Steuern und Steuerhinterziehung - ein oder zwei moralische Probleme?

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Do 25. Apr 2013, 11:21 - Beitrag #1

Steuern und Steuerhinterziehung - ein oder zwei moralische Probleme?

Hoeneß ist ja derzeit in aller Munde, und groß ist die moralische, vor allem medial kolportierte Empörung. Größer ist eigentlich nur noch die flächendeckende Bereitschaft, "es" trotzdem zu tun, zumindest wenn man statistischen Angaben zu den Heerscharen von Steuerhinterziehern trauen mag^^

Ist es eigentlich moralisch vertretbar von einem Staat, Steuern von seinen Bürgern zu verlangen? Und ist es moralisch vertretbar, wenn sich Bürger dagegen wehren? Und wo sind die Grenzen der moralischen Vertretbarkeit, in beiden Fällen?

Traitor
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Do 25. Apr 2013, 13:15 - Beitrag #2

Sehr gut, das spart mir den aktualitätsheischenderen Hoeneß-Thread, auf den ich gar nicht so richtig Lust hatte.

Auf die ersten beiden Fragen in erster Näherung: "ja, nein". Jeder moderne Staat basiert auf einer Variante des Gesellschaftsvertrags-Konzepts. Wie auch immer die Details aussehen, der Staat hat dabei immer die Pflicht, für Grundbedürfnisse seiner Bürger zu sorgen, und das Recht, sich von ihnen die Mittel dazu zu beschaffen. Die Bürger haben das Recht, diese Leistungen einzufordern, und die Pflicht, diese finanziell zu ermöglichen.

Die notwendige Spezifizierung ergibt sich aus der dritten Frage - natürlich muss es Grenzen für das Steuererhebungsrecht des Staates geben, genauso wie es sie für seine Maßnahmen zur Bedürfnissicherung gibt, und aus diesen Grenzen ergeben sich komplementär welche für die Bürger, bei denen sie sich wehren dürfen. Werden Steuern
1) auf für die Menschenwürde und andere Grundrechte inakzeptable Weise
2) in einem die wirtschaftliche Existenz der Steuerzahler bedrohenden Ausmaß
3) ohne erkennbaren Bezug zu den festgeschriebenen Aufgaben des Staates
eingezogen, hat man das moralische Recht, sich zu wehren.

Punkt 3) ist dabei am kniffligsten - deckt der implizite Gesellschaftsvertrag (nicht das explizite Grundgesetz, das ist zu kleinteilig) als staatliche Grundbedürfnissicherung gigantische Militärausgaben, Abgeordnetengehälter, Subventionen, Eurorettung, wissenschaftliche Grundlagenforschung? So unschön es sein mag, wird man wohl zur Stabilisierung der Gesellschaft im Allgemeinen annehmen müssen, dass der Staat dies besser überblickt als der einzelne Bürger, und somit das Wehren gegen diese Aspekte höchstens über allgemeine politische Prozesse stattfinden darf - Wahlen.

Bei 1 und 2 dagegen sähe ich in extremen Fällen eine moralische Rechtfertigung, sich individuell und am Gesetz vorbei zu wehren. Allerdings steht sowohl außer Frage, dass die bekannten Steuerhinterzieherfälle mit Sicherheit nicht unter diese Punkte fallen, als auch, dass gerade die Personen, die am ehesten darunter fallen, die geringsten Möglichkeiten haben, sich zu wehren. Lediglich ein gewisses Ausmaß geduldeter Schwarzarbeit lässt sich als gesellschaftlich und politisch akzeptierte Anerkennung dieser Wehrfälle deuten.

janw
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Do 25. Apr 2013, 22:23 - Beitrag #3

Ich halte es für notwendig, daß ein Staat Steuern erhebt, um damit die Dinge zu finanzieren, die für die Funktion des Gemeinwesens erforderlich sind.
Das sind die öffentlichen Aufgaben Bildung, öffentliche Sicherheit, Rechtswesen, Infrastruktur, Gesundheit, soziale Grundsicherung, Umweltschutz, Verwaltung, Katastrophenschutz, Teilbereiche von Kultur und im Detail noch einiges mehr. Die Versorgung mit Grundgütern wie Wasser, Strom, Gas, Telekommunikation würde ich zumindest hinsichtlich der dafür benötigten Infrastruktur auch dazu rechnen.
Aufgaben im Rahmen internationaler Verpflichtungen sind eine weitere Aufgabe.

