Präimplantations-Diagnostik

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Ipsissimus
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Di 6. Jul 2010, 15:54 - Beitrag #1

Präimplantations-Diagnostik

in der Präimplantations-Diagnostik (PID) geht es darum, Embryonen mit genetischen Defekten auszusortieren? Der Bundesgerichtshof klärt heute, ob es einem Arzt erlaubt ist, befruchtete Eizellen zu untersuchen, bevor er sie einsetzt.

Giovanni Maio, Professor für Medizinethik und Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg, berufenes Mitglied des Ausschusses für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung, entwickelt dazu eine eindeutige Position. Ich zitiere aus dem dreiseitigen Interview "Auch das kränkste Leben ist wertvoll" ( http://www.sueddeutsche.de/leben/giovanni-maio-giovanni-maio-1.970518 ) die entscheidende Passage, wobei das gesamte Interview überaus lesenswert ist:

Maio: [...] Zu sagen: Das ist ein krankes Leben, deshalb soll es gar nicht sein, halte ich für einen Denkfehler. [...] Die Gefahr besteht, dass wir Starken uns anmaßen, zu sagen, dass das andere Leben nicht sein soll, weil es aus unserer Perspektive weniger wertvoll ist. Wir dürfen aber grundsätzlich über den Wert eines anderen Lebens nicht befinden.

sueddeutsche.de: Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass jedes Leben wertvoll ist?

Maio: Das ist eine Grundannahme, ohne die man keine gute Ethik betreiben kann. Selbst aus einer Klugheitswahl heraus können wir nicht wirklich wollen, dass es ein gutes und ein schlechtes Leben aus der Perspektive eines Dritten geben kann - denn dann könnte es sein, dass ich irgendwann selbst in eine Situation gerate, wo ein Dritter sagt, dass das Leben, das ist führe, nicht gut genug ist und es besser wäre, wenn ich nicht mehr wäre. Jeder Mensch, der lebt, hat doch von sich aus das Bedürfnis anerkannt zu sein als Mensch und nicht erst dadurch, dass er etwas kann, leistet oder so ist, wie andere es sich wünschen. Das ist letztlich die Grundlage der Menschenwürde, die in unserem Grundgesetz verankert ist.


wie seht ihr das?


/edit - der Bundesgerichtshof hat gerade entschieden, dass Gentests an Embryonen nicht strafbar sind, und auch der Umstand, dass der angeklagte Arzt die schadhaften Embryonen sterben ließ, ist rechtmäßig

blobbfish
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Di 6. Jul 2010, 17:05 - Beitrag #2

Ich bin ein wenig knapp an der Zeit, und habe deswegen das ganze Interview nicht gelesen, sondern nur den oben zitierten Auszug.

Unter dem Begriff "Leben" scheint er wohl nur menschliches Leben zu fassen, vielleicht gewisses nicht-menschliches.

Seine Argumentation kann ich allerdings nicht nachvollziehen, im zweiten Teil kann ich sogar sagen: Falsch. Der Vergleich von PID mit einer Lebensführung ist unzulässig, als in dem einen kein Leben vorhanden ist, das die eigene Situation bewerten kann, überhaupt es ist es schon streitbar, ob tatsächlich von Leben gesprochen werden kann. In dem anderen ist aber offenbar ein Leben gegeben, und auch das erkennen von solchem. Im dt. fehlen leider die Begriffe, aber wenn wir von Leben eines Embryos sprechen, meinen wir zoe, einfach nur lebendig, lebendig an sich, lebendig ohne Inhalt, in dem anderen Fall liegt aber vielmehr ein bios vor, ein Leben mit Inhalt, nicht einfach nur banal lebendig.
Und es macht einen deutlichen unterschied, zoe oder bios eine Existenzberechtigung abzusprechen.

Ferner finde ich seine Reduktion auf "Wert von Leben" auch überaus fraglich, denn tatsächlich geht es ja bei einer PID nicht darum, wertvolles von wertlosem zu trennen, sondern der Fokus liegt auf dem Individuum. Das Problem auf dieser Ebene ist die Irreversibilität.

