Erkenntnistheorie

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Padreic
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Di 14. Mai 2002, 20:55 - Beitrag #1

Erkenntnistheorie

Was meint ihr, in wie weit wir unseren Sinnen trauen können? Können wir überhaupt aus dem, was uns unsere Sinne sagen, ungefähr schließen, wie das, was um uns ist, aussieht (wenn es so etwas überhaupt gibt), oder täuschen sie uns völlig? Wissen wir schon etwas, bevor wir Sinneserfahrung haben? Haben eine Quelle von Erkenntnis außerhalb unserer Sinne und der Verarbeitung nur dieser Sinneserkenntnisse? Gibt es überhaupt sicheres Wissen und wenn, wie gelangen wir zu solchem?

Eine ganze Menge Fragen, aber ich würde nun einmal denken, wie ihr darüber denkt.

Padreic

Seeker
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So 26. Mai 2002, 16:30 - Beitrag #2

Hallo Padreic!

Interessante Fragen.
Zum Thema: "Können wir unseren Sinnen trauen?"
Alles, was wir um uns herum wahrnehmen kommt als Information im Gehirn an, die dann verarbeitet wird. Wie diese Infos zu verarbeiten sind, wird uns von Eltern, Lehrern, kurz von unserer Umwelt mitgegeben. Wir interpretieren alles um uns herum mit einer Grundstruktur, die uns von ihnen gegeben wurde.

Andere Länder, andere Sitten!

Will damit sagen, daß es andere Bezugssysteme gibt.
Mit der Zeit kann man sich seine eigenen Gedanken über dieses und jenes machen. Kommt zu einem neuen Interpretationsrahmen, der aber immer noch auf den alten aufbaut.
Irgendwo hab ich mal gelesen, wenn man zu einem Bezugssystem vollkommen anderer Art wechseln will, muß man erst sterben - alte Systeme fahren lassen - um dann von Neuem anzufangen. Wie das zu beurteilen ist, lasse ich dahingestellt.

Jedenfalls bleibt uns viel verborgen.
Z.B. Licht. Sichtbares Licht ist nur ein kleiner Bestandteil der Wellenlängenskala.
Ultraviolett können wir Menschen nicht sehen - ein Falke dahingegen kann es und kommt somit den Mäusen im Acker auf die Spur, weil ihr Urin im UV-Bereich grell leuchtet!

Kennst Du die Magic-eye-Bilder?
Man hat vor sich ein Papier mit wirren Farben und einigermaßen regelmäßigen Mustern. Nichts Genaues ist zu sehen.
Schielt man leicht und wartet eine Weile schälen sich 3-D-Objekte von überraschender Schärfe aus dem Bild. Unwillkürlich fragt man sich nach einem solchen Erlebnis, wieviel noch vor unseren Sinnen verborgen sein mag.

Anderes Beispiel:
Optische Täuschungen. Es gibt jede Menge Bilder, die uns eine dritte Dimension vorgaukeln. Andere lassen Strecken kürzer oder länger erscheinen, nur durch unterschiedliches Beiwerk (Pfeile, Striche, etc...).

Wir lernen von anderen Menschen. Wir lernen aber auch von uns selbst. Man kann einige Dinge hinterfragen, Übungen dazu nachgehen und abwarten, ob eine neue Erfahrung hinzukommt.
Auch der Glauben, Angst oder die Phantasie haben die Kraft unsere Wahrnehmungen zu verändern. Ebenso Drogen.

Padreic, Du hast einen großen Bereich angesprochen. Vielleicht sollten wir uns je ein Thema konkret heraussuchen und darüber reden. Vorausgesetzt, Du hast Lust.

Vielleicht hat auch noch jemand Anderes Lust, seine Meinung, seine Überlegeungen dazu hier offenzulegen.

Gruß,
Seeker

Padreic
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So 26. Mai 2002, 18:17 - Beitrag #3

@seeker
Ich weiß, dass es ein sehr großer Bereich ist, an dem sich schon viele große Philosophen versucht und darüber Bücher geschrieben haben.

