Über die Freiheit des Willens - eine Neuauflage

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motte
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Mo 31. Okt 2011, 22:42 - Beitrag #1

Über die Freiheit des Willens - eine Neuauflage

Da Kunst und Philosophie von ihrer Aktualisierung leben, möchte ich diesen Thread eröffnen.

Ich habe heute am Raucherhof auf die Frage, ob es einen freien Willen gäbe, jemanden antworten hören, dass es das im Katholischen gibt. Denn, Zitat: Die Kirche nimmt auch jene Sünder wieder auf, die ihr einmal bewusst den Rücken gekehrt haben.

Was ist damit gemeint? Dass es außerhalb des Katholischen keinen freien Willen gäbe?
Ist der freie Wille nicht etwas Bedingungsloses? Das bedeutet ich kann auch frei sein, wenn ich überhaupt nichts von einer verwalteten Religion weiß oder verstehe. Hat der freie Wille etwas mit Bindungslosigkeit zu tun? Mit Autonomie? Aber wovon soll ich unabhängig sein?
Was soll ich überhaupt wollen? Weiß ich jederzeit, was ich will oder müsste mir darüber nicht Rechenschaft abgeben können um überhaupt für die Freiheit dieses Wollens Partei ergreifen zu können.

In der Kirche geht es wohl darum. Es gibt Gott. Er ist das Alpha und Omega, das eine Prinzip der Liebe. Nur darauf soll sich unser Wille beziehen und wir sind frei diese Liebe zu erwidern oder zurückzuweisen. Weisen wir sie zurück, entscheiden wir uns aber für das Nichts, vulgo Hölle.

Das Nichts, wohl eher die Situation des modernen Menschen, der sich glücklich schätzen darf wenn er überhaupt noch in liebevolle Beziehung eingebettet ist.
Das Fehlen von allgemeinen Werten, die auch jederman emotional ansprechen. Eine widersprüchliche Tradition.

Doch ich will von dieser Situation aus über den freien Willen reflektieren.
Was kann man heute wollen? Ein gutes Leben. Was ist ein gutes Leben? Beruflicher Erfolg, ein stabiler Freundeskreis, Partnerschaft, Sexualität, Bildung, Anerkennung, Frieden, Gesundheit. Dies sind nur Beispiele dafür, was wir wollen können. Wobei man sicher auch sterben wollen kann, also nicht leben. Warum? Vllt um gut zu leben? Man weiß es nicht so genau. Stellt sich die Frage, ob wir darin auch frei sind? Ich habe gehört, dass Freud als erster Psychologe einigermaßen systematisch dargelegt hat, dass wir nicht Herr unserer Vernunft sind. Wobei ich glaube, dass in Ansätzen das schon andere Geisteswissenschaftler im Sinn hatten. Worauf sich also unser Wollen bezieht, ist maßgeblich durch unsere Triebe, Neurosen etc. präformiert. Bleibt die Freiheit somit darauf beschränkt, dass wir zu einer Triebregung Ja oder Nein sagen können? Und können wir überhaupt sinnvoll davon sprechen, ob wir darin irgendeine Entscheidungskompetenz haben, da wir ja ganz allgemein verwickelt sind in unserer sprachlichen Existenz.

Oder wenn unsere Prägung überhaupt Bedingung für Freiheit ist. Ist Freiheit vllt einfach nur ein Ideal. Derjenige, der das meiste Bewusstsein über sein eigenes Wollen oder die geringste Gehemmtheit hat, empfindet dieses Wollen also natürlich und die damit einhergehende Kraft zur Erfüllung dieses Wollens bezeichnet er einfach als Freiheit. Da dieses Wollen lustvoll ist macht man es einfach zu einer Rahmenbedingung unserer bürgerlichen Ordnung.

Und wenn man überhaupt nicht weiß, was man will?

Ipsissimus
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Di 1. Nov 2011, 00:30 - Beitrag #2

Welches der vielen Freiheitskonzepte wollen wir denn retten? Und ist ein idealistisches Freiheitskonzept überhaupt notwendig, um menschliche Sehnsucht nach Freiheit zu verstehen?

