Welches Buch lest ihr gerade? (II)

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Amy
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Sa 17. Mär 2012, 16:11 - Beitrag #501

Ha! :) Das ist ja großartig.
Der Stil sagt mir sehr zu, allgemein gefällt mir das Buch im Moment sehr gut; irgendwie spricht es mich sehr an. Trotzdem kann ich die Hände nicht von "The Hours" lassen. Alleine schon, weil es ja indirekt mit "Mrs. Dalloway" zusammenhängt und es interessant ist, den direkten Vergleich zu haben, wenngleich sich Woolfs Buch um einiges schöner liest, als das bisher schlichtere "The Hours" (aber da bin ich auch noch nicht sonderlich weit).

Dummerweise ist heute auch noch "Little Children" von Tom Perrotta gekommen. Ich brauch dringend wieder ein paar Zugfahrten, damit ich ungestört lesen kann und weiterkomme ;)

Amy
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Di 20. Mär 2012, 20:50 - Beitrag #502

"Mrs. Dalloway" fertig gelesen - sehr schönes Buch und ein Schreibstil, der es mir eindeutig angetan hat. Werde demnächst wohl noch mehr von Woolf lesen :)

Morgen geht es dann mit "The Hours" von Michael Cunningham weiter. Dürfte ich relativ schnell durch haben, weil die Schrift im Gegensatz zu Woolfs Buch fast gigantisch ist! :D

Amy
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Do 22. Mär 2012, 01:51 - Beitrag #503

"The Hours" vorhin durchgelesen. Blöde Situation; ich habe die gleichnamige Verfilmung geliebt und sie hat mich dazu angespornt, eben das Buch und "Mrs. Dalloway" zu lesen. Nun hat der Film jedoch an Zauber verloren und ich fühle mich vollkommen desillusioniert.
(Ich kann mir nicht helfen: ich fand die Verfilmung von "The Hours" irgendwie zwischen den Zeilen schöner, als das Buch. Aber vergleicht man es mit "Mrs. Dalloway", ist es ein schlechter Versuch, etwas derartiges auf die Leinwand zu bringen. Alleine schon, weil so viel verändert und/oder dramatisiert wurde. Kleinigkeiten, die mich zutiefst stören. Beispielsweise weint Peter Walsh plötzlich beim Gespräch mit Clarissa. Im Buch "The Hours" findet eine ähnliche Stelle zwischen Louis und Clarissa statt, eben so, wie es in Anlehnung an "Mrs. Dalloway" auch sein soll. In der Verfilmung von "The Hours" hat aber hingegen Clarissa plötzlich einen Nervenzusammenbruch! Das fühlt sich alles falsch an. Ich glaube, ich muss den Film wirklich als etwas eigenes ansehen und nicht mit Dalloway/Hours vergleichen, sonst ist es frustrierend, denn den Film mochte ich sehr, selbst die oben genannte Szene mit dem Nervenzusammenbruch ging mir ziemlich nah; irgendwie konnte ich mich sehr hineinversetzen. Aber ... blergh! Hätte ich die Bücher nur vor dem Film gelesen. Ich hasse das!)
Mein Interesse an Woolf hat das "Hours"-Debakel nicht geschadet; zwei weitere Romane von ihr wurden vorhin bestellt und werden nun sehnsüchtig erwartet :)

Vorhin nun mit "Little Children" von Tom Perrotta angefangen. Habe jetzt fast eine Angst, dass hier das gleiche passieren wird, weil ich den Film dazu eben schon kenne und sehr mochte - wehe, das Buch desillusioniert mich auf die gleiche Art und Weise. Bisher, nach fünfzig Seiten, bereue ich jedoch nur, dass ich es nicht auf englisch kaufte, nur, weil mie deutsche Hardcover-Ausgabe günstig in die Hände fiel und ich zuschlug. Denn auch wenn ich noch nicht weit bin, stört es mich zutiefst, das "The Prom King", wie die Mütter auf dem Spielplatz Todd nennen, mit "der Megatyp" übersetzt wurde, was irgendwie ... einfach nur flach klingt. Zumal die bei der Synchronisierung des Films auch so viel Köpfchen hatten und es mit "Ballkönig" übersetzten, wie es nun mal gehört! Schätze, dass ich die deutsche Ausgabe, sobald ich sie durch habe, verkaufen/verschenken werde und mir stattdessen die englische Ausgabe fürs Regal zulegen werde. :naja:

