Welches Buch lest ihr gerade? (II)

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Padreic
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Di 12. Jul 2011, 23:37 - Beitrag #421

@Katinka3: 'Growing Newbie' ist einer der "Titel", die automatisch anhand der Beitragszahl vergeben werden. Ein eigenes Benutzerbild kannst du erst nach 100 Beiträgen hochladen.

auf Lykurgs indirekte Empfehlung hin habe ich neulich 't Haarts Wüten der ganzen Welt gelesen. Es geht um einen sich oft fremd fühlenden Jungen, der die Musik liebt und als Kind einen Mord ansehen muss. Wundervoll ist, wie er immer wieder neue Hinweise bekommt, die ihn letztlich doch fast bis zum Ende in die Irre führen. Prädikat: durchaus gelungen.

e-noon
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Mi 13. Jul 2011, 00:21 - Beitrag #422

@Pad: Klingt gut.

Heute: Nietzsche - Der Antichrist. Leichte Lektüre; ein Wüten gegen die wahrgenommene Lebensfeindlichkeit des Christentums. Sehr wohltuend ^^

Stellenweise sehr schöne Aphorismen.
"Die gewöhnlichste Lüge ist die, mit der man sich selbst belügt; das Belügen andrer ist relativ der Ausnahmefall."

Lykurg
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Mi 13. Jul 2011, 08:33 - Beitrag #423

Eigenartig, Padreic - ich kann mich nicht daran erinnern, wann und wo ich die Empfehlung abgegeben habe, habe das auch mit der Suchfunktion nicht gefunden; aber da es sich um eines meiner langjährigen Lieblingsbücher handelt, vielleicht wirklich die Nummer eins, wirst du zweifellos recht haben damit. -

Momentan
Jostein Gaarder: Das Orangenmädchen
Der fünfzehnjährige Icherzähler erhält einen bis dahin versteckten langen Brief seines vor zwölf Jahren gestorbenen Vaters an ihn, in dem dieser ihm die Geschichte der Liebe seines Lebens erzählt. Das Buch ist quasi ein Austausch zwischen Vater und Sohn, eine Spurensuche mit gaardertypisch philosophischen Anklängen (naturgemäß Abschiednehmen und Tod), allerdings wieder deutlich Jugendbuch. Ich hab es mir ausgeliehen, weil ich es letzte Woche in einer Theaterbearbeitung gesehen habe und mich die Machart interessierte. Recht nett, aber kein großer Wurf.

Traitor
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Do 14. Jul 2011, 13:51 - Beitrag #424

Wie schlagen sich Buch- und Theaterfassung im Vergleich? Vor 2 Jahren gab es ja auch eine Verfilmung, die mir in der Sneak unterkam und nur mäßig gelungen war.

Lykurg
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Do 14. Jul 2011, 15:13 - Beitrag #425

Hielt sich beides ebenfalls in Grenzen, unterschiedliche Probleme. Wie du fand ich die beiden Fassungen unterkomplex, es werden ein paar große Themen angeschnitten, aber es bleibt recht weitgehend bei Selbstverständlichkeiten. Die Perspektive eines Fünfzehnjährigen (der keine Anzeichen weitergehenden philosophischen Interesses zeigt) bleibt gewahrt, der Brief des Vaters geht nicht allzuweit darüber hinaus.

Das Theaterstück (bzw. eher ein kleines Musical, mit einer Menge mäßig gesungener Dichtung stellenweise etwas fragwürdiger Qualität) verkürzte das Personal auf ein Vierpersonenstück (plus zwei Musiker); also nur die beiden parallel erzählten Paare, die entsprechend auch parallel in Szene gesetzt wurden. Gegenüber der Buchvorlage, in der die Ehe von Georgs Eltern als völlig harmonisch dargestellt wird, wurde im Stück auf Krawall gebürstet, sie hätten sich in den letzten Jahren viel gestritten; daran kann er sich auch noch erinnern. Im Buch ist die einzige echte Erinnerung an seinen Vater (die ihm erst gegen Ende wiederkommt) eine gemeinsame Sternenbeobachtung. Astronomie fand ich im Buch eher direkt handlungsbezogen (anderes hätte zum Schreiben des Jungen und seines Vaters auch nicht gepaßt) bzw. als historische Vergleichsebene; im Stück wurden Sterne ein paar Mal auch als Metapher bemüht.