Soweit die Kurzfassung des Urteils auf tagesschau.de empfinde ich das Urteil als richtig. Es gibt keinen Freifahrtsschein und auf der anderen Seite die Möglichkeit eine dauerhafte, nicht heilbare Krankheit zu unterbinden, so denn man als im Sinne des Lebenden oder Patienten, vermutet, dass er diese nicht möchte.

Lykurg
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Di 6. Jul 2010, 17:56 - Beitrag #3

Ich heiße das BGH-Urteil ebenfalls gut. Ich fände es dagegen ethisch fragwürdig, Eltern mit einem hohen Risiko der Weitergabe einer Erbkrankheit ihren Wunsch nach einem Kind, das von dieser Krankheit frei ist, zu verweigern. Maios Argumentation wird noch dünner, als er nach Pränataldiagnostik gefragt wird - denn auch wenn hier nur "in wenigen Fällen" anschließend ein Schwangerschaftsabbruch erfolgen kann, müßte es sich dann seines Erachtens doch um 'lebensunwertes Leben' handeln - was aber im Fall von PID aber so überhaupt nicht vorliegt, schließlich handelt es sich um die Auswahl, welches, nicht, welches nicht. Wenn bei der künstlichen Befruchtung ohnehin mehrere Embrionen entstanden sind, von denen nur einer verpflanzt werden kann, die anderen aber 'sterben', sehe ich nicht, warum man dessen Auswahl dem Zufall überlassen müßte - oder schlimmer noch, ein bekanntes Problem zu verschweigen und ein Embryo auszuwählen, das zeitlebens an einer Krankheit leidet, die vermeidbar, in gewissem Sinne sogar heilbar, gewesen wäre. blobbfishs Unterscheidung zwischen bios und zoon ist dabei der zentrale Punkt - insofern, als es sich noch nicht um Individuen handelt, ist eines wie das andere, sie sind vertauschbar dort, wo eine Ethik greift, unterschieden nur im medizinisch-biologischen Sinne.

Ipsissimus
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Mi 7. Jul 2010, 11:38 - Beitrag #4

das slippery slope Argument Maios kann ich durchaus nachvollziehen. Erst sprechen wir über schwere Krankheiten und Behinderungen, morgen über Ästhetik und übermorgen über Verhalten - anscheinend alles machbar, alles aus bestimmten Perspektiven heraus nachvollziehbar und erwünscht, und mir fehlt jegliches Vertrauen darin, dass wir nach Behinderungen und vor Ästhetik haltmachen werden - sobald es technisch möglich sein wird, werden wir auch Verhalten vorprogrammieren.

Schwierigkeiten habe ich mit dem Konflikt zwischen Ethik und Moral. Maio und andere geben sich zwar als Ethiker, fordern aber Moral in Form von Gesetzen. Dem würde ich mich aus grundsätzlichen Erwägungen vollständig verweigern; andererseits sehe ich es eben leider nicht als sichergestellt, dass PID bei den Behinderungen und Krankheiten halt machen wird.

Dafür gibt es m.E. keine einfachen Lösungen, ich weiß jedenfalls keine.

Möglicherweise ist das Problem aber auch nur ein uneigentliches, nur aus einer verkürzten Perspektive heraus betrachtet überhaupt ein Problem. Wir haben uns in 250 Jahren an Industrialisierung gewöhnt und empfinden sie als selbstverständlich und die meisten wohl auch als wünschenswert - wir können zukünftigen Generationen nicht in alle Ewigkeit vorschreiben, nach unserem heutigen ethischen oder moralischen Empfinden zu ticken oder unser heutiges Lebensgefühl und Menschenbild zu hegen. Nur mich (uns?) heute, an der Übergangsstelle, gefüllt noch mit alten Wertvorstellungen von Wert und Würde, schaudert es, wenn ich drüber nachdenke, dass das Sosein von Menschen in dem diskutierten Sinne wie selbstverständlich disponibel werden soll.

