Sozialismus - ein zu Ende gedachter Liberalismus?

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Fr 25. Mai 2012, 11:23 - Beitrag #1

Sozialismus - ein zu Ende gedachter Liberalismus?

Als Grundlage der Diskussion möchte ich das hier vorschlagen. Darin finden sich u.a. folgende Passagen:

So schrieb der Aufklärer Condorcet im 18. Jahrhundert über das Amerika der liberalen Sklavenhalter George Washington, Thomas Jefferson und James Madison: „Der Amerikaner vergisst, dass die Neger Menschen sind; er hat zu ihnen keinerlei moralische Beziehung; sie sind für ihn lediglich Objekte des Profits.“ Diese Zeiten sind doch längst vorbei, wird man einwenden. Aber ist das wirklich so? Heute bezeichnen viele die Leiharbeit als moderne Form der Sklaverei. Wäre das Urteil: „Der Neoliberale vergisst, dass Leiharbeiter, Aufstocker oder 1-Euro-Jobber Menschen sind. Er hat zu ihnen keinerlei moralische Beziehungen; sie sind für ihn lediglich Objekte des Profits“ eine unzulässige Polemik?

sowie
Die Liberalen des Freiburger Programms stellten noch die Eigentumsfrage: Was gehört aus welchen Gründen wem? Nur wenn man diese Frage beantwortet, kann man der ungerechten Vermögensverteilung zu Leibe rücken. Abraham Lincoln erkannte bereits 1847: „Die meisten schönen Dinge sind durch Arbeit entstanden, woraus von Rechts wegen folgen sollte, dass diese Dinge jenen gehören, die sie hergestellt haben. Aber es hat sich zu allen Zeit so ergeben, dass die einen gearbeitet haben und die anderen – ohne zu arbeiten – genossen den größten Teil der Früchte. Das ist falsch und sollte nicht fortgesetzt werden.“

Das wird aber bis zum heutigen Tage fortgesetzt und hat sich als allein denkbare und gültige Wirtschaftsordnung so in den Köpfen festgesetzt, dass auch Gesetzesvorschriften, die eine andere Eigentumsverteilung nahelegen, nicht mehr beachtet werden. Im § 950 des BGB steht: „Wer durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an der neuen Sache.“ Man kann es drehen und wenden, wie man will. Nach unserem BGB gehören die VWs nicht den Piëchs und die BMWs nicht den Quandts oder Klattens, sondern den Beschäftigten, die durch Verarbeitung und Umbildung mehrerer Stoffe eine bewegliche Sache, das Auto, hergestellt haben. K. H. Flach kam auf den Punkt: „Das Problem des Kapitalismus besteht nicht darin, dass Unternehmer Gewinne erwirtschaften und entnehmen, sondern darin, dass die ständig notwendige Reinvestition des größten Teils der Gewinne nicht nur moderne Produktionsanlagen und Arbeitsplätze schafft, sondern eine ständige Vermögensvermehrung in der Hand der Vorbesitzer der Produktionsmittel.“


ist Sozialismus ein zu Ende gedachter Liberalismus, der wieder zu sich selbst gefunden hat und Freiheit einfach nicht mehr nur als Privileg einer Schicht begreift?

Traitor
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Fr 25. Mai 2012, 21:31 - Beitrag #2

Das hat mindestens drei Aspekte: 1. eigentlicher Inhalt des Begriffs "Liberalismus", 2. historische Entwicklung des Begriffs "Liberalismus", 3. tatsächliche inhaltliche Beziehung des Sozialismus zu allgemeiner Freiheit.

1.: "Liberalismus" kann man interpretieren als a) "absolutes Nichteinschränken der selbsterarbeitbaren Freiheit jedes Einzelnen", oder als b) "Garantieren einer möglichst großen Mindestfreiheit für Jeden". Ersteres bedeutet im Extrem "Naturrecht", jeder nimmt sich, was er kann; im geringerem Extrem Neoliberalismus. Letzteres bedeutet einen staatlich garantierten Egalitarismus, bei dem jeder nur so viel Freiheit für sich beanspruchen darf, dass er dadurch die Freiheit anderer nicht senkt.