Etwas unterschiedlich gehandhabt wurde das Problem der zwei Ehen der Mutter - im Stück ist (der dort nicht als Person auftretende zweite Mann) Jörgen ein alter Freund, der sie in ihrer Einsamkeit tröstet, und mit dem sie glücklich zusammenlebt, aber explizit ihren ersten Mann als die Liebe ihres Lebens bezeichnet; im Buch entzieht sie sich der entsprechenden Frage ihres Sohnes, und die Enthüllung, daß sie ihn schon von früher kannte, kommt dort erst am Schluß. Die Parallelisierung, im Buch eher angedeutet und offengelassen, wird im Stück weitererzählt; Georg erzählt dem Mädchen von der Geschichte seines Vaters und findet so einen Anküpfungspunkt zum Gespräch und zu ihr; im Buch bleibt es bei Ankündigungen, etwas weniger platt vielleicht.

Maglor
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Do 14. Jul 2011, 19:18 - Beitrag #426

Gerade aufgewacht:
H. G. Wells: Wenn der der Schläfer erwacht ...
Die Mutter zahlreicher Science-Fiction-Motive überzeugt durch ihre dystopischen und sozial-romantischen Details, der Ausblick eines victorianischen Menschen ins 21. Jahrhundert. Das ultimative Vorbild für 1984, Planet der Affen, Matrix, Juche ... egal.
Wesentliche Teile der Handlung (und ich meine jetzt nicht den Schlaf und das Erwachen) widersprechen leider dr allgemeinen Logik und wirken wie in der Plot eines dirttklassigen Action-Films.

Padreic
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Do 14. Jul 2011, 19:21 - Beitrag #427

@Lykurg: du hast das Buch bei studivz als eines der Lieblingsbücher aufgelistet.

Ansonsten lese ich gerade die Churchill-Biographie von Haffner - ich mag seinen unnüchternen Stil, so wie schon in seiner Geschichte des deutschen Reiches.

e-noon
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Do 14. Jul 2011, 20:42 - Beitrag #428

Nietzsche: Menschliches, Allzu Menschliches.
Lem: Golem.
Maarten 't Hart: Die Schwarzen Vögel.
Beschreibung folgt.

Ipsissimus
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Mo 18. Jul 2011, 11:48 - Beitrag #429

Michael Bulgakow
Der Meister und Margarita

Erstveröffentlichung 1966/67, in der Literaturzeitschrift "Moskwa" in zwei Ausgaben
Luchterland 2006, in der Übersetzung von Thomas Reschke

trotz der späten Erstveröffentlichung entstand der Roman in den Jahren zwischen 1930 und 1941; Bulgakow war gerade die Ausreise aus der Sowjetunion verweigert worden, aufgrund eines Erlasses von Stalin erhielt er aber eine Anstellung in einem Moskauer Theater, durfte jedoch nicht veröffentlichen. Die verbleibenden Jahre bis zu seinem Tod an einem schweren Nierenleiden nutzte er fast ausschließlich für diesen Roman, sein literarisches Hauptwerk.

Das Buch ist eine Art Genre-Mix. Es beinhaltet eine Art fantastische Abenteuerreise, eine hinter dem offensichtlichen Textgehalt verborgene massive Gesellschaftskritik, humanistische Reflektionen über das Wesen von Gut und Böse in bester Dostojewski`scher Tradition sowie Reflektionen über Macht und Ohnmacht von Kunst und Künstlern.

