Angewandte Ethik & Selbstmord

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
blobbfish
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Sa 14. Nov 2009, 14:11 - Beitrag #1

Angewandte Ethik & Selbstmord

Tja,
in Anbetracht an die kleine Keilierei im Thema zum Tode Robert Enkes, habe ich mir nun gedacht, doch dazu ein eigenes Thema zu eröffnen und zwar losgelöst - dennoch aber nicht abstrakt. Mir scheint, dass ein Problem ist, dass die Ebenen ein wenig verkannt werden, so hat man einerseits allgemeine Regelsysteme (Nicht zu verwechseln mit festen Prinzipien), auf der anderen Seite steht aber die situationsabhängige Anwendung. Das aber vielleicht nur am Rande, in den Mittelpunkt möchte ich die im wesentlichen drei verschiedenen Anschaungen stellen, die ich herausgelesen habe und und zunächst auch meine eigene kritische hinzufügen, die aber nicht direkt eine Lösung bietet.

Für mich ist zumindest der Zug für den slbstmord eine recht hohe Zweckmäßigkeit, denn die oft angeführten Alternativen haben eines gemein: Sie brauchen eine Überwindung. Nun geht aber wohl gern eine Motivationslosigkeit mit einher, man müsste es tatsächlich durchführen und darf nicht zögern, das ist auf den Gleisen aber genau umgekehrt: In einem Moment des Zweifels und des Zögerns, des Nichttuns passiert nichts, man müsste immerhin die Entschlossenheit aufbringen, aufzustehen. Das trifft sicher nicht auf alle Fälle zu, ich schätze aber mal, es ist immerhin generisch.

Prinzipiell schließe ich mich Ipsissimus an, wenn er sagt, die Involvierung anderer ist für den Selbstmörder prinzipiell unrelevant (das kann aber nun auch mit dem Glauben noch zusammenhängen, vollständig rationalisiert aber, würde man ihn freisprechen müssen), zumindest sein Gewisen würde nicht belastet, jedenfalls nicht im Nachhinein, möglicherweise aber im Vorhinein. Aber macht man diese sicht zu stark, dann gibt es natürlich nurmehr den Selbstmörder. Grundsätzlich haben wir aber, und da schließe ich mich Lykurg an, Gesellschaft mit Rücksichten und auch diese schließen ihn ein, diese fordern wir von ihm natürlich auch ein. Das Problem liegt vielleicht in der Mittelbarkeit, denn diese ist tatsächlich nicht gegeben und auch ich kümmere mich nicht allzuviel um das Wohl anderer. Es bildet sich für mich ein Problem der Transitivität aus, das sich eben auf ganz andere Lebensbereiche bezieht, z.B. ist unsere Lebensweise für Menschen in anderen Regionen der Welt ein Ruin dieser. Ipsi kommt da natürlich geschickt raus, Lykurg aber nicht, dem wird ein Strick draus und auch mir, aber eben das versuche ich durch Mittelbarkeit und Lokalität auch loszuwerden. Wo es bei den allermeisten Transitivitäten um mittelbare Auswirkungen geht, geht es hierbei um eine unmittelbare Auswirkung der Handlung. Das ganze hängt aber nun wieder auch von der Vorstellungskraft und einem ehtischen Selbstverständis seinerseits ab. Prinzipiell würde man ihm abverlangen doch das auch mit einzubeziehen, andererseits sehen wir aber auch, dass wir das nicht vorrausetzen können. Wo ist dann also Problem? Eben dies. Einerseits wollen wir ihm etwas abverlangen, von dem wir sehen, dass wir es nicht können, andererseits wollen wir, oder ich zumindest, ihm zeitgleich nicht auch die Legitimität zusprechen. Es läuft dabei irgendwie darauf hinaus, Güter gegeneinander aufzuwiegen, aber das einzige was man da machen kann, ist sich die Finger verbrennen. Nichtstun kann man aber auch nicht, denn dann liefert man implizit die Legitimität. Aufstellung trickereicher Automaten ist eine gern fantasierte Lösung, Probleme ergeben sich aber sofort schon bei der Nutzbarkeitsmachung, ich möchte darauf auch nicht näher eingehen. Absperren von Bahntrassen ist wohl schwierig, ökologisch und ökonomisch vmtl. auch nicht - abgesehen davon müsste es auch sehr trickreich sein. Was bleibt? Nun, für mich schon noch die Verurteilung, aber durchaus nicht so, dass der Selbstmörder schlecht dasteht, sondern derart, dass die Methode als unlukrativ erscheint, das aber schon vor einsetzen der vorbereitenden Handlungsalternative. Jetzt gerate ich langsam ins stocken, vielleicht gelingt es mir, Brennpunkte nach etwas Kritik weiter zu betrachten.

