Lykurg[ohne Titel]


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Stendhal: Über die Liebe (1822) Versuch der Systematisierung einer unübersichtlichen Materie - stark veraltet hinsichtlich der Geschlechterrollen, aber schön in Sprache und Darstellung; besonders gelungen das Bild der 'Kristallisation' von Empfindungen bzw. Vorstellungen des Geliebten, die sich mit der Zeit immer weiter verfeinern. Thomas Mann: Lotte in Weimar (1939) Der letzte TM, der mir noch fehlte, lange gemieden, weil ich mit Goethe und insbesondere Werther nie wirklich warm wurde - hiervon jetzt aber begeistert - hinreißend groteske Figuren, insbesondere Mager, beide Charlottes, Dr. Reimer - ein von TM mit feinem Strich wunderbar persiflierter Speichellecker mit zugleich überschäumendem Selbstwertgefühl und gekränkter Eitelkeit, Goethe 'natürlich' zu erheblichen Teilen Selbstportrait, auch Sprachrohr NS-kritischer Äußerungen, dabei aber ebenfalls durchaus ironisch gezeichnet, wer glaubt, TM habe keinen Humor, kann hier wirklich das Gegenteil belegt finden. Faszinierend auch die Erzählweisen, längere innere Monologe, v.a. Goethe, unterbrechen weitgehend personal-auktorialen Bericht, eingestreut ein originaler Brief, schöne Vermischung von Fiktion und Wirklichkeit, die insbesondere am Ende in einer traumhaften Sequenz im Ungewissen verschmelzen. Stephenie Meyer: Eclipse (2007) Weiterführung der überaus problematischen Charakterzeichnungen der vorigen Bände - stark manipulatives Verhalten sowohl Edwards als auch Jacobs, Text über Eifersucht und Bevormundung, vielleicht ungewollt der stärkste Band der Reihe, gerade was den nur konsequenten Schluß mit der Einladung wider Willen angeht. Literarisches Modell des Buches ist Wuthering Heights, was zur Richtung der Erzählung wohl auch besser paßt als die Vorlagen der ersten beiden Bände (Genesis 2-3 bzw. Romeo & Julia), auch wenn Parallelen zwischen den Charakteren nur sehr teilweise gegeben sind. Stephenie Meyer: Breaking Dawn (2008) Ziemlich enttäuschend gegenüber den Möglichkeiten, die der Vorgänger zeigte: die Autorin schreibt sich (scheint mir) endlich ihre sexuellen und Allmachtsphantasien von der Seele, behält dabei aber immerhin die oppressive Typologie Edwards trotz veränderter Umstände konsequent bei. Strukturell unbefriedigender Text, wirkt teilweise ungeplant-lieblos, vielleicht gerade durch das Fehlen einer Vorlage. Meines Erachtens hätte Faust II sehr gut gepaßt (Helena/Homunkulus), eigentlich müßte man das Buch daraufhin neuschreiben oder massiv überarbeiten, aber wen interessierts? Jean Auel: Ayla und der Clan des Höhlenbären (1980) Anfang des großen Earth's Children-Zyklus um ein Menschenmädchen, das bei Neanderthalern aufwächst und sich in deren Lebensweisen einpassen muß bzw. gegen sie durchsetzend seinen eigenen Weg findet. Wie in den späteren Bänden eine (teilweise allzu) superheldenhafte Hauptfigur, interessant aber angesichts der Außenperspektiven auf Gesellschaftsorganisation etc.; außerdem deutlich zeitverhaftet hinsichtlich Genderdiskurs und Drogen (sehr schöner Einfall: eine in den Drogenrausch eingebaute Vision unserer Gegenwart). Sprachlich und motivisch stellenweise deutliche Anlehnungen an Altes und Neues Testament, manchmal eher irritierend. Erich Fromm: Die Kunst des Liebens (1956) Darstellung des Meisterns der Liebe als zentraler Faktor der Lebensqualität - nicht des Geliebtwerdens, sondern des eigenen Empfindens. Aufschlußreiche Darstellung von Konzeptionen der Nähe/Distanz, des Aufeinandereinlassens und der Vermittlung unterschiedlicher