Lykurg
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Di 1. Nov 2011, 01:08 - Beitrag #3

Willkommen erst einmal, motte!

Ich sehe (auch?) noch nicht so recht, worauf es hinausläuft. Zu der Ausgangsfrage jedenfalls könnte ich mir vorstellen, daß die katholische Position hier als Gegensatz zu diversen protestantischen Richtungen gesehen wurde, die die Vorstellung des freien Willens in Bezug auf die Heilslehre leugnen. Johannes Calvin lehnte die Vorstellung des freien Willens scharf ab, sein Menschenbild ist prädestinatorisch, irdisches Wohlergehen zeigt dabei (vereinfacht dargestellt) göttlichen Wohlgefallen an der Person. Darin folgte er Luther, der entsprechendes in seiner Schrift Vom freien Willen dargestellt hatte.

Ipsissimus
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Di 1. Nov 2011, 10:08 - Beitrag #4

wenn man es böse darstellen wollte, könnte man durchaus auf die Idee kommen, dass das Konzept eines ideal freien Willens dazu erfunden wurde, um über eine Handhabe zur Bestrafung von Devianz zu verfügen - ganz so radikal sehe ich die Sache dann allerdings doch nicht, weil freier Wille, zumindest seine Illusion, durch persönliche innere Evidenz verbürgt ist. Allerdings wird dieses Konzept in hohem Maße dafür benötigt, um Devianz zu bestrafen, was auch daran zu erkennen ist, dass dort, wo freier Wille aufgehoben wurde oder als aufgehoben gilt, Devianz sehr viel geringer bestraft wird.

Wie auch immer. Menschen sind nicht mit einem ideal freien Willen ausgestattet, sie verfügen vielmehr über Freiheitsgrade - bestimmte Entscheidungen sind ihrem freien Willensentschluss zugänglich, andere nicht, bzw. dort ist ihr ein wie´s andere mal als frei empfundener Wille Folge innerer Zustände, die zwangsläufig sind und das Wollenkönnen beherrschen.

motte
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Mi 2. Nov 2011, 00:00 - Beitrag #5

@Ipsissimus: Sehnst du dich nach Freiheit? Was hat Idealismus damit zu tun? Mir ist meine Freiheit oft nicht evident. Vllt stellt sich für mich die Frage darum. Was wäre deine Motivation, nach Freiheit zu fragen?
Deinen letzten Satz verstehe ich nicht. Du sagst, unser Handeln basiert auf einer zwangsläufigen Folge innerer Zustände, meinst dann aber, dass wir doch über gewisse Freiheitsgrade verfügen. Ich kann mir darunter nichts vorstellen. Entweder wir sind frei, oder wir sind es nicht.
Ich kann mir gut vorstellen, dass sich jemand im Gefängnis freier fühlen kann als "draußen in der Welt".

@Lykurg: Hi! Ich weiß nicht genau, worauf das hinausläuft. Ich will die Sache sprechen lassen und benutze euch dafür. ;)
Also in den genannten Religionen ist der letzte Zweck des Handelns Gott. An ihm bemisst sich, ob eine einzelne unserer Handlungen gut oder schlecht ist.
Der Protestantismus bestreitet, dass wir uns dafür frei entscheiden können. Aus dem überwältigenden Gefühl des Kontrollverlustes sagt er, dass wirtschaftlicher Erfolg ein Indiz für göttliche Auserwählung ist. Der Mensch wird sein Handeln also danach ausrichten, effizient und erfolgreich zu sein. Der Erfolg ersetzt gewissermaßen die Gottgefälligkeit, verweist aber aufs Paradies. Das Leben folgt einem Plan und ist freudlos. Warum gehen die Leute eigentlich überhaupt noch in die Kirche?
Im Katholizismus hingegen ist der Einzelne gefordert, die Gnade Gottes, sofern sie im gereicht wird, anzunehmen. Was bedeutet es, dass jemand gnädig ist? Er nimmt sich meiner an, fördert mich, verzeiht mir, macht Ausnahmen. Ich muss also bereit sein, dieses Geschenk anzunehmen. Die Überzeugung, dass sich jemand meiner annimmt, hängt wohl wieder in hohem Maße von der persönlichem Prägung ab. Ich werde mir selbst bei entsprechendem positiven Feedback vllt eher vergeben und darauf vertrauen, dass auch andere das tun. Das Handeln bleibt hier aber aufs Jenseits bezogen.
Hm, irgendwie fällt es mir schwer, die Verbindung zur Frage nach dem freien Willen dabei zu sehen, außer dass die Frage vllt oft im Zusammenhang mit Religion erörtert worden ist. Für mich ist Religion, die Hoffnung auf Erlösung im Jenseits jedenfalls sehr weit weg und daher kaum handlungsrelevant.