2.: "Liberalismus" bedeutete historisch anfangs die Emanzipationsbewegung des Bürgertums, also ein Mehr an "Freiheit für Viele" (die Bürgerlichen) zu Lasten der Freiheit Weniger (der Adligen und Herrscher), bei völligem Ignorieren der Freiheit der Anderen (Proletariat, Sklaven), also als schwache Form von 1b. Anstatt dass der Begriff dann progressiv als Ausweitung von 1b auf weitere Bevölkerungsschichten inhaltstreu geblieben wäre, ist er klienteltreu weiterverwendet worden, als "Mehrung und Wahrung der Freiheiten des Bürgertums". Schon im späten deutschen Kaiserreich waren die "Liberalen" verkappte Konservative, die die bestehende Ordnung stützten (wenn auch eventuell unbewusst), siehe "Der Untertan". Und heutzutage sind "die Liberalen" eben die FDP, Finanzklein- bis Großbürgertum und Geldhochadel.

3.: Um nicht endlos in Fallunterscheidungen festzuhängen, deklariere ich im Gegensatz zum soeben halbwegs aufgedröselten Liberalismus-Komplex mal grob vereinfachend "Den Sozialismus". Irgendein diffuses, gefühlt rotes Gemisch aus Sozialdemokratie, Sozialismus, Kommunismus, PDSismus und Oskarismus. ;) Genauere Aufdröselung bei Bedarf.
"Der Sozialismus" geht sehr stark in Richtung 1b, wobei er in all seinen Formen gegenüber einem naiven, ahistorischen Total-1b-Liberalismus die Rolle des Staates deutlich stärker betont, aber das ist eher ein technischer Aspekt. Wichtiger finde ich, dass er insbesondere die absolute Gleichheit mehr betont als die größtmögliche Freiheit - ihm ist geringere Varianz wichtiger als ein höherer Mittelwert. Niemand soll seine Freiheit auf Kosten der Anderen mehren können, selbst, wenn er sehr viel Freiheit gewinnt und sonst alle nur sehr, sehr wenig verlieren.

Daher würde ich "Den Sozialismus" tatsächlich nicht als den "wahren Liberalismus" bezeichnen, denn als liberalsten Liberalismus sähe ich einen an, der irgendwo zwischen 1a und 1b steht, also in gewissem Rahmen individuellen Freiheitsgewinn auf Kosten fremder Einbußen zulässt bzw. sogar wünscht. (Mit einer ziemlich komplizierten Kostenfunktion...)
Somit sehe ich auch eine (ideale) Soziale Marktwirtschaft als liberalistischer an als "Den Sozialismus". Unsere reale "Soziale Marktwirtschaft" hat aber sicherlich eine Schlagseite hin zu einem moderaten 1a, mehr Sozialismus würde sie auch in meinem Idealsinne liberaler machen.

Zum Concordet-Zitat:
Eine zulässige Polemik, da sie evidente und starke Parallelen zieht; aber doch eine Polemik, da sie definierende Eigenschaften außen vor lässt.

Zum zweiten Zitat, insbesondere der BGB-Argumentation: Das dürfte eine Rückfall-Grundannahme bei Abwesenheit weiterer Verträge sein, keine Grundrechtsregelung. Der Beschäftigte hat vertraglich genau dieses Eigentumsrecht gegen seinen Lohn eingetauscht. Genauso, wie analog irgendwo stehen wird "wer eine unbewegliche Sache [ein Haus] herstellt, erwirbt Eigentum daran", er das Haus aber natürlich trotzdem verkaufen darf, oder es direkt gegen Geld für jemanden anderen baut. Übertrag von Eigentum oder Vermietung von Eigentumsherstellungstätigkeit zu untersagen, hieße, Arbeitsteilung abzuschaffen, und das die für einen halbwegs akzeptablen Zivilisationsstand unabdingbar ist, dürfte einigermaßen unzweifelhaft sein.

Den vollen Tagesspiegel-Artikel hebe ich mir noch für später auf.