Das dafür benötigte Steuersystem muss dabei so angelegt sein, daß es den einzelnen Bürger nicht überfordert und niemanden diskriminiert.

In dem Sinne, daß die Funktion eines Gemeinwesens moralisch geboten ist, ist die Erhebung von Steuern zu diesen Zwecken moralisch vertretbar.

Wenn Bürger sich gegen eine nicht überfordernde und nicht diskriminierende Besteuerung wehren, läuft es darauf hinaus, daß diese Aufgaben nicht mehr in der nötigen Weise erbracht werden können.
Das könnte gerade für schwächere Teile der Gesellschaft oder für andere schutzwürdige Belange zu Nachteilen führen. Von daher empfinde ich es als zumindest begründungsbedürftig.

Natürlich ist eine Aufgabenkritik notwendig, und die Gestaltung des Steuersystems muss auch hinterfragbar sein.
Das ist aber schon durch die Meinungsfreiheit gedeckt, ggf. kann das von der Politik aufgegriffen und umgesetzt werden.

Traitor
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Do 25. Apr 2013, 22:33 - Beitrag #4

Da stimmen wir, wenig überraschend, weitgehend überein - linke Socken halt. ;)

Allerdings möchte ich noch darauf hinweisen, dass die Meinungsfreiheit allein nicht ausreicht, damit die Öffentlichkeit Ausgabenkontrolle wahrnehmen kann. Fast genauso wichtig ist eine Transparenzpflicht der staatlichen Ausgabestellen, die bei uns leider weniger gut entwickelt ist, wenn auch immerhin halbwegs hinreichend. Noch schlechter steht es um ein weiteres Grundprinzip, das zwar eher eine Kür darstellen würde, aber doch enorm weiterhelfen könnte - persönliche Verantwortungspflicht von Politikern und Verwaltungsmitarbeitern für von ihnen verschuldete Fehlausgaben.

Ipsissimus
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Fr 26. Apr 2013, 09:58 - Beitrag #5

Nun wird die Gesellschaft in unseren modernen Zeiten zunehmend entsolidarisiert und stattdessen auf marktkonforme Eigensicherung eingeschworen. Wenn dem so ist, wenn also den Bürgern immer umfassender abverlangt wird, ihre Hoffnung auf Solidaritätsleistungen in den Wind zu schießen und ihre "Eigenverantwortlichkeit" - zynischer Euphemismus - zu akzeptieren, könnte man dann nicht auch vom Staat das Analoge verlangen?

janw
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Fr 26. Apr 2013, 10:44 - Beitrag #6

Diese Entsolidarisierung betrifft vor allem das Sozial- und Gesundheitssystem, das schon länger vor allem durch ein Beitragssystem organisiert war mit abgegrenzten Zuwendungen aus dem Steueraufkommen.

Die Einführung von Benutzungsgebühren bei Straßen könnte man natürlich auch darunter fassen, allerdings ist das eine etwas komplexe Kiste - eigentlich soll das Straßenwesen aus der Mineralolsteuer finanziert werden, die aber als Steuer im allgemeinen Haushalt untergeht und so auch für anderes genutzt wird, andererseits mag man es schon für sinnvoll halten, wenn besonders intensive (Ab)nutzer wie der Schwerverkehr auch besonders für die Schäden aufkommen.
Von der erwünschten Lenkungswirkung (Verkehrsvermeidung, Güter auf Bahn und Schiff verlagern) abgesehen.

Eine Entsolidarisierung im steuerrelevanten Ausmaß würde insofern bedeuten, daß Schulen nicht mehr kostenlos wären und auch Sicherheit (Polizei) zur Frage der Bezahlbarkeit würde, wer sich schützen will, der kaufe sich eine Privatpolizei.
Davon sind wir noch etwas entfernt.