Wovon kann ich frei sein? Von Ängsten, Sorgen, Verpflichtungen, Einschränkungen: der Sorge vorm Tod, Erwerbsarbeit, örtlicher Gebundenheit, Verantwortung, Willkür und Tyrannei. Warum will ich davon frei sein?

e-noon
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Mi 2. Nov 2011, 10:14 - Beitrag #6

Hallo motte!

Interessante Frage, die du da aufwirfst, mit vielen unterschiedlichen Facetten. Ich will einmal versuchen, auf alles nach Kräften einzugehen.

Denn, Zitat: Die Kirche nimmt auch jene Sünder wieder auf, die ihr einmal bewusst den Rücken gekehrt haben.
Was ist damit gemeint? Dass es außerhalb des Katholischen keinen freien Willen gäbe?

Ich bin auch ziemlich sicher, dass es so gemeint war, dass die katholische Ideologie zwangsweise einen freien Willen umschließt, da es gemein von Gott wäre, jemanden eine Ewigkeit in der Hölle schmoren zu lassen für eine böse Tat, die er zwangsweise begehen musste.

Da du die Frage auf dem Raucherhof gehört hast, werde ich das einmal als Beispiel aufgreifen. Wenn man mit dem Rauchen anfängt, ist das in der Regel freiwillig, dh. niemand zwingt einen mit vorgehaltener Waffe, das zu tun. Man ist aber häufig noch sehr jung, und je jünger ein Mensch ist, desto weniger Erfahrung hat er in der Regel und weniger Zeit, Willensstärke und eigene Prinzipien zu entwickeln. Gleichzeitig kommt in vielen Fällen ein leichter bis mittelschwerer sozialer Druck hinzu, die Zigarette wird einem von jemandem angeboten, dem man in der Situation ungerne etwas abschlagen möchte. Man ist also in mehrerer Hinsicht in seiner Freiheit eingeschränkt, wenn man unter diesen Umständen das erste Mal zur Zigarette greift, aber im Gegensatz zu vielen anderen Situationen ist man noch relativ frei: Man könnte die Zigarette ablehnen, und außer einem Stirnrunzeln und ein paar dummen Kommentaren hat man keine Schwierigkeiten zu erwarten.
Hat man dann angefangen zu Rauchen, gesellen sich zum sozialen Druck zum einen die Gewohnheit, zum anderen die physische Abhängigkeit: Wenn man nun aufhört zu rauchen, vermisst man vielleicht die Zigarette in der Hand, die kurzen Pausen, in denen man mit anderen quatschte, und man fühlt sich nervös und schlecht, weil dem Gehirn die gewohnten Suchtstoffe fehlen. Nun hat man also schon deutlich mehr Barrieren, gegen die man ankämpfen müsste, wenn man sich entschließen wollte, mit dem Rauchen aufzuhören.
Wenn man hingegen dann jemanden kennenlernt, den man mag, der aber Rauchen grässlich findet, hat man wieder eine Motivation aufzuhören; wenn man von diesem oder anderen dann von Nikotinpflastern und Therapiemöglichkeiten hört, erhöhen sich wieder die Freiheitsgrade, und die Vernunft kann Wege ersinnen, wie sich das Rauchen beenden ließe, ohne die negative Auswirkungen zu spüren, die mit dem Ende einer Sucht einhergehen können.
Man kann aber zu keinem Zeitpunkt sagen 'Jetzt reicht es - ich höre auf UND ich habe keine Entzugserscheinungen.' Diese Freiheit hat man nicht. Man kann sich auch nicht dafür entscheiden, in einem Umfeld geboren zu werden, in dem nicht geraucht wird; man wird immer in eine bestimmte Umgebung hineingeboren und diese prägt einen sehr stark, ob man will oder nicht. Je nachdem, wieviel man nachdenkt und wieviel Glück man hat, kann man ein Leben in relativer Freiheit führen oder aber in großer Unfreiheit (wenn man sich beispielsweise einer Ideologie verschreibt, die das kritische Denken verbietet, wenn man in einem Land lebt, in dem Menschen als Sklaven gehalten werden, wenn man starke Drogen einnimmt, die das Denken beeinträchtigen, wenn man starke Behinderungen hat und auf andere angewiesen ist, etc.).