Maglor
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Sa 26. Mai 2012, 15:16 - Beitrag #3

Die Argumentation mit § 950 BGB ist ziemlich scharfzüngig. ;)
Würde tatsächlich eine Inbesitznahme des Werkstückes durch den Arbeiter stattfinden, wäre der Arbeiter zumindest zum Schadensersatz verpflichtet, daher er müsste die Rohstoffe ersetzen.
Durch den Arbeitsvertrag handelt der Arbeiter jedoch nicht als selbstständige Person, sondern die Firma handelt durch den zur Dienstleistung verpflichteten Arbeiter. (Aus dem gleichen Grund wird die Autowerstatt auch nicht Eigentümer eines Auto, mit dessen Reparatur er vom Kunden beauftragt wurde.)
Die Argumentation ist aber meines Erachtens völlig antiquiert, der ein Großteil der Werktätigen gar nicht mehr in der Produktion tätig ist und keine physischen Gegenstände mehr veredelt.

Neben dem im 20. Jahrhundert vorherrschendem Staatssozialismus nach Marx, Engels, Lenin und Co. gab es früher druchaus noch gegenläufige sozialistische Gedankenspiele. Der Anarchismus war der wichtigste Gegner des totalitären Marxismus-Leninismus im linken Lager.
In anderen Sozialismen sollte das Eigentum an den Produktionsmitteln nicht der Staat erhalten sondern genossenschaftliches Eigentum der Arbeiter werden.
Dadurch würde die Arbeiter quasi Gesellschafter ihrer Firma, der Gegensatz von Lohn und Dividende und anderen Arten der Gewinnausschüttung würde nicht mehr existieren. Die Genossenschaften und Kollektive würden weiterhin auf dem freien Markt agieren.

Favorisiert wurde dieses System von Teilen der deutschen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert.
Am langlebigsten erwies sich jedoch das sozialistische Experiment Kibbuz.

Traitor
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Sa 26. Mai 2012, 15:31 - Beitrag #4

Reiner Anarchismus ist extremer Liberalismus, keine Frage. Anarchosyndikalismus und reiner Syndikalismus brauchen dagegen durchaus auch einen starken Staat, um ihre labilen Organisationsformen gegen Anarchisierung und Kapitalisierung zu verteidigen, wenn sie sich das auch teils nicht eingestehen wollen (insbesondere die AS). Und der Markt darf auch nicht freier sein als der Staat stark, da sonst vielleicht innerbetrieblich Egalität herrscht, gesamtgesellschaftlich aber die Wohlfahrt genauso baden geht wie in einem libertären Kapitalismus.

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So 31. Mär 2013, 17:53 - Beitrag #5

Ich weiß jetzt nicht, ob das zum Thema passt, aber ich schreibs dennoch mal.

In einem demokratischen System hat aus meiner Sicht der institutionalisierte Liberalismus und der institutionalisierte Sozialismus einen systemimmanenten Widerspruch, der nicht (einfach) aufzulösen ist.
Ich spreche nur über die ökonomische Dimension, alles gesellschaftspolitische lasse ich außer acht.

1. Liberalismus:
Wer ist eigentlich die Wähler-Zielgruppe des Liberalismus? Traitor hat da schon eine Definition vorgenommen und alle mit irgendwie Geld oder hohem Gehalt reingenommen. Die profitieren vermeintlich davon, wenn es geringe Steuern auf Arbeit und Kapitaleinkünfte gibt.
Und wer ist die Ideologie-Zielgruppe des Liberalismus? Das ist meiner Ansicht nach jeder Mensch mit ökonomischen Chancen, also gut Ausgebildete, "Macher", Querdenker, also jeder, dessen Chancen gut sind, von unten nach oben zu kommen.

Der Widerspruch dieser beiden Zielgruppen besteht darin, dass der größte Feind des Reichen der mit Chancen ist. Der Ambitionslose, der mit seinem Reihenhaus zufrieden ist, der wird die ökonomische Macht des Reichen nicht gefährden. Derjenige, der allerdings selbst ein Unternehmen gründet und ganz konkret die Marktmacht eines anderen Unternehmers angreift, der ist die wirkliche Gefahr für denjenigen, der schon oben ist.
Kurz: Der Feind des Reichen ist die soziale Durchlässigkeit. Die soziale Durchlässigkeit ist allerdings der Auftrag des Liberalismus.