Das andere Problem ist: Wer ist "der Staat", individualisierbar wie der einzelne Bürger?
Wer könnte da zur "Eigenverantwortlichkeit" gezwungen werden?

e-noon
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Fr 26. Apr 2013, 11:45 - Beitrag #7

Ich habe letztens "Die nehmende Hand und die gebende Seite" von Sloterdijk gelesen, in dem er die wichtigsten Argumente gegen Steuern aufzählt und die Umstellung auf freiwillige Spenden fordert. Ich halte das für Quatsch. Nette Anregungen in dem Buch waren allerdings einerseits der freundlichere Umgang des Staates mit dem Steuerzahler (Sloterdijk verlangte an mehreren Stellen, etwas kindlich, dass wenigstens einmal "Danke schön!" auf dem Steuerbescheid stehe) und andererseits eine Verfreiwilligung eines kleinen Teiles der Steuer, der dann je nach Bürgerwillen an Verkehr, Bildung, Militär etc. gehen würde. Natürlich wäre das große Gegenargument, dass der Fiskus das Geld dann eben so umverteilt, dass wieder genau gleichviel in allen Bereichen verwendet wird.

PS: Pro-Argumente für Steuern sind natürlich kleine Sahnebonbons wie Straßen, freie Bildung bis in den Universitätsbereich, Verkehr, Krankenhäuser oder Kulturförderung, die in dem Ausmaß und in der Qualität nur in wenigen anderen Staaten zur Verfügung stehen.
In diesem Sinne: Pro Steuern! Mehr Steuern!

Steuerhinterzieher sind meist reiche Leute. Ich frage mich immer, ob sie einfach das System nicht verstanden haben und aus versehen Dinge absetzen oder nicht absetzen, oder ob man wirklich so gierig sein kann, dass man trotz Jahresgehaltes von über einer Million noch das Gefühl hat, nicht genug zu bekommen.

Traitor
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Fr 26. Apr 2013, 13:10 - Beitrag #8

@Ipsissimus: Wie sähe mehr "Eigenverantwortlichkeit" des Staates beim Steuerneintreiben denn aus? Die trotz e-noons/Sloterdijks Kritik noch vorhandene Resthöflichkeit beim Steuereinzug fallen lassen und "zahl oder stirb"-Briefe verschicken? Oder gleich Geschäftsleute auf der Straße festnehmen und nur gegen Lösegeld gehen lassen...?
Oder meinst du im Gegenteil, dass er ganz auf Steuern verzichten und sich nur durch eigenes wirtschaftliches Engagement finanzieren soll? Also sich nicht mehr vom Bürger solidarisch durchfüttern lassen, sondern den Bürger am freien Markt ausnehmen...?

@Jan: Zur Verantwortung gezogen werden müsste jeder Politiker, der ein illegales oder ineffizientes Gesetz (oder eine Verordnung) mitbeschließt, und jeder leitende oder nichtleitende staatliche Verwaltungsmitarbeiter, der eigenverantwortlich etwas ineffizientes oder illegales umsetzt.

@e-noon: Die zweckgebundene Bonussteuer ist eine schöne Idee, und die zunichtemachende Umverteilung könnte man (modulo Vorab-Meinungsforschung) halbwegs unterbinden, indem man Fiskal- und Haushaltsjahr entsprechend terminiert.

Dass Inkompetenz ein Hauptgrund für Steuerhinterziehung ist, bezweifle ich stark, zumindest haben das nichtmal sonderlich viele prominente Täter als Ausrede bemüht. Ein dritter möglicher Grund wäre aber noch, dass sie nicht unbedingt numerisch das Gefühl haben, nicht genug zu bekommen, aber dass sie das Gefühl haben, moralisch nicht so viel zu bekommen, wie ihnen zusteht. "Ich Manager arbeite härter als ein Werkarbeiter, aber soll einen höheren Steuersatz zahlen?" Das ist bekanntlich eines der Lieblingsargumente von Gutverdienern in Finanzdiskussionen allgemein. Manche mögen es nur der Gier vorschieben, manche aufrichtig glauben.

Ipsissimus
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Fr 26. Apr 2013, 13:19 - Beitrag #9

Man könnte zum Beispiel das Geldsystem ändern. Bei Geld mit Verfallsdatum kann sich der Staat soviel drucken, wie er aktuell braucht. Eine Art Bitcoin-Variante in der analogen Wirklichkeit^^

Traitor
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Fr 26. Apr 2013, 13:26 - Beitrag #10

Das könnte vielleicht funktionieren, solange der eine mächtige Staat einem Haufen wehrloser Einzelbürger mit jeweils verschwindender wirtschaftlicher Potenz gegenüber steht. Aber wenn "die Wirtschaft (tm)" genauso mächtig ist wie der Staat, oder sogar mächtiger - und man könnte vermuten, dass das bereits der Fall ist - und sich entlang gemeinsamer Interessen halbwegs koordinieren kann, warum sollte sie dieses "Schrottgeld" des Staates akzeptieren, wenn sie ihn auch auflaufen lassen und mit einem eigenen, vermögensfreundlichen System weitermachen kann?