Die Handlung ist in drei Ebenen angelegt:


  • das Moskau der 30er Jahre bietet den Hintergrund für ein satirisches, episodenhaftes Porträt der ideologisch gegängelten sowjetischen Gesellschaft unter besonderer Betonung von Dilettantismus und Opportunismus, wie sie sich im offiziellen Literaturbetrieb eingestellt haben
  • In einer überzeitlichen Parallelwelt tummeln sich Hexen, Vampire, Besucher eines Satansballs – Giftmischer, Massenmörder und sonstige Großverbrecher
  • Die Welt des alten Jerusalem zur Zeit Jesu ist als Roman - über das Verhältnis zwischen Pilatus und Jeschua han-Nasri (Jesus) - im Roman eingeschoben
Das Ganze ist opulent erzählt, vergnüglich und kurzweilig zu lesen und kann mit Pasternaks "Doktor Schiwago" locker mithalten. Eine eindeutige Leseempfehlung.

Lykurg
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Fr 29. Jul 2011, 01:06 - Beitrag #430

Leo Perutz: St.-Petri-Schnee (1933); Zwischen neun und neun (1918)
(beides Wiederlektüren; zu den Beschreibungen von 2008 gerade wenig Ergänzungsbedarf - Z9u9 hat mich weniger gefesselt als beim ersten Lesen, klar, auch weil es um Überraschungen geht, aber mir waren auch einige der sprachlichen Bilder zu platt und Figuren zu hölzern. Naja, bei ihm kann das alles auch mit der Handlung erklärt werden, muß aber nicht.)

Walter Kempowski: Alles umsonst (2006)
(Schnelldurchgang zum Wiederauffrischen und Sichten von ein paar Anstreichungen) - immer noch ein großartiges Buch, wenn auch sehr düster.

Daniel Kehlmann: Beerholms Vorstellung (1997)
Raffiniert erzählte Lebensgeschichte des Zauberers Beerholm, der aus Liebe zur Mathematik und den grundsätzlichen Sicherheiten, die sie vermittelt, zunächst die Theologie, dann aber wieder die Zauberei für sich entdeckt. Besonders reizvoll einige der Einflüsse des Zauberns auf das Erzählen, so beherrscht Kehlmann sowohl die Kunst, Dinge vor dem Leser zu verschleien, andererseits das Augenmerk auf andere zu richten. Unklar bleibt dabei, wie wahr die Geschichte auf der Erzählebene sein soll, starke Fiktionalitätsanzeichen sind in den Text eingestreut.

Terry Pratchett: Pyramiden
(1989)
Aufeinanderprallen von Tradition und Modernisierungsstreben, Geometrie, Quantenmechanik und Zeit, Politik und ein bißchen irritierender Liebe - schön, nicht unbedingt der stärkste, aber lustig, wäre auch als Einstiegstext brauch- und lesbar.

Stephenie Meyer: Biss zum Morgengrauen
(2005)
Irgendwann war es halt dran^^ - eindrucksvoll, wie der Text sich schon auf den ersten Seiten demaskiert, durch den Widmungstext der Erzählung vom Sündenfall - genau dieselbe nur scheinbare Willensfreiheit Evas wird auch Bella in Edwards Bann gezogen, ohne Einfluß und ohne auch nur den Willen zu einer Alternative zu haben. Ein erschreckend schwaches und naives Mädel, wie sich in verschiedenen ihrer Handlungen zeigt, auch dem Anbandeln mit Jacob und ihrem Versuch, den Schlußkonflikt im Alleingang zu lösen - möglicherweise eher als ein Davonrennen vor ihren Problemen zu verstehen als im Sinne eines wirklichen Auswegs. Darüber hinaus natürlich wahnsinnig kitschig - schon verständlich, was seinen Erfolg ausmacht.^^ Hmm, Fortsetzung? Erstmal sacken lassen.

Italo Calvino: If on a winter's night a traveller (1979)
Raffiniertes Miststück von Text, lauter angefangene Romane und Erzählungen verschiedenster Richtung, die allesamt für sich genommen keinen Sinn und kein Ende haben können, eingebettet in eine irrsinnige Rahmenhandlung, , teilweise mit angedeuteten Ebenenbrüchen, und mit wunderschönen Reflektionen z.B. über das Leseverhalten des angesprochenen Lesers zum aktuellen Zeitpunkt, die das nachher betriebene Vexierspiel mit imaginiertem Leser und imaginierter Leserin um so verstörender werden lassen.