In der Politik z.B. der FDP äußert sich das dann gerne darin, dass zwar rhetorisch die Chancen betont werden, aber in der tatsächlichen Politik geht es mehr darum, Privilegien für diejenigen zu erfinden, die bereits oben sind, um aufkommende Konkurrenz von unten möglichst auszuschalten. Hier scheitert die Ideologie des Liberalismus an der realpolitischen Wähler- und Geldgeberverhältnissen bzw. es ist zumindest ein nicht ganz aufzulösender Widerspruch.
So ist das wählerpolitische Interesse der Liberalen z.B., ökonomische Bildung als exklusives Gut beizubehalten, während das ideologiepolitische Ziel es sein müsste, ökonomische Bildung allen zur Verfügung zu stellen.


2. Sozialismus:
Wer ist eigentlich die Wähler-Zielgruppe des Sozialismus? Arme, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Arbeiter, Studenten, Schüler, Auszubildende.
Wer ist die Ideologie-Zielgruppe des Sozialismus? Menschen mit geringeren Chancen, aus welchen Gründen auch immer. Manche Sozialisten behaupten z.B., dass ein ärmeres Elternhaus die Chancen verringert, das sehe ich allerdings anders. EIne Untersuchung in der Wirtschaftskrise der 30er Jahre hat ergeben, dass Kinder aus dem verarmten Mittelstand später ökonomisch erfolgreicher waren als Kinder aus dem nicht-verarmten Mittelstand. Es scheint mir eher geringere (ökonomische) Bildung der Eltern zu sein, die die Chancen mindert. Es hängt aber auch arg davon ab, wie man Sozialismus ideologisch definiert. Man könnte auch Arbeiter als die Zielgruppe des Sozialismus definieren oder Angestellte oder Abgehängte. Das ist aber insgesamt schwer, weil es ideologisch schwer ist, einen demokratischen Sozialismus zu denken.

In jedem Fall ist es wohl so, dass der ideologische Sozialismus behauptet, für Menschen, denen aus welchen Gründen auch immer geringere Chancen diagnositiziert wurden, die Chancen oder zumindest das Einkommen zu erhöhen, ihnen einen größeren Teil vom Kuchen abzugeben. Wenn die SPD als Ziel das Fordern und Fördern ausgegeben hat, dann ist das ideologische Ziel des Sozialismus in Analogie dazu vlt. das Fördern und Geben.

Aber es ist für mich jetzt schwer da eine klare Linie reinzubringen. Ich denke, dass das soweit ausreicht, um die Widersprüche auszuarbeiten:

Das Wählerklientel des Sozialismus profitiert gar nicht mehr von einer Chancenerhöhung durch z.B. ökonomische Bildung, Ermutigung zum Unternehmertum oder ähnliches, damit die soziale Durchlässigkeit erhöht wird, sondern es profitiert eigentlich nur von einer gewissen Neuverteilung der Wertschöpfung, die dem Wählerklientel bei vollkommener Beibehaltung des bisherigen Lebensmodells einfach ein wenig mehr vom Kuchen abgibt. Dieses Wählerklientel wird gerne mit einer Rhetorik von Geldfeindlichkeit, Neid und Reichenfeindlichkeit gehoben. (z.B. "Geld verdirbt den Charakter!")
Klischeemäßig denkt die Wählerklientel der Sozialisten in einer Demokratie wohl so.
Dadurch verringern die Sozialisten in einer Demokratie allerdings die Chancen der unteren, nach oben zu kommen. Es wird dafür gesorgt, dass die unteren unten bleiben und dabei nur ein wenig mehr bekommen. Die oberen haben keine Konkurrenz mehr zu befürchten. Das ist genau der Moment, in dem die Liberalen und die Sozialisten Hand in Hand gehen, beide ihre Wählerklientel bedienen und beide gegen ihre ideologischen Grundsätze verstoßen.