Makeda
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Sa 14. Nov 2009, 15:00 - Beitrag #2

Das Probelm des Selbstmordes, leigt doch nicht darin, dass man Selbstmord begeht. Es scheint doch eher, wie meist, das Probelm des Hinterbliebenden zu sein. Ein Selbstmörder, wird doch, wenn man ihn dabei erwischt, entmündigt...weil wir ja alle am Leben kleben müssen und 120 Jahre alt werden müssen und das ganze bitte auch noch gerngesund. Oder warum sollte man einem Selbstmörder das recht absprechen, sich umzubringen. Man geht doch davon aus, dass er nicht merh alle Tassen im Schrank hat.
Natürlich ist es hart für die Hinterbliebenden, und auch für die, die ihn nicht kennen und dennoch durch ihn mit hineingezogen werden....und sich wohlmöglich als Mörder sehen....
Aber mir scheint es fast egal zu sein, wie ich den Selbstmörder betrachte und ob ich ihn nun schud zu schiebe oder nicht, es läuft auf die Hinterbliebenen hinaus.

Ipsissimus
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Sa 14. Nov 2009, 16:54 - Beitrag #3

woran wir nicht vorbeikommen, ist der schlichte Umstand, dass ein Selbstmörder die Bereitschaft aufbringt, alles hinter sich zu lassen, alles zurückzulassen. Wenn er diese Bereitschaft schon in Bezug auf jene aufbringt, die er liebte, wie wahrscheinlich ist es dann, dass der Gedanke an Menschen - z.B. an Lokführer - die er gar nicht kennt, ihn zu einem Einhalt kommen lassen? An diesem schlichten Sachverhalt scheitern alle Maßnahmen, die am Selbstmörder selbst ansetzen. Bring ihn in eine Position absoluter moralischer Verwerflichkeit (auch wenn die meiner Ansicht nach faktisch nicht zu rechtfertigen ist). Er wird sich trotzdem töten, und in fast allen Fällen in einer Weise, die er mit seinen eigenen Vorstellungen in Übereinklang bringen kann, nicht mit den Vorstellungen anderer.

Eine Lösung dafür sehe ich nur durch die Freigabe passiver Sterbehilfe. Da ein Selbstmörder, dem es ernst ist, aber auch nicht unbedingt geneigt ist, erst einer Ethikkommission Rede und Antwort zu stehen, wäre das eine Maßnahme nur zugunsten derer, denen sowieso noch geholfen werden kann, bei denen der Selbstmord also nur Hilferuf ist. Also Freigabe passiver Sterbehilfe ohne Kontrolle; der Selbstmörder muss in die Apotheke gehen dürfen und sein Suizidmittel verlangen können, ohne dass ihm Fragen gestellt werden. Die Entsetzensschreie derer, die jeglicher Art Möglichkeit für Missbrauch darin sehen, kann ich mir aber selbst ausmalen^^ Das wird also nicht passieren.

Damit bleibt es dabei: man kann Selbstmord nicht verhindern, selbst im Gefängnis oder in psychiatrischen Anstalten gibt es ihn noch. Man kann auch nicht flächendeckend verhindern, dass der Selbstmörder es so macht, wie es ihm vorschwebt.

Wir können noch die Gesellschaft so umbauen, dass das individuelle Empfinden für die Notwendigkeit von Selbstmord minimiert wird. Das wird ein Traum bleiben.

