Sagt mir ieman waz is minne...?

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Feuerkopf
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Mo 26. Dez 2005, 22:31 - Beitrag #21

Das Gedicht, das ich weiter oben darstellte, heißt "Fisches Nachtgesang" und wurde von Christian Morgenstern um 1905 im Rahmen seiner Galgenlieder verfasst.

Ein sehr bekanntes Gedicht also, vor allem, wenn man mal die geniale Darbietung durch Gerd Fröbe gesehen hat. :)

C.G.B. Spender
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Di 27. Dez 2005, 04:54 - Beitrag #22

Ich werde zu diesem Thema nichts mehr sagen, sorry. Nur damit sich keiner wundert. Ich bin kein Literaturexperte.

Feuerkopf
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Di 27. Dez 2005, 11:27 - Beitrag #23

Nein, bist du nicht, Spender. Zum Glück!;)
Dafür hast du hier, meiner Meinung nach, das größte Talent, mit Worten Bilder zu malen.

Die Minimalistin. (Sollte ich mir als Membertitel vormerken lassen. ;) )

janw
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Di 27. Dez 2005, 11:54 - Beitrag #24

Mit Worten Bilder malen, tut das nicht Literatur vielfach, und gewollt?
Eine schöne Metapher jedenfalls, wie ich finde :)

Zitat von C.G.B. Spender:Minimalismus liegt damit wohl näher an der Literatur, wenn man unter Literatur die Möglichkeit der Interpretation versteht.

...und "je minimal, je interpretierbar" sagen würde. Konditional wäre das dann richtig, die Kondition beschriebe aber einen selektiven Literaturbegriff.

Spender, auch wenn Du schiefe einmal lagest,
grämen sollst Du Dich deshalb nicht :)

Feuerkopf, irgendwie kam mir das Stück bekannt vor, Fisches Nachtgesang, das ist es :)

"Literatur ist geschriebenes Wort."
Doch, was ist das Wort, ist Wort gleich wirklich alles, dem einen Sinn entlocken man vermag?
Mir scheint, die Litratur wär dann auch eben alles...

Lykurg
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Di 27. Dez 2005, 14:24 - Beitrag #25

Spender, das sehe ich wie Feuerkopf und janw: Gerade weil du dich nicht als Literaturexperten siehst (das ist wohl keiner von uns), ist dein Beitrag hier erwünscht und notwendig. Selbst und gerade wenn alle anderen Literaturwissenschaftler wären (o Graus!^^), sollte dem Wort eines Literaturschaffenden unbedingt Gehör geschenkt werden. Daß ich Begriffe anders definiere, heißt ja nicht, daß deine Literaturauffassung 'falsch', geschweige denn irrelevant wäre. Bitte entschuldige meinen Gefechtseifer gestern.

Ja, janw, der von mir genannte Begriff ist ziemlich weitgefaßt. Und auch er reicht nicht aus, etwa um rein mündlich überlieferte Epen und Lieder zu erfassen. Eine wirklich schlüssige Definition entzieht sich meiner Kenntnis. "Geschriebenes Wort" ist nur eine Näherungslösung. Übrigens mE nicht nur das, "dem einen Sinn entlocken man vermag", sondern gerade auch das Unsinnige.
Literatur ist codierte Information mit dem Zweck der Informationsvermittlung.
lehne ich ab, einerseits, weil ich diesen Zweck nicht absolutsetzen möchte, andererseits, weil hier wirklich eine Masse von Zeichensystemen eingeschlossen werden müssen (etwa Verkehrszeichen; Malerei; Mimik und Gestik), die ich draußen behalten möchte, wenn es irgend anders geht. :) Den Busfahrplan finde ich weniger problematisch, Traitor, es gibt doch auch von Peter Handke ein Gedicht, das ich hier nicht unerwähnt lassen möchte (leider fehlen die Leerzeichen):
Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27. 1. 1968
Wabra
Leupold Popp
Ludwig Müller Wenauer Blankenburg
Starek Strehl Brungs Heinz Müller Volkert
Spielbeginn: 15 Uhr

C.G.B. Spender
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Di 27. Dez 2005, 20:49 - Beitrag #26

Naja, es kam mir eigentlich eher so vor, als wenn hier vor allem die Experten gefragt wären, was auch immer in dem Fall Experte bedeutet.