Ich selbst bin mir noch über vieles sehr unklar und weiß oft nicht, welche der vielen Möglichkeiten ich wählen soll.
Seit Augustinus wissen wir zumindest sicher, dass wir existieren, womit auszuschließen ist, dass jegliche Erfahrung von den Sinnen kommt. Und Dinge wie Gleichheit, Ähnlichkeit und Verschiedenheit kennen wir wohl auch schon von Geburt an. Ohne diese Dinge können wir gar keine Sinneserfahrung bekommen.
Wir können wohl nie beweisen, ob wir den Sinnen trauen können. Irgendjemand, ich glaube es war Hawkings, sagte einmal (sinngemäß), dass die Dinge so sind wie wir sie sehen, da wir sonst nicht hier wären, um sie zu sehen. Vielleicht ist da was wahres dran, da unser Bild, was wir uns ja primär aus der Sinneserfahrung zusammengebastelt haben, recht plausibel ist.
Sicher interpretieren wir die Sinneserfahrung nicht immer richtig. Man kann ja mit einfachen Experimenten auch sehen, was man sich alles dazudichtet, z. B. dass man auf einem weißen Blatt ein weißes Quadrat sieht, obwohl nur vier rote Dreiecke aufgemalt sind. Das mit pseudo-drei-dimensionalen Bilder, die du ja schon als Beispiel aufgeführt hast, ist ähnlich, da wir von der Erfahrung ausgehend sie als drei-dimensional betrachten. Dazu kommen noch Ängste, Wünsche und ähnliches, was du ja auch schon genannt hast, die die Interpretation des wahrgenommenen leicht verändern. Aber dass jede Interpretation nur durch Erfahrung geprägt ist, glaube ich nicht. Eine gewisse Interpretation ist wohl bei so ziemlich bei jedem Menschen gleich, z. B. dass dreidimensionale Anordnen von den zwei zweidimensionalen Bildern, die uns die Augen liefern, oder das Vergleichen von zwei Gegenständen auf Gleichheit. Aber auch bei angeborenen Interpretationen können wir uns nicht ganz sicher sein, dass sie stimmen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist.
Bei der Sinneserfahrung können wir uns so nie sicher sein, in wie weit sie korrekt ist, aber wir müssen einfach annehmen, dass sie grundlegend gesehen korrekt ist, da, wenn es nicht so wäre, wir einfach nicht vernünftig leben könnten. Aber wir müssen immer versuchen, uns darüber klar zu werden, was unser eigener Geist zu der Sinneserfahrung dazufügt und es herausfiltern, damit wir zu genaueren Ergebnissen kommen.
Aber wir können auch anderes jenseits der Sinneswahrnehmung erkennen, z. B. logische oder mathematische Gesetze. Nur ihr Problem ist auch, dass wir nach Gödel bei einer gewissen Komplexität niemals beweisen können, dass sie widerspruchsfrei sind, so dass wir nie genau wissen, ob diese logischen Gesetze überhaupt gelten können. Aber wir können es ähnlich machen, wie mit der Sinneserfahrung: Wir können nach genauer Prüfung annehmen, dass diese Gesetze richtig sind, auch wenn es noch eine Restwahrscheinlichkeit gibt, dass sie widersprüchlich sind, da uns sonst wieder die Hände praktisch gebunden wären, da wir selbst einfach Sachen, wie, dass der Satz des Pythagoras gilt, nicht benutzen könnten.

Im Endeffekt wissen wir außer unserer Existenz nichts sicher, aber es ist die einzige vernünftige Möglichkeit, anzunehmen, dass bestimmte mathematische und logische Gesetze gelten, und dass unsere Sinneserfahrung zur Wirklichkeit außerhalb unseres Geistes wenigstens Ähnlichkeit hat.

Padreic

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Mi 5. Jun 2002, 23:30 - Beitrag #4

Seit Augustinus wissen wir zumindest sicher, dass wir existieren

.. verstehe ich nicht, kannst du das mal genuer beschreiben. von augustinus ist mir nur die auflösung der aristoteles-aporie bekannt.

syco

Padreic
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Do 6. Jun 2002, 16:14 - Beitrag #5

@syco23
Die Aristoteles-Aporie ist dafür mir wieder nicht bekannt...

Ich bezog mich auf Augustinus' "Si enim fallor, sum.", was ungefähr soviel wie "Denn wenn ich irre, bin ich." heißt, also praktisch das gleiche wie Descartes "Cogito ergo sum." Augustinus war allgemein schon recht weit in seiner Erkenntistheorie.

Padreic

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Do 6. Jun 2002, 17:39 - Beitrag #6

und du meinst dieses "ich irre, also bin ich" beweiset, dass wir existieren?!

syco

Padreic
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Do 6. Jun 2002, 17:46 - Beitrag #7

Ja, denn, wenn wir in der Annahme irren, dass wir existieren, existieren wir, da wir sonst nicht irren könnten, und wenn wir in dieser Annahme nicht irren, existieren wir sowieso.

