Aus den letzten Monaten:
Tonke Dragt - Die Türme des Februar: Ein Jugendbuch, das ich noch in großartiger Erinnerung hatte, über einen mit vollständigem Gedächtnisverlust in einer Parallelwelt aufwachenden Jungen. Gefiel mir erneut sehr gut, die Düsternis und psychologische Tiefe ist für die Zielgruppe bemerkenswert. Das Worldbuilding bleibt stellenweise etwas skizzenhaft, was aber natürlich zur stark beschränkten Perspektive der Hauptfigur passt, und wie viele Jugendbücher hätte es stellenweise auch gerne einfach etwas länger und detaillierter sein können, um Nebenhandlungen und -figuren besser zur Geltung kommen zu lassen. Aber definitiv für junge wie erwachsene Leser eine Empfehlung.
Anne McCaffrey - Dragonflight: Najanajanaja. Im Grundsatz sehr interessantes Worldbuilding, eine spannende Grundhandlung und viele nette Details. Aber es wird viel, viel zu viel Kram in einen einzelnen Band gepackt (der gesamte [spoiler]Zeitreise-Twist[/spoiler] hätte sehr gerne 2-3 Bände später in der Serie kommen dürfen, um im ersten Band erstmal die erste Revolution des Status Quo halbwegs sauber auszuarbeiten); die Hauptfiguren verhalten sich unerträglich und an der Handlung holpert im Detail so einiges.
Albert Camus - L'Etranger / Der Fremde: Parallellektüre Französisch-Deutsch. Bin in ersterem ziemlich rostig, aber mit der Parallelhilfe reicht es noch dazu, anzuerkennen, dass die oft grandios gleichgültige Sprache im Original tatsächlich noch besser funktioniert, und der relativ abrupte Wandel zu abstrakterer Wahrnehmung und Denke im zweiten Teil kommt durch stilistische Kniffe auch noch klarer rüber. Inhaltlich eh weiterhin eines meiner Allzeitlieblingswerke.
Joe Haldeman - The Forever War: Dank relativistischer Effekte über Jahrhunderte aus der Perspektive eines einzelnen Soldaten verfolgte Geschichte eines Menschheits-Aliens-Krieges. Überraschend gut lesbar in den militärischen Szenen, sehr interessant wenn auch stellenweise schwer zu beurteilen in den soziologischen. Bei vielen Details (insbesondere Sex/Gender) ist unklar, was veraltete Perspektiven des Autors sind, oder was er gezielt als veraltend in die Welt eingebaut hat. Vermutlich teils/teils, insbesondere die als direkte Vietnam-Satire erkennbaren Teile werden wohl seiner Perspektive entsprechen, bei einigen anderen ist die kritische Distanz erkennbar größer und daher echte Voraussehendheit naheliegend.
Olaf Stapledon - Star Maker: In "First and Last Men" schrieb Stapledon eine trockene, aber faszinierende Geschichte der gesamten Zukunft der Menschheit. Hier jetzt eine Geschichte des gesamten Kosmos - und das sogar zumindest streckenweise weniger trocken, gar mit poetischer Kraft. Dargelegt werden zahllose teils wirklich bemerkenswert kreative außerirdische Lebensformen (von Humanoiden über Arachnoiden und denkende Bäume bis hin zu Gas- und Energiewesen), was stellenweise aber doch trocken wird, und stellenweise wird in viel zu viel Detail auf recht krude Telepathie-Konzepte eingegangen; das Grundkonzept des Erwachens mehrerer Bewusstseinsstufens vom Individuum über die Spezies bis zur ganzen belebten Galaxie und darüber hinaus ist aber, so krude es halt auch ist, stark ausgearbeitet. Und über allem stets die Frage, ob es ein höheres mystisches Ziel gibt, oder der Kosmos doch nur zufällig ist und dem suchenden Bewusstsein desinteressiert gegenüber steht.
We See a Different Frontier: A Postcolonial Speculative Fiction Anthology: Im Schnitt höhere literarische Qualität als beim pädagogisch ähnlich angelegten "AfroSF" letztes Jahr, aber leider auch sehr viel übertrieben gewollt experimentelles Gedöns dabei. Einige richtig spannende und interessante Geschichten dabei aber, etwa über eine singaporianische Gebäude-Exorzistin, linguistische Resistance in einer von Imperialisten eroberten Ex-Hochkultur, oder die Postapokalypse auf pazifischen Inseln.