Welches Buch lest ihr gerade? (II)

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Ipsissimus
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Di 26. Jun 2012, 15:53 - Beitrag #521

Curzio Malaparte
Kaputt

Erstauflage: 1944
Originaltitel: "Kaputt"
gelesene Auflage: Fischer (Tb.), Frankfurt, 2. Auflage (16. April 2010), 588 Seiten

Der Roman basiert auf Kriegsreportagen, die Malaparte, ein italienischer Schriftsteller und Journalist, während des 2ten Weltkriegs im Auftrag des "Corriere della Sera" geschrieben und für diesen Roman nochmals überarbeitet und mit einer Rahmengeschichte versehen hat. Das Pseudonym "Malaparte" soll zu Napoleon - Bonaparte, der gute Teil - kontrastieren; Kurt Erich Suckert (1898-1957), so der bürgerliche Name des Autors, war Sohn eines Deutschen und einer Italienerin. Zunächst ein Parteigänger Mussolinis diente er vor seiner journalistischen Tätigkeit einige Zeit im diplomatischen Korps Italiens, überwarf sich dann aber mit den Faschisten und musste einige Jahre im Hausarrest in der Toscana verbringen, aus dem er dann aufgrund des Einflusses einiger Freunde aus dem Umfeld Mussolinis vorzeitig entlassen wurde. Insgesamt eine etwas dubiose weltanschauliche Entwicklung, aber vermutlich ist Malaparte aufgrund seiner deutlichen Nähe zum Hochadel eher konservativ-reaktionär einzustufen als faschistisch.

"Kaputt" ist ein seltsamer und zutiefst verstörter Roman, angelegt auf zwei Handlungsebenen. Die eine entwirft das Bild eines Europas des Hochadels, der nach dem ersten Weltkrieg in seine völlige Bedeutungslosigkeit hinüber dämmert, ohne dies schon verstanden zu haben. Vor diesem sanften, weichgezeichneten Hintergrund einer schläfrigen Dekadenz sprengen dann eingestreute Rückblicke auf Erlebnisse des Ich-Erzählers (der im Roman mehrmals als "Malaparte" angesprochen wird) im zweiten Weltkrieg wie aus dem Nichts zunehmend jedes Maß psychischer Zumutbarkeit. Dieser Wechsel wird viele, viele Male wiederholt, eine träumerische, beinahe zärtliche Stimmung wird brutalst möglich mit den Realitäten des Kriegs kontrastiert und letztlich als das entlarvt, was sie ist, hohles Pathos, das sich längst der Gegenstandslosigkeit ergeben hat.

Kaputt sind sie alle, die Könige, Prinzen und Prinzessinnen, die Gesandten und Hohen Emissäre gleichermaßen wie die einfachen Soldaten und der Generalstab, die Faschisten wie die Partisanen, alle auf ihre Weise. Kaputt ist Europa, und wohl auch die Menschheit als Ganzes. Es gibt in diesem Roman nicht die geringste Andeutung eines integren, unangetasteten Zustands, noch nicht einmal als ferne Möglichkeit.

Lykurg
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So 15. Jul 2012, 12:10 - Beitrag #522

Nagib Machfus: Die Kinder unseres Viertels (1959)