Also darf ich mich jetzt nicht durch die Hintertür hinausschleichen? ;)

Zitat von Lykurg:Spender, das sehe ich wie Feuerkopf und janw: Gerade weil du dich nicht als Literaturexperten siehst (das ist wohl keiner von uns), ist dein Beitrag hier erwünscht und notwendig. Selbst und gerade wenn alle anderen Literaturwissenschaftler wären (o Graus!^^), sollte dem Wort eines Literaturschaffenden unbedingt Gehör geschenkt werden. Daß ich Begriffe anders definiere, heißt ja nicht, daß deine Literaturauffassung 'falsch', geschweige denn irrelevant wäre. Bitte entschuldige meinen Gefechtseifer gestern.
Ist schon o.k. So eng sehe ich das jetzt auch nicht mehr. Ich neige manchmal einfach dazu, alles persönlich zu nehmen, aber jetzt habe ich darüber reflektiert. Im Grunde genommen waren unsere Meinungen auch nicht so weit auseinander, nur hat wohl jeder Mensch seine eigenen Wege zu der einen oder anderen Erkenntnis. Ich muß auch zugeben, dass ich meine philosophische Seite manchmal schwer unterdrücken kann, d.h. alles in Frage zu stellen, zu bezweifeln und zu hinterfragen, ist ein wichtiger Teil von mir.

Mit Worten Bilder zu malen ist eine schöne Umschreibung von dem, was ich gerne mache, wobei ich mir eigentlich nie bewußt irgend ein bestimmtes Ziel setze, wenn ich etwas schreibe. Eigentlich weiß ich nie, wohin mich meine Worte führen.

Zitat von JanW: Spender, auch wenn Du schiefe einmal lagest,
grämen sollst Du Dich deshalb nicht :)
Wieso sollte ich mich deswegen grämen? Ich lag ja garnicht mal so schief. Es waren eigentlich eher subjektive Gedanken zur Literatur und meiner Ansicht nach, ist die Einstellung zur Literatur doch meistens oder fast immer sehr subjektiv und vom eigenen Geschmack abhängig.

Mit minimalistisch meinte ich Texte, die nicht mit Unmengen von Adjektiven ausgeschmückt sind. Natürlich sind diese leichter zu lesen und bieten mehr Freiraum für die Phantasie, damit auch mehr Interpretationsmöglichkeiten, oder etwa nicht? Mit der Phantasie des Lesers fängt die Interpretation an.

Gegen das Psychedelische habe ich natürlich nichts, aber es kann die Verständigung gegenüber den Uneingeweihten erschweren. :D

Zitat von Feuerkopf: Die Minimalistin. (Sollte ich mir als Membertitel vormerken lassen. ] Nee, Feuerkopf klingt besser. :) Ich habe inzwischen schon einige deiner Texte lesen dürfen, und auf mich machen sie einen sehr puristischen Eindruck. Da du auch Lektorin bist, ist das irgendwie kein Wunder. Das ist keineswegs negativ gemeint.

Nein, [ein Experte] bist du nicht, Spender. Zum Glück!;)
Dafür hast du hier, meiner Meinung nach, das größte Talent, mit Worten Bilder zu malen.
Danke dir für diese Wertschätzung.

Der Nachteil von Fotos ist, dass sie der Phantasie oft wenig Spielraum bieten. Da Worte jedoch immer anders aufgefaßt werden, je nach dem, wer sie gerade liest, gibt es wohl immer einen gewissen Spielraum für die Phantasie. Wie bei Fotos, die gegen das Licht aufgenommen wurden. In den Schatten leben die Gedanken.

Maglor
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Mi 28. Dez 2005, 11:18 - Beitrag #27

Wehe, den Volksetymologen!
Ein Gedicht hat mit Verdichten genauso wenig zu tun wie mit Abdichten.
Es besteht kein Zusammung zwischen Dichtung und der physikalischer Größe Dichte.
Nur im Neuhochdeutschen sind sie gleichlautend und können verwechselt werden!
Im Althochdeutschen hieß dicht noch dichi/dicki und dichten noch dihton/tihton.
Dichten hat also mit Verdichten nichts zu tun, sehr viel aber mit dem Erdichten.