So verteufeln die Sozialisten auch (fast) jede Form von ökonomischer Bildung, weil das ökonomisch Denken an sich schon verteufelt wird als Charakterlosigkeit. Wer über Geld und seine Vermehrung nachdenkt, der ist schon ein Charakterschwein. Eine Bildungsoffensive der Sozialisten, in der mal erklärt würde, wie es in Geschäftsführer Etagen eigentlich zugeht, was es braucht, ein Unternehmen zu lenken usw. gibt es nicht, ganz im Gegenteil: Unternehmerisches Handeln wird vernebelt und rhetorisch entstellt, weil das zur eigenen Wählerzielgruppe besser passt. Auf "die da oben" schimpfen ist leicht, wenn man nicht den Anspruch hat, sie verstehen zu wollen.
Das selbe gilt natürlich auch mit umgekehrtem Vorzeichen für die Liberalen.

Im Endeffekt gehen die Liberalen und Sozialisten dennoch Hand in Hand. Beide teilen das Interesse an einer ökonomischen Unbildung breiterer Bevölkerungsschichten. Für die Liberalen soll das Exklusivwissen der Reichen bleiben, für die Sozialisten ist unternehmerisches Denken und Handeln charakterlich verwerflich und gehört insofern staatlich institutionalisiert.
Dies führt dazu, dass es kaum soziale Durchlässigkeit gibt und damit die Macht der oberen zementiert wird. Beide handeln in diesem Punkt aus Wähler-Systematik gegen ihre Ideologie.

Anderes Beispiel: Begrenzung von Managergehältern:
Die Liberalen sind Feuer und Flamme von der Idee, die Frage der Managergehälter zu einem Handel zwischen Eigentümer und Manager(anwärter) zu machen. Mit Ausschluss der Beschäftigten, der Gewerkschaften usw.
Man erhofft sich dadurch eine Verringerung der Managergehälter, so dass die Kapitalbesitzer größere Renditen erwirtschaften.
Die Sozialisten wollen diese Gehälter auch begrenzen und gehen das Bündnis mit den Liberalen gerne ein. "Es kann nicht sein, dass ein Manager das 200-fache eines Facharbeiters verdient!" Gesagt getan: Dann verdient der Manager, der meistens ein Aufsteiger von unten nach oben ist, in Zukunft eben weniger und dafür der Kapitaleigner, der das oft geerbt hat, mehr. Hohe Managergehälter gehen nicht zu Lasten der Arbeitnehmer, sondern zu Lasten der Kapitaleigner. Eine Begrenzung der Gehälter ist eine Begrenzung der ökonomischen Chancen durch Arbeit und eine Erhöhung der ökonomischen Chancen durch Kapitaleigentum. Die Reichen werden dadurch noch reicher und die Armen bleiben genauso arm.
Beides verstößt eklatant gegen die Ideologien der Liberalen und der Sozialisten, ist aber aus wählerstrategischer Sicht in einer Demokratie für beide Lager kaum anders umsetzbar.

Ich glaube, solche Mechanismen sollte man mitdenken, wenn man sich darüber Gedanken macht, wer die "wahren Liberalen" sind.


edit: Ich möchte jetzt auch nochmal konkret auf das was Lafontaine geschrieben hat eingehen. Meiner Ansicht nach macht es sich Lafontaine zu einfach bzw. arbeitet mit einem rhetorischen Trick oder fällt auf diesen Denkfehler sogar selbst herein.

Auf das wesentliche beschränkt, macht Lafontaine meiner Ansicht nach folgendes:
Er stellt die realpolitische Ausgestaltung und die Historie des Liberalismus mit der ideologischen Theorie seines Sozialismus (bzw. in diesem Fall eher Antikapitalismus) in Konkurrenz. Logischerweise gewinnt seine Theorie.

