^). Deine völlige Ablehnung von Reaktionsmustern finde ich aber schwierig. Etwa eine vorgegebene Bandbreite von Strafmaßen dient ja gerade auch der Vergleichbarkeit und individuell gestuften, aber doch ähnlichschweren Ahndung ähnlicher Vergehen. In jedem Fall eine gänzlich individuelle Lösung zu finden, die alle Beteiligten zufriedenstellt, macht es möglicherweise schwieriger, im Nachbarfall eine ähnliche Einigung zu finden; es könnte ein Präzedenzdenken gefühlter Ungerechtigkeit einsetzen. Voraussetzung für die Funktion eines solchen Systems wäre allgemeine Annahme des Prinzips, daß Gleichheit nicht gleich Gerechtigkeit ist.

Ipsissimus
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Mi 15. Jul 2009, 11:49 - Beitrag #15

ich lehne das nicht gänzlich ab, Lykurg, finde nur, dass der Einsatz derartiger Muster die Lösung von einem idealen Zustand von Gerechtigkeit entfernt statt näherbringt.

Makeda
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Mi 15. Jul 2009, 21:58 - Beitrag #16

Der Prof gibt das schon irgendwie vor, aber von meiner Seite aus ist das eher ein verzweifelter Schrei, im Sinne von was will der von mir! Ich habe in einigen Seminaren darüber Diskutiert und egal wie wir das Wort auseinander genommen haben und wieder zusammen gesetzt, war es irgendwie immer klar, dass es keine Richtige Definition gibt. Doch der sagt jetzt im kurzen: Die Gesellschaft wird zusammen gehalten durch Grechtigkeit und Solidarität. Dabei übernimmt Gerechtigkeit diesen Auftag und wird von jenen so und so vertrehten und Solidarität jenen und wird von den Gruppen so und so vertrehten. Und da die Gesellschaft was mit der Demokratie zu tun hat, ist Gerechtigkeit und Solidarität wichtig für die Demokratie.....und das verstehen ich nicht. Z.b. lässt der Prof für die Solidarität zwei Möglcihkeiten zu, die Solidarität der Gruppen, die für ein Ziel einstehen und die Solidarität in der sich der Einzelne unter das Gemeihnwohl stellt......Ja, will der mich jetzt verarschen? Ich soll wissenschaftlich arbeiten und habe nur zwei Antwortmöglichkeiten und darf mich nru auf zwei seiten dazu auslassen und dann vorallem zu dem Begriff Demokratie. Und ich frag mich die ganze Zeit was hat jetzt Demokratie mit Gerechtigkeit zu tun!

Vorallem wenn es keine konkrete Antwort auf den Begriff Gerechtigkeit gibt, meiner Ansicht nach: Ich sehe Gerechtgkeit als eine Möglcichkeit an um meine Wünsche auf eine scheinbar objektive Ebene zu bringen. damit mein Anliegen von jemanden wahrgenommen wird und es sich im Bestfall etwas für mich oder auch die Gruppe um mich herrum ändert!

Ipsissimus
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Do 16. Jul 2009, 09:34 - Beitrag #17

in dem Fall würde ich zur üblichen Schizophre ... äh ... zum üblichen Pragmatismus raten. Nimm die Axiome des Profs als gottgegeben und ergänze sie durch irgendeinen logisch klingenden Blödsinn, der ihn zufriedenstellt und den du eine Sekunde nach Prüfung vergessen hast. Unterdessen bilde dich anhand der tatsächlichen Schwierigkeiten^^ auch Luhmann hatte dazu das ein oder andere zu sagen^^

pragmatische Gerechtigkeitsdefinition: Gerechtigkeit ist das, was in einer demokratischen Gesellschaftsstruktur per Gesetz als Rechtsprechung festgeschrieben ist^^

nimm es einfach als Axiom für Professoren und andere Leute, die meinen, ihre Trickbetrügereien seien nicht durchschaubar^^


Ich sehe Gerechtgkeit als eine Möglcichkeit an um meine Wünsche auf eine scheinbar objektive Ebene zu bringen. damit mein Anliegen von jemanden wahrgenommen wird und es sich im Bestfall etwas für mich oder auch die Gruppe um mich herrum ändert!


so gut wie jeder andere Versuch, das eigene Wohl als Gemeinwohl auszugeben^^

Makeda
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Do 16. Jul 2009, 10:15 - Beitrag #18

in dem Fall würde ich zur üblichen Schizophre ... äh ..


Ich versuche es mal....Schrei!

so gut wie jeder andere Versuch, das eigene Wohl als Gemeinwohl auszugeben^^


Stimmt! jetzt wo du es sagst ^^

Ich hab kann mir nicht vorstellen, dass es Gerechtigkeit gibt, sondern das es irgendwie eine Worterfindung ist, ohne Inhalt. Der Inhalt ist beliebig füllbar....Aber er wird genutzt
Als Beispiel: Politer X (Name vergessen): Es wäre ungerecht Hart 4 Empfängern mehr Geld zu geben, da sie es eh nur für Alkohol und Zigaretten ausgeben.

Andere Leute wiederrum finden es ungerecht, dass man von 345 Euro (Alleinstehender) im Monat von so leben soll, dass man sich davon alles Leisten kann um sich bei einer Firma Vorstellen zu können (z.B. Anzug tragen)und Essen und gesellschaftliche Aktivitäten.

Beide Seiten benutzen den Begriff doch nur und füllen ihn mit dem Inhalt den sie brauchen.

Deswegen, kommt es mir so vor, als sei Gerechtigkeit ein Inhaltsleeres Wort, was je nach Aktion mit Inhalt gefüllt wird. Wobei der Inhalt ja nicht beliebig sein kann......er muss schon mit einem Bestimmten Gefühl in Verbindung gebracht werden können.