Ich habe gehört, dass Freud als erster Psychologe einigermaßen systematisch dargelegt hat, dass wir nicht Herr unserer Vernunft sind. Wobei ich glaube, dass in Ansätzen das schon andere Geisteswissenschaftler im Sinn hatten.
Er war vielleicht der erste Psychologe, der diese These vertreten hat, aber schon im 18. Jahrhundert bezeichnete der Philosoph David Hume die Vernunft als Sklavin der Leidenschaften, weil der Verstand nur in der Lage sei, zu entscheiden, ob eine Aussage richtig oder falsch sei, die Emotionen aber weder richtig noch falsch seien und nur die Emotionen über Zustimmung oder Abwehr eines Sachverhalts entscheiden könnten.

Oder wenn unsere Prägung überhaupt Bedingung für Freiheit ist. Ist Freiheit vllt einfach nur ein Ideal. Derjenige, der das meiste Bewusstsein über sein eigenes Wollen oder die geringste Gehemmtheit hat, empfindet dieses Wollen also natürlich und die damit einhergehende Kraft zur Erfüllung dieses Wollens bezeichnet er einfach als Freiheit.

Das kann gut sein. Ich denke, wer das meiste Bewusstsein für das eigene Wollen hat, ist noch nicht frei, aber schon freier als jemand, der blind seinen Trieben ausgeliefert ist; er kann sich aber als unfreier empfinden, gerade weil er weiß, wie stark sein Wollen von seiner
Vernunft unabhängig ist. Wer sich seines Wollens bewusst ist und Möglichkeiten gefunden hat, es zu beeinflussen, seinen Willen gegen momentane Begierden zu stärken, ist wesentlich freier als jemand, dem dies schwer fällt.

Noch ein Beispiel:
Man sieht ein Stück Schokolade. Sagen wir, es streiten jetzt zwei Wünsche in einem, die einander widersprechen: Der Wunsch nach Schlankheit (Attraktivität, sozialer Achtung, Anziehung auf potentielle Partner) und der Wunsch nach dem Verzehr der Schokolade (Genussstoffe, nach denen der Körper giert, Hunger stillen, Trost).
1. Unfrei wäre, ohne Nachzudenken die Schokolade zu essen und im Handumdrehen zur Kugel zu mutieren.
2. Immer noch unfrei wäre, die Schokolade wider seinen Willen zu essen und es sofort hinterher zu bereuen (diese Möglichkeit ist noch unangenehmer als die erste, denn man verfettet und hat weniger Spaß daran).
3. Schon etwas freier wäre, sich nach der Regel zu richten, dass man gar nichts Süßes mehr essen will, weil man schlank sein will. Man kann dann seinen momentanen Begierden widerstehen, aber man ist noch nicht flexibel.
4. Schon sehr frei wäre, sich ruhig hinzusetzen, den Genuss der Schokolade abzuwägen, den eigenen Schlankheitsgrad zu beurteilen und sich gemäß den eigenen Prinzipien je nach Situation für oder gegen die Schokolade entscheiden zu können, ohne dass das Gewissen einen quält und ohne dass der Körper noch eine Stunde später nach der Schokolade schreit.