Große menschheitsgeschichtliche Parabel auf die drei adamitischen Weltreligionen und ihre Begründer, angesiedelt in einem Wüstendorf (dem 'Viertel') angrenzend an den vermauerten Paradiesgarten ihres mythisch-unnahbaren 'Großvaters'. Nach dessen Willen sollen alle seine Nachfahren Anteil am Vermögen seiner "Stiftung" haben, die jedoch regelmäßig in die Hände habgieriger Verwalter und brutaler 'Wächter' gerät. Die Aufstände (der jeweiligen Religionsgründer) werden als jeweils nur kurzfristige Antwort auf dieselben wiederkehrenden Ausbeutungsverhältnisse dargestellt, ein sich immer wieder durchsetzender Zyklus von Gewalt und Gegengewalt, wobei die eigentlichen Programme der gemeinten Religionen eher unscharf bleiben, insbesondere vom Christentum bleibt außer proklamiertem Gewaltverzicht und Dämonenbeschwörung wenig übrig. So weit, so langweilig - interessant höchstens die charakterlich nicht makellose Mohammed-Figur: Auch wenn sie insgesamt deutlich besser abschneidet als Moses und Jesus, war das (und wohl auch ihr programmatisches Scheitern) immerhin Anlaß für Mordaufrufe gegen den ägyptischen Autor und späteren Nobelpreisträger (1988). Deutlich spannender wird es aber gegen Ende, als eine weitere Figur ins Spiel kommt, bei der es sich offenbar um eine Allegorie der Wissenschaft handelt - und aus Neugier unbeabsichtigt den Tod des 'Großvaters' herbeiführt. Das Ende ist einigermaßen offen, es schließt in etwa mit denselben Zukunftsversprechungen und Hoffnungen wie bei den anderen Religionsgründern. Innerhalb seines kulturellen und zeitlichen Entstehungszusammenhangs sicher ein mutiges Buch, für mich eher nicht so prickelnd, habe es immer wieder liegenlassen.

Traitor
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Di 24. Jul 2012, 22:02 - Beitrag #523

Heinrich von Kleist - Michael Kohlhaas
Habe mir als Gutschein-Restbetrag-Ausgabe mal wieder ein Reclam-Heft gegriffen, hat sich auf jeden Fall gelohnt. Bekommt noch einen Besprechungsthread spendiert.

Tad Williams - Otherland 3 - Mountain of Black Glass
Zum Glück ist die erhoffte Verbesserung gegenüber dem nur auf der Stelle tretenden Band 2 eingetreten. Inhaltlicher Fortschritt und echte Spannung, nettes Buch. Dass die meisten VR-Simulationen, durch die die Protagonisten irren, Variationen klassischer Stoffe sind, wird leider im Falle der Ilias-Odyssee viel zu lang und breit ausgewalzt, hat mit dem Cliffhanger zum Finaleband aber hoffentlich jetzt auch sein Ende. Ach ja, ist es im englischen Kulturraum üblich, die latinisierten Formen griechischer Namen zu verwenden? Muss ich mal recherchieren. Und ich habe gelernt, dass "to give up the ghost" wider bisheriger Einschätzung kein peinliches Denglisch ist, sondern anscheinend ein korrektes Idiom, wenn auch selten. ;)

Aydee
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Mi 25. Jul 2012, 11:23 - Beitrag #524

Ich lese momentan "Gespräche mit Gott" (Neale Donald Walsh)
eine Trilogie in 3 Büchern, gibts aber auch als Sammelband

Der erste Band beschäftigt sich mit persönlichen Beziehungen, zu sich zu anderen.
Im zweiten gehts um Gesellschaft(en) und im dritten ums Universum.
Die Bücher räumen mit "ein paar" "christlichen" Vorstellungen gründlich auf.


bin recht ungewöhnlich zu dem Buch gekommen
hatte in meiner Firmenemail in der Signatur ein Zitat aus einem Tom Wait's Song "Day after Tomorrow", welches sich auf Gott bezog (darauf, wie Gott entscheidet, welches Gebet von Soldaten die sich feindlich gegenüberstehen er erhöhrt und welches nicht).
eines Tages kam meine Chefin an meinen Platz und drückte mir das Buch in die Hand: "Hab deine Emailsignatur gesehen - lies mal, ist bestimmt interessant für dich." und ging wieder.


mich hat die Widersprüchlichkeit des christlichen Glauben schon immer gereizt, gestört, aufgefordert....
und dass bekennende Christen nur schwer dazu zu bringen waren, sich diesen Widersprüchen zu stellen. Früher konnte man mit ihnen nicht einmal darüber reden.
Ich habe allerdings in letzter Zeit keine solchen Gespräche mehr geführt, daher weiß ich nicht, ob sich daran inzwischen was geändert hat.