Das ist natürlich billig. Mit dem gleichen Trick kann ich eine hehre Ideologie von Liberalismus der Realpolitik und Historie von Sozialismus (also DDR, UDSSR, China, Nordkorea...) gegenüberstellen und es ist dann klar, wer gewinnt. Am besten wirkt es, wenn ich so tu, als würde es um grundsätzliche Fragen gehen. Aufgrund der Unzulässigkeit der Gegenüberstellung steht die Antwort aber ohnehin schon fest. Ich halte das für billige Polemik.

Lafontaine müsste schon Ideologie mit Ideologie oder Historie mit Historie oder aktuelle Realpolitik mit aktueller Realpolitik vergleichen.
Wenn das realpolitische Scheitern einer Ideologie in der Vergangenheit ein wichtiges Kriterium sein soll, so wie es Lafontaine ja beim Liberalismus anführt, dann hat sich der Sozialismus ja erst recht erledigt. Der reale Liberalismus kann sich bei aller Ungerechtigkeit und Widersprüchlichkeit zu seinen ideologischen Grundlagen zumindest anrechnen lassen, dass auf seiner Grundlage stabile Demokratien möglich sind. Der Sozialismus ist diesen Beweis seit jeher schuldig geblieben und diese plumpe populistische Ausgestaltung eines "demokratischen Sozialismus" einer Sahra Wagenknecht sollte darüber nicht hinwegtäuschen.

Ich halte das, was Lafontaine dort als grundsätzliche Überlegungen darstellt, für nichts anderes als eine Form des Wahlkampfes. Und das weiß er vermutlich auch selber.
Lafontaine ist imho auch kein Sozialist, sondern Sozialdemokrat, der aus realpolitisch nachvollziehbaren Gründen mit Sozialisten gemeinsame Sache macht.

Scuba
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Mo 1. Apr 2013, 21:22 - Beitrag #6

Zitat von Bauer-Ranger:In einem demokratischen System hat aus meiner Sicht der institutionalisierte Liberalismus und der institutionalisierte Sozialismus einen systemimmanenten Widerspruch, der nicht (einfach) aufzulösen ist.


Der "institutionelle Liberalismus" - ist ein Widerspruch in sich. Libertäre, also diejenigen Liberalen, die sich nicht in das etatistische System integrieren wollen, verabscheuen Institutionen, v.a. den Staat auf's äußerste.
Allenfalls ein (Ultra-)Minimalstaat ist für Libertäre "noch duldbar", der für die Durchsetzung eines allgemeinverbindlichen Rechtes sorgt.

..und die hier - dulden nicht mal das, da sie den Staat als 'Hauptverursacher' von Gewalt ausgemacht haben:
http://www.youtube.com/watch?v=FkuwwU8uF5Q&feature=player_embedded
http://www.freiwilligfrei.info/archives/115

Sozialisten (Linke wie Rechte) sahen jedoch noch nie ein Problem darin den Staat (und damit 'Gewalt') und seine Institutionen für ihre räuberischen Interessen einzuspannen. Der Staat 'ist' die Mafia.

Zitat von Bauer-Ranger:Und wer ist die Ideologie-Zielgruppe des Liberalismus? Das ist meiner Ansicht nach jeder Mensch mit ökonomischen Chancen, also gut Ausgebildete, "Macher", Querdenker, also jeder, dessen Chancen gut sind, von unten nach oben zu kommen.


..und das trifft auf alle Menschen zu: Auch ein Mensch der (noch) nicht gut ausgebildet ist eignet sich durch Wiederholung von stupider Tätigkeit eine Effizienz - und damit 'ein Kapital' an, das er bei Lohnverhandlungen einsetzen kann. (Und diese Kaptialbildung durch "Learning by Doing" wird durch den Mindeslohn verhindert, der schon lange von den Libertären als 'Pfründesicherung' von etatistisch orientierten Gruppen, z.B. Gewerkschaften verstanden wird. Insbesondere hat man das auch schon als rassitisch motiviert vorgefunden.

siehe dazu auch: "Das Libertäre Manifest" von Stefan Blankertz: http://docs.mises.de/Blankertz/Manifest.pdf

Zitat von Bauer-Ranger:Der Widerspruch dieser beiden Zielgruppen besteht darin, dass der größte Feind des Reichen der mit Chancen ist.