Von daher denke ich, das Problem ist nicht lösbar, es sei denn wir greifen zu Glücksdrogen à la brave new world zurück. In so einer Gesellschaft würde ich dann Selbstmord begehen^^ bevor mir die Drogen aufgenötigt werden^^

was spricht eigentlich dagegen, den Tod zu entmystifizieren? Was spricht dagegen, schon den Kindern in der Schule einen Umgang mit dem Tod zu vermitteln, der letztlich die psychische Schockstarre des Lokführers durch eine angemessene Auffassung von leben und sterben ersetzt? Wären solche Individuen zu ... eigenständige Denker und Fühler? Wäre unsere Gesellschaft, die im wesentlichen mit Verkrustungen, Traditionen, Verdrängungen und dergleichen die Leute bei der Stange hält, zu sehr in Gefahr, wenn die Leute a priori ... weniger Angst hätten?

Das wäre ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft^^

Lykurg
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So 15. Nov 2009, 01:08 - Beitrag #4

Ipsissimus, der Lokführer hat keine Angst vor dem Tod, sondern davor, zu töten. Diesen Umstand finde ich nicht behebenswert; wie bereits 'drüben' erwähnt, halte ich manche Tabus oder in diesem Fall Maximen für sinnvoll, darunter auch die, daß man grundsätzlich keinen Menschen töten sollte (einige Ausnahmen davon sind denkbar). Eine Bedenkenlosigkeit, für den Tod anderer verantwortlich zu sein, ist in meinen Augen nicht anzustreben. Darin sehe ich tatsächlich eine Gefahr für die Gesellschaft, um so mehr, als man zu Zeiten gewaltsamer Umgestaltung oft auf ein breites Reservoir an so denkenden Individuen zurückgreifen konnte.

Die unhinterfragte Legitimierung passiver Sterbehilfe würde ich unterstützen; ein Bedenken habe ich allerdings in der Tat, die Sorge, daß das Gift an jemand anderem zur Anwendung kommen soll. Ich würde also bevorzugen, wenn die Person es nur unter Aufsicht erhalten und einnehmen kann. Wahlweise wäre etwa der unproblematische Bezug größerer Mengen von Schlaftabletten zu ermöglichen; hier ist die Fremdverwendung wohl sehr viel unwahrscheinlicher.

blobbfish, deinen Anmerkungen zu mittelbaren Auswirkungen unseres Handelns stimme ich in Maßen zu, allerdings ist einerseits die kausale Ferne mildernd, die Zusammenhänge komplex genug umgeleitet und gebrochen, daß jedenfalls die Feststellung einer Einzelschuld - eines Menschen, einer Stadt, eines Kontinents - kaum feststellbar ist, ebenso das dadurch hervorgerufene Leid. Und zum anderen entspringt hier aus Wahrnehmung der sich verschlechternden Lebensbedingungen anderer auch der Wille, zu helfen und sich den Konsequenzen seines Handelns zu stellen - was der Selbstmörder vermeidet.

Ipsissimus
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So 15. Nov 2009, 01:54 - Beitrag #5

der Lokführer hat nicht getötet, jedwede Bedenken in dieser Hinsicht sind sachlich gegenstandslos

ich glaube, was du nicht akzeptieren kannst, ist der Umstand, dass sich jemand innerlich wirklich unerreichbar gemacht haben kann.

Lykurg
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So 15. Nov 2009, 12:07 - Beitrag #6

Ipsissimus, dem widerspricht doch genau die von blobbfish im Eingangsposting festgestellte Tatsache, daß der Tod auf den Bahngleisen im Gegensatz zu anderen Selbsttötungsformen durch Passivität zustandekommt - indem das Opfer sich nicht vom Fleck rührt. Aktiver Part ist der Zug, und in dessen Leitung hat der Fahrer eine Verantwortung. Auch wenn rational klar ist, daß er meist keine Chance hat, die Tötung zu verhindern, wird es ihm, da Mensch, sehr schwer, diesen Umstand auch innerlich zu akzeptieren.

