Damals, in meinem Leben vor dem Tod

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Ipsissimus
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Sa 16. Apr 2011, 16:25 - Beitrag #1

Damals, in meinem Leben vor dem Tod

Was passiert mit uns, wenn wir uns alte Fotos von uns selbst anschauen? ...

....

Das waren wir. Damals, als wir noch nicht in der Erfüllung von Erwartungen funktionierten ...

Der Glaube an die eigene Größe verliert sich, irgendwann, wenn wir zu müde sind, von all dem Hass, in dem wir schwimmen, jeden Tag, und wir nicht mehr nachdenken, wir automatisch aufstehen, Kaffee, loshetzen, in ein Gebäude gehen, Pflicht erfüllen, müde sein, zu Bett gehen, keine Hoffnung mehr haben, irgendwann dann diese Endlichkeit, die uns klar wird. Die Beschränkung, die uns klar wird. Das Versagen, das uns klar wird. Wir sind nicht die Ausnahme geworden, wir haben die Welt nicht verändert und nichts wird bleiben von uns.


(Zitat gekürzt, Volltext im Link - Traitor)

Zitat noch mal geändert, damit es das enthält, was mir an dem Text wichtig ist - Ipsissimus

Sibylle Berg in http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,757364,00.html

e-noon
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Sa 16. Apr 2011, 20:51 - Beitrag #2

Eigentlich habe ich beim Lesen der ersten Zeilen etwas anderes erwartet, aber das liegt sicher an mir. Ich dachte zunächst, es gehe darum, dass man frühere Ichs als tot betrachten könne, aber so tiefsinnig ist es ja nicht gemeint, es geht ja eher um einen etwas bitter-melancholischen Rückblick auf bessere Zeiten.

Der Artikel ist bewusst in einfacher Sprache gehalten, der es wohl leicht machen soll, sich einzufühlen und die beschriebenen Sachverhalte als Selbsterlebtes anzuerkennen, aber mich stößt das in Verbindung mit Sätzen, die künstlich Allgemeingültigkeit herstellen wollen, z.B.
Wir sehen Fotos an, die Finger werden trocken, es riecht nach Staub, wir erkennen uns nicht. Alte Mode ist nur für Idioten lustig, alte Haarschnitte auch, wir fühlen nichts,
, eher etwas ab. Wenige der geäußerten Gedanken stimmen mit meinen Erlebnissen überein, und das Gesamtbild schon gar nicht. Es wird das Bild einer unschuldigen und noch von hehren idealen geprägten Kindheit beschworen, die mit dem jetzigen Leben kontrastiert wird; bei mir hingegen ist es so, dass die Kindheit eben einfach zeitlos verlief, zweifellos ungewöhnlich schön, aber nichts, das ich vermisse und jetzt nichts haben kann; in der Jugend haben sich dann die Ideale allmählich ausgebildet und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich anfange, sie auszuleben, mit anderen Worten, mein Ausblick auf das Leben war selten positiver als jetzt.

Spaßeshalber kann ich ja mal Aussagen zitieren, die auf mich nicht zutreffen:
Dieser unselige Hang des Weißen zum Tanz in Afrika, da bricht das Temperament mit ihm durch,
Kann ich an mir nicht erkennen, Afrika, Sprache, Kultur, Landschaft lässt mich völlig kalt, mein Temperament lebe ich in anderer und sehr viel erfüllenderer Weise aus.

Also nichts los auf der Welt an diesem Sonntag, zum Lesen fehlt das Buch und dann zerrt man den Kasten unter dem Bett hervor, neben den toten Hamstern steht das Ding.
Ein sehr schöner Teil meines Lebens sind Bücher, es sind immer ein paar ungelesene da, deren Lockrufe ich an einem verregneten Sonntag vernehmen würde, jüngst erst kam eines dazu, auf das ich sehr gespannt bin, in Durham wartet schon der Kierkegaard, Nietzsche habe ich noch gar nicht richtig gelesen...

Und auf einmal starrt man mit Tränen in den Augen das Bild an, erinnert sich an die eigene Niedlichkeit.
Ich weise Niedlichkeit von mir, insbesondere die Erinnerung daran. Ich würde auch wohl nicht über eigener Niedlichkeit in Tränen ausbrechen. Umso mehr, als es wohl eher um innere Niedlichkeit gehen soll, die auf eigenen Bildern festzuhalten extrem schwierig ist, insbesondere, wenn man ein gespanntes Verhältnis zu Kameras hat. Was ich mir vorstellen kann, ist die Erinnerung an eine schöne Zeit beim Anblick eines Fotos; aber das hat ja mit dem hier beschriebenen wenig zu tun.

als wir noch eigene Sätze sprachen, und nicht angelernte Erwachsenengedanken verwendeten. Als wir noch nicht anzogen, was man halt so trägt, wenn man nicht auffallen will. Das waren wir, als wir noch glaubten, dass wir allein alles anders machen würden, und nie so ein furchtbares Leben führen würden wie die Menschen um uns.

Ich behaupte, dass ich als Kind mehr angelernte Erwachsenengedanken verwendete als jetzt, da ich nun mehr Gedanken kenne und mir daher mehr Kombinationsmöglichkeiten offenstehen. Ich glaube immer noch, dass ich allein alles anders mache, und zumindest für mein Leben scheint das auch zuzutreffen. Die Menschen um mich führen nicht alle ein furchtbares Leben, und wo doch, genießen sie es zum Teil dennoch; meist kommt es mir aber höchstens von außen furchtbar vor und das auch nur, weil es für mich nichts wäre, aber man gewöhnt sich an vieles und Menschen sind verschieden. Ich kenne sehr inspirierende Menschen mit vielfältigen Lebensentwürfen und versuche mich eher an den beglückenden davon zu orientieren, als zu lange über die weniger zufriedenstellenden nachzugrübeln.

Der Glaube an die eigene Größe verliert sich, irgendwann, wenn wir zu müde sind, von all dem Hass, in dem wir schwimmen, jeden Tag, und wir nicht mehr nachdenken, wir automatisch aufstehen, Kaffee, loshetzen, in ein Gebäude gehen, Pflicht erfüllen, müde sein, zu Bett gehen, keine Hoffnung mehr haben, irgendwann dann diese Endlichkeit, die uns klar wird.
Kein Hass zu merken hier; müde bin ich zwar, aber das lässt sich relativ einfach ändern; ich denke jeden Tag extrem viel, stehe selten automatisch auf, Kaffee mag ich nicht, Gebäude sind nett, Pflicht ebenfalls, Hoffnung habe ich extrem viel, und Endlichkeit ist auch nicht so schlimm, eben das, worüber man sich in tristeren Momenten freuen kann.

Hast du den Artikel gepostet, weil du sehr einverstanden warst oder eher, weil du viele provokante Thesen sahst?

janw
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Sa 16. Apr 2011, 21:38 - Beitrag #3

e-noon, ich glaube, hiermit rührst Du an dem kritischen Punkt:
Zitat von e-noon:in der Jugend haben sich dann die Ideale allmählich ausgebildet und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich anfange, sie auszuleben, mit anderen Worten, mein Ausblick auf das Leben war selten positiver als jetzt.

In Deinem Alter wäre es mir wohl recht ähnlich ergangen mit dem Text, frühere Ichs tot, Tretmühle, Versagen, wovon redet die eigentlich??
Irgendwann ändert sich diese Sicht, wenn irgendwann Alter und Arbeitszeit mit Status gleich gesetzt wird, einer Stelle im Beruf, in der man etwas ist - und man sich täglich abmühen muss, diesen Status zu halten, denn der nette rangniedere Kollege ist nur aus bestimmten Gründen nett, zugleich...naja, ob die nächste Stufe noch zu schaffen ist? Oder nur um den Preis von noch mehr Stress mit Angela und den Kindern zu Hause - die andererseits ja gerne mal einen Zweiturlaub in Ägypten verbringen würde, so wie die Schmidts von nebenan?

Ipsissimus
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So 17. Apr 2011, 10:11 - Beitrag #4

e-noon, ich denke, du kannst mit dem Text nichts anfangen, weil du in einem Alter bist, in dem alles Wesentliche noch vor dir liegt; mich hat der Text berührt, weil ich in meinem Alter alles Wesentliche schon hinter mir habe. Mich würde es wirklich überraschen, wenn noch irgendetwas passierte, was mich überrascht.

Übrigens mag ich Sibylle Berg eigentlich gar nicht^^ viele ihre Bücher und Themen kommen mir wie an den Haaren herbei gezogen vor. Aber dieser Text - seine stilistigen Schrulligkeiten mal außen vor gelassen - hat mich berührt^^

ich weiß nicht mehr wer, irgend ein Schriftsteller hat es mal kürzer gesagt: derjenige, der ich bin, grüßt bedauernd jenen, der ich hätte werden können.

e-noon
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So 17. Apr 2011, 11:33 - Beitrag #5

ich weiß nicht mehr wer, irgend ein Schriftsteller hat es mal kürzer gesagt: derjenige, der ich bin, grüßt bedauernd jenen, der ich hätte werden können.
Bis auf das 'bedauernd' könnte ich da auch zustimmen; ich verstehe aber durchaus das Gefühl, wenn ich es auch derzeit nicht empfinde. Schon mit 15, 16 wird man sich bewusst, dass die Möglichkeiten immer geringer werden und es schon sind. Mit 3 hätte ich vielleicht noch ein berühmter Geiger werden können... während der Schulzeit hätte ich einiges lernen können... aber die Biegungen und auch die Faulheiten und versäumten Gelegenheiten machen einen zu dem, was man ist, und das muss nichts schlechtes sein. Vielleicht sollte ich aber noch mal in den Thread schreiben, wenn ich ein paar Jahrzehnte gelebt (und gearbeitet) habe... wäre sicher interessant.

Traitor
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So 17. Apr 2011, 23:06 - Beitrag #6

Das Eingangs-Quasi-Vollzitat habe ich mal etwas gekürzt, die wichtigsten Punkte hat e-noon dann ja auch mit Kommentar erneut aufgegriffen.

Muss man diese Frau Berg als Publizistin kennen, Ipsi? Bisher fiel sie mir nur mit den penetrant platzierten Kolumnen beim Spiegel auf, die eben wegen dieser Darbietung dann weitgehend im Spamfilter landeten...

Besonders der Afrika-Satz hat für mich überhaupt keine Daseinsberechtigung, Wahrheitshaltigkeit oder auch nur Anbindung an den Rest des Artikels, auch ansonsten halte ich den Schreibstil für ähnlich armselig, wie e-noon es ausführte.

Inhaltlich steckt aber sicher einiges im Text. Den Photo-Nostalgismus als oberflächlichsten Aspekt kenne auch ich in meinem Alter bereits, wenn auch digital in entlegenen Ordnern statt analog unterm Bett. Ja, Unbekümmertheit, Spontaneität und Chancenvielfalt verliert man schnell. Aber das ist bei uns natürlich noch massiv abgemildert dadurch, zu wissen, dass diese Optionen prinzipiell noch da sind, es noch früh genug im Leben wäre, sich umzuorientieren, entweder mehr für den täglichen Spaß zu leben, oder sich im Gegenteil in einer bestimmten Nische voll zu verwirklichen. Dennoch ist irgendwie schon klar, dass das nur noch Tagträume sind, und man sich irgendwann, ganz diffus vor unbestimmter Zeit, so genau wissen das sicher die wenigsten, für einen bestimmten Lebensweg entschieden hat. Man kann nur hoffen, dass er sich nie als Sackgasse herausstellt.

Oder eben doch so leben, handeln und wahrnehmen, dass man sich weiterhin möglichst viele Alternativen als latente Potentiale erhält - es gibt neben Jans Angela-Ehemännern und Schmidt-Nachbarn ja auch gegnügend Beispiele von Menschen, die sich beliebig spät in ihrem Leben weitgehend umorientiert haben, nochmal etwas komplett Neues angefangen haben, oder zu ihren verschütteten Wurzeln zurückkehrten. Wenn man nicht gerade in eine besonders harte Zwangslage (Krankheit, Behinderung, überintensive familiäre Belastungen oder auch nur Bindungen...) gerät, hat man fast immer die Chance, das Leben weitgehend so zu leben, wie man es möchte, so man es möchte.

Ipsissimus
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Mo 18. Apr 2011, 00:35 - Beitrag #7

ich habe das Zitat noch mal geändert

na ja, sie galt vor etwa 15 Jahren nach einer äußerst wohlwollenden Reich-Ranicki-Besprechung als DIE Hoffnung der gehobenen neueren deutschen Literatur. Das galt sie dann eine ganze Zeit lang, und jetzt ist sie Kolumnistin beim Spiegel und veröffentlicht immer noch gelegentlich mal ein Buch^^

Lykurg
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Mo 18. Apr 2011, 10:20 - Beitrag #8

Das Alter mag als beinahe notwendige Bedingung für Übereinstimmung gelten, auch wenn ich ebenso wie Traitor (und ganz am Rande e-noon) Übereinstimmungen feststelle, wie (allerdings auch eine banale Sache:) Retrospektiven bei Betrachten alter Photos von sich selbst oder den Gruß an das frühere oder spätere Ich, den ich gern gelegentlich praktiziere. ( Bild ^^)

Generell frage ich mich aber auch, wer in meinem Umfeld (z.B. meine Eltern und ihr Freundeskreis, Arbeitskollegen, Verwandte, ältere Bekannte) diese Positionen teilen würde, und habe Schwierigkeiten, mehr als eine kleine Handvoll von Leuten zu finden, bei denen ich mir Ähnliches vorstellen kann. Spannend ist das aber schon, auch weil ich merke, daß ein bestimmtes Alterssegment auch in meinem weitesten Bekanntenkreis kaum vertreten ist, und wenn, dann jeweils so positiv wirkend, daß eben die Vorstellung absurd scheint. Möglicherweise steht dahinter teilweise dann auch ein Rechtfertigungsdruck, der Gesellschaft eine schöne Fassade zu zeigen, und dahinter entsprechend eine Dunkelziffer von Zustimmenden, aber das kann ich wirklich nicht beurteilen.

Ipsissimus
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Mo 18. Apr 2011, 12:07 - Beitrag #9

in welchem Sinne positiv wirkend, Lykurg?

e-noon
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Mo 18. Apr 2011, 12:19 - Beitrag #10

Zitat von Ipsissimus:in welchem Sinne positiv wirkend, Lykurg?

Aus dem Kontext würde ich vermuten, das soll 'lassen eine positive und bejahende Einstellung zum Leben erkennen' heißen. Den Eindruck kann ich zumindest für meine Familie bestätigen und vermute, dass die Stichprobe nicht ganz repräsentativ ist, denn da es sich um meine Familie handelt, ist bei jedem schonmal etwas vorhanden, das ich als sehr wichtig zumindest für mein eigenes späteres Wohl ansehe, die Einbindung in eine liebevolle, loyale Familie, insbesondere auch ein sehr guter Bezug zur (selbst produzierten :D ) nächsten und übernächsten Generation, mit der und durch die das Leben weiter sehr spannend und vielfältig bleibt und deren Billigung und Unterstützung einem auf Dauer wohl stärkere Bestätigung und Anerkennung verschafft, als das allein durch eine mehr oder weniger zufriedenstellende Arbeit möglich ist.

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Mo 18. Apr 2011, 12:31 - Beitrag #11

Ich mag da erst was zu dem Text, dann zu manchen Beiträgen hier was anmerken.

Was passiert mit uns, wenn wir uns alte Fotos von uns selbst anschauen? Was macht uns in so einem Moment traurig? Begreifen wir unsere eigene Vergänglichkeit? Oder wird uns plötzlich klar, dass wir schon längst gestorben sind?
Weder machen mich alte Fotos zwangsweise traurig noch sehe ich, das ich bzw. Teile von mir schon gestorben sind. Mein Fokus liegt vielmehr darauf, dass ich immer wieder neu geboren werde, also (An-)Teile hinzukommen, die ab dann begeistern können, gerade auch weil ich sie vorher weder bewsst ahnte noch (folgerichtig) vermisste.


Wie könnte uns das nahende Ende traurig machen, da wir doch jeden Tag an unseren Tod denken und uns genauso verhalten, immer bewusst, dass wir nur eine lächerliche Zeit auf der Welt sind, und uns angehäufte Besitztümer nichts nützen werden?
Derart asketisch sehe ich die Frage von Besitztümern nicht. Zwar vermute auch ich, dass irdischer Besitz nach dem irdischen Tod keine wirkliche Auswirkung mehr haben wird; auch bin ich niemand, der sich vor allem über Luxus und Besitz definiert, aber so manches besitztum nutzt einem doch sehrwohl. Und wenn es nur ein PC mit Internetzugang ist, um bei der Matrix mitmischen zu können^^


Es geht nicht um die eigene Vergänglichkeit beim Betrachten vergilbter Bilder, die in Kästen lagern, die man aus irgendeiner Ecke zerrt, an verregneten Sonntagen, wenn man sich zu Tode langweilt, weil im Fernsehen Schuldnerberater reden, oder Köche oder merkwürdige Stars gezeigt werden, die mit farbigen Menschen tanzen.
Was bitte war Langeweile? Diesen Zustand kenne ich seit 18 Jahren nicht mehr.


Wir sehen Fotos an, die Finger werden trocken, es riecht nach Staub, wir erkennen uns nicht.
Ich erkenne mich auf jedem Bild, was es von mir gibt, sofort und problemlos wieder. Irgendwie ist die Autorin anders als ich...


Damals, als wir noch nicht in der Erfüllung von Erwartungen funktionierten, als wir noch eigene Sätze sprachen, und nicht angelernte Erwachsenengedanken verwendeten.
Wenn ich angelernte Gedanken verwendete und verwende, dann weil ich sie mir bewusst zu eigen mach(t)e. Zu den Erwartungen kann ich meinen Eintrag in ein Poesiealbum zum Ende der Grundschulzeit zitieren, als ich bei Lebensmotto (wohl u.a.?) schrieb: Temporär gezieltes nicht erfüllen von Erwartungen.


Als wir noch nicht anzogen, was man halt so trägt, wenn man nicht auffallen will.
Nicht negativ auffallen kann ich ja noch verstehen, aber das dürfte wohl nicht nur bei mir nicht das einzige oder stärkste Motiv bei der Wahl von Kleidung usw. sein.


Das waren wir, als wir noch glaubten, dass wir allein alles anders machen würden, und nie so ein furchtbares Leben führen würden wie die Menschen um uns.
In dem Anspruch, allein und alles anders zu machen, erkenne ich einen verfehlten Leistungsgedanken. Zwar entstanden und entstehen bei mir Motive/Handlungen durch ein etwas anders wollen, doch denke ich mich nicht überall als abgeleitete Abweichung von anderen, sondern mache ich vieles, so wie ich es machen kann und will, was zugegeben nicht selten schon dazu führt, dass es anders als bei vielen anderen ist.
Bei dem Passus mit dem furchtbaren Leben mache ich mir fast schon Sorgen um die Autorin und deren Umfeld....


Der Glaube an die eigene Größe verliert sich, irgendwann, wenn wir zu müde sind, von all dem Hass, in dem wir schwimmen, jeden Tag, und wir nicht mehr nachdenken, wir automatisch aufstehen, Kaffee, loshetzen, in ein Gebäude gehen, Pflicht erfüllen, müde sein, zu Bett gehen, keine Hoffnung mehr haben, irgendwann dann diese Endlichkeit, die uns klar wird.
Die Endlichkeit hat bei mir eher keine so große (bremsende) Auswirkung auf mein Leben im jetzt und hier. Das ich in Hass schwimme kann ich gottlob reinen Gewissens weit von mir weisen. Ein automatisches handeln/leben ohne nachdenken mag es bei mir teils auch geben, aber weit eher dominiert ein vielleicht schon zu hinterfragend reflektierendes vieles immer wieder neu wahrnehmendes und angehendes handeln.


Wir sind nicht die Ausnahme geworden, wir haben die Welt nicht verändert und nichts wird bleiben von uns.
Das hat was von "ich will nicht so werden wie meine eltern", bei dem wohl zu oft zu sehr darauf fokussiert wird, nicht zu werden wie andere - statt durchaus natürlich das eigene Umfeld betrachtend herauszufinden, wie man für sich selber werden will und das dann auch anzustreben. Zu denen, die die Welt verändern wollten, gehörte ich nie - dafür gelang und gelingt es mir schon, meine Welt im Rahmen meiner Möglichkeiten für mich zu nutzen und anzupassen. Da habe ich dann durchaus jetzt von was und finde insofernd en Aspekt, ob und ggf. was an mich überdauernden Dingen oder Erinnerungen bei wem bliebt doch eher periphär.


und sich daran erinnert, dass man sich irgendwann unendlich gefühlt hat.
Anstatt zu reflektiere oder gar bedauern, das man mal und nun wohl doch nicht unendlich ist, scheint es mir cleverer die potentiell unendlichen Optionen und Entscheidungsmöglichkeiten, die man als Mensch hat, für sich nach bestem Wissen und Gewissen zu nutzen.
Ist gewiss anstrengend.
Ist aber auch das, was die Besonderheit des menschlichen Lebens ausmacht.
Ist ganz gewiss etwas wunderbares, das zu missen ich mir weder vorstellen will noch zu vermag.
:) :cool:


Vor dem Hintergrund teile ich die hier letztlich wohl bei allen mitschwingenden Zweifel an dem text in dem Sinne, dass den eher keiner von uns als für sich mehrheitlich stimmig empfindet.


@janw/Ipsissimus: nur prospektiv, als vom Alter wohl näher an e-noon als an Euch, kann und will ich dennoch vermuten, auch wenn ich mal alt bin den text weiter kritisch zu sehen. Zumindest existieren in meinem Umfeld auch ältere Menschen, die zwar de facto durch gewisse Strukturen durch Beruf usw. diese - ich sag mal - Starrheiten des Lebens um sich haben, aber dennoch gewiss an vielen Stellen in meinem Sinne denken und empfinden.


Zitat von e-noon:Bis auf das 'bedauernd' könnte ich da auch zustimmen]Vielleicht sollte ich aber noch mal in den Thread schreiben, wenn ich ein paar Jahrzehnte gelebt (und gearbeitet) habe... wäre sicher interessant.
Genauso ergeht es mir, es hätte gerade auch für mein Leben andere Pfade geben können, die als "besser" sich zu beurteilen gewiss auch mancher angemaßt hätte, doch e-noons nicht bedauern kenn ich als zwar früher mögliche Alternativen bewusst aus heutiger Sicht erkennen und dennoch soweit in mir ruhen und mit mir im reinen zu sein, dass ich von temporären Irritationen abgesehen mit mir und meinem Leben zufrieden bin.
Den Ansatz der Wiedervorlage in mehreren Jahrzehnte finde ich reizvoll, wenngleich ich auch eine gewisse verunsicherung verpüre, ob ich dann noch daran denke und wie ich das dann umsetzten werde^^

janw
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Mo 18. Apr 2011, 15:26 - Beitrag #12

009, Du meinst es sicher nicht, aber mir kommt der Gedanke, daß das Phänomen vielleicht ein bisschen zeitgeist-gebunden ist, vielleicht ein Gefühl, das irgendwie für die Rund-68er, vielleicht die Baby-Boomer besonders zutrifft. Eine Zeit, in der erstmals auf breiter gesellschaftlicher Front Leben nicht mehr nach dem Leben der Eltern vorbestimmt war, sondern eine Sache der eigenen Hand.
Denkbar, daß bei jenen, die zu entsprechendem Lebenszeitpunkt in entsprechend unangreifbarer Situation sind, dieses Gefühl weniger verbreitet ist - dafür dort vielleicht eher burn-out - als bei jenen, die stärker in der Tretmühle stecken oder ein Leben auf Messers Schneide leben.
Obwohl andererseits...sprechen die Scheidungsraten in bestimmtem Alter eine andere Sprache?

009
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Di 19. Apr 2011, 10:11 - Beitrag #13

Zitat von janw:Eine Zeit, in der erstmals auf breiter gesellschaftlicher Front Leben nicht mehr nach dem Leben der Eltern vorbestimmt war, sondern eine Sache der eigenen Hand.
Denkbar, daß bei jenen, die zu entsprechendem Lebenszeitpunkt in entsprechend unangreifbarer Situation sind, dieses Gefühl weniger verbreitet ist - dafür dort vielleicht eher burn-out - als bei jenen, die stärker in der Tretmühle stecken oder ein Leben auf Messers Schneide leben.
Das hat was für sich. Wobei vorbestimmt, eigene Hand, unangreifbar, Tretmühle mich (insofern unabhängig oder/und ergänzend zu den vorherigen Ausführungen) an eine Art Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit denken lassen. Freiheit, extrem viel selber zu gestaltung und entscheiden, das aber zugleich als recht große und nicht wirklich ignorierbare Aufgabe mangels Automtismen, die bei nicht (selbst) entscheiden zu "guten" Lösungen führen. Sicherheit, vielleicht nicht den erträumten oder für sich als bestmöglich erahnten Weg zu gehen oder gehen zu können, aber dafür sich relativ leicht auf einem stärker vorgezeichneten weg zu befinden, der zumindest viele Grundbedürfnisse auch mittelfristig sicher sichern kann.

Lykurg
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Di 19. Apr 2011, 11:38 - Beitrag #14

e-noons Deutung meiner Aussage kann ich komplett zustimmen, das entspricht genau meiner Ansicht und dem, was ich an dieser Stelle zumindest implizit auch meinte. Bild

janw, genau das fiel mir auch auf, nämlich daß in meinem Bekanntenkreis auch in der älteren Generation 68er und Babyboomer stark unterrepräsentiert sind, entsprechend mein Bild deren Befindlichkeiten, wenn sich das überhaupt so pauschal sagen läßt, eher nicht abdeckt.

009s fragmentarische Überlegungen teile ich, soweit ich sie verstehe, wenn auch die Abwägung zwischen asphaltiertem Weg und selbstgebahnten Trampelpfaden mir schwieriger erscheint und mE im Endeffekt eben doch dem Nous bzw. der Nase nach gegangen werden muß, um das wahre Ziel zu erreichen und unterwegs nicht zu ermüden.

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Mi 20. Apr 2011, 16:08 - Beitrag #15

Ipsissimus wie alt bis du den? 85 Jahre? Das du meinst
weil ich in meinem Alter alles Wesentliche schon hinter mir habe. Mich würde es wirklich überraschen, wenn noch irgendetwas passierte, was mich überrascht.


Ich finde das Leben steckt immer wieder voller Überraschungen...bin jeden Tag darüber erstaunt, dass ich Wiedererwartens aller Meinungen und Statistiken studiere ;) Ich habe Abi, was wie nochmal...hehe stimmt hab ich^^immer wieder toll!

Mich über alte Fotos von mir wundere ich mich nur, dass mein Körperempfinden, was ich damals hatte nichts mit dem Foto zu tun hat...aber selbst das empfinde ich nicht als schlimm, nur schade, dass mir damals keiner gesagt hat, wach mal auf^^....fazit meine Töchter bekommen keine Babys, hehe!

Irgendwas bereuen, nachtrauern...nee!
Der Satz: "So kann es sein, so kann es bleiben, so hab ich es mir gewünscht!" klappt mal mehr mal weniger, unterm Strich mehr

(So nun auch noch den Rest weiterlesen^^)

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Mi 20. Apr 2011, 16:30 - Beitrag #16

gefühlt wesentlich älter, Makeda^^ biologisch etwas jünger als der Krebs deiner Schätzung^^

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Do 21. Apr 2011, 21:29 - Beitrag #17

Zitat von Ipsissimus:na ja, sie galt vor etwa 15 Jahren nach einer äußerst wohlwollenden Reich-Ranicki-Besprechung als DIE Hoffnung der gehobenen neueren deutschen Literatur. Das galt sie dann eine ganze Zeit lang, und jetzt ist sie Kolumnistin beim Spiegel und veröffentlicht immer noch gelegentlich mal ein Buch^^
Von der Sorte gibt es auch Dutzende, oder? *g*

@Jan: Interessanter Punkt, nicht das absolute Alter, sondern den Geburtsjahrgang zu betrachten. Gerade dieses Ankommen in einem Leben, das man früher verachtet und bekämpft hat, könnte etwas sein, was sowohl frühere als auch spätere Generationen im selben Alter nicht hatten / haben werden.

@Ipsi vs. Makeda: Man muss es schon probabilistisch betrachten. Wie ich zuvor schrieb, aus jedem Lebensalter kennt man Fälle von Menschen, denen noch Neues, Überraschendes passierte, oder die es sich selbst erarbeiteten. Aber die Chance dazu fällt natürlich ziemlich monoton.

Ipsissimus
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Fr 22. Apr 2011, 11:40 - Beitrag #18

Dutzende vielleicht nicht gerade, aber einige^^ und nicht alle positiven Besprechungen Reich-Ranickis führen zum Absturz des/der Besprochenen^^ Ulla Hahn z.B. hat trotzdem noch richtig gute Bücher rausgehauen. Die Berg ist irgendwie auf ihrem Stil sitzen geblieben.

Ja, es ist natürlich Probabilistik. Ich bestreite nicht, dass ich wahrscheinlich noch Dinge erleben werde, die insofern neu sind, als ich sie noch nie erlebt habe. Nur dass sie noch etwas neues bedeuten werden halte ich für überaus fraglich. Dazu ist meine innere Distanz zu "den Dingen" viel zu groß. Und diese Distanz steht nicht einfach so zur Disposition, sie ist Ergebnis von Entwicklung, der Verarbeitung von Erfahrungen. Man kann Erfahrungen nicht rückgängig machen.

Traitor
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Do 28. Apr 2011, 22:02 - Beitrag #19

Ohne mir anmaßen zu wollen, das beurteilen zu können, daher nur als Frage formuliert: du schriebst schonmal, dass du im Laufe deines Lebens mehrfach sehr grundsätzliche Aspekte deiner Geisteshaltung und Lebensführung radikal geändert hättest. Etwas, was wohl nur auf eine Minderheit der Menschen zutrifft. Könnte dies nicht auch die Chance gerade erhöhen, dass du zu jener kleinen (noch kleineren) Gruppe gehören wirst, die auch im hohen Alter nochmal etwas ganz neues erleben, das auch wieder etwas neues bedeutet?

Ipsissimus
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Do 28. Apr 2011, 23:33 - Beitrag #20

sag niemals nie^^ es ist möglich, sicher. Ich vermag nur überhaupt nicht abzusehen, was so komplett neu in seinem Neuigkeitswert sein sollte. Ärgerlich und unangenehm könnte noch Vieles werden, aber überraschend ...

na gut, eines wüsste ich vielleicht^^ wenn die Menschheit in toto plötzlich lernen würde, was Güte und Freundlichkeit sind. Ich glaube, da würde ich vor Überraschung tot umfallen.

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