Jesus, mein Zuversicht

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maglor
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So 29. Aug 2010, 14:23 - Beitrag #1

Jesus, meine Zuversicht

Heute möchte ich ein altes Lied aus dem evangelischem Gesangbuch vorstellen.
Es stammt aus dem 17. Jahrhundert und wird noch heute auf sogenannten Trauerfeiern gesungen.
Vielleicht auch bekannt aus Fontanes Gedicht "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland".

[INDENT]
1. Jesus, meine Zuversicht
und mein Heiland, ist im Leben
Dieses weiß ich; sollt ich nicht
darum mich zufrieden geben,
was die lange Todesnacht
mir auch für Gedanken macht?

2. Jesus, er mein Heiland, lebt;
ich werd auch das Leben schauen,
sein, wo mein Erlöser schwebt;
warum sollte mir denn grauen?
Lässet auch ein Haupt sein Glied,
welches es nicht nach sich zieht?

3. Ich bin durch der Hoffnung Band
zu genau mit ihm verbunden,
meine starke Glaubenshand
wird in ihn gelegt befunden,
dass mich auch kein Todesbann
ewig von ihm trennen kann.

4. Ich bin Fleisch und muss daher
auch einmal zu Asche werden;
das gesteh ich, doch wird er
mich erwecken aus der Erden,
dass ich in der Herrlichkeit
um ihn sein mög allezeit.

5. Dieser meiner Augen Licht
wird ihn, meinen Heiland, kennen,
ich, ich selbst, ein Fremder nicht,
werd in seiner Liebe brennen;
nur die Schwachheit um und an
wird von mir sein abgetan.

6. Was hier kranket, seufzt und fleht,
wird dort frisch und herrlich gehen;
irdisch werd ich ausgesät,
himmlisch werd ich auferstehen.
Alle Schwachheit, Angst und Pein
wird von mir genommen sein.

7. Seid getrost und hocherfreut,
Jesus trägt euch, seine Glieder.
Gebt nicht statt der Traurigkeit:
Sterbt ihr, Christus ruft euch wieder,
wenn die letzt Posaun erklingt,
die auch durch die Gräber dringt.
[/INDENT]

Beachtenswerterweise wählte der Pfarrer der Gegenwart lediglich die Strophen 1 bis 3, dabei wird es doch erst ab Strophe 4 interessant, wird doch erst dort jenes alte christliche Weltbild- und Menschenbild von Asche, Fleisch und Staub deutlich. Noch besser ist die siebte Strophe, in der die apokalyptisce Posaune die Toten in den Gräbern zu neuem LEben erweckt.

Lykurg
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So 29. Aug 2010, 18:12 - Beitrag #2

Stimmt, die ersten drei sind eher unverbindliche Hoffnung auf Jesus als Fürsprecher und persönliche Hoffnung; erst danach geht es um die Auferstehung des Fleisches, die Weglassung ist also massenkompatibler. Außerdem hat das Thema Vergänglichkeit offenkundig seinen Reiz verloren. (Eine Ausnahme bildet vielleicht in Maßen das Buch von Frau Käßmann). - Allerdings ist die Kürzung nicht nur inhaltlich zu begründen. Heute wird *viel* weniger gesungen als früher, in Gottesdiensten des 18. und 19. Jahrhunderts wären wohl tatsächlich 15 und mehr Liedstrophen durchgesungen worden. Entsprechend länger dauerten die Gottesdienste, da konnte auch eine 'kurze' Predigt ruhig anderthalb Stunden haben.

Ich verstehe den Schluß der zweiten Strophe nicht, kannst du mir helfen? Eine rhetorische Frage im Sinne von "Kein Mensch läßt auch nur ein Glied seines Körpers zurück"? Dann wäre die leibliche Auferstehung ja doch schon hier Thema, wenn auch durch die Formulierung verschleiert.

Maglor
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So 29. Aug 2010, 19:42 - Beitrag #3

Jaja, so wird der christliche Glaube mit seinen ursprünglich ziemlich konkreten Bildern aufgeweicht.

Der Schluß der zweiten Strophe erschien mir auch sonderbar. Ich habe die ganze Sache so verstanden:
Haupt = Kopf
Glied = Pars pro toto = Körper
Das Glied lassen = den Kopf verlieren
Das Haupt zieht die Glieder nicht nach sich.
Da ergibt das Fragezeichen aber keinen Sinn. ;)
Vielleicht steht das auch im Zusammenhang mit Strophe:
[INDENT]Seid getrost und hocherfreut,
Jesus trägt euch, seine Glieder.[/INDENT]
Wenn das Haupt, die Glieder nicht mehr trägt, dann macht es der Herr Jesus.