Schon Goethe benutzte Dichtung und Wahrheit antonym.
Unter Dichtung versteht man heute die Literatur, nicht aber die Fachliteratur. Darum sind die Autore von Erzählungen und Dramen sehr wohl die Dichter, die von Sachbücher und Zeitungsartikel aber nicht.
Eigenart der Literatur/Dichtung ist ihre Zwecklosigkeit. Während das Sachbuch belehrt und die Zeitung informiert, ist es die Aufgabe der Dichtung zu unterhalten und zu erfreuen. Daher können auch Ovids Hexameter über Bienendictung zur Fachliteratur gezählt werden.
Funktionstexte sind also kein Dichtung. Dies gilt wohl auch für solche gereimten Merkverse: „Sieben Fünf Drei, Rom schlüpft aus dem Ei!“
Oder auch für Werbe- und Wahlslogans: „Wähl auch du, CDU!“
Die Dichtung wird gern in Epik, Dramatik und Lyrik unterschieden. Die Epik ist die erzählende Dichtung, die Dramatik ist die handlungsbetonte Dichtung, die Lyrik die gefühlsbetonte Dichtung. In allen drei Arten der Dichtung gibt es versgebundende, reimende Texte! (Die wenigsten Werke sind allein und eindeutig einer Art zuzuordnen.)
Das Gedicht ist aber ist ein deutlich lyrisches Werk, im Gegensatz zu Epos und Ballade. Das Gedicht wird gern als ein eher kurzes lyrisches Werk definiert. Also Vierzeiler, nicht Vierseiter!

Wenn man Literatur als "geschriebenes Wort" definiert, so ist das, vielleicht jener Literaturbegriff, der zu Zeiten Walthers von Vogelweide vorherrschte. Bloß mündlich überliefertes fällt unter den Tisch. Einige Jahrhunderte zuvor hätte man vielleicht behauptet, Literatur müsse in lateinischer Sprache verfaßt sein.
Sinniger ist es von fixiert oder überliefert zu reden, denn so schließt man mündlich überliefertes oder auch Hörspiele mit ein. Der Witz ist aber, nur was gelesen oder gehört wird, ist dann auch Literatur, sprich die Veröffentlichung adelt den Text!

"Mit Worten Bilder malen" ist eine sehr schöne Metapher der Metapher. Metaphorik ist jedoch keine besondere Eigenschaft der Gedichte sondern eher der Dichtung, sprich sie wird auch in Romanen und Dramen verwendet.

MfG Maglor

Ipsissimus
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Mo 16. Jan 2006, 12:50 - Beitrag #28

ich möchte zwei große Gebiete einander gegenüberstellen - Text einerseits, Musik andererseits.

In beiden Gebieten kann mensch sich ausdrücken, kommunizieren. Text vermittelt in erster Annäherung Inhalt, Musik vermittelt über die Form Atmosphäre.

Früh schon die Versuche, auf dem jeweils anderen Feld zu fischen, bzw. die Felder zu vermischen. Text wurde zu gebundenem Text, der nicht mehr nur inhaltlich wirken wollte, sondern auch über die Form; Musik erging es schlimmer - im Extremfall verlor sie ihre Eigenständigkeit, wurde zur bloßen Unterstützerin des Textes degradiert. Alle Abstufungen sind möglich und belegt.

Wenn wir von der speziellen Bedeutung Dichtung = Fiktion absehen, so ist Gedicht etwas, das sich im Spannungsfeld von Musik und Text entwickelte - von der Musik nimmt es die Form, vom Text den Inhalt (wir sehen auch von Rousseaus eher lyrischer Darlegung der Sprachentwicklung ab, der das Gedicht, zumindest gedichtartigen Text, als Primärform menschlicher Sprache erachtet). Die Balance zwischen diesen beiden Polen ist heikel und wurde in jeder neuen Gedichtform neu ausgehandelt - seid dem mittleren 20ten Jahrhundert in beinahe jedem Gedicht. Extreme Formen, in denen fast nur das Musikalische zählt, wären die Experimentalgedichte der Dadaisten und des Projekts Moderne; fast nur inhaltlich wirkt ein Haiku (was rein "sinnlich" gemeint ist, die unendlich strengen Formregeln für ein Haiku sind tatsächlich fast ausschließlich inhaltlicher Natur)

Maglor
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Mo 16. Jan 2006, 16:42 - Beitrag #29

Im Grunde ist ein Gedicht schon die Verbindung von Text und Musik. (Bei Fisches Nachtgesang fehlt wohl der Text.)
Dies würde ich allerdings keineswegs auf die gesamte Dichtung übertragen. Denn ich und viele andere zählen auch die Romane und Dramen zur Dichtung, auch wenn sie in Prosa verfasst sind. (Natürlich gibt es altvordere Ansichten, Dichtung müsse in Reim und Vers geschehen, auch in Romanen und Dramen. Aber das ist glaube ich doch der alte Tobak des Ovid.)