Henri-Pierre Roché: Jules und Jim (1953)
Geschichte einer unerschütterlichen Männerfreundschaft, die sich durch diverse jeweils dreieckig verlaufende Frauengeschichten nicht beeinträchtigen läßt, im das Buch bestimmenden Verhältnis zu Kathe sogar mehrfach abwechselnde Eheschließungen bzw. Ehe zu dritt. Alle drei vertreten ein sehr offenes Liebeskonzept bzw. pflegen anderweitige Beziehungen, was zweifellos Geschmackssache ist, immerhin von der Konstellation her notdürftig ausgeglichen - aber abstoßend und verstörend an Kathes Verhalten ist ihre destruktive Eifersucht und Rachgier, die sie das, was sie selbst aus Gedankenlosigkeit und spontaner Lust ständig tut, ihren Männern auch andeutungsweise niemals durchgehen ließe, ohne zur Strafe in einer Weise fremdzugehen, die sie größtmöglich verletzen muß. Eigenartige Widersprüchlichkeit zwischen polyamorem Verhalten und quasi monogamem Anspruch, und folgerichtig vernichtend.

Amy
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Mo 1. Aug 2011, 20:31 - Beitrag #431

Aktuell lese ich noch an "Wuthering Heights" von Emily Bronte - das erste Mal. Und ich bin nach wie vor ganz begeistert von dem Buch und es ist eines der wenigen, das ich die letzte Zeit gelesen habe und kaum weglegen konnte. Neulich bin ich mit dem Buch sogar während einer Party in einen stillen Raum geflüchtet, um ein Kapitel zu lesen ;) Denn das amüsante ist, dass mich die Geschichte immer wieder aufs neue "schockiert" und dadurch fasziniert.
Ich muss gestehen, dass ich keinen der Klassiker aus dieser Zeit kenne, dafür aber einige Jane-Austen-Verfilmungen vage gesehen habe - und mir dadurch eben das Interesse an derartigen Büchern vergangen ist. Für mich verströmte das alles einfach zu viel Schmachtromanze, schwache Frauenbilder und auch nicht sonderlich standhafte Männer & Co aus.
Und dann begann ich "Wuthering Heights" und saß bei dem ersten fluchenden Kommentar von Heathcliff erst einmal arg verwundert vor dem Buch, still fragen: "Hucha! Wo ist denn das brave Klischee hin, das ich im Kopf hatte?"
Erfrischend aufregend und böse zu den Vorstellungen, die mich jahrelang davor abgehalten haben, eines dieser Bücher zu lesen (obwohl ich Jane Austen nach wie vor aus dem Weg gehe, aber mir alle Bronte-Bücher besorgt habe).

Dazu habe ich einen Haufen Bücher in unserem SecondHand-Shop abgegriffen, die aber vorerst zurückgeschoben werden. Lediglich "Die Schwestern Bronte" von Werner Waldmann wird mir die nächsten Straßenbahnfahrten versüßen.

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Mo 1. Aug 2011, 20:50 - Beitrag #432

@Lykurg: 'Jules und Jim' ist auch recht gut verfilmt - ein ruhiger Film, der einen erst so richtig umhaut, wenn er schon vorbei ist.

Endlich ist der fünfte Teil von 'Song of Ice and Fire' von George Martin rausgekommen. Ich brauchte erst wieder einige dutzend Seiten, um mich in die Welt wieder reinzufinden, es hat mich aber wieder in seinen Bann gezogen. Ein bisschen wie ein Brucknersinfonie: man macht eine Sinfonie oder einen Melodiebogen eben so lang wie er sein muss und kürzt ihn nicht. Ab und zu ist auch eine Szene eingestreut, die wie ein Brucknerfinale reinhaut, aber erstaunlich selten; es ist mehr die Wirkung des langen Atems und unzähliger Details, zusammengehalten vom komplex gerichteten Plot.

Lykurg
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Mo 1. Aug 2011, 21:32 - Beitrag #433

@Padreic: Ja, die von mir gelesene Ausgabe enthielt ein Vorwort von Truffaut, und daß der Film sehr gut sein soll, hörte ich auch; bei Gelegenheit muß das wohl sein. - Dein Vergleich Buch-Symphonie (Martin-Bruckner) ist spannend... einen ähnlichen Eindruck hatte ich mal bei Thomas Mann, der mich in der seiner Gedanken ein wenig an Sibelius erinnert (man könnte das bis in einzelne Symphonien und Bücher hinein weiterführen, das wird aber eventuell etwas obskur bzw. sehr subjektiv).