Ipsissimus
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Mo 26. Mär 2012, 13:11 - Beitrag #504

Michael Muhammad Knight
Taqwacore

Originaltitel "The Taqwacores", 1. Auflage 2004 ohne Verlag
1. Deutsche Auflage Rogner & Bernhard, 16. März 2012

"taqwa" bedeutet auf Arabisch "Gottesfurcht"; es ist eine der zentralen Forderungen des Koran. "Taqwacore" kann also in erster Annäherung als "Kern der Gottesfurcht" übersetzt werden - die Lektüre des Buches belegt aber recht schnell, dass der Plural des englischen Originaltitels dieser Deutung eher angemessen ist, es handelt sich um mehrere Kerne.

"Taqwacore" ist aber auch die Bezeichnung für eine Musikrichtung vornehmlich der amerikanischen Westküste. Es handelt sich um eine Gruppe von vielleicht zwei bis drei Dutzend Bands, deren Mitglieder allesamt Muslims sind; musikalisch gibt es keine Einheitlichkeit, wenn nicht der Urahn "Punk" eine solche Einheitlichkeit stiften soll. Es zeigt sich sehr schnell, dass die Frage, was Punk eigentlich ist, sich mit der anderen Frage trifft, was Islam eigentlich ist.

Das Buch spielt in einer kleinen islamischen Wohngemeinschaft in Buffalo im amerikanischen Bundesstaat New York. Die Eltern der jungen Menschen, die hier wohnen, waren allesamt noch in ihren Herkunftsländern im Sinne des klassisch arabischen Islam sozialisiert und haben diese Sozialisierung an ihre Kinder weitergegeben, die allesamt geborene Amerikaner sind. Die Sozialisierung dieser Kinder ist gebrochen; zum einen haben sie den klassisch fundamentalistischen Islam ihrer Eltern verinnerlicht, zum anderen sind die Lebensumstände des modernen Amerika selbstverständlicher Hintergrund ihres Lebens. Das führt bei den einzelnen Protagonisten zu unterschiedlichen Graden von Abweichungen - in dem Haus wird gesoffen, Dope geraucht, einige tragen Tätowierungen, es wird masturbiert, und als Schlimmstes, aus traditioneller Sicht, eine junge Frau lebt mit den vier männlichen Bewohnern zusammen - alles Todsünden. Daneben dient das Wohnzimmer des Hauses als Moschee, in dem die Freitagsgebete abgehalten werden, bei denen die Bewohner reihum als Imam auftreten - einschließlich der Frau. Nch den Gebeten folgen dann die Orgien.

Immer und immer wieder geht es um den Konflikt zwischen Sunna und Fard - was ist bloße Tradition, Kultur, Lebensweise (Sunna), was ist religiöse Pflicht, Gebot des Koran (Fard). So gerät der Ich-Erzähler in die Situation, ernsthaft über den Gellatineanteil in Marsh Mallows nachzudenken; später wird er sich angesichts der immer stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit rückenden großen Themen für eine derart kleinliche Art der Auseinandersetzung schämen. Die großen Themen aus Sicht dieser jungen Leute: Spiritualität und Sexualität. Was ist der Kern der Gottesfurcht?

Das Buch ist großartig und witzig, ein islamischer "Fänger im Roggen"; es bringt die großen Themen in den Kontext der kleinen Schwächen und zeichnet den verheerenden Einfluss der Sunna nach, zeigt aber auch, wie eine junge Generation von Muslims diesen Einfluss Schritt um Schritt überwindet. Auch wenn das Buch teilweise tragisch endet, weist es weit über sich selbst hinaus, zeigt Möglichkeiten für einen Islam auf, der nicht in den traditionellen Formen erstarrt ist, der im besten Sinne des Wortes "modern" sein kann. Das Buch ist dabei auf die amerikanischen Verhältnisse zugeschnitten; ob eine derartige WG in Deutschland möglich wäre, kann ich nicht beurteilen.