Ein Text an sich ist geschrieben, aber nicht notwendigerweise Literatur. Jeder Text hat einen Inhalt.
Was den literarischen Text vom bloßen Sachtext oder Gebrauchstext unterscheidet, ist, dass die Literatur keinen ordentlichen Zweck hat. EIn Einkaufszettel hat eine klare Bestimmung, genauso wie eine Gebrauchsanweisung, ein Lexikonartikel oder eine Zeitung. (Zeitung ist aber schon grenzwertig im Unterhaltungsbereich, ursprünglich Nachrichtenquelle.) Literatur unterhält schlicht und einfach. Beim Verfassen des Textes wird nicht nur auf die Verständlichkeit (also die Wiedergabe des Inhaltes) geachtet sondern auch auf die sprachliche Schönheit.

MfG Maglor

Ipsissimus
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Mo 16. Jan 2006, 17:12 - Beitrag #30

na ja, wir können natürlich den gesamten Bereich der Nichtgebrauchstexte als Dichtung ansehen - dann verlagern wir halt das Problem dahin, eine Bezeichnung für Gedichte als Gattung zu finden. Von daher verwende ich ganz gern die Bezeichnung "gebundener Text", also Text, der einen Formanspruch Genüge tun soll, über die Form dem Inhalt ein "mehr" hinzufügt; hierunter fallen Dramen genauso wie Gedichte.

Maglor
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Mo 16. Jan 2006, 17:25 - Beitrag #31

Wie wärs mit Poesie oder Lyrik? :crazy:
Außerdem bezeichnet doch Gedicht bereits die Gattung. :rolleyes:

Ipsissimus
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Mo 16. Jan 2006, 17:47 - Beitrag #32

schon^^ mir ist nur nicht ganz klar, wieso du so darauf insistierst, daß Dichtung der Überbegriff für die gesamte fiktionale Literatur sein soll, für die der Begriff "Literatur" ja auch schon existiert^^

Maglor
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Di 17. Jan 2006, 13:35 - Beitrag #33

Exakt, der Begriff Literatur existiert. ;)
Was versteht den ein deutscher Muttersprachler so unter Dichtung und dichten?
Erdichten hat eine ähnliche Bedeutung wie Erfinden oder Lügen.

Kann Dichter nicht synonym zu Autor benutzt werden?
Naja, mit Autor bezeichnet man auch den Verfasser von wissenschaftliches Artikel oder Zeitungsartikel. Mit Dichter referiert man jedoch nur auch den Künstler, gleich ob Lyrik, Epik oder Dramatik.

MfG Maglor

Ipsissimus
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Di 17. Jan 2006, 13:52 - Beitrag #34

nun, wir unterscheiden ja auch zwischen "Dichter" und "Schriftsteller", welch erster zwar auch Schriftsteller sein kann, aber gerade beim Verfassen eines Gedichtes nicht als solcher gilt; umgekehrt ist der Schriftsteller beim Verfassen eines Romans gerade kein Dichter.

Autor ist demgegenüber ein unspezialisierter Oberbegriff

Maglor
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Mi 18. Jan 2006, 12:30 - Beitrag #35

Ich habe mich noch einmal kundig gemacht. :cool:
Also mit Dichter bezeichnet mit in neuerer Zeit das literarische Genie. Mit Schriftsteller im Grunde alle Literaten.
Der Unterschied zwischen Dichtung und Literatur ist der, dass die Literatur in erste Linie die aufgeschriebene Dichtung umfasst. Zur Dichtung können spontan Reime (z.B.: Free-Sytle-Rap) gezählt, die Augenblicke später vielleicht schon für immer vergessen sind.
Bis ins 18. Jahrhundert nannte man noch jeden literarischen Text Gedicht. Erst um diese Zeit wurde der Begriff auf lyrische Werke begrenzt. Das Wort Dichtung ist noch allumfassender, noch... Der Trend geht auch hier in Richtung Lyrik.