Eine Art Bitcoin-Variante in der analogen Wirklichkeit^^
Nein, das genaue Gegenteil - Bitcoins sind der Menge nach begrenzt. Bei hinreichender Implementierungssicherheit und praktischer Verbreitung ergäbe sich daraus dann sogar automatische Wertsteigerung.

Ipsissimus
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Fr 26. Apr 2013, 14:30 - Beitrag #11

du meinst, man muss nach wie vor davon ausgehen, dass der Staat die Macht der Mächtigen in sozialkompatible Formen zwingt, zumindest graduell, und dass diese Mächtigen ohne diese Drosselung sofort wieder den Sklavenhalter auspacken? Denkbar, wahrscheinlich sogar wahrscheinlich^^ dann wäre das Phänomen "Macht" das eigentliche Problem^^

im erweiterten Problemkreis heißt das dann auch, dass viele Lösungen bei weitem suboptimal sind, weil sie auf eine Situation angepasst sind, bei der verhindert werden muss, dass die Fressgier ungezügelt losbricht, während ohne diese beständige Gefahr des machtbasierten Übergriffs wesentlich sachbezogenere Lösungen denkbar sind. Eigentlich ein Armutszeugnis^^ nicht nur für die Gesellschaft, auch für die Philosophie, die für sowas auch noch logisch klingende Rechtfertigungen findet

Padreic
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Sa 27. Apr 2013, 02:18 - Beitrag #12

@e-noon:
Der Großteil der Steuerhinterzieher verdient sicherlich deutlich weniger als 1 Million im Jahr. Natürlich, der 0815-Arbeitnehmer hat normalerweise nicht so viel Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung, da sein Einkommen nunmal direkt vom Arbeitgeber versteuert wird [sonst würden sicherlich noch deutlich mehr Leute Steuern hinterziehen]. Der Großteil der Selbstständigen verdient aber auch deutlich weniger als eine Million; nicht wenige sind sogar an der Armutsgrenze. Dass Handwerker häufig schwarz arbeiten, ist bekannt, und das ist natürlich, auch, Steuerhinterziehung. Auch Imbisse stehen da häufiger im Verdacht. Schwarz vermietete Teile von Häusern sind auch nichts Unbekanntes.

Motivationen können sicherlich gemischt sein. Für viele ist es vermutlich einfach ein weiteres Geschäft und zugleich ein Beweis ihrer eigenen Cleverness. Die ärmeren Steuerhinterzieher brauchen vielleicht das Geld; bei den reicheren Steuerhinterziehern ist der Punkt, dass es um so viel Geld. Meist werden die Leute, die sich sagen "Ob ich jetzt eine Million mehr oder weniger verdiene, macht ja nicht viel aus." auch nicht sehr reich....

Zur eigentlichen Frage: Ein funktionierender Staat braucht offenbar Finanzquellen. Das können Steuern sein oder Tribute von anderen Staaten. Traditionell hat man gerne nur Steuern von Eroberten genommen (gerne als Kostenentschädigung von für Besatzung und Eroberung) und die ursprünglich eigenen Leute ausgenommen, so lange das Eroberungsgeschäft gut lief. Das Eroberungsgeschäft läuft aber nur selten auf Dauer gut und so sind wir wieder bei den Steuern.

Angesichts der historisch meist viel niedrigeren Steuersätze, sehe ich dennoch einen Legitimationsdruck, was die Höhe der Steuern betrifft. Der Bundeshaushalt wurde in den letzten Jahrzehnten spürbar ausgedehnt, auch wenn es sicherlich da in den letzten 20 Jahren auch rückläufige Entwicklungen gibt. Dieser Legitimationsdruck ist (wie Legitimation von Staat überhaupt) in der politischen Kultur sicherlich kein so großes Thema wie beispielsweise in den USA. Während ich diesen Teil der politischen Kultur in den USA philosophisch gesehen durchaus schätze, stehe ich jedoch praktisch dem deutschen Wohlfahrtsstaat doch freundlicher gegenüber...