Unsinn. Für einen Libertären ist ein Reicher eine Chance, selbst am Reichtum teilhaben zu können, indem man ihm Arbeitsteilung freundlich anbietet. Je mehr Tauschgeschäfte auf dieser Basis zu sTande kommen, um so mehr Reichtum wird (um-)verteilt - hin zu dem Produktiven.

Ein Sozialist fragt hingegen nicht freundlich - er hat sich ein intellektuelles System geschaffen, das Gewalt rechtfertig, um den Reichen zu bestehlen. - Damit wird nichts Neues produziert - sondern nur (ver)konsumiert - und alle stehen am Ende ärmer da. (Das ist ja empirisch)

Zitat von Bauer-Ranger:Kurz: Der Feind des Reichen ist die soziale Durchlässigkeit. Die soziale Durchlässigkeit ist allerdings der Auftrag des Liberalismus.


Letzterer Satz stimmt. Ersterer unterstellt etwas, das nicht stimmen muss: Nämlich das Reichtum vom Himmel fällt und einfach 'so da' wäre. Was hindert denn den Reichen daran, mittels sozialer Durchlässigkeit zusammen mit dem vormals Armen '(noch) reicher' zu werden?

Was ist überhaupt Reichtum?

Zitat von Bauer-Ranger:In der Politik z.B. der FDP äußert sich das dann gerne darin, dass zwar rhetorisch die Chancen betont werden, aber in der tatsächlichen Politik geht es mehr darum, Privilegien für diejenigen zu erfinden, die bereits oben sind, um aufkommende Konkurrenz von unten möglichst auszuschalten. Hier scheitert die Ideologie des Liberalismus an der realpolitischen Wähler- und Geldgeberverhältnissen bzw. es ist zumindest ein nicht ganz aufzulösender Widerspruch.

Der Widerspruch löst sich darin auf, das sich die FDP mit dem Staat in's Bett gelegt hat und wir überwiegend nicht in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, sondern in der Vorstufe zu einem neuen Sozialismus. Dem Etatismus


Zitat von Bauer-Ranger:So ist das wählerpolitische Interesse der Liberalen z.B., ökonomische Bildung als exklusives Gut beizubehalten, während das ideologiepolitische Ziel es sein müsste, ökonomische Bildung allen zur Verfügung zu stellen.


Die 'Praxeologie' der "Austrians" - ist die wissenschaftlich erarbeitete 'ökonomische Bildung für die Massen'. Nur ist sie eben 'nicht staatstragend' -sondern - wie libertäres Gedankengut stets - äußerst staatskritisch und wird daher in den öffentlichen Bildungseinrichtungen nicht gelehrt - und wie ich selbst erleben durfte innerhalb volkswirtschaftlicher Studiengänge nur am Rande erwähnt!

Etatistische Politker brauchen Volkswirtschaftler, die Wählerstimmenkaufprogramme rechtfertigen - und nicht brandmarken!

Die "Austrians" waren übrigen die einzigen Volkswirtschaftler die frühzeitig die gegenwärtige Krise im Geld- und Sozialsystem (und Demokratie!) präzise vorausgesagt haben. Ludwig von Mises bereits die von 1929 (und wie hier Roland Baader 2005 )


Zitat von Bauer-Ranger:2. Sozialismus:
Wer ist eigentlich die Wähler-Zielgruppe des Sozialismus? Arme, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, Arbeiter, Studenten, Schüler, Auszubildende.


Nein, das ist die Zielgruppe der Libertären.


Zitat von Bauer-Ranger:Wer ist die Ideologie-Zielgruppe des Sozialismus? Menschen mit geringeren Chancen, aus welchen Gründen auch immer.

Stimmt, diejenigen die sich nicht an der Arbeitseilung beteiligen wollen, sondern bestimmen wollen' wie verteilt wird. Regelmäßig die "intellektuelle Elite"

Zitat von Bauer-Ranger: Das ist aber insgesamt schwer, weil es ideologisch schwer ist, einen demokratischen Sozialismus zu denken.