Das Buch zeigt allerdings auch, wie unaufgeklärt selbst junge Muslims vielfach noch sind, und damit meine ich nicht das Sexuelle, das am allerwenigsten. Ganz viele der kleinen Gespräche wirken ... na ja ... wie wenn kleine Kinder sich ernsthaft über den Inhalt eines Märchens unterhalten, an das sie alle noch in realistischer Manier glauben. Also nicht der Form nach sondern dem Gehalt nach. Für diese Menschen bedeutet ihre Religion wirklich noch etwas, etwas für die alltägliche Lebenspraxis absolut Verbindliches, dessen Verbindlichkeit ganz und gar nicht zur Debatte steht. Es geht nur um die Frage, was essentieller und was verzichtbarer Teil ist.

Darin liegt teilweise das Tragische begründet. Das Buch endet mit den Worten (Gedächtniszitat): "Es ist vorbei. Ich habe als Muslim versagt, ich bin keiner mehr. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich immer noch und ganz und gar ein menschliches Wesen bin."

Das Büchlein könnte für ein Verständnis des Islam als moderne Religion mehr bewirken als alle wohlfeile Religionswissenschaft zusammen, weil es den Blick durch die Lehre hindurch auf die Menschen richtet, die diese Religion leben. Es zeigt für mich ganz klar, dass Islam und arabischer Kulturkreis völlig getrennt voneinander betrachtet werden müssen.

Lykurg
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Mo 26. Mär 2012, 14:49 - Beitrag #505

Klingt faszinierend, Ipsissimus, wobei ich aus deiner Beschreibung noch nicht ganz die Trennung zwischen Islam und arabischem Kulturkreis erkennen kann; deiner Darstellung zufolge scheitern die Akteure ja gerade am Versuch einer solchen Differenzierung und dem Leben eines wie auch immer modifizierten Islams außerhalb des arabischen Kulturkreises, dem sie entstammen. Für deinen Abschlußsatz würde ich eigentlich gerade erwarten, daß Figuren auftauchen, die eine islamisch-nichtarabische Sozialisation haben - oder daß der Text gerade diese Gemengelage analysiert, etwa in den Diskussionen der jungen Leute. Das erwähnt deine Beschreibung allerdings nicht, und es wäre angesichts deiner Bemerkung zu in schon tragischer Weise geringer Abstraktionsfähigkeit eher überraschend.

Zwischendurch, wenn ich gerade keine Lust auf meine Fachliteratur habe, u.a.
Horaz: Sämtliche Werke (1. Jh. v. Chr.)
Eigentlich Arbeitsmaterial nur für ein paar Zitatnachweise, aber ich habe mich spontan in den Oden festgelesen, mein etwas unkonventioneller Leseansatz ist der einer Hinführung auf die Literatur des 18. Jahrhunderts, von daher gesehen faszinierend, was die Weimarer Klassiker daraus gemacht haben bzw. wie dicht sie an diesen Vorbildern arbeiteten.

Max Goldt: Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau (1993)
Gesammelte Kolumnen aus der Wendezeit, nachträglich kommentiert. Vieles glänzend formuliert, wobei ich deutlich überhöhte Erwartungen hatte und entsprechend etwas enttäuscht bin. Sehr überrascht war ich aber, in einer der Geschichten die derzeitige Anschrift meiner Schwester zu finden (ohne Hausnummer), ich denke allerdings nicht, daß sie deswegen dahingezogen ist.

Traitor
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Di 27. Mär 2012, 19:41 - Beitrag #506

Die weitere Islam-Diskussion habe ich abgetrennt.

Ich bin noch am "Glasperlenspiel", in der Marienfelser Zeit, da zuletzt nicht viel zum Lesen gekommen. Nach der mir nicht sonderlich gefallenden Einleitung deutlich interessanter geworden, viel Denkstoff.

Padreic
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Mi 28. Mär 2012, 20:51 - Beitrag #507

Die Einleitung ist tatsächlich etwas seltsam und, zumindest für sich stehen, nur teilweise genießbar; kann das Glasperlenspiel aber als Gesamtwerk sehr empfehlen!