Ipsissimus
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Do 16. Jul 2009, 10:27 - Beitrag #19

wie schon gesagt, es gibt Gerechtigkeit nicht per se, nicht als a priori Grundlage eines Gemeinwesens; und deine Beispiele zeigen sehr schön, dass ein "natürliches" Gerechtigkeitsempfinden erst mal ziemlich identisch mit Gruppen- oder Individualegoismus ist - Gerechtigkeit ist, wenn meinen Ansprüchen oder denen meiner Gruppe Genüge getan ist. Ein kulturelles Gerechtigkeitsempfinden, das zumindest über den Gruppen einer Kultur vermittelnd wirksam wird, ist auch immer kulturspezifisch. DIE eine Gerechtigkeit kann es daher gar nicht geben.

Aber wenn du nach dem einen Gefühl suchst, das allen Gerechtigkeitsmodellen grundliegt, dann ist es das Gefühl, den je eigenen egoistischen, individuellen oder gruppenspezifischen Ansprüchen sei angemessen Genüge getan. Man könnte auch sagen, "Gerechtigkeit" ist ein Euphemismus für erfolgreichen Egoismus^^

e-noon
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Do 16. Jul 2009, 12:46 - Beitrag #20

Dem (ganzen) Gesagten möchte ich entgegenhalten, dass unabhängig von der Instrumentalisierung des Begriffes Gerechtigkeit das Gefühl der Gerechtigkeit durchaus auch im Sinne von Altruismus wirksam werden kann. Schon bei Kindern ist das zu bemerken, Kinder haben einen sehr feinen Sinn für Gerechtigkeit, der natürlich an/ab/umtrainiert werden kann wie alles andere auch. Vielleicht ist es tatsächlich nur ein Gefühl, dass den individuellen Nutzen anstrebt, aber wenn mich jemand als Kind gefragt hätte, deine Oma schenkt dir 10 Schokoriegel, die sollst du mit deinem Bruder teilen, wieviel gibst du ihm (gehn wir davon aus, er hat noch keine), dann hätte ich wahrscheinlich gesagt/gedacht/gefühlt, dass es das Gerechteste wäre, ihm fünf zu geben.

Zum ALG oder Hartz IV lässt sich schwer was sagen, da es schwer ist zu entscheiden, wo da die Gerechtigkeit anfängt und wo sie aufhört. Gerechtigkeit hat schon irgendwas mit Gleichheit zu tun; allerdings muss ein Mindestmaß an Gleichheit (oder Gruppenzugehörigkeit) gegeben sein, um Gerechtigkeitsempfinden aufkommen zu lassen (im Gegensatz zu Mitleid/Barmherzigkeit). Gerechtigkeit hat auch etwas mit Anspruch zu tun. Wenn meine Oma mir Schokolade gibt "unter der Bedingung", dass ich sie mit meinem Bruder teile, hat er "Anspruch" darauf, die Hälfte zu bekommen, auch wenn sein Magen kleiner ist oder er sie nicht so oft anruft oder was auch immer mir sonst noch an Rechtfertigungen einfallen würde, um die Schokolade zu verputzen. Ein Mensch jedoch, der nie etwas für den Staat gemacht hat - wieviel Anspruch hat der auf seine Hilfe und damit auf die anderer? Wenn die Eltern ihre Verantwortlichkeit nicht wahrnehmen (können), erwächst daraus automatisch ein Anspruch des Individuums gegenüber der Gesellschaft und wenn ja, wie groß ist dieser und bis zu welchem Alter gilt er, vielleicht sogar für das ganze Leben? Wenn dieser Anspruch so weit gehen würde, dass neben Investition in Schulbildung, Ausbildung etc. bei Arbeitslosigkeit, sagen wir, 2000 Euro netto gezahlt werden würden - wer würde dann noch für 1800 Euro netto den ganzen Tag arbeiten? Hier hat es allerdings wenig Sinn, von Gerechtigkeit zu sprechen, weil der sofortige Wegfall der Motivation für die meisten Jobs schon gegen diese unsinnige Maßnahme sprechen würde.
Nochmal in Synthese: Alles ist eine Frage des (rechtmäßigen, gerechten) Anspruchs, den jemand gegenüber anderen hat (und der natürlich insofern objektiv ist, als ein Anspruch anerkannt werden kann oder nicht). Bei Leistungen/Zugeständnissen jedweder Art, die sich nicht auf einen berechtigten Anspruch gründen, würde ich nicht von gerecht oder ungerecht, sondern eher von sozial/unsozial sprechen. Natürlich haben es Menschen ohne Probleme eher leichter, unsozial zu sein, als Menschen, die viele Probleme haben (und sich auf die soziale Solidarität ihrer Mitmenschen berufen). Eine Mücke hat keinen Anspruch an mich (bzw. ich erkenne ihn nicht an), also hängt es von einem recht unwahrscheinlichen Anfall von Milde ab, ob ich sie zerquetsche oder nicht. Es ist definitiv total übertrieben, jemanden zu töten, weil er einen sticht, fast schon ungerecht, würde ich nicht die Ansprüche der Mücke als völlig irrelevant ansehen. Insofern also schon Gruppenzugehörigkeit, allerdings würde ich da eben auch eher nicht von Gerechtigkeit sprechen.

@Makeda: Ipsi hat Recht. Völlig egal, was du zum Thema Gerechtigkeit denkst, schreib das, was der Prof denkt, und macht dir weiter keine Gedanken (bzw. äußere Kritikpunkte nicht in der Klausur, wenn du nicht denkst, dass der Prof das toll finden könnte).

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