@Amy: Ja, ein großartiges Buch! Ich bin ja auch neulich erstmals in den Genuß gekommen, und habe es auch nur aus besonderem Grund zwischendurch beiseitegelegt. ;) Drastische Sprache, entsprechend einer extrem schroffen Natur (und dazu passenden Charakteren).


Zuletzt
Henrik Ibsen: Hedda Gabler
Geschichte um eine verheiratete Frau (aber nur konsequent im Titel mit ihrem Mädchennamen bezeichnet), die es sich in den Kopf setzt, einmal über ein Leben zu entscheiden - und ihren Willen auch bekommt. Faszinierend und abstoßend; der Schluß allerdings eher unbefriedigend, ihr Selbstmord schwächt die Aussage des Stückes ab.

...und im Moment
Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
...aber die Beschreibung wird nachgeholt, im Moment ist noch kein abschließendes Urteil möglich.

Ipsissimus
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Fr 19. Aug 2011, 16:28 - Beitrag #434

Roberto Saviano
[size=84]Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
[/size]
Deutscher Taschenbuch Verlag, Februar 2009
aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt von Rita Seuß und Friederike Hausmacher

Es ist so: Emanuelle war ein Verbrecher. Mit seinen 15 Jahren hatte er schon an die 40 Raubüberfälle auf dem Kerbholz, alle nach dem gleichen Schema, immer Samstags, immer dort, wo die Liebespaare sind. Mit ein, zwei Kumpels ran, die Pistolenattrappe gezückt und an einem Wochenende konnte man schon mal 500 Euro einstecken, leichtverdientes Geld. Und den Respekt der anderen gab es gratis dazu.

Emanuelle war nicht sonderlich helle, auf die Idee, dass die immer gleiche Wiederholung des immergleichen Tricks in der immergleichen Gegend selbst den dümmsten Polizisten irgendwann mal auffallen könnte, kam er nicht. Und so wurde er eines Tages statt von einem erschreckten Liebespaar von ein paar Bullen begrüßt, die im Auto auf ihn warteten. Emanuelle geriet in Panik, zückte die Pistolenattrappe, als wolle er schießen, und war schon tot, ehe er den Lauf noch in die Waagerechte gebracht hatte.

Nun war Emanuelle aber nicht nur ein Verbrecher, er war auch einer aus Parco Verde, und einer, der einmal wirklich einer aus Parco Verde war, bleibt das für immer. Fehler und Verbrechen tun da nichts zur Sache, wer in Parco Verde geboren wurde, hatte zwar keine Schule besucht, keine Ausbildung erhalten, war ohne Arbeit, hatte keine Perspektive und keine Zukunft, aber er war einer aus Parco Verde. Und so wurde ihm eine Kapelle mit einem Altar darin gebaut, in der er beerdigt werden sollte.

Der Bürgermeister von Parco Verde war keiner aus Parco Verde, die meisten kannten seinen Namen noch nicht mal, und welcher Farce von Wahl er seine Position verdankte, wusste eh niemand. Der Bürgermeister also war überhaupt nicht glücklich darüber, dass in seinem Ort einem Verbrecher eine Kapelle gebaut wurde und schickte einen Bagger zum Abriss. Der Bagger kam, setzt die Abrissbirne ein und da standen sie um ihn. Gut 5000 Jugendliche in Emanuelles Alter, ein paar Alte, die meisten mit ihren Mofas. Und es herrschte Totenstille. Der Baggerfahrer bekam es mit der Angst zu tun und schloss sich in der Baggerkabine ein. Was ihn nach dieser prinzipiell einsichtsvollen Handlung dazu trieb, doch den Motor anzuwerfen und die erste Mauer einzureißen, ist unbekannt. Alles weitere ist Zeitgeschichte, in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Zeitgeschichte.