Lykurg
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So 29. Aug 2010, 21:09 - Beitrag #4

Danke, du hast völlig recht, und dann ist auch das Fragezeichen sinnvoll: "auch" ist in der Sprache der Zeit ganz oft "denn". -> "Läßt denn ein Kopf (Christus) seinen Körper zurück?" - in der Tat Glied (ich) als Pars pro toto (Christenheit). Das wird dann auch in der dritten Strophe direkt aufgenommen bzw. negativ beantwortet: Ich bin zu eng mit ihm verbunden, als daß er mich zurücklassen würde.
Damit ist das apokalyptische Bild in der siebten Strophe nochmal großartiger (und hier lese ich es anders als du): Jesus, der Kopf, trägt die Glieder - also auch hier eine Umkehr der Verhältnisse wie schon in seiner Geburt und Passion.

Maglor
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So 29. Aug 2010, 21:34 - Beitrag #5

Oh ja, Christus ist das Haupt, die Gemeinde der Christen ist der Leib.
Das eine Glied jedoch ist ein einziges Menschlein, das gestorben ist. Hierbei handelt es sich jedoch um kein Pars pro toto, denn es ist nur eine Fortsetzung der anderen Metapher. Wenn die Gemeinde ein Leib ist ud Jesus ihr Haupt, dann ist der einzelne Mensch nur ein Glied jenes Leibes.
Mit den richtigen biblischen Versen wird die Strophe gänzlich verständlich. Schon beeindruckend wie hier biblische Bildsprache aufgegriffen wird.

[INDENT]Ich lasse euch aber wissen, dass Christus ist eines jeglichen Mannes Haupt; der Mann aber ist des Weibes Haupt; Gott aber ist Christi Haupt.
1. Korinther 11,3[/INDENT]
(Man beachte den dezenten Hinweis auf patriarchale Strukturen.)

[INDENT]Und er (Christus) ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde; er, welcher ist der Anfang und der Erstgeborene von den Toten, auf daß er in allen Dingen den Vorrang habe.
Kollosser 1,18[/INDENT]

Lykurg
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So 29. Aug 2010, 23:31 - Beitrag #6

Ja, so sah ich es ja auch (und die Kolosser-Stelle bestätigt ja auch nochmal die inhaltliche Nähe zur Menschengestalt Christi). Wobei die enge textliche Anlehnung angesichts der Bibelgelehrtheit der damaligen Zeit nicht weiter überraschend ist. Wenn viele Leute ganze Bücher mehr oder weniger auswendig kannten und jedenfalls die relevanten Stellen dieser Art an den Fingern herbeisagen konnten, war es nur naheliegend, sich auch in den Liedtexten daran zu orientieren. Neue Kirchenlieder können kaum auf diesen Fundus zurückgreifen, die Referenzen könnten kaum noch verstanden und aufgelöst werden.

Ipsissimus
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Mo 30. Aug 2010, 17:15 - Beitrag #7

das Menschenbild der Bibel kennt im Prinzip keine Individuen, sondern nur Knospen. Die Individuen sind nur Knospen eines einzigen großen Organismus, dessen Hauptknospe (Gehirn) eben in Jesus gesehen wird. Deswegen ist die ewige Verdammnis auch keine Bösartigkeit, Gott empfindet dabei so wenig wie unsereins, wenn wir die Fingernägel oder die Haare schneiden. Wenn jetzt aber das Gehirn lebt, lebt der gesamte Organismus. Deswegen keine Sorgen wegen des Todes. So zumindest die kristliche Illusion.

Maglor
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Mo 30. Aug 2010, 21:45 - Beitrag #8

Zitat von Lykurg:Neue Kirchenlieder können kaum auf diesen Fundus zurückgreifen, die Referenzen könnten kaum noch verstanden und aufgelöst werden.

Och, wieso denn, macht doch keinen Unterschied zu den altbekannten. Die versteht ja auch keiner und es funktioniert so gut.
Der greise Publikum beschwert sich ohnehin, wenn die komischen Lieder gesungen werden, mit den unbekannten Texten. Die Texte sind dann natürlich entweder inhaltsleer, kindisch oder auf englisch, also voll modern. (An der Stelle teilt natürlich auch niemand die weltentsagenden Texte aus den Südstaaten, aber die versteht ja auch keiner.)


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