Wovon kann ich frei sein? Von Ängsten, Sorgen, Verpflichtungen, Einschränkungen: der Sorge vorm Tod, Erwerbsarbeit, örtlicher Gebundenheit, Verantwortung, Willkür und Tyrannei. Warum will ich davon frei sein?

Das fasst es auch sehr gut zusammen. Warum will man davon frei sein? Weil man es nicht schätzt. Ängste und Sorgen sind negative Emotionen, örtliche Gebundenheit, Tyrannei etc. können wichtigen menschlichen Grundbedürfnissen (Sicherheit, Liebe, Nähe zur Familie, Beruf, Nahrung) entgegenstehen. Diese Grundbedürfnisse sind in der Regel nicht mehr hinterfragbar - es ist möglich, sich zu Tode zu hungern, aber in der Regel etwas, vor dem die meisten Menschen in jeder Situation zurückscheuen. Unsere Emotionen leiten uns, und abschalten lassen sie sich nicht; das ist auch gut so, denn dann würde man entweder handlungsunfähig oder müsste von außen gesteuert sein. Denn es sind die Emotionen, die unserem Wollen und Denken eine Richtung geben.

janw
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Mi 2. Nov 2011, 14:38 - Beitrag #7

Erstmal ganz herzlich willkommen, motte! :)

Zitat von motte:Ich habe heute am Raucherhof auf die Frage, ob es einen freien Willen gäbe, jemanden antworten hören, dass es das im Katholischen gibt. Denn, Zitat: Die Kirche nimmt auch jene Sünder wieder auf, die ihr einmal bewusst den Rücken gekehrt haben.

Der Katholizismus erscheint mir als ein gutes Beispiel, um den Punkt der Freiheitsgrade zu erklären.
Wahrscheinlich wurdest Du irgendwann mal getauft, vielleicht ohne gefragt zu werden. Nach christlicher Glaubensvorstellung hat Gott Dich damit angenommen, Dir seine Gnade zukommen lassen - "ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein". Dieses gilt aus Glaubenssicht lebenslang, Du kannst aus diesem Gottes-eigen-sein, In-der-Gnade-Gottes-stehen nicht ausbrechen. Du kannst zwar persönlich für Dich den Entschluss fassen, lieber bei Buddha Zuflucht zu nehmen oder auch gänzlich ohne religiöse Einbindung zu leben, aber von Gott kommst Du nicht weg. Deine Freiheit ist hier nach religiöser Vorstellung begrenzt, Du hast da begrenzte Grade der Freiheit.
Wenn Du bei der katholischen Kirche bist, ist das insofern etwas anders, als es da zum einen die besagte Gottes-Eigenschaft gibt, aus der es kein Entkommen gibt, zum anderen die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Gläubigen. Zu dieser kannst Du Dich frei entscheiden, und wenn Du bestimmte Dinge glaubst, die nicht der kirchlichen Lehre entsprechen, kann die katholische Kirche Dich auffordern, dies zu widerrufen und Dich sonst rauswerfen, exkommunizieren. Nach katholischer Vorstellung hat das insofern Folgen, als Du bestimmte Segnungen nicht bekommen kannst und dann vielleicht nach dem Tod Probleme bekommst - wie sich das allerdings mit der gleichzeitig fortbestehenden Gnade Gottes verträgt, ist ein Geheimnis der katholischen Kirche.
Du hast aber zu jeder Zeit in Deinem Leben die Möglichkeit, bei einem katholischen Priester vorzusprechen und zu erklären, daß Du die "falschen" Glaubensinhalte nicht mehr glaubst und sie bereust und wieder Teil der Kirche sein möchtest. Dies kannst Du tun, Du musst es nicht, es wird deshalb als Dein freier Wille angesehen, dies zu tun.