Padreic

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Do 6. Jun 2002, 20:06 - Beitrag #8

o.k. stimmt. aber ein wissen von der eigenen existenz auf dieser ebene ist auch ohne diese wortspielerei "fühlbar". derartige wortspielereine führen zu nichts, wie man am beispiel der aristoteles-aporie sieht (bei dieser aporie geht es um die zeit. den genauen text werd ich jetzt mal suchen und dann posten)

syco

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Do 6. Jun 2002, 20:09 - Beitrag #9

es geht dabei imho um die frage, wie eine vorhersehung (schiksal) denkbar mit der freiheit zu vereinbaren ist.

von gelöst sein, kann aber imho nicht die rede sein ;-)

gruss,
orald

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Do 6. Jun 2002, 21:46 - Beitrag #10

ich weiß jetzt nich genau, ob diese aporie nicht doch von aristoteles' lehrer, platon, stammt... auf jeden fall geht es um folgendes problem:

was ist die zeit? sie setzt sich aus einem teil zusammen, der noch nicht da ist, einem teil der gerade da ist und einem der nicht mehr da ist (zukunkft, gegenwart, vergangenheit). obwohl diese 3 elemente der zeit offenbar nichts gemeinsam haben, bilden sie eine einheit.. das ist die aporie (bedeutet etwas so viel wie unauflösbarkeit)....

syco

Thod
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Do 6. Jun 2002, 22:06 - Beitrag #11

was aporie heisst, ist schon klar. damit werden normalerweise gedankliche widersprüche, die unauflöslich sind gemeint. (wie ich z.b. beschrieben habe)
bei aristoteles kenne ich zur zeitbeschreibung nur die akt-potenz-lehre

gruss,
orald

syco23
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Do 6. Jun 2002, 22:26 - Beitrag #12

also ich denke das ganze ist als aporie zu erkennen. kann diese aporie jemand auflösen? (wer die auflösung von augustinus kennt, ist ausgeschlossen):D

syco

Ipsissimus
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Fr 13. Sep 2013, 12:33 - Beitrag #13

Was meint ihr, in wie weit wir unseren Sinnen trauen können? Können wir überhaupt aus dem, was uns unsere Sinne sagen, ungefähr schließen, wie das, was um uns ist, aussieht (wenn es so etwas überhaupt gibt), oder täuschen sie uns völlig?

Sie täuschen uns völlig, aber das macht nichts, da die wesentliche Lesitung unseres Gehirns nicht aus der Spiegelung von Sinnesdatren ins Bewusstsein besteht, sondern aus der Rekonstruktion (anhand kultureller Rahmenbedingungen) einer Abstraktion, die im Gehirn beständig ein Abbild von "Welt" erzeugt. Solange durch kulturelle Konditionierung die Konsistenz dieses Abbilds in allen Gehirnen einer Kultur sichergestellt ist, benötigen wir nichts anderes. Problematisch war es in interkulturellen Situationen, aber da wir mittlerweile ernsthafte Konkurrenten praktisch ausgerottet haben, steht diesbezüglich nicht mehr viel zu befürchten.

Padreic
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Mo 16. Sep 2013, 03:38 - Beitrag #14

Um zu belegen, dass uns unsere Sinne vollkommen täuschen, müsste man eine sehr genaue Kenntnis der Realität jenseits der Sinne haben ;).

Ipsissimus
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Mo 16. Sep 2013, 10:32 - Beitrag #15

im Sinne einer mathematischen Beweisführung wird das schwierig^^ es gibt jedoch Hinweise - es gab zumindest Hinweise - in Form des Sprachgebrauchs alter Indianer-Kulturen, deren Mitglieder die Realität in einer anderen Weise wahrgenommen haben müssen als die Mitglieder von Industrienationen, weil sich sonst bestimmte grammatische Strukturen nicht erklären lassen, zum Beispiel Konjugationsformen für Zeitflussumkehr bei Anangu und anderen Aborigines.

Es ist aber gar nicht nötig, eine exakte Beweisführung zu bieten, weil wir durch unser technisches Instrumentarium - und aufgrund von Beobachtungen aus der Tierwelt - durchaus wissen, dass die Realität, wie sie durch unsere Sinne vermittelt wird, nur einen sehr kleinen Ausschnitt der gesamten Realität repräsentiert und diese daher insgesamt auf eine zwar funktionale, nichtsdestotrotz aber nachweisbare Täuschung reduziert^^


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