MfG Maglor

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Mi 18. Jan 2006, 13:01 - Beitrag #36

hmm, Teil des Problems scheint mir, daß vor den Wilhelm-Meister-Romanen und dem Werther die fiktionale Hoch-Literatur praktisch ausschließlich - bis auf wenige Ausnahmen - in Reimform vorlag, sei es als Drama, sei es als Gedicht, der Roman war als Gattung noch gar nicht oder nur in Vorformen existent. Von daher ist die Benutzung des Begriffs "Dichter" als Oberbegriff für jeden kunstschaffenden Schreiber bis ins 18te, frühe 19te Jahrhundert sicher einfacher zu begründen als heute, mit der expliziten Konnotation, daß Hochliteratur gereimter = gedichteter (und eben nicht erdichteter) Text sei.

Mit der Etablierung und dem Siegeszug des Romans als literarischer Hochform verändert sich das alles ein bißchen^^ Wir unterscheiden Lyriker von Dramatikern, und beide von Schriftstellern, das Drama vom Gedicht und beides vom Roman oder der Kurzgeschichte.

Maglor
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Mi 18. Jan 2006, 13:13 - Beitrag #37

Welch ein Irrtum, schon Aristoteles unterschied Lyrik, Dramatik und Epik.
Davon ab finden sich schon lange vor 1800 literarische Werke in Prosa. Man denke nur an den abenteuerlichen Simplicissimus Teutsch. Ein Roman von 1669.
Und du hast da etwa falsch verstanden, vor 1800 betrachtete man das Gedicht vor allem als erdichtet! Sprich man fasste die Prosa unter Gedichte. Erst nach 1800, als die Prosa wohl an Bedeutung gewann, beschränkte man den Begriff des Gedichtes auf die Lyrik.
Die ursprüngliche Bedeutung von dichten ist aufschreiben. Später kam das Erfinden und Lügen hinzu. Das Reimen und Ordnen ist der jüngste Teil der Bedeutung, der eben erst in der späten Neuzeit hinzukam.

MfG Maglor

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Mi 18. Jan 2006, 13:48 - Beitrag #38

der Simplicissimus gehört zu den genannten Ausnahmen, genau an den habe ich gedacht, als ich diese erwähnte^^ er ist aber imo kein Roman, dazu fehlt ihm die romantypische Durchdringung mehrerer Handlungsstränge, bzw. sind diese Handlungsstränge im Simplizissimus nicht auf romantypische Art verwoben; ähnliches ist auch hinsichtlich Candide und anderen Ausnahmen der Fall.

Epen sind genauso gereimt wie Dramen, wenn auch in anderem Versmaß; Romanepen sind eine Erfindung der Moderne.

Woher du die Behauptung nimmst, Gedichte seien vor dem 18ten Jahrhundert vor allem erdichtete Texte gewesen, bleibt mir unerfindlich. Sie setzen sich vom Epos und vom Drama durch ihre relative Kürze und ihre eher aphoristische Sprache ab - beides tendentiell gemeint

Maglor
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Mi 18. Jan 2006, 13:53 - Beitrag #39

Tja, solche Behauptungen finden sich in Literaturlexika. :rolleyes:
Goethe benutzte Dichtung und Wahrheit noch antonym. ;)
Sprache verändert sich. Bedeutungswandel ist an der Tagesordnung, da bleibt das Wort "Gedicht" keineswegs verschont.
MfG Maglor

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Mi 18. Jan 2006, 13:56 - Beitrag #40

Maglor, zu Aristoteles´Zeiten wurde aber in allen Formen meist in Reim- oder metrischer Form geschrieben - die Ilias als Epos eingeschlossen.

Mit der Beschränkung auf "fiktionale Hochliteratur" und der Eingrenzung auf "praktisch ausschließlich - bis auf wenige Ausnahmen - " hat Ipsi es schon hinreichend präzisiert, um Grimmelshausen und Don Quiche zuzulassen.

Mit der Einführung des Romans und der Entwicklung einer Literatur-bewußten Schicht (des Bürgertums nämlich) wurden dann die Begrifflichkeiten für die Autoren und die Gattungen ihrer Produktionen neu geordnet. Etwas analog vielleicht zu dem Versuch der Musikindustrie heute, für alles und jedes eine Schublade zu finden oder neu zu erfinden.^^

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