Doch, letzteres konstatiere ich ja auch. Und deswegen möchte ich Alternativen und die möglichst weitgehende Einschränkung der einen von mir abgelehnten Methode schon zu einer Zeit, zu der der Betreffende noch erreichbar ist. Möglicherweise ließe sich auch vorn an Zügen eine Art kleiner Kuhfänger, nur natürlich intelligent abgefedert und gepolstert, installieren, der die Tötungsmethode ungewisser und damit weniger attraktiv macht?

(Danke übrigens für die Statistik, 009, der Anteil ist kleiner als ich vermutet hätte, was wiederum mit der öffentlichen Wahrnehmung zusammenhängt).

Ipsissimus
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So 15. Nov 2009, 13:18 - Beitrag #7

das ist meines Erachtens ja auch falsch. Der Selbstmörder muss sich aktiv zu dem Gleis hin bemühen und es aktiv betreten. Der Zug ist in dem Fall einfach nur ein Medium. Genausogut könntest du sagen, der Selbstmörder lässt sich einfach nur passiv von der Brücke fallen, oder er wartet einfach nur passiv, bis die Tabletten ihr Werk vollendet haben, oder er zappelt passiv, bis die Schnur, an der er sich erhängt hat, ihren Dienst getan hat, oder er wartet passiv, bis er im Wasser erstickt ist. All das, wie alle Selbstmordmethoden inklusiv der Zugmethode, sind in Wirklichkeit hochaktive Methoden, bei denen die Aktivität teilweise einfach nur vom Äußeren ins Innere oder in die Vorbereitungsphase verlegt ist.

Und wer in Industrienationen sozialisiert wurde, weiß auch, was ein Zug ist. Ein Zug von 100 t Masse bremst bei Vollbremsung von 200 kmh auf 0 in ungefähr 47 Sekunden, der Bremsweg liegt bei über 1300 Meter. Wenn du dem Zugführer nicht die Verantwortung für die zugrundeliegende Physik zuschustern willst - wo bitte hat er da Verantwortung? Dann eher die Bahnbetreiber, die eben die Trassen aus merkantilen Gründen nicht abschotten, obwohl sie es könnten. Der Zugführer hat Verantwortung, den Zug gut zu führen, nicht aber, den Weg von plötzlich auftauchenden Hindernissen freizuräumen, die er aus physikalischen Gründen gar nicht rechtzeitig bemerken kann.

Traitor
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So 15. Nov 2009, 14:33 - Beitrag #8

Ok, vielleicht wickeln wir am besten in dem anderen Thread wirklich nur noch die einmal aufgebrochenen Konflikte ab und behandeln das Thema hier möglichst allgemein.

Zitat von Ipsissimus:was spricht eigentlich dagegen, den Tod zu entmystifizieren? Was spricht dagegen, schon den Kindern in der Schule einen Umgang mit dem Tod zu vermitteln, der letztlich die psychische Schockstarre des Lokführers durch eine angemessene Auffassung von leben und sterben ersetzt? Wären solche Individuen zu ... eigenständige Denker und Fühler? Wäre unsere Gesellschaft, die im wesentlichen mit Verkrustungen, Traditionen, Verdrängungen und dergleichen die Leute bei der Stange hält, zu sehr in Gefahr, wenn die Leute a priori ... weniger Angst hätten?

Außer der schweren Durchführbarkeit in meinen Augen nichts. Es wäre ein Langzeitprogramm, aber es hätte meine volle Unterstützung. Ein rationaler Umgang mit dem Tod wäre ein großer Fortschritt für unsere Gesellschaft. Allerdings ist ein rationaler Umgang für mich keine Verharmlosung. Der Tod ist schreck- und ehrfurchtgebietend, daran führt kein Denken, das nicht Illusionen aufbaut, vorbei. Dennoch kann man daran arbeiten, seine natürliche Bedeutung zu erfassen, daran, zu beurteilen, ob und wann er eine wählenswerte Alternative sein kann, und daran, verarbeiten zu können, wann man für einen Todesfall verantwortlich ist und wann nicht.