Padreic
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Mi 7. Jul 2010, 16:19 - Beitrag #5

Allen Vorbehalten und allen Gründen kann ich im Prinzip zustimmen. Ich möchte nur eines noch zusätzlich bemerken: was definitiv für mich inkonsistent und nahe an Absurdität ist, dass man erlaubt, Kinder aufgrund von Behinderungen noch in sehr spätem Stadium abzutreiben, man aber nicht erlauben will, bei einer künstlichen Befruchtung diejenigen, die voraussichtlich Behinderungen haben, nicht einzupflanzen.

Ipsissimus
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Fr 9. Jul 2010, 09:37 - Beitrag #6

bei weitem nicht die einzige Inkonsistenz der deutschen Gesetzgebung^^ aber natürlich eine, die besonders schwer im Magen liegt.

Spätabtreibungen erzeugen bei mir ein äußerst mulmiges Gefühl

Lykurg
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Fr 9. Jul 2010, 11:10 - Beitrag #7

Bei mir auch, ja. Damit verglichen finde ich alle Implikationen von PID (selbst das vielbeschworene Designerbaby, dem aber mit diesem Urteil eine deutliche Absage erteilt wurde, das die Entscheidung ausdrücklich auf Erbkrankheiten bzw. schwere Behinderungen einschränkt), unbedenklich...
In diesem Sinne ist PID wünschenswert, um die Anzahl der Spätabtreibungen zu reduzieren.

Ipsissimus
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Fr 9. Jul 2010, 12:09 - Beitrag #8

unter diesem Aspekt kann ich mich dem Statement anschließen. Die Frage wäre trotzdem, ob dabei das Pferd nicht von hinten aufgezäumt wird. Die "eigentliche" Lösung wäre, Spätabtreibungen zu verbieten, außer bei Gefahr für das Leben der Mutter. Möglicherweise müsste dieses Verbot dann unterfüttert werden mit einer anteiligen Finanzierung des Lebens dieser Kinder und der Eltern durch den Staat.

Lykurg
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Fr 9. Jul 2010, 14:21 - Beitrag #9

Denkbar, ja - eventuell sogar mit einer verstärkten Möglichkeit, daß das Kind dann von anderen aufgezogen werde. - Vergewaltigungsopfer wären in jedem Fall auszunehmen (ich denke, das wirst du ähnlich sehen?)
Trotzdem wäre das nur eine gesetzliche Entgegnung auf ein soziales Bedürfnis, nämlich das nach gesunden Nachkommen in einer Zeit, in der man seine Kinder eben nicht mehr in halben Dutzenden zählt, so daß das Depperte dazwischen mitlaufen kann bzw. hinterm Ofen sitzt, wenn der Pfarrer zu Besuch kommt. In Zeiten der freiwilligen Anderhalbkindpolitik ist geistige und körperliche Normerfüllung für viele Eltern ein unerläßlicher Anspruch an die Selbstachtung; auch hier wäre eine andere soziale Erwartungshaltung schöner, ist aber nicht realistisch. Ich finde es schwer, Eltern den medizinisch leicht erfüllbaren Wunsch nach einem gesunden Kind zu verweigern und sie damit abzuspeisen, daß ihr einziges mit hoher Wahrscheinlichkeit den Rest ihres Lebens von ihrer Fürsorge abhängen wird. Das wäre der Gang der Natur, und Natur ist grausam, ja - aber mit derselben Berechtigung ließen sich auch Antibiotika verbieten...

Ipsissimus
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Fr 9. Jul 2010, 14:59 - Beitrag #10

ich würde vergewaltigten Frauen auf mehrere Weisen entgegenkommen wollen, aber nicht in Hinsicht auf Spätabtreibung. Zum einen durch die bedingungslose und kostenfreie Freigabe der Abtreibung bis zum Ende des 3. Schwangerschaftsmonats, zum anderen durch die massive Erleichterung der Abgabe des geborenen Kindes an ein Heim oder dergleichen, indem z.B. dem Vorgang keine bürokratischen Hürden in den Weg gelegt werden und der Mutter weder kurzfristig noch dauerhaft irgendwelche Kosten entstehen.