So ist es
(Auch wenn isch auf anarchischer Ebenen Libertarismus und Sozialismus sehr ähnlen und treffen können)

Auch hier nochmal das Zitat von einem großen Freiheitsdenker (Frederic Bastiat): http://www.bastiat.de/
"Wenn Ausbeutung für eine Gruppe in der Gesellschaft zu einer Form des Lebens wird, so wird sie für sich selbst ein Rechtssystem schaffen, was dies autorisiert, und einen Moral-Kodex, der dies glorifiziert.”

Zitat von Bauer-Ranger:So verteufeln die Sozialisten auch (fast) jede Form von ökonomischer Bildung, weil das ökonomisch Denken an sich schon verteufelt wird als Charakterlosigkeit. Wer über Geld und seine Vermehrung nachdenkt, der ist schon ein Charakterschwein.


Richtig - die 'Gemeinwohllüge' wird stets in ein Parteiprogramm gefasst um andere azusbeuten und/oder vernichten zu dürfen.

Bei den braunen Sozialisten war es das 25 Punkte-Programm, das 'Gemeinnutz vor Eigennutz propagierte. - Genauso wie diese Aussage an zentraler Stelle bei der heutigen "der Linke" steht. Rechte und Linke Sozialisten sind verfeindete Brüder gleichen Geistes. siehe auch hier

Es läuft darauf hinaus, was für die Gesellschaft insgesamt besser ist: Ein verlogener Altruismus, der destruktive Züge wie in unserer derzeitigen Gutmenschenreligion annehmen kann, die Opfer braucht um überleben zu können - oder ein aufgeklärter Egoismus, der niemandem schadet, aber allen nutzt: http://www.voluntarist.de/altruismus/

Eine Bildungsoffensive der Sozialisten, in der mal erklärt würde, wie es in Geschäftsführer Etagen eigentlich zugeht, was es braucht, ein Unternehmen zu lenken usw. gibt es nicht, ganz im Gegenteil: Unternehmerisches Handeln wird vernebelt und rhetorisch entstellt, weil das zur eigenen Wählerzielgruppe besser passt. Auf "die da oben" schimpfen ist leicht, wenn man nicht den Anspruch hat, sie verstehen zu wollen.
Das selbe gilt natürlich auch mit umgekehrtem Vorzeichen für die Liberalen.


Wen Du verstehen willst, was die (kapitalistische) Welt antreibt, kann ich Dir an dieser Stelle rundweg Ayn Rand - "Der Streik" empfehlen. Alles was man über die Grundlagen des Libertarismus, Kapitalismus und Sozialismus wissen muss, wird hier in einem Roman (imho "atemberaubend") zusammengefasst.

Anderes Beispiel: Begrenzung von Managergehältern:
Die Liberalen sind Feuer und Flamme von der Idee, die Frage der Managergehälter zu einem Handel zwischen Eigentümer und Manager(anwärter) zu machen. Mit Ausschluss der Beschäftigten, der Gewerkschaften usw.
Man erhofft sich dadurch eine Verringerung der Managergehälter, so dass die Kapitalbesitzer größere Renditen erwirtschaften.


Du musst hier bedenken: Das allgemeine Lohnniveau einer Volkswirtschaft hängt fast ausschließlich vom Kapitaleinsatz und dessen Qualität ab. - Keine Kapitalrendite = allgemein sinkendes Lohnniveau. Gewerkschaften haben noch nie das allgemeine Lohnniveau erhöht, - sondern nur ihr eigenes zu Lasten der tatsächlich Produktiven.

Beides verstößt eklatant gegen die Ideologien der Liberalen und der Sozialisten, ist aber aus wählerstrategischer Sicht in einer Demokratie für beide Lager kaum anders umsetzbar.

Ich glaube, solche Mechanismen sollte man mitdenken, wenn man sich darüber Gedanken macht, wer die "wahren Liberalen" sind.


Das dürfte Dich ebenfalls interessieren. Die beiden Todsünden des real existierenden Liberalismus:
http://www.mises.de/public_home/article/403/1


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