Solange dieser Langzeitplan aber nicht umgesetzt ist, muss man mit der Irrationalität der Menschen leben. Mit der des Selbstmörders, da hast du vollkommen Recht. Kurz vor der Tat kann man nicht mehr von ihm erwarten, Gedanken an Lokführer zu verschwenden, wenn er selbst seiner Familie und sich den Selbstmord anzutun bereit ist. Völlig korrekt. Ebenso muss man aber auch die Irrationalität des Lokführers, nur schwer oder gar nie über seine (wenn auch nur eingebildete) Schuld hinwegzukommen, respektieren. Und daher überlegen, ob man nicht an anderer, früherer Stelle eingreifen kann, um seine Inmeitleidenschaftziehung zu verhindern, wenn man nicht schon den Selbstmord an sich verhindern kann.

Ideal wäre es zweifelsohne, die Gesellschaft so zu verbessern, dass niemand mehr zum Selbstmord Anlass sieht. In vielen Aspekten versuchen wir das ja auch kontinuierlich, wenn auch bedauerlich selten mit Erfolg. Aber man kann ja parallel viele Initiativen laufen lassen, ohne dass sich diese behindern. So kann man, ohne die langfristige Verbesserung der Gesellschaft aufzugeben, doch kurzfristig versuchen, die Selbstmordrate an sich und die Selbstmordrate mit unnötiger Beeinträchtigung Dritter zu senken. Für ersteres sind Beratungssysteme sicher hilfreich, wenn auch weit vom Wundermittel entfernt. Verknappung oder zumindest Erschwerung der Möglichkeiten ist eine weitere Maßnahme, leicht erhältliche Waffen oder auch Medikamente könnten nicht nur gemeinschädliche Arten verdrängen, sondern auch die Gesamtrate erhöhen, da der Überwindungsaufwand sinkt. Ein noch besserer Weg ist die gezielte Bekämpfung einzelner gesellschaftlicher Umstände, die besonders oft zu Selbstmord führen - Kindheitstrauma durch misshandelnde Eltern, übertriebener Leistungsdruck in Bildung und Beruf, Kinds- und Verwandtentod durch medizinische Unzulänglichkeiten... die Möglichkeiten sind vielfältig.
Doch auch die Rate der Selbstmorde durch Verkehrsunfälle oder Züge, bei denen Dritte (also Unbeteiligte, nicht die Verwandten, deren psychische Belastung zwar schlimm ist, aber eben direkt und nur mit viel mehr Aufwand verhinderbar) zu physischem oder psychischem Schaden kommen, kann man vielleicht senken. Durch eine gesamtgesellschaftliche Debatte und Aufklärungsmaßnahmen in Schulen und bei den psychologischen/psychatrischen Maßnahmen. Also nicht als gezielten Druck auf den Selbsmordgefährdeten, sondern als langfristige Verankerung in Jedem, sodass vielleicht, sollte die ausweglose Situation sich einstellen und alle Maßnahmen der Gesamtverhinderung bereits versagt haben, doch noch der kleine Impetus mehr da ist, der die komplizierte Entscheidungsfindung zu einer anderen Tötungsart hin kippen lässt.
Nochmal zum Abschluss, dies ist sicher nicht die dringendste dieser Maßnahmen. Hätte ich die Wahl, einen Selbstmord komplett zu verhindern oder einen vom Zug auf die Pillen umzulenken, sicher wäre ersteres meine Entscheidung. Aber vernachlässigen sollte man dieses Thema nicht, denn leider kann man nunmal nicht immer das Beste erreichen, es gibt die Grausamkeit, oft nur einen Menschen retten zu können, und dann verhindere ich lieber noch eine Traumatisierung als gar nichts.

blobbfish
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So 15. Nov 2009, 15:22 - Beitrag #9

Hmm, ja, Makeda, ich stimme dir da zu, aber auch nicht. Einerseits ist es das Problem der Hinterbliebenden aber auch des Täters, und zwar in einer vorher stattfindenden Nachbetrachtung, so gesehen hypothetisch, möglicherweise aber auch danach, da haben wir irdischen aber keine richtige Aussage drüber. Warum wir aber am Leben klammern, ist eine gute Frage, die Antwort aber genauso unbegründet wie die Antwort auf die gegenteilige Frage, nämlich nicht zu klammern.