Ipsissimus
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Mi 28. Mär 2012, 21:24 - Beitrag #508

was empfindet ihr an der Einleitung so seltsam?

Maglor
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Mi 28. Mär 2012, 21:40 - Beitrag #509

Die Einleitung - insbesondere der Gegenwartsbezug des feuilletonistisches Zeitalters - passt in der Sache sehr wohl zur Lebensbeschreibung des Josef Knecht, sie ist eine geeignete Hinleitung in das utopische bis dystopische Kastalien.
Die Einleitung steht nicht für sich. Der Konflikt zwischen Feuilletonismus und wahrhaft kastalischer Gelehrsamkeit ist das Thema des Buches. In der Einleitung stehen sich nicht Kindmenschen und Geistmenschen oder unterschiedlichen Seelen einer Person entgegen, sondern ganze historische Epochen mit jeweils entgegengesetzten Naturen.

Traitor
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Mi 28. Mär 2012, 21:42 - Beitrag #510

Zitat von Traitor, 28.02.2012:Interessante, aber sehr schwerfällige historisierende Einleitung, die sich irgendwie selbst des kritisierten Feuilletonismus' schuldig macht.
Das Konzept vom "feuilletonistischen Zeitalter" hat zwar etwas, wird aber ziemlich ausschweifend, unzusammenhängend, stilverliebt und mit wenigen wirklich schlüssigen Argumentationsketten präsentiert - eben feuilletonistisch. Ob dieser innere Widerspruch in irgendeiner Weise gewollt ist, mag ich erst nach Abschluss der Lektüre zu beurteilen wagen. (Ein bisschen könnte ich es mir vorstellen, bevor ich den hiesigen Hesse-Thread abbrach, kamen mir da schon ein paar Spoiler in Richtung später doch noch potentiell herauslesbarer Kritik am anfangs so perfekt erscheinenden Kastalien unter.) Für sich genommen wirkt das aber ersteinmal befremdlich.
Der zweite Teil der Einleitung, die Geschichte des Glasperlenspiels, ist dann einfach etwas abstrakt und schwerfällig, erst mit dem persönlichen Auftreten Knechts werden Welt und Konzepte wirklich greifbar.

Amely67
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Do 19. Apr 2012, 18:37 - Beitrag #511

" Leben kann auch einfach sein" von Stefanie Stahl

...wundervolle Tipps für ein besseres Leben durch besseres Verstehen seiner Mitmenschen und auch sich selbst.

e-noon
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Sa 23. Jun 2012, 13:12 - Beitrag #512

"Guards! Guards!" von Terry Pratchett.

Lange her, dass ich beim Lesen eines Buches so viel gelacht habe :D Das Buch ist sicher am witzigsten, wenn man bereits viel Fantasy gelesen hat und eigentlich nicht noch einen intelligenten, tapferen, moralisch einwandfreien Helden braucht, der den von Grund auf bösen Feind besiegt.

Besonders gut finde ich Vetinari.

"I shall deal with the matter momentarily," he said. It was a good word. It always made people hesitate. They were never quite sure whether he'd deal with it now, or just deal with it briefly. And no-one ever dared ask.
[...]"Thank you for coming to see me. Please don't hesitate to leave."

Allerdings ist seine Figur auch irgendwie problematisch... klar, es handelt sich um Fantasy und um eine irgendwie mittelalterlich wirkende Stadt mit Gilden und allem, aber der Gedanke, dass die Stadt mit ihm als Patrizier etwas besser ist als ohne ihn, ist irgendwie... undemokratisch.

Traitor
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Sa 23. Jun 2012, 13:25 - Beitrag #513

Nein, nein, du hast das falsch verstanden. Vetinari verkörpert doch die perfekte Demokratie. One man, one vote!
(Und man beachte, dass "ohne ihn" nicht "mit Wahlen" bedeuten würde, sondern "mit Mad Lord Snapcase"...)

Zuletzt Terry Pratchett - Soul Music (mit Steinen drin), jetzt Terry Pratchett - Snuff, das neueste Werk. Schon wieder Vimes wird zwar etwas langweilig, und es scheint eine üble Inkontinuität zu "Unseen Academicals" drin zu haben (Thema Goblins), aber mal sehen.