Eine im Prinzip freundlichere Haltung des Staates gegenüber Steuerzahlern würde ich aber im Prinzip begrüßen [bei zugleich härterer Verfolgung von Steuerhinterziehung]; insbesondere den Spendenanteil finde ich eine anregende Idee (wie ich auch schonmal im Politikthread beschrieb). Es gibt ja durchaus einige Reiche, die durchaus gerne Geld für einen "guten Zweck" geben, wenn sie den bestimmen können (siehe z. B. Bill Gates und Konsorten); das könnte man sicherlich mehr mit dem Steuersystem koppeln.

Traitor
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Sa 27. Apr 2013, 11:21 - Beitrag #13

@Ipsissimus: Ja, so in etwa. Nur dass ich mir (noch?) nicht so sicher bin wie du, dass "die Mächtigen" bereits ein fester Block uneingeschränkter Macht sind, und mehr Restvertrauen in den Staat für diese Lenkung habe.
Dass es mit besseren Menschen einen besseren Staat geben könnte, etwa einen funktionierenden reinen Kommunismus, ist bekannt, hilft aber leider in der Praxis nicht weiter. Und ja, nur manche Philosophien stellen sich dem ehrlich.

@Padreic: Die Hinterziehung / Schwarzarbeit an der Armutsgrenze siehst du dann auch als in gewissem Maße moralisch legimitiert an?
Die Legitimation der Staatsausweitung hat sich weitgehend durch die Forderung nach und Zufriedenheit seitens des Volks mit immer weiter ausgedehnten Sozial- und Infrastrukturdienstleistungen seitens des Staats implizit ergeben. Und weiterhin scheint es, tatsächlich im Gegensatz zu den USA, nur eine kleine Minderheit zu sein, die diesen Konsens nicht teilt. Und zum Glück sind "die, die ihr Geld für sich behalten wollen" keine grundgesetzlich anerkannte Minderheit mit Minderheitsrechten, sondern müssen sich der Mehrheit beugen. ;)

Padreic
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Sa 27. Apr 2013, 18:05 - Beitrag #14

@Traitor: Moralisch legitimiert? Im Allgemeinen nicht, aber da muss man durchaus differenzieren. Der Hauptgrund für Schwarzarbeit an der Armutsgrenze ist ja auch keineswegs Steuerhinterziehung, sondern Sozialbetrug. Entweder weil man Hartz4 bekommt oder, selbst wenn nicht, Sozialversicherungsbeiträge bei geringen Einkommen deutlich stärker zu Buche schlagen als Steuern - dieser Unterschied mag für diese Diskussion allerdings sekundär sein. Nur in besonderen Härtefällen würde ich wirklich von moralischer Legitimation für diese Art von Staatsbetrug sprechen - ansonsten höchstens von minderschweren Vergehen.

Traitor
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Sa 27. Apr 2013, 22:24 - Beitrag #15

Die Trennung zwischen Steuerhinterziehung und Sozialbetrug finde ich moralisch weitgehend irrelevant, aus Arbeitnehmerperspektive sind Steuern und Beiträge nicht unterscheidbar.
Eine tatsächliche Legitimation sehe ich auch nur in "besonderen Härtefällen", etwa da, wo korrekte Anmeldung und Versteuerung (/Bebeitragung) ein sachlich nötiges Anstellungsverhältnis höchstwahrscheinlich unmöglich machen würde, ansonsten trifft es "schuldmindernd" wohl besser, ja.
Interessant sind aber auch noch die Fälle, wo jemand sich schwarzarbeitend eigentätig über Wasser halten kann, korrekt angemeldet aber weiterhin auf Sozialleistungen angewiesen wäre. Ist es verwerflich, dem Staat Geld zu sparen, indem man ihn betrügt...?

Thematisch passend eine interessante Perspektive aus dem Freitag:
Da der Staat unterm Strich vollständig im Inland verschuldet ist, fließen auch alle Zinsen an die Staatsbürger zurück. Allerdings nur an jene Privaten, die dem Staat Geld geliehen haben. Bezahlen muss aber über das Steuersystem die gesamte Bevölkerung. Die Staatsschulden sind also kein volkswirtschaftliches, sondern ein verteilungspolitisches Problem. Alle zahlen Steuern, aber nur die Wohlhabenden bekommen sie auch als Zinsen auf ihre Staatsanleihen wieder zurück. Staatsschulden könnte man somit auch anders interpretieren: Die Veranlagung durch Wohlhabende in Staatsanleihen ist nichts anderes als das überflüssige Geld, das der Staat im Vorfeld in dieser Einkommensklasse nicht weggesteuert hat.