Ipsi, pasive Sterbehilfe habe ich auch angedacht, aber nicht aufgeführt, denn ich kann sie mir nicht richtig zu Ende denken. Mir scheint es eine Art Freifahrtsschein induzieren und die Legimität sehe ich nur dadurch gegeben, dass dem Leben kein Wert mehr zugeschätzt wird, und ich wenn ich mich dieser These anschließe, sehe ich mich schon halb in einem trostlosen Rationalismus und Materialismus der nur eine desktruktive Wirkung auf alles hat, womit er in Berührung kommt.

das ist meines Erachtens ja auch falsch. Der Selbstmörder muss sich aktiv zu dem Gleis hin bemühen und es aktiv betreten. Der Zug ist in dem Fall einfach nur ein Medium. Genausogut könntest du sagen, der Selbstmörder lässt sich einfach nur passiv von der Brücke fallen, oder er wartet einfach nur passiv, bis die Tabletten ihr Werk vollendet haben, oder er zappelt passiv, bis die Schnur, an der er sich erhängt hat, ihren Dienst getan hat, oder er wartet passiv, bis er im Wasser erstickt ist. All das, wie alle Selbstmordmethoden inklusiv der Zugmethode, sind in Wirklichkeit hochaktive Methoden, bei denen die Aktivität teilweise einfach nur vom Äußeren ins Innere oder in die Vorbereitungsphase verlegt ist.


Ich habe mich tatsächlich gefragt, ob ich deine Beispiele falscher halte als du meine Ausführung. Ich fürchte leider ja. Ich streite ungern über die Richtigkeit von Modellen, aber hier muss ich es doch tun, denn du scheinst mir da einiges zu überdehnen. Ich möchte nicht behaupten, dass sie allgemein stimmt, da habe ich auch drauf hingewiesen, aber ich erkläre dir jetzt dochmal so wie ich es meine und ich hoffe, du wirst den Unterschied sehen. Du kannst dich z.B. auf ein Gleis und auch auf eine Brücke begeben, meinetwegen stellst du dich auch auf's Geländer. Der Unterschied ist nun aber wenn der Zug kommt, auf der Brücke kommt nichts. Du musst schon von den Gleisen runter um dich zu retten. Auf dem Geländer der Brücke aber kannst du stehen bleiben und es wird dir nichts passieren. Vielleicht solltest du einfach mal ein bisschen auf der Bahntrasse spielen. Freileich gibt es auch grenzwertige Methoden, um die geht's aber nicht.

in Zug ist. Ein Zug von 100 t Masse bremst bei Vollbremsung von 200 kmh auf 0 in ungefähr 47 Sekunden, der Bremsweg liegt bei über 1300 Meter. Wenn du dem Zugführer nicht die Verantwortung für die zugrundeliegende Physik zuschustern willst - wo bitte hat er da Verantwortung?


Da machst du es dir zu einfach. Verantwortlichkeit und Gefühl der Verantwortlichkeit sind zwei Dinge, die sich nichtmal bedingen. Rational wünschenswert ist vielleicht eine g.d.w.-Beziehung. Allerdings ist das derart allgemein, dass es weit auf andere Lebensbereiche durchschlägt, möglicherweise bis zu einer Handlungsunfähigkeit, aber das hängt wohl auch davon ab, wie stark man das deuten möchte. Sollte man ein eigenes Thema zu machen.

woran wir nicht vorbeikommen, ist der schlichte Umstand, dass ein Selbstmörder die Bereitschaft aufbringt, alles hinter sich zu lassen, alles zurückzulassen. Wenn er diese Bereitschaft schon in Bezug auf jene aufbringt, die er liebte, wie wahrscheinlich ist es dann, dass der Gedanke an Menschen - z.B. an Lokführer - die er gar nicht kennt, ihn zu einem Einhalt kommen lassen?