Ich glaube allerdings nicht, dass die Möglichkeit, ein durch Vergewaltigung entstandenes Kind noch im 9ten Monat abzutreiben, durch irgendetwas zu rechtfertigen ist, wenn diese beiden von mir genannten Möglichkeiten gegeben sind - und im übrigen auch für die Mutter selbst nicht wirklich wünschenswert ist, die dann zusätzlich zur Pein der Vergewaltigung auch noch damit fertig werden muss, dass sie auf eine Vergewaltigung mit Mord reagiert hat, Mord nicht am Täter sondern an einem Menschen, der ganz sicher nichts dafür kann, was passierte.


Das ganze System befindet sich in erheblicher Schieflage. Von daher ist es nicht verwunderlich, wenn alle unter diesen Bedingungen gefundenen Lösungen diese Schieflage teilen

Lykurg
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Fr 9. Jul 2010, 15:52 - Beitrag #11

Ich stimme dir vollständig zu; und ja, ~Kindstötung ist keine legitime Antwort auf ein Verbrechen.

Maglor
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Sa 10. Jul 2010, 18:30 - Beitrag #12

Präimplations-Diagnostik ist im Vergleich mit Spätabtreibungen wirklich Peanuts.
Bisher waren nicht eingepflanzte kugelförmige Zellhaufen mit zufällig humanen Genom besser durch das Gesetz geschützt, hatten mehr Recht auf Leben, als ein Fetus im fortgeschrittenen Alter. Eine Spätabtreibung kann bis in den letzten Monat der Schwangerschaft durchgeführt, also bis zur Geburt des Kindes! Da das Kind (trotz Behinderung) überebensfähig wäre, muss es natürlich pränatal getötet werden, mit einer Spritze Kaliumchlorid direkt in die Blutbahn. Danach wird ganz normal die Geburt eingelegt. In der Regel eine Totgeburt, doch gelegentlich gibt es auch Überlebende.

Aber zurück zur weitaus weniger geschmacklosen Präimplantionsdiagnostik.
Das leidliche an der öffentlichen Debatte ist, dass die eigentlichen Probleme der Retorte schlicht übersehen werden. Der Grund ist wahrscheinlich der fehlende Durchblick in Biologie und Medizin.
Ob diese Zellhaufen nun auf Eis liegen, ist gar nicht das Problem. Problematischer ist, dass hierfür größere Mengen Eizellen benötigt werden und diese anders als Spermien nicht einfach zu Tausenden manuell dem Körper entnommen werden können. Diese Medizin verbrauch menschliche Eizellen, die mittels Hormonsgabe in eben echten Frauen heranreifen und operativ entnommen werden.
Der befruchtete Embrio wird ebenfalls wieder operativ an den Ort seiner Bestimmung zurückgebracht.
Ärgerlich ist natürlich, wenn man nun die faulen Embrionen, die ohnehin keine Überlebenschance z. B. wegen Trisomie 1 - 21 haben, wieder einsetzt und die Prozedur wiederholt werden muss.

Ansonsten sehe ich in der bewussten Selektion nicht das Problem. Warum denn auch kranke Kinder gebären, wenn man auch gesunde haben kann. Insbesondere wenn bereits hartnäckige Erbkrankheiten in der Familie bekannt sind.
Ansonsten habe ich keine Zweifel, dass ein präimplantierter Embrio mit seinen 8 Zellen kein Mensch ist. Sicher ist, er ist ein Vielzeller, hat also schon ein bisschen Würde, ähnlich wie eine Algen oder Pilze.