Der Begriff der Freiheitsgrade lässt sich vielleicht auch an der Mechanik gut erklären: Ein Kugelgelenk kann in der Gelenkpfanne einmal um sich selbst gedreht werden, hat also in dieser Drehebene 360, also maximale Freiheitsgrade. Die seitliche Ausschwenkbarkeit ist aber begrenzt, weil irgendwann der Schaft der Kugel an den Rand der Gelenkpfanne stößt. Die Freiheit ist hier entsprechend begrenzt.

Ipsissimus
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Do 3. Nov 2011, 12:42 - Beitrag #8

Sehnst du dich nach Freiheit? Was hat Idealismus damit zu tun? Mir ist meine Freiheit oft nicht evident. Vllt stellt sich für mich die Frage darum. Was wäre deine Motivation, nach Freiheit zu fragen?


die Sehnsucht nach Freiheit gilt als zentrales Motiv vieler großer sozialer Reform- oder Revolutionsbewegungen, soweit sie von den Völkern getragen werden. Inwieweit das in jedem Einzelfall solcher Bewegungen tatsächlich gegeben ist/war, wäre in jedem Einzelfall zu überprüfen, als Proklamation dürfte die Feststellung aber bekannt sein, z.B. noch von den Unruhen in der DDR her, die dann zum Fall der Mauer und zur Wiedervereinigung führten.

Mit "Idealismus" ist hier nicht eine persönliche Haltung gemeint, sondern eine Idealvorstellung. Eine ideale Freiheit ist eine solche, bei der die Freiheit keinerlei Einschränkungen mehr unterliegt; "idealistisch" ist dabei als Gegenteil von "realistisch" zu verstehen. Unterschiedliche Epochen der Geistesgeschichte unterscheiden sich u.a im Grad der Betonung idealistischer oder realistischer Komponenten ihrer Konzepte und Vorstellungen.

Freiheit ist oftmals nicht gegeben, dann kann sie natürlich nicht evident sein. Was aber auch in Zuständen großer Unfreiheit evident bleibt, ist die Möglichkeit von Freiheit, die Unterscheidung zwischen dem Zustand "Unfreiheit" und dem Zustand "Freiheit" - es ist unmittelbar innerlich evident, wann welcher der beiden Zustände vorliegt, und welchen Einschränkungen der jeweilige Zustand unterliegt. Diese Evidenz kann manipulativ unterlaufen werden, aber wo das nicht der Fall ist, ist sie normalerweise gegeben - womit allerdings nichts darüber ausgesagt ist, inwieweit sie illusionär ist oder nicht. Man könnte vielleicht soweit gehen, das Empfinden von Freiheit als ein Maß für das Einverstandensein mit seinem eigenen Leben und dessen Wechselfällen aufzufassen.

Ich frage nicht nach Freiheit, ich frage bestenfalls nach Freiheitsgraden, d.h. ich versuche, neue Freiheitsgrade zu erringen oder bestehende auszuweiten, wenn ich mich durch Einschränkungen meines Wohlbefindens dazu veranlasst sehe.

Du sagst, unser Handeln basiert auf einer zwangsläufigen Folge innerer Zustände, meinst dann aber, dass wir doch über gewisse Freiheitsgrade verfügen. Ich kann mir darunter nichts vorstellen. Entweder wir sind frei, oder wir sind es nicht.


Das bezieht sich auf den Unterschied zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit, wobei das ein weites philosophisches Feld mit uneinheitlichen Auffassungen ist^^ die Philosophie ist weit davon entfernt, einheitliche Konzepte zu dem Themenkomplex Wille, Freiheit, Handlungsfreiheit, Willensfreiheit, Determinismus u.dgl. entwickelt zu haben.

Handlungsfrei sind wir gemäß einer bestimmten Auffassung dann, wenn wir in der Lage sind, unsere Handlungen gemäß unseren Neigungen oder Überzeugungen durchzuführen, unabhängig davon, ob wir das tatsächlich machen oder nicht. Ich bin frei, morgens aufzustehen, auch wenn ich liegenbleibe, solange ich nicht durch "echte" körperliche, psychische oder äußere Zwänge unvermeidbar dazu gezwungen bin, liegen zu bleiben (weswegen "Müdigkeit" nach durchzechter Nacht kein anerkannter Grund ist, nicht zur Arbeit zu kommen, man hätte nicht zechen müssen). In diesem Sinne gilt Freiheit dasselbe wie "imstande sein zu". Handlungsfreiheit gilt als gut überprüfbar und ist daher u.a. für juristische Kontexte wichtig.