Gering, zugegeben und das bringt ja auch die Probleme. Eine Ermächtigung sehe ich nicht, daher bleibt auf jeden Fall eine Verurteilung.

Lykurg, ich weiß, dass mein Modell mit den mittelbaren- und unmittelbaren Auswirkungen nicht allzu deteilliert ist. Es soltle auch nur eine Differenzierung aufmachen. Wenn dir danach ist, dann fühle dich genötigt, dazu mehr zu sagen, auch wenn es zu den themen gehört die ich nicht gerne bedenke

Traitor, deine wünsche in Ehren, aber sehr konkret sind sie nicht. Zumal es sich im Individuen handelt, also Objekten die sich gerne einer Verallgemeinerung entziehen. Ich wollte ganz gerne weg davon, denn außer Reden und Wünschenlässt sich da nicht viel machen.

Traitor
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So 15. Nov 2009, 15:42 - Beitrag #10

Für die Allgemeinheit lassen sich hier Maßnahmen angeben, denn die Allgemeinheit ist bekannt. Für das einzelne Individuum kann man nur etwas tun, wenn man es kennt. Man muss für einen Menschen da sein, ihm Aufmerksamkeit schenken, mit ihm reden, ihm Freuden machen - aber wie das genau aussieht, dafür braucht man konkretes Wissen über ihn. Wie sollen wir hier also über Individuen diskutieren können?

blobbfish
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So 15. Nov 2009, 18:12 - Beitrag #11

Das ist schon klar, aber du hast da eben Zwischenebenen, z.B. kannst du tendenziell klassifizieren und für eine solche Klasse eine prinzipielle, aber nicht unumstößliche, Lösung anbieten, das ist ja schonmal besser als ein "So müsste es aussehen". Metaphorisch wird es also feinmaschiger das vertrackte daran, das noch abstrakt zu halten. :crazy:

Aydee
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Di 17. Nov 2009, 11:31 - Beitrag #12

diesen Artikel zum thema fand ich klasse:

http://www.taz.de/1/leben/alltag/artikel/1/die-diktatur-des-gluecks/?type=98

"Wie kann es sein, dass wir trotz aller Aufklärung in einer Atmosphäre leben, in der Menschen mehr Angst haben vor dem Urteil ihrer Mitmenschen als dem eigenen Tod? (....)
Leid will nichts und will nichts werden. Leid möchte, wie alles andere, das uns Menschen innewohnt, einfach angenommen werden. Das heißt nicht, dass man sich nicht professionelle Hilfe suchen soll, im Gegenteil, doch man sollte eine Praxis nicht mit dem Traum vom Verschwinden des Leids betreten. So wie man nicht mit dem Traum vom Verschwinden des Leids in die Liebe treten sollte. Denn Liebe kann heilen, muss aber nicht. Auch Erfolg muss nicht glücklich machen, Kinder oder Geld nicht. All das sagt nichts darüber aus, wie glücklich oder tieftraurig ein Mensch ist. "

Makeda
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Di 17. Nov 2009, 11:54 - Beitrag #13

Warum sollte man angst vor dem eigenen Tod haben?
Das Urteil der anderen kann ängstlich machen, je nachdem was man vermuttet, wie sie reagieren. Es gibt Gesellschaftsstruckturen, in denen man nicht einfach sagen kann, ich mach das nicht mehr mit, ohne den absoluten sozialen Tod zu erlangen...und das man davor angst hat, finde ich schon verständlich.
Die Angst vor dem Tod (bzw. im Zitat klingt das eher wie eine Aufforderung dazu) kann ich nicht nachvollziehen. Weder die Aufforderung dahingehend, noch beim Tod selber.

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Di 17. Nov 2009, 14:40 - Beitrag #14

sollte man nicht, denk ich. aber die meisten haben es, beschäftigen sich nicht mit dem Sterben, dem Tod (dem eigenen oder dem anderer)

mir ging es eher um den Rest, nicht diesen Part im Artikel


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