Ipsissimus
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Di 21. Dez 2010, 14:20 - Beitrag #13

aktuell hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken wieder vor den Gefahren der PID gewarnt, diesmal begründet vor allem mit dem Hinweis auf Diskriminierung behinderter Menschen. Im Wesentlichen scheinen die Fronten stabil zu sein. Ich bin mir immer noch unschlüssig; aber wenn es in Richtung Eugenik gehen sollte, hätte ich auch ein äußerst ungutes Gefühl bei der Sache.

janw
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Di 21. Dez 2010, 21:09 - Beitrag #14

Ein Problem ist, daß wohl sicher nicht wenige konkrete Beispiele gefunden werden können, anhand derer viele sagen würden, dieses leidvolle Leben mit dem Leid, das es für die Eltern bedeutet, hätte verhindert werden sollen - aber ein Gesetz muss von solchen Beispielen abstrahierte Regeln finden, anhand derer gehandelt werden soll.
Und da wird es schwierig.
Ist wirklich Leid, wo viele "Normale" dies zu erkennen glauben?
Sagen die Opfer von Contergan von sich, ihr Leben hätte im Mutterleib beendet werden sollen?
Das oft genannte Beispiel Trisomie 21 ist eigentlich ein schlechtes, denn das Syndrom ist außerordentlich vielgestaltig, es umfasst fröhliche Menschen, die mit einigen Hilfestellungen gut durchs Leben kommen, bis hin zu schweren Fällen, die ständiger Pflege bedürfen.
Kürzlich las ich von einem Fall, in dem eine junge Mutter ihr Kind getötet hat, da es 6 Finger und Zehen aufwies.

Mir scheint, es bedarf besserer Aufklärung und allgemein mehr Offenheit gegenüber der Vielfalt, in der Menschen in Erscheinung treten, mehr Bereitschaft zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird, statt im Stile von Ratingagenturen abzuwerten, wo Risiken aufscheinen.

Maglor
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Di 21. Dez 2010, 23:23 - Beitrag #15

Der der zeitige Gesetzesentwurf bezieht sich eher auf die Trisomien 1 - 20 und 22. Solche Embrionen haben keine Überlebenschance, in der Regel kommt es nicht einmal zur Lebendgeburt.

Dass Sechsfingrigkeit, die häufig durch einen völlig unkomplizierten Eingriff korrigiert werden, nach deutschen Recht eine Spätabtreibung ermöglicht, hat mit PiD erstmal gar nichts zu tun, sondern ist ein Spätabtreibungsproblem.
Der Nachweis erfolgt hier nicht durch Präimplantationsdiagnostik sondern durch Ultraschall oder sogar eine Fruchtwasseruntersuchung. Da derartige Methoden die Früherkennung ungeborener behinderter Kinder und deren Beseitigung ermöglichen, sollten diese nun mehr etablierten, ja fast zum Ritual gewordenden Methoden unbedingt hinterfragt werden.
Gerade bei der Fruchtwasseruntersuchung gibt es noch das Problem der Mosiak-Trisomie. Besteht der Fetus zum Teil aus Zellen mit gewöhnlichen Chromosomensatz, zum anderen Teil aus solchen mit verdreifachten Chromosom, so wird das Testergebnis dadurch entschieden, von welchem Teil des Mosaiks die Probe entnommen. Eine Fehldiagnose ist da vorprogrammiert. Im Grunde ist es wie würfeln.
Mit ein PiD wäre das natürlich auch passiert. Eine als gesund deklarierter Zellhaufen-Embrio, kann ebenfalls ein Mosaik aus Zellen mit gewöhnlichem ud verändertem Chromosomensatz besteht, oder schlimmer eine partieller Gen- oder Chromosomendeffekt kann noch nach Einpflanzung mit Mutterleib entstehen.
Oder noch schlimmer: Eine angeborene Behinderung hat erst gar keinen genetischen Ursprung.

100-%-ige Sicherheit wird es nicht geben, kann es nicht geben.
So lange es Motorräder und Motorsägen gibt, werden der Gesellschaft die Krüppel sicher nicht ausgehen. Ggf. müsste hier chirurgische Versuche der Rehabilitation natürlich unterbleiben, um die seltene Spezies zu erhalten.