Danach dann definitiv wieder ein anderer Autor...

Lykurg
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Sa 23. Jun 2012, 14:24 - Beitrag #514

e-noon, wenn du ab jetzt häufiger Pratchett liest, könnten sich die Intervalle verkürzen. ;) Der nächste in der Reihe wäre Men at Arms (Helle Barden), in der Wachen-Reihe taucht Vetinari auch am häufigsten auf. Ich stimme Traitor aber völlig zu - die Alternative zu Vetinari sind eben nicht freie, gleiche Wahlen, sondern ein anderer Patrizier - und höchstwahrscheinlich ein schlimmerer. Selbst wenn es Wahlen gäbe, würden die Gilden das unter sich ausmachen - und ich denke mal, die Assassinen, Diebe und Bettler würden den Ausschlag geben oder es träfe einen Verrückten, auf den sie sich einigen können, weil er die Abläufe am wenigsten stört (komisch, warum muß ich spontan an Papstwahlen denken?). In Night Watch und in The Truth kommt ein bißchen was zu den Hintergründen.

Gestern Moving Pictures (Voll im Bilde), worin Vetinari auch einen allerdings eher kurzen Auftritt gegen Ende hat. Schon sehr schön, aber ich mag die späteren lieber, Holy Wood ist eh nicht so meine Welt.

Zuvor Eric-Emmanuel Schmitt: Oskar und die Dame in Rosa,
Geschichte um das Abschiednehmen und Sterben eines leukämiekranken Kindes; einfühlsam beschrieben und eindrucksvoll, auch in der erzählerischen Gestaltung, allerdings auch von Schmitt nicht das stärkste, was ich kenne.

Zuvor (ebenfalls binnen eines Tages) Hermann Hesse: Narziß und Goldmund,
das bei uns keine Schullektüre war, daher unvoreingenommen und mit großem Interesse gelesen. Nähe zum Glasperlenspiel offensichtlich hinsichtlich der Zweiteilung zwischen Kloster- und Weltleben, hier allerdings aufgespalten in Gelehrten- und Künstlerexistenz in göttlicher Gnade (?) und das banale Leben der einfachen Menschen. Interessant der Judenexkurs, der mich das Buch eher ein Jahrzehnt später hätte ansiedeln lassen. (Goldmund fragt Narziß, ob der als Abt Pogrome dulden könne; eine recht eindrucksvolle Passage).

Vor längerer Zeit u.a. Christian Kracht: Faserland,
ein ziemlich drogengefärbtes Sittenbild unserer Zeit - aus der Perspektive eines Mitglieds der im Überfluß lebenden obersten Schicht; dabei gespickt mit bösartigen Beobachtungen und Seitenhieben. Mein Bild ist recht gemischt.

Ipsissimus
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So 24. Jun 2012, 19:27 - Beitrag #515

die Alternative zu Vetinari


die Alternative zu Vetinari ist Karotte

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So 24. Jun 2012, 20:05 - Beitrag #516

Ja, und Karotte ist natürlich auch der von e-noon gefürchtete "intelligente, tapfere, moralisch einwandfreie Held"^^ - aber gerade wie Pratchett mit dieser Alternative umgeht, zeigt wieder mal seine Genialität.

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Mo 25. Jun 2012, 13:59 - Beitrag #517

Zitat von Traitor:Vetinari verkörpert doch die perfekte Demokratie. One man, one vote!
:D

Zitat von Traitor:Und man beachte, dass "ohne ihn" nicht "mit Wahlen" bedeuten würde, sondern "mit Mad Lord Snapcase"

In der Realität des Buches, ja, aber Pratchett kann diese ja nach Belieben gestalten. Auf der Geschichtsebene stimme ich dir natürlich zu, aber dennoch zumindest ungewohnt, dass ein Fantasybuch Diktatur nicht offen kritisiert. Meist geht es ja doch um den Kampf für Frieden und Freiheit.

Ja, und Karotte ist natürlich auch der von e-noon gefürchtete "intelligente, tapfere, moralisch einwandfreie Held"

Naja, nein :D Intelligent wirkt er eigentlich nicht, wobei man natürlich argumentieren könnte, dass er aus einer bildungsfernen Schicht stammt.