Mit dem Einstürzen der ersten Mauer öffneten die umher stehenden Jugendlichen die Tanks ihrer Mofas. Manche ließen den Kraftstoff einfach da auslaufen, wo sie gerade standen, anderen füllten sie erst in mitgebrachte leere Bier- oder Coladosen. Die Logik war einfach: Wenn die Kapelle eines der unsrigen abgerissen wird, reißen wir alles andere ab. Die Logik ging auf, alle amtlichen Gebäude, Schule, Kirche - Parco Verde brannte nach 10 Minuten lichterloh. Es blieb nicht dabei, es wurde zu einem der größten Aufstand-artigen Ereignisse in der jüngeren Geschichte Italiens, die Küste brannte bis hinein in die Randbezirke Neapels. In den Zeitungen wird später von einer illegalen Müllverbrennung die Rede sein.

Bis dahin passierte nichts besonderes, nichts, was nicht in allen üblichen Mafiabüchern oder -filmen hätte erzählt werden können. Dann aber geschah etwas Außergewöhnliches. Während sich die Krawalle immer weiter vom Ursprungsort entfernten, fuhren in Parco Verde plötzlich ein schwarzer Landrover und ein großer LKW vor, passierten ohne jede Schwierigkeit die polizeilichen Absperrungen um die brandschatzenden Jugendlichen und hielten vor der größten Mob-Gruppe. Aus dem Landrover stieg ein junger Mann aus, schaute auf die Jugendlichen, wies zum LKW; etwa 30 Jugendliche stiegen daraufhin dort ein. Der Mann schaute weiter auf die verbliebenen Jugendlichen, die sich umdrehten und verschwanden. Keine 2 Stunden nach Beginn der Brände war der Aufstand in Parco Verde ohne Blutvergießen beigelegt.

Es ist nämlich so: Parco Verde ist ein Viehsammelplatz. Das Vieh, das gemeint ist, sind die Menschen, die hier vegetieren, dafür gedacht, für die lokalen Clans die niedrigsten Arbeiten auszuführen. Sie werden dazu in einem Zustand völliger Hilflosigkeit gehalten, wer nicht gerade zum Militär gehen kann oder als Frau weit weg heiratet, hat keine Chance mehr auf irgendetwas, nur darauf, vielleicht gelegentlich als Drogenkurier, Schmierensteher oder Wagenlenker bei irgendeinem einem Mordauftrag eingesetzt zu werden, wo sie dann für ein paar Euro eine Arbeit übernehmen, die ihnen 10 und mehr Jahre Knast einbringt. Die Clans hatten nicht eingegriffen, weil das Feuer oder die öffentliche Aufmerksamkeit sie beunruhigte. Man musste nur die Viehherde schnell wieder den Griff bekommen, denn vielleicht gab es Arbeiten zu erledigen.

Die 30 Jugendlichen aus dem Laster sind übrigens nie wieder aufgetaucht. Die aus Parco Verde glauben, sie hätten Karriere gemacht, denn das ist es, wovon sie in Parco Verde träumen, die Karriere bei den Clans.

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dies ist nur eine von vielen Geschichten, die in "Gomorrha" mit akribischer Detailtreue erzählt werden, real stattgefundene Geschichten, ohne Hinzufügungen oder Auslassungen, das ganze Buch hat es mit der Realität zu tun: auch wenn es sich liest wie ein Roman, enthält das Buch nichts Fiktionales, es ist eine Dokumentation.

Es ist noch nicht einmal eine der spannenden Geschichten, viel spannender ist der reine Wirtschaftsteil, die Schilderung der Vorgänge um den Hafen von Neapel, und wer schon immer mal wissen wollte, warum alle Wege nach Neapel und nicht nach Rom führen, oder warum die Schweiz die zweitgrößte Reedereiflotte der Welt hält, oder was an italienischer Haute Couture italienisch ist, oder warum Europa ohne China nicht mehr existieren kann, buchstäblich nicht mehr existieren kann, nicht etwa symbolisch gemeint, der wird hier die Antworten finden. Und noch viele mehr. Ob man danach noch gut schlafen kann? Wahrscheinlich schon. Italien ist so weit weg. Und Parco Verde ist Peanuts. Hmm ... nein, noch nicht mal das. Was ist schon besonders an einem von weit über 50 Viehsammelplätzen.
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heftiger Stoff. Realitäts-Porno. Und nochmal: Dokumentation. Keine Fiktion.