Wesenskonfigurationen, eingebettet in die gesellschaftliche Situation der (/seiner) Gegenwart. Geduld und Einfühlungsvermögen in sich selbst als wichtigste Eigenschaften... Thomas Bernhard: Auslöschung (1986) Nur auffrischende Lektüre des großen Vernichtungswerks - unglaublich böse, mitreißende Darstellung der aus Banalität entstehenden seelischen Grausamkeit. Eine einzige durchgehende Suade gegen Österreich, den Katholizismus, die erstarrte Familie, die Brutalität der Geistlosen. Sibylle Knauss: Ach Elise, oder Lieben ist ein einsames Geschäft (1981) Eindrucksvolle literarische Biographie von Elise Lensing, der Geliebten Friedrich Hebbels, deren Leben die Autorin an Stellen mangelnder Information freischaffend phantasievoll ergänzt (übrigens durchaus poetisch) und ihren Gegenstand aus feministischer Perspektive kritisiert und gegen dessen Vorbesitzer Hebbel verteidigt, besonders auffällig am Schluß, als sie ihm das selbst angemaßte letzte Wort (auf ihrem Grabstein) verweigert. Mark Dunn: Ella Minnow Pea: a progressively lipogramatic epistolary fable (2001; -> deutsch von Henning Ahrens 2004: Nollops Vermächtnis) Ein Briefroman, aus dem im Lauf der Zeit immer mehr Buchstaben verschwinden, hier (anders als bei einigen anderen Oulipo-Texten) sehr schön durch die Handlung begründet: Von der Inschrift an Nollops Denkmal auf der gleichnamigen Insel fallen immer weitere Buchstaben herunter und werden vom sich zunehmend als totalitäre Priesterschaft gebärdenden Rat der Insel für verboten erklärt. Niedliche, etwas verwirrende Geschichte, da ziemlich viele Figuren vorkommen, deren Geschichten man nicht besonders aufmerksam folgt, weil der Text selbst immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Genial aber die deutsche Übersetzung, die die Auslassungen des Originals getreu reproduziert (wenn auch leider die deutschen Pangramme längst nicht so gut sind und sein können wie die englischen). Peter Bichsel: Cherubin Hammer und Cherubin Hammer (1999) Lebensgeschichte zweier Personen gleichen Namens, die eine im Fließtext, die andere in den Fußnoten erzählt und einander gegenübergestellt, ziemlich wirr und unkonventionelle Autorkommentare, wer etwa eine Erklärung für die wesentliche Lebensbeschäftigung der einen Figur erwarte (täglich einen Stein auf einen Berg tragen), könne das Lesen auch bleiben lassen, denn die werde hier nicht geliefert. Hmmm. Voltaire: Candid(e) oder der Optimismus (1759) Als Reaktion auf das Erdbeben von Lissabon sowie als Auseinandersetzung mit diversen Gegenpositionen, unter anderem von Wolf und Leibniz, teilweise auch polemische Abrechnung, entstandene satirische Erzählung von unheimlicher Brillianz. Ganz beiläufig nimmt der Erzähler haarsträubende Eingriffe in die Logik der Erzählung vor oder dekonstruiert Motive seiner Figuren, schildert Liebesszenen genauso nüchtern-sachlich-grotesk wie Kriegsgreuel und führt mit Vorliebe alles als Belege für Naturrecht und seine Gegenwart als beste aller möglichen Welten vor. Genauso gleichgültig läßt er aber auch seine Protagonisten den paradiesischen Idealstaat finden und wieder verlassen, um sich in ein banales und entbehrungsreiches Dasein als Gemüsebauern zu schicken. Eric-Emmanuel Schmitt: Die Schule der Egoisten (1994) Geschichte eines Geisteswissenschaftlers, der neben der Arbeit an seiner Diss zufällig auf apokryphe Zeugnisse eines Solipsisten stößt, denen er nachforscht, bis... nun ja^^ man lese es selbst, etwas anderes existiert ohnehin nicht bzw. nur in meiner Vorstellung.
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