[quote]Vor längerer Zeit u.a. Christian Kracht: Faserland,
ein ziemlich drogengefärbtes Sittenbild unserer Zeit - aus der Perspektive eines Mitglieds der im Überfluß lebenden obersten Schicht] Mind elaborating on that? Ich war ja letztens bei seiner Lesung, die war sehr interessant, aber das Buch selbst (Imperium?) fand ich nicht so prickelnd. Gut und interessant geschrieben, aber der Inhalt gefiel mir nicht. Ich habe auch eine Art Kurzgeschichtensammlung von ihm, aber die habe ich in der Mitte eines Pseudo-theaterstücks weggelegt.

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Mo 25. Jun 2012, 18:24 - Beitrag #518

Naja, nein Bild Intelligent wirkt er eigentlich nicht, wobei man natürlich argumentieren könnte, dass er aus einer bildungsfernen Schicht stammt.


da hast du noch nicht alle relevanten Informationen über ihn beisammen^^

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Mo 25. Jun 2012, 18:35 - Beitrag #519

Das stimmt natürlich, ich habe nur "Guards! Guars!" gelesen und ein paar Wikiinformationen dazu, die verraten, er könnte eventuell ein passender Kanditat für die glor -(und pathos-)reiche Heldenrolle sein, aber in "Guards" ist er es definitiv noch nicht, da ist ja auch gar kein Platz für in der Konzeption des Buches. Dass er dumm ist, will ich natürlich auch nicht behauptet haben, eher wirkt er ein bisschen autistisch durch seine Metaphern wörtlich nehmende Zwergenerziehung.

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Mo 25. Jun 2012, 22:16 - Beitrag #520

Mind elaborating on that? Ich war ja letztens bei seiner Lesung, die war sehr interessant, aber das Buch selbst (Imperium?) fand ich nicht so prickelnd. Gut und interessant geschrieben, aber der Inhalt gefiel mir nicht. Ich habe auch eine Art Kurzgeschichtensammlung von ihm, aber die habe ich in der Mitte eines Pseudo-theaterstücks weggelegt.
Naja, der Text versucht irgendwo den Begriff der Grenzerfahrung wörtlich zu nehmen. Der erste Absatz lautet wie folgt: "Also, es fängt damit an, daß ich bei Fisch-Gosch in List auf Sylt stehe und ein Jever aus der Flasche trinke. Fisch-Gosch, das ist eine Fischbude, die deswegen so berühmt ist, weil sie die nördlichste Fischbude Deutschlands ist. Am obersten Zipfel von Sylt steht sie, direkt am Meer, und man denkt, da käme jetzt eine Grenze, aber in Wirklichkeit ist da bloß eine Fischbude."
Das zieht sich durch den Text. Der Protagonist reist im Lauf des Buches mehr oder weniger zufällig, teils fluchtartig, von Norden nach Süden durch Deutschland, weitere Stationen sind Hamburg, Frankfurt, Heidelberg, München, Meersburg am Bodensee und im letzten Kapitel Zürich. Er besucht 'Freunde', die im Reichtum innerlich oder äußerlich verwahrlosen, und läßt sie zurück; trifft immer wieder auf dieselben Leute (teilweise haarsträubender Zufall, was ich nicht schätze), besäuft sich, probiert Drogen aus, nimmt an ausschweifenden Festen teil und erlebt mehr oder weniger banale Dinge; oft geht es um irgendwelche Markenartikel oder die Folgen des Trinkens. Am Schluß bricht das ein wenig auf, es kommt zu einem Unglück, das ihm möglicherweise nahegeht, aber der Text bleibt oberflächlich; verklingt nach einem Spaziergang auf der Suche nach dem Grab von Thomas Mann, wobei die Schlußszene (auf dem Zürchersee) etwas mystisches hat.

Schon richtig, man lernt Karotte erst allmählich kennen, und die Frage, inwieweit er intelligent ist, war auch der Grund meines ^^. Jedenfalls ist er nicht der in jeder Hinsicht allen weit überlegene Fantasyheld, und hat noch ein paar interessante Facetten mehr.

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