Persönlich vermitteln mir die Gedanken in diesen Büchern zumglückleider eine Menge an Einsicht über mich selbst (allerdings hadere ich sowieso ständig mit mir, daher hat mich das nicht wirklich überrascht)

Lykurg
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Mo 6. Aug 2012, 18:12 - Beitrag #525

Ich hab mich ein bißchen um Jakob Arjouni gekümmert. Sein "Idioten. Fünf Märchen" hatte ich ebenso wie "Freunde" und "Ein Mann, ein Mord" seit 2008 gelesen und teilweise rezensiert, jetzt sind in kurzer Folge dazugekommen: Happy birthday, Türke!; Mehr Bier; Kismet; Der heilige Eddy; Magic Hoffmann; Hausaufgaben und heute Cherryman jagt Mr. White.

Die drei erstgenannten Kayankaya-Romane sind zwar tatsächlich, wie von mir beargwöhnt, weitere Variationen über das Thema mangelnder Integrationsbereitschaft, in der Ausgestaltung und Schwerpunktwahl aber amüsanter und abwechslungsreicher als ich dachte. Kismet ist ein bißchen groß geraten, der schmuddlig-überschaubarere Erstling gefällt mir besser. Aber spaßig und böse genug sind sie allemal; wer etwa in den Känguruh-Chroniken die Behördenszene mag, kommt auch hier auf seine Kosten.

'Eddy' und 'Hoffmann' sind stärker auf der humoristischen Seite angesiedelt, beide Protagonisten sind mit einem leicht defizitären Unrechtsbewußtsein ausgestattet und kommen mehr oder weniger gut durchs Leben. Der vielseitig talentierte Kleinganove Eddy kümmert sich um den von ihm verschuldeten Tod eines Berliner Halbweltbosses [spoiler]sowie um dessen Tochter[/spoiler], dem eher naiven Fred Hoffmann dagegen geht es um die Wiederbeschaffung seines Beuteanteils aus einem zu Schulzeiten mit zwei Freunden begangenen Banküberfall, für den allein er hinter Gittern war. Insbesondere bei letzterem ist die Charakterzeichnung auch der Freunde sehr gelungen, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr so ganz die Lebensträume von damals teilen.

Ein besonderes Talent Arjounis liegt im Entwickeln von beklemmenden Innensichten, dies gilt besonders für die Figur des Lehrers in "Hausaufgaben", der zwischen einer eskalierenden Unterrichtsstunde über die deutsche Schuld, zwischen heutigem Antisemitismus [spoiler]und seiner auseinanderbrechenden Familie dargestellt wird und jeden Hauch eines Gedankens, er trage selbst eine Verantwortung, beiseitewischt. Es gibt ein heftiges Erwachen, nur nicht für ihn selbst. [/spoiler]
Auch in Cherryman jagt Mr. White wird ein in diesem Fall wieder durchaus sympathisch gezeichneter junger Mann zum unfreiwilligen Mithelfer einer Neonazivereinigung, [spoiler]bis er sich seines von ihnen gegebenen Anschlagsauftrags mit Bravour entledigt und die Konsequenzen trägt.[/spoiler] Ein sehr lohnender Text...

Nebenher Haruko Murakami: Wie ich eines schönen Tages im April das 100%ige Mädchen sah
- eine Kurzgeschichtensammlung von wechselnder Qualität im Themenfeld Liebe, teilweise mit surrealem Einschlag; grotesk die Geschichte einer Frau, die ihren Mann wegen einer aus Deutschland mitgebrachten Lederhose verläßt (auch, da das beste deutsche Lederhosengeschäft Murakami zufolge eine Autostunde von Hamburg entfernt zu finden sein soll).

Ipsissimus
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Do 16. Aug 2012, 18:21 - Beitrag #526

Lionel Shriver
Wir müssen über Kevin reden

Englisches Original: We need to talk about Kevin
Serpent'S Tail Taschenbuch, London 1. Marz 2005

gelesene Version: Ullstein Taschenbuch (10. März 2010)

Tja, eines Tages ist es soweit. Kevin, 16jährig, packt seine Armbrust und genügend viele Bolzen ein, und es gelingt ihm, an seiner Schule genügend viele Mitschüler und -schülerinnen zu töten, dass es für die Geschichtsbücher reicht. Beziehungsweise für ihn persönlich - wir sind in Amerika - für eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Der weitere Lebenslauf Kevins spielt in diesem Buch keine Rolle mehr.