Mit Steuern wäre das Geld gratis gewesen, so kostet es die Allgemeinheit der Steuerzahler jene Zinsen, die nur von den Anlegern in Staatsanleihen (typischerweise hauptsächlich Geldvermögende) kassiert werden.
Das können weniger linke Ökonomen vermutlich spielend auseinandernehmen, klingt aber erstmal sehr einleuchtend.

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Sa 27. Apr 2013, 23:27 - Beitrag #16

@Traitor:
Interessant sind aber auch noch die Fälle, wo jemand sich schwarzarbeitend eigentätig über Wasser halten kann, korrekt angemeldet aber weiterhin auf Sozialleistungen angewiesen wäre. Ist es verwerflich, dem Staat Geld zu sparen, indem man ihn betrügt...?
Das wäre vielleicht auch ein Legitimationsgrund. Beachten muss man aber, dass wer nur schwarz arbeitet normalerweise weder kranken- noch rentenversichert ist. Diese fehlende Versicherung kann natürlich auch später versteckte Kosten für den Staat bedeuten (ganz abgesehen von der prekären Situation für den Betroffenen!).

Zum Freitag: Ein interessanter Aspekt, den ich bisher noch gar nicht so bedacht hatte. Beachten würde ich aber zumindest drei Punkte:
1) Man muss 'wohlhabend' sehr weit fassen, damit jeder, der Geld anlegt, damit automatisch wohlhabend ist. Insbesondere wenn man bedenkt, dass viele Selbstständige keine Rentenversicherung haben und somit ihr Geld für ihr Alter irgendwo anlegen müssen; und wenn sie eine Rentenversicherung haben, muss die auch irgendwo ihr Geld anlegen.
2) Fasst man 'wohlhabend' so weit, geht ohnehin der Großteil der Steuerlast auf die Kosten der Wohlhabenden.
3) Dass Steuern gratis sind für den Staat, ist genau eben jene Selbstverständlichkeitshaltung, die ich problematisch finde.

Ipsissimus
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Do 12. Sep 2013, 11:02 - Beitrag #17

Schwarzarbeit an der Armutsgrenze siehst du dann auch als in gewissem Maße moralisch legimitiert an?


"Moral" ist in aller Regel ein formales modellhaftes System von Verhaltensmaximen. Selbstverständlich gibt es derartige Systeme, die ein derartiges Verhalten (Schwarzarbeit) als verurteilenswert darstellen oder erscheinen lassen. Selbstverständlich gibt es andere derartige Systeme, die das nicht tun.

Ein "an sich" gibt es dabei nicht^^ Schwarzarbeit "an sich" ist einfach nur Schwarzarbeit, moralisch weder legitim noch illegitim, außer im Sinne bestimmter Absichten, die üblicherweise in Konflikt zueinander stehen. Letztlich eine Machtfrage, keine Moralfrage.

Traitor
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Do 12. Sep 2013, 12:55 - Beitrag #18

Das kann man im hiesigen Philo-Bereich doch als gegeben voraussetzen. Für mich geht es in einer Moraldiskussion unter gebildeten Leuten immer um zwei-drei Dinge:
1. Herausfinden, wie die anderen einen Sachverhalt in ihrem Moralsystem bewerten.
2. Versuchen, die Argumente dafür nachzuvollziehen
Optional 3.: bei Nichtüberzeugtheit diese zu widerlegen versuchen.
Außerdem kann man gemeinsam versuchen, diese Schritte auch auf den wahrgenommenen gesellschaftlichen Konsens und die geltende Rechtslage anzuwenden.

In Sachen "Schwarzarbeit an der Armutsgrenze" ist die rechtliche Sicht eindeutig "unmoralisch", der gesellschaftliche Konsens scheint "da drückt man ein Auge zu" zu sein, und Padreics Ansicht interessierte mich eben. Wenn das "siehst du" dir nicht ausreicht, kann man den zitierten Satz meinetwegen auch expliziter formulieren:
"Schwarzarbeit an der Armutsgrenze siehst du dann in deinem moralischen System auch als in gewissem Maße legimitiert an?"


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