Die hartnäckigen Gegner der PiD kämpfen gegen den Teufel an sich. Es geht um Gefühle und nicht um Gedanken, nicht um die Sache sondern um das Prinzip, schon gar nicht um das schwere Leid der immerhin vielzelligen Embrionen. Die tatsächlichen Möglichkeiten und Abläufe spielen keine Rolle, stattdessen werden merkwürdige Dystopien bzw. Utopien aufgetischt.
Die Wirklichkeit wird außer acht gelassen. Dass durch die Möglichkeit der Spätabtreibung und der Postimplantationsdiagnostik bereits seit Jahrzehnten die Möglichkeit einer eugenischen Vorauswahl durch die Mutter besteht, deren Häufigkeit mit dem technischen Fortschritt vorgeburtlicher Untersuchungsmöglichkeiten stets weiter ansteigt.
Warum sollen eigentlich kugelförmige Embryonen auf dem Reagenzgas so ungleich mehr Rechte haben als vollentwickelte Föten, die zufälligerweise das gleiche Prädikat eines genetischen Makels haben?

Ipsissimus
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Di 4. Jan 2011, 11:51 - Beitrag #16

Dass durch die Möglichkeit der Spätabtreibung und der Postimplantationsdiagnostik bereits seit Jahrzehnten die Möglichkeit einer eugenischen Vorauswahl durch die Mutter besteht


und genau ab diesem Punkt wird es mehr als problematisch; wenn es für Spätabtreibungen überhaupt eine Rechtfertigung gibt, dann nur die, dass das Leben der Mutter auf dem Spiel steht. Eine bis zur Geburt ausgeweitete eugenische Fristenlösung halte ich für ethisch indiskutabel, auch wenn derartige Abtreibungen zunehmend häufig werden. Die PID bereitet mir weniger Kopfschmerzen hinsichtlich ihres Charakters als Entscheidungshilfe für oder gegen eine Abtreibung bis zum dritten Monat sondern hinsichtlich der darin zum Ausdruck kommenden Verrohung der Wertschätzung des Lebens an sich zugunsten einer Designer-haften Wertschätzung

Lykurg
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Di 4. Jan 2011, 12:37 - Beitrag #17

Ärgerlich ist natürlich, wenn man nun die faulen Embrionen, die ohnehin keine Überlebenschance z. B. wegen Trisomie 1 - 21 haben, wieder einsetzt und die Prozedur wiederholt werden muss.
Hier wäre auf jeden Fall auch das Leiden der Mutter/der Eltern zu erwägen, die sich so dringend ein Kind wünschen, daß sie sich einer Behandlung und künstlichen Befruchtung unterziehen, und dann mit einem nicht lebensfähigen Embryo 'behandelt' werden. Dabei werden Lebenszeit und Geld verschwendet, außerdem die Chancen, noch ein gesundes Kind zu bekommen, verschlechtert und die Eltern einer enormen psychischen Belastung mutwillig ausgesetzt.

Zwischen dem Wunsch, ein gesundes Kind zu haben, und dem vielbeschworenen Designerbaby liegt ein großer Unterschied, der leicht gesetzlich faßbar wird, etwa durch eine Liste von Krankheiten, die ausgeschlossen werden dürfen. Ich sehe allerdings abgesehen davon auch das Designerbaby nicht als das absolute Übel - solange es sich um unverändertes biologisches Material der beiden Eltern handelt, liegt die Zeugung des betreffenden Kindes ja innerhalb des natürlich Möglichen, es werden nur die Wahrscheinlichkeiten verschoben. Gegenüber der Wertschätzung des Lebens an sich hat das keinen Einfluß; daß Eltern sich dazu entscheiden, zeigt ihre Einstellung, verändert sie aber nicht aktiv. Der befürchtete Konkurrenzkampf der Optimierungen findet auf allen anderen Sektoren seit Anbeginn der Menschheit statt und zeigt sich heute etwa in den Leistungen der plastischen Chirurgie; ich denke nicht, daß die gesamtgesellschaftliche Veränderung merklich wäre.