Seine Mutter hingegen hat ein Problem, eines, das sich in zwei Fragen zusammenfassen läßt:
1) habe ich ein Monster gezeugt und erzogen?
2) hätte ich es verhindern können, und wenn ja, wie?

Diese Fragen werden ihr vor Gericht gestellt, von vielen Bekannten und Verwandten und letztlich auch von ihrem Ehemann. Eva - so der Name der Mutter - beschließt, darauf Antworten zu finden. Das Buch zeichnet minutiös das Labyrinth ihrer Erinnerungen nach, die sie in unendlich mühsamer Kleinarbeit freilegt.

Und diese Erinnerungen, preisgegeben in einer endlosen Reihe von Briefen an ihren Mann, den Vater Kevins, von dem sie sich nach den Gerichtsverfahren getrennt hat, sind von einer unvorstellbaren Kälte geprägt, einer Kälte, bei der lange, sehr lange, nicht deutlich wird, von wem sie ausgeht, der Mutter oder dem Sohn. Eine liebevolle Mutter ist sie nicht. Sie hasst ihren Körper für die Veränderungen während der Schwangerschaft, und sie hasst das Ding, das für diese Veränderungen verantworlich ist. Sie bemüht sich, strengt sich an, bleibt im Formalen hängen. Und Kevin spürt ihre Ablehnung. Das bleibt der Grundkonflikt, der in immer neuen Spielarten, Schritt um Schritt bösartiger werdend, ausgelotet wird: trägt das Ding - erst recht spät: ihr Sohn - Verantwortung dafür, dass er kalt ist, dass er die Abneigung der Mutter spiegelt - oder ist es ihre Abneigung? Klar ist, die Abneigung - mitsamt den Gemeinheiten, die aus dieser Abneigung resultieren - ist beiderseitig, und wächst sich, ungebremst, in letztendlichen Hass aus. Die schließliche Auflösung dieser Frage erweist sich als viel zu spät, und als vollkommen gegenstandslos.

Kein Buch für die helle Seite.

Traitor
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Do 16. Aug 2012, 18:53 - Beitrag #527

Robert Rankin - Web Site Story
Für Rankin-Verhältnisse relativ zusammenhängend, handlungslastig und daher eher mäßig gelungen. Handlung: Computerspiele werden dank DNA-Chips zu echten AIs und können als "Virus" Menschen übernehmen. Blödsinn, aber leider kein so richtig grober.

Lani
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Do 23. Aug 2012, 17:17 - Beitrag #528

Habe mir neulich "Shades of Grey" von E L James angetan, weil ich wissen wollte, was daran so toll und skandalös ist. Antwort: Nix.

Teilweise etwas verwirrend, wenn ich die Kapitelüberschriften nicht genau gelesen hatte, aber trotzdem sehr gut war "Der Nachtzirkus" von Erin Morgenstern. Nur zum Ende hin wurde es etwas komisch.

Sehr berührt und begeistert hat mich "Das kurze Leben des Stuart Shorter" von Alexander Masters. Auf das Buch gekommen bin ich nur, weil ich von dem Film dazu gehört hatte, den ich mir auch noch ansehen möchte. Ich war von der ersten Seite an gefesselt. Zwischendurch musste ich schlucken und das Buch hat mich immer noch nicht losgelassen. Wirklich toll!

Auch wirklich schön (aber natürlich komplett anders), wenn auch etwas kurz, "Die Mechanik des Herzens" von Mathias Malzieu.

Und nun weiß ich einfach nicht, worauf ich mich als nächstes stürze.

e-noon
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Do 23. Aug 2012, 19:48 - Beitrag #529

Lani, könntest du Shades of Grey etwas ausführen? Ich habe schon sehr kontroverses darüber gehört und auch, dass es aus einer Fanfiction zu Twilight entstanden ist... Habe es noch nicht gelesen, sollte ich?