Willensfreiheit andererseits ist die Fähigkeit, bestimmte Dinge nicht nur zu tun, sondern auch zu wollen. Das Fehlen von Willensfreiheit ist weitaus weniger evident als das Fehlen von Handlungsfreiheit, da es meist als "normal" aufgefasst wird, bestimmte Dinge zu wollen und andere Dinge nicht zu wollen. Wenn Menschen bestimmte Werte verinnerlicht haben, empfinden sie normalerweise keine Einschränkung ihrer Freiheit, solange sie gemäß dieser Werte leben können. Dass sie gar nicht frei sind, andere Werte auch nur wollen zu können, spielt für das individuelle Freiheitsempfinden zumeist keine Rolle.

Wenn es also gelingt, Werte, Konzepte Vorstellungen in einem Menschen zu verankern, z.B. durch Sozialisation, bleibt das Wollen dieses Menschen zunächst einmal an den Reigen vermittelter Auffassungen gebunden. Es ist aufgrund der Selbstverständlichkeit der Vermittlung - irgendetwas wird immer vermittelt - überhaupt nicht einfach, den eigenen Willen als unfrei zu erkennen und dann auch noch geeignete Maßnahmen zu finden und durchzuführen, die im Sinne der psychischen Emanzipation von übernommenen Auffassungen wirksam sind. Ob diese Emanzipation "gut" ist, stellt dabei nochmal ein anderes Problem dar.

In der Realität ist all das - und zusätzlich auch noch körperliche Limitierungen und Bedingungen, z.B. Beeinflussung durch den aktuellen Hormonstatus - durchmischt, und in der Durchmischung sind die Einschränkungen der Willensfreiheit verschleiert.

Deswegen Freiheitsgrade. Wir erliegen der Illusion, aus einem Kontinuum von Möglichkeiten zu entscheiden; tatsächlich ist dieses Kontinuum nur ein theoretisches, praktisch gibt es eine Vorauswahl, die völlig an allen bewussten Entscheidungen vorbei getroffen wird. Nur zwischen den Elementen dieser Vorauswahl entscheiden wir dann wirklich.

Um dafür ein Bild zu geben: die Getriebeschaltung eines PKW erlaubt nicht die kontinuierliche Steigerung des Übertragungsverhältnisses. Die Gänge rasten bei bestimmten, von den Konstrukteuren des Autos und des Motors voreingestellten Übertragungsverhältnissen ein, die wir als "Gänge" kennen. Genau das Gleiche ist mit unserer Psyche der Fall, nur dass in diesem Fall weitaus weniger deutlich ist, dass unser psychischer Status konstruiert ist, wer genau die Konstrukteure sind und auf Grundlage welcher Maßgaben die Konstruktion erfolgt. Ein Schuft, wer an die üblichen Verdächtigen denkt oder gar deren Motive in Frage stellt^^


was katholische und protestantische Auffassungen zum freien Willen anbelangt, so speisen die sich wohl aus der Uneindeutigkeit der biblischen Darstellungen. Es gibt Stellen in der Bibel, die ganz eindeutig die Auffassung einer idealistisch freien Willens- und Handlungsfreiheit unterstützen und es gibt Stellen, die ganz eindeutig deterministische Auffassungen von Willens- und Handlungsfreiheit unterstützen. Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für jegliche Exegese und der wichtigste Grund, warum mit der Bibel alles inklusive seines Gegenteils begründet werden kann; und was einzelne Interessengruppen damit machen, folgt aus meiner Sicht den mit einer Exegese verbundenen Absichten, also der Maßgabe des Gruppenegoismus.

Letztendlich alles nur Verschleierung einiger nicht wirklich berauschender Sachverhalte bezüglich der menschlichen Spezies zur Absicherung unserer Hybris^^


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