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Di 4. Jan 2011, 12:42 - Beitrag #18

Die Wirklichkeit wird außer acht gelassen. Dass durch die Möglichkeit der Spätabtreibung und der Postimplantationsdiagnostik bereits seit Jahrzehnten die Möglichkeit einer eugenischen Vorauswahl durch die Mutter besteht, deren Häufigkeit mit dem technischen Fortschritt vorgeburtlicher Untersuchungsmöglichkeiten stets weiter ansteigt.


Nur da? Es wird die Möglichkeit überhaupt nicht bedacht, dass es die Elterrn nur unwesentlich mehr kostet das ganze im Ausland zu machen.
Zudem wird nicht bedacht, dass die Fälle von wir wollen ein Gesundes Kind, da unser Erbmaterial belastet ist im Vergleich zu Frauen über 30 mit künstlicher Befruchtung, sehr gernig ist.
Könnte man die Frauen Ü 30 ja schon mal rauslassen aus der Untersuchung. Hätten halt früher anfangen sollen, den auch wenn die Periode heute einen wesentlich größeren Lebendsabschnitt einer Frau einnimmt, heißt das nihct, dass sie auch gleichzeitig gut befruchtbare Eier Herstellt. (Vergessen viele und bekommen dann Zwillinge :rolleyes: )

Ich finde es schwer, Eltern den medizinisch leicht erfüllbaren Wunsch nach einem gesunden Kind zu verweigern und sie damit abzuspeisen, daß ihr einziges mit hoher Wahrscheinlichkeit den Rest ihres Lebens von ihrer Fürsorge abhängen wird. Das wäre der Gang der Natur, und Natur ist grausam, ja - aber mit derselben Berechtigung ließen sich auch Antibiotika verbieten...


Ja die Natur ist grausam, vorallem wenn man bedenkt, dass wir heute über Behinderte Kinder diskutieren, ob vorher oder wehrend der Schwangerschaft das verhindert werden soll und dann sich mal klar macht, dass die Natur tatsächlich hart ist, in dem sie früher diesen Kindern von sich aus keine Überlebenschance gegeben hat oder innen nur ein kurzes Leben ermöglichte.
Wenn man dann bedenkt, dass es auf Grund von Medizin und durch den Druck der Gesellschaft heute so ist, das behinderte Kinder ihr Leben lang (was heute Lang sein kann) auf die hilfe der Eltern angewiesen sind. Würd ich es mir auch 5 mal überlegen ob ich ein behindertes Kind aufziehen kann.

Ipsissimus
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Di 4. Jan 2011, 12:45 - Beitrag #19

Lykurg, kennst du den Film "Gattaca" (mit Ethan Hawke und Uma Thurman)? Ist natürlich nur Fiction, fast aber die Befürchtungen sehr gut zusammen. Ich stimme dir zu, wahrscheinlich ist die Menschheit dahin unterwegs, in vorauseilendem Gehorsam möglicher evolutionärer Entwicklungen. Falls von Ethik nicht die Rede sein soll, kann man das mit einem Schulterzucken abtun. Ich tue mir schwer damit

Makeda, behinderte Kinder sind bei uns ein Problem geworden, weil Kinder so wenige geworden sind

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Di 4. Jan 2011, 13:01 - Beitrag #20

Zitat von Ipsissimus:
Makeda, behinderte Kinder sind bei uns ein Problem geworden, weil Kinder so wenige geworden sind


Wird ein Teil mit dazu beitragen.
Das wie o. beschrieben die Kinder nicht mehr mitlaufen, trägt auch dazu bei.
Früher war es ok, wenn ein behindertes Kind mitlief, heute musst du es dort und dort hinbringen, diese und jene Therapie machen. Das ist alles sehr Zeitaufwendig und durch die medizinische Unterstützung noch Lebensverlängernd.
Das hört sich sehr makaber an. Aber auch ein Punkt, warum man vorher wissen möchte ob das Kind behindert ist oder nicht.

Denn ich kann mir kaum vorstellen, dass es nur einen Aspekt gibt, der zu einem Problem wie diesem hier führt, falls es denn ein Problem ist.

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