Lani
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Do 23. Aug 2012, 20:10 - Beitrag #530

Ich schiebe einfach mal meine Amazonrezension vorweg, aber so viel steht da auch nicht drin.

Ist tatsächlich aus einer Fanfic zu Twilight entstanden und das merkt man auch. Die meisten Charaktere passen total zu Twilight. Die Hauptperson natürlich, genauso ein Tollpatsch wie Bella, etc. Ihr bester Freund sieht aus wie Jacob, nur etwas älter, will mehr als Freundschaft, bla bla bla.
Wie gesagt, es soll total skandalös sein, finde ich aber nicht. Ja, die haben Sex und das auch recht oft und tatsächlich wird sie auch mal gefesselt und einen Klaps gibt es auch mal, aber das war's.
Bei dem was ich darüber gehört hatte, war das also wirklich ziemlich öde, besonders, da die Szenen noch nichtmal gut geschrieben waren (also so wie der Rest des Buches auch).

Traitor
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Do 23. Aug 2012, 21:48 - Beitrag #531

Der Hauptskandal dürfte sein, dass es ernsthaft Leute skandalös finden. ;)

Kurt Vonnegut - Player Piano Vonneguts erster Roman (von 1952), was man vor allem daran merkt, dass er noch deutlich ernster ist als die späteren, stark satirischen. Szenario: Das Amerika der Zukunft ist eine (privat-)planwirtschaftliche Meritokratie, in der die Automatisierung weit fortgeschritten ist und es eigentlich nur noch die zwei Klassen "manager and engineers" und "superfluous" gibt. Eigentlich ist alles bestens und der Lebensstandard auch der niederen Kaste hoch, dazu organisieren (natürlich noch vakuumröhrenbasierte) Computer alles immer besser und könnten bald sogar die höhere Kaste überflüssig machen. Der Hauptcharakter (Fabrikleiter) verzweifelt aber immer mehr an der Sinnentleertheit der menschlichen Existenz.
Satirische Elemente sind aber durchaus bereits drin, eine ausgewogene Mischung.

Maglor
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Di 28. Aug 2012, 22:51 - Beitrag #532

Jonathan Swift: Gullivers Reisen
Wie so oft bei den Klassikern enttarnt sich die aus B-Movie und Pop-Kultur bekannte kindliche Version der Robinsode im Original als bitter-böse Reise in die Abgründe des Menschentum, abgebildet in einem Anti-Sittenspiegel der Riesen, Zwerge und Pferde.

Traitor
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Do 20. Sep 2012, 23:09 - Beitrag #533

Maglor, die Pferde empfand ich als den Höhepunkt.

Bei mir nach dem Vonnegut, passenderweise hauptsächlich in Flugzeugen:
Walter Kirn - Up In The Air Vorlage für den grandiosen Reitman-Film von 2010. Die Grundidee ist die gleiche - Experte für Kündigungen jagt seiner 1 Million Vielfliegermeilen hinterher - aber die Handlung wurde offenbar für den Film völlig umgeschrieben. Im Buch will Bingham von Anfang an kündigen, jeder Enthusiasmus für seinen Lebensstil ist nur noch Fassade. Das Buch endet noch vor der Familienhochzeit, die weibliche Begegnung verläuft völlig anders, das Lehrlingsmädel gibt es gar nicht. Insgesamt hat das Buch einfach weniger Handlung, die Idee dient eher als Anstoß für amüsante bis kritische Anekdoten. Das scheint so auch Kirns allgemeiner Stil zu sein, die Werbetexte für seine anderen Bücher fangen alle an mit "[name] is a [job] who [verbs]". Dadurch ist das Buch genauso amüsant und denkanregend wie der Film (wenn auch mit völlig anderen Schwerpunkten), dramaturgisch war das Drehbuch aber wohl eine klare Verbesserung.

Und jetzt mal wieder Pterry - Interesting Times.

Padreic
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Do 20. Sep 2012, 23:26 - Beitrag #534

David Benioff - Stadt der Diebe: Ein alter Ego des Autors schreibt die Geschichte einer sehr ereignisreichen Woche, die sein (fiktiver?) Großvater im belagerten Leningrad erlebt hat. Als dieser, 17 Jahre alt, beim "Plündern" der Leiche eines toten deutschen Soldaten erwischt wird, wird er mit einem "Deserteuer" zusammen zu einem Oberst gebracht, der ihnen eine letzte Chance gibt: Sie sollen ihm 12 Eier für die Hochzeit seiner Tochter bringen. Dummerweise sind im belagerten Leningrad Eier allgemein extrem schwer aufzutreiben, geschweige denn 12...

Es ist ein sehr kurzweilig und gut geschriebener Roman, der die Balance hält zwischen der Schilderung der Kriegsgräuel und -leiden, Charakterdarstellungen und zugleich viel Witz. Empfehlung.

Ipsissimus
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Do 27. Sep 2012, 11:37 - Beitrag #535

Brian Green
Das elegante Universum
Superstrings, verborgene Dimensionen und die Suche nach der Weltformel

Vintage Books, new edition (25. Oktober 2005)
gelesene Fassung: Goldmann Verlag (12. Dezember 2005)


Eines der seltenen Bücher, bei denen ich nicht entscheiden kann, ob ich geistig zu minderbemittelt dafür bin, oder ob der Autor irgendwann den Boden unter den Füßen verloren hat.

Brian beginnt mit einer konzisen, gut verständlichen Einführung in Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie, gefolgt von einer für meinen Geschmack zu knapp geratenen, aber immer noch konzisen Vorstellung der Quantenmechanik. Recht viel Zeit verwendet er darauf, die Unvereinbarkeit dieser beiden Säulen der modernen Physik auf subatomaren Skalen herzuleiten und die Bedeutung dieser Unvermeidbarkeit für die Physik auf Quantenskalen zu verdeutlichen.

Auf dieser Grundlage leitet er zur Stringtheorie über, spricht von erster und zweiter Superstringrevolution und vom Einfluss und Stellenwert, den die Stringtheorie im Rahmen aktueller Physik (der letzten knapp 40 Jahre) beansprucht. Ich kann ihm auch noch in die Anfangsgründe der Stringtheorie folgen, kann verstehen, dass Physiker auf die Idee kommen, zur Fomulierung ihrer Theorien statt modellhaft nulldimensionaler (aka Elementarteilchen) modellhaft eindimensionale Elementareinheiten (aka Strings) zu verwenden und zu untersuchen, ob mit dieser im Konzept simplen Änderung die Natur in gleicher Weise wie mit dem Standardmodell beschrieben werden kann, möglicherweise sogar besser. Auch bei den ersten - bereits weitreichenden - Konsequenzen des neuen Konzepts verlasse ich ihn noch nicht.

Meine Probleme beginnen da, wo Greene über die Werkzeuge spricht, die Physiker dazu verwenden, dieses Konzept in harte Physik und noch härtere Mathematik umzusetzen. Dass die entsprechende Mathematik überkomplex ist, will ich ihm unbesehen glauben. Dass es für die allermeisten Fragestellungen, die sich aus der Stringtheorie ergeben, nur störungstheoretisch formulierte Annäherungen gibt, weil die Formulierung geschweige denn Lösung der exakten Gleichungen außerhalb der Reichweite derzeitiger mathematischer Möglichkeiten liegt: geschenkt.

Eines dieser Werkzeuge sind sogenannte Calabi-Yau-Räume (benannt nach dem italienischen Mathematiker Eugenio Calabi und dem chinesisch-amerikanischen Mathematiker und Fieldsmedaille-Preisträger Shin-Tung Yau). Es handelt sich dabei, meiner beschränkten Einsicht zufolge, um einen mathematischen Formalismus zur Formulierung und Handhabung der Topologie höherdimensionaler Mannigfaltigkeiten.

Bild
Ein Schnitt durch eine Calabi-Yau, die Quintik, Bildquelle deutsche Wikipedia, Kapitel Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten


Eine der unmittelbaren Konsequenzen aus dem Stringkonzept ist die Realexistenz von mehr Dimensionen als nur den drei Raum- und der einen Zeitdimension der herkömmlichen Raