Hallo motte!
Interessante Frage, die du da aufwirfst, mit vielen unterschiedlichen Facetten. Ich will einmal versuchen, auf alles nach Kräften einzugehen.
Denn, Zitat: Die Kirche nimmt auch jene Sünder wieder auf, die ihr einmal bewusst den Rücken gekehrt haben.
Was ist damit gemeint? Dass es außerhalb des Katholischen keinen freien Willen gäbe?
Ich bin auch ziemlich sicher, dass es so gemeint war, dass die katholische Ideologie zwangsweise einen freien Willen umschließt, da es gemein von Gott wäre, jemanden eine Ewigkeit in der Hölle schmoren zu lassen für eine böse Tat, die er zwangsweise begehen
musste.
Da du die Frage auf dem Raucherhof gehört hast, werde ich das einmal als Beispiel aufgreifen. Wenn man mit dem Rauchen anfängt, ist das in der Regel freiwillig, dh. niemand zwingt einen mit vorgehaltener Waffe, das zu tun. Man ist aber häufig noch sehr jung, und je jünger ein Mensch ist, desto weniger Erfahrung hat er in der Regel und weniger Zeit, Willensstärke und eigene Prinzipien zu entwickeln. Gleichzeitig kommt in vielen Fällen ein leichter bis mittelschwerer sozialer Druck hinzu, die Zigarette wird einem von jemandem angeboten, dem man in der Situation ungerne etwas abschlagen möchte. Man ist also in mehrerer Hinsicht in seiner Freiheit eingeschränkt, wenn man unter diesen Umständen das erste Mal zur Zigarette greift, aber im Gegensatz zu vielen anderen Situationen ist man noch relativ frei: Man könnte die Zigarette ablehnen, und außer einem Stirnrunzeln und ein paar dummen Kommentaren hat man keine Schwierigkeiten zu erwarten.
Hat man dann angefangen zu Rauchen, gesellen sich zum sozialen Druck zum einen die Gewohnheit, zum anderen die physische Abhängigkeit: Wenn man nun aufhört zu rauchen, vermisst man vielleicht die Zigarette in der Hand, die kurzen Pausen, in denen man mit anderen quatschte, und man fühlt sich nervös und schlecht, weil dem Gehirn die gewohnten Suchtstoffe fehlen. Nun hat man also schon deutlich mehr Barrieren, gegen die man ankämpfen müsste, wenn man sich entschließen wollte, mit dem Rauchen aufzuhören.
Wenn man hingegen dann jemanden kennenlernt, den man mag, der aber Rauchen grässlich findet, hat man wieder eine Motivation aufzuhören; wenn man von diesem oder anderen dann von Nikotinpflastern und Therapiemöglichkeiten hört, erhöhen sich wieder die Freiheitsgrade, und die Vernunft kann Wege ersinnen, wie sich das Rauchen beenden ließe, ohne die negative Auswirkungen zu spüren, die mit dem Ende einer Sucht einhergehen können.
Man kann aber zu keinem Zeitpunkt sagen 'Jetzt reicht es - ich höre auf UND ich habe keine Entzugserscheinungen.' Diese Freiheit hat man nicht. Man kann sich auch nicht dafür entscheiden, in einem Umfeld geboren zu werden, in dem nicht geraucht wird; man wird immer in eine bestimmte Umgebung hineingeboren und diese prägt einen sehr stark, ob man will oder nicht. Je nachdem, wieviel man nachdenkt und wieviel Glück man hat, kann man ein Leben in relativer Freiheit führen oder aber in großer Unfreiheit (wenn man sich beispielsweise einer Ideologie verschreibt, die das kritische Denken verbietet, wenn man in einem Land lebt, in dem Menschen als Sklaven gehalten werden, wenn man starke Drogen einnimmt, die das Denken beeinträchtigen, wenn man starke Behinderungen hat und auf andere angewiesen ist, etc.).
Ich habe gehört, dass Freud als erster Psychologe einigermaßen systematisch dargelegt hat, dass wir nicht Herr unserer Vernunft sind. Wobei ich glaube, dass in Ansätzen das schon andere Geisteswissenschaftler im Sinn hatten.
Er war vielleicht der erste Psychologe, der diese These vertreten hat, aber schon im 18. Jahrhundert bezeichnete der Philosoph David Hume die Vernunft als Sklavin der Leidenschaften, weil der Verstand nur in der Lage sei, zu entscheiden, ob eine Aussage richtig oder falsch sei, die Emotionen aber weder richtig noch falsch seien und nur die Emotionen über Zustimmung oder Abwehr eines Sachverhalts entscheiden könnten.
Oder wenn unsere Prägung überhaupt Bedingung für Freiheit ist. Ist Freiheit vllt einfach nur ein Ideal. Derjenige, der das meiste Bewusstsein über sein eigenes Wollen oder die geringste Gehemmtheit hat, empfindet dieses Wollen also natürlich und die damit einhergehende Kraft zur Erfüllung dieses Wollens bezeichnet er einfach als Freiheit.
Das kann gut sein. Ich denke, wer das meiste Bewusstsein für das eigene Wollen hat, ist noch nicht frei, aber schon freier als jemand, der blind seinen Trieben ausgeliefert ist; er kann sich aber als unfreier
empfinden, gerade weil er
weiß, wie stark sein Wollen von seiner
Vernunft unabhängig ist. Wer sich seines Wollens bewusst ist und Möglichkeiten gefunden hat, es zu beeinflussen, seinen Willen gegen momentane Begierden zu stärken, ist wesentlich freier als jemand, dem dies schwer fällt.
Noch ein Beispiel:
Man sieht ein Stück Schokolade. Sagen wir, es streiten jetzt zwei Wünsche in einem, die einander widersprechen: Der Wunsch nach Schlankheit (Attraktivität, sozialer Achtung, Anziehung auf potentielle Partner) und der Wunsch nach dem Verzehr der Schokolade (Genussstoffe, nach denen der Körper giert, Hunger stillen, Trost).
1. Unfrei wäre, ohne Nachzudenken die Schokolade zu essen und im Handumdrehen zur Kugel zu mutieren.
2. Immer noch unfrei wäre, die Schokolade wider seinen Willen zu essen und es sofort hinterher zu bereuen (diese Möglichkeit ist noch unangenehmer als die erste, denn man verfettet und hat weniger Spaß daran).
3. Schon etwas freier wäre, sich nach der Regel zu richten, dass man gar nichts Süßes mehr essen will, weil man schlank sein will. Man kann dann seinen momentanen Begierden widerstehen, aber man ist noch nicht flexibel.
4. Schon sehr frei wäre, sich ruhig hinzusetzen, den Genuss der Schokolade abzuwägen, den eigenen Schlankheitsgrad zu beurteilen und sich gemäß den eigenen Prinzipien je nach Situation für oder gegen die Schokolade entscheiden zu können, ohne dass das Gewissen einen quält und ohne dass der Körper noch eine Stunde später nach der Schokolade schreit.
Wovon kann ich frei sein? Von Ängsten, Sorgen, Verpflichtungen, Einschränkungen: der Sorge vorm Tod, Erwerbsarbeit, örtlicher Gebundenheit, Verantwortung, Willkür und Tyrannei. Warum will ich davon frei sein?
Das fasst es auch sehr gut zusammen. Warum will man davon frei sein? Weil man es nicht schätzt. Ängste und Sorgen sind negative Emotionen, örtliche Gebundenheit, Tyrannei etc. können wichtigen menschlichen Grundbedürfnissen (Sicherheit, Liebe, Nähe zur Familie, Beruf, Nahrung) entgegenstehen. Diese Grundbedürfnisse sind in der Regel nicht mehr hinterfragbar - es ist möglich, sich zu Tode zu hungern, aber in der Regel etwas, vor dem die meisten Menschen in jeder Situation zurückscheuen. Unsere Emotionen leiten uns, und abschalten lassen sie sich nicht; das ist auch gut so, denn dann würde man entweder handlungsunfähig oder müsste von außen gesteuert sein. Denn es sind die Emotionen, die unserem Wollen und Denken eine Richtung geben.