Katinka3
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Fr 19. Aug 2011, 18:00 - Beitrag #435

Ein Roman von Kerstin Gier, In Wahrheit wird viel mehr gelogen. Eine Witzige Geschichte für Trübe Tage. Es geht um eine junge Frau deren große Liebe verstorben ist. In Ihrer Trauer muss sie sich nun mit ihrem spießigen Exfreund um ein nicht gerade kleines Erbe streiten. Darauf hin betrinkt sie sich, geht zu einer Therapeutin und kauft sich Schuhe für ein kleines Vermögen. Sie fühlt sich von Idioten umzingelt. Ihre Familie ist aber bei ihr und Unterstützt sie bei einem Neuanfang.

Amy
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Mo 22. Aug 2011, 18:40 - Beitrag #436

Da meine Ausgabe von "Jane Eyre" zu meiner Mutter geliefert wurde und ich da momentan nicht bin, habe ich mir in Bremen "Harry Potter - Die Kammer des Schrecken" von Joanne K. Rowling gekauft.

Leider habe ich die ersten Bücher nicht im Haus, weil ich damals noch fleißig in die Bibliothek lief. Deswegen schadet es nicht, die langsam nachzukaufen und auch wieder zu lesen. In die Potter-Welt tauche ich nur zu gerne ein :)

Maglor
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Mo 22. Aug 2011, 20:00 - Beitrag #437

Mal wieder ein Klassiker*:
James F. Cooper: Der letzte Mohikaner
Eine schwarzgalliger Blick in eine nicht all zu ferne Vergangenheit voller ungezähmter Wildheit.
Edle Einfalt, sterbende Völker - ein letztes Aufbegehren der wilden Mingos für die französische Krone. :crazy:
Mittendrin der abgebrühte Waldläufer Lederstrumpf, Falkenauge, La Long Carabine - ein Mann von reinem Blute.
* wie immer in Übersetzung :rolleyes:

Anaeyon
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Mo 22. Aug 2011, 21:16 - Beitrag #438

Stephen Hawking - Das Universum in der Nussschale

Bin erst am Anfang, aber ich finde es toll... Vor allem, nicht jeden Satz drei mal lesen zu müssen, bis ich dessen Bedeutung erahne. Bild
Wenn ich das durchhabe, muss ich mich mal an meine Sagan-Bücher heranwagen. Brocas Brain, Shadows of forgotten Ancestors, Cosmos.

Immer mal wieder lese ich ein paar Seiten in "Red Queen - Sex and the evolution of human nature" von Matt Ridley. Das ist zwar sehr spannend, aber gerade aufgrund der vielen englischen Fremdwörter auf Dauer recht ermüdend.

Amy
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Do 1. Sep 2011, 13:49 - Beitrag #439

Auch wenn meine äußerst schöne, altmodische Ausgabe von "Jane Eyre" mittlerweile angekommen ist, will ich erst ein anderes Buch fertiglesen.

Gewissermaßen ist es kein Buch, sondern eine sehr groß aufgezogene FanFiction, weswegen ich sie als eBook auf dem iPhone lese. Und dazu schleppt sich das ein bisschen mit dem Lesen ;)
Dabei handelt es sich um "James Potter - Hall of Elder's Crossing" von G. Norman Lippert. Sehr liebenswerte Charaktere und schöne Ideen, auch wenn natürlich der Schreibstil von Jo Rowling allgemein vermisst wird. Aber liest sich trotzdem schön ;)

e-noon
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Do 1. Sep 2011, 22:15 - Beitrag #440

Gerade beendet:

Maarten 't Hart - Das Wüten der ganzen Welt.

Maarten 't Hart - Die schwarzen Vögel.

Henrik Ibsen - Hedda Gabler.

Jetzt werden gerade gelesen:

Shaw - Pygmalion.

Nietzsche - Menschliches, allzu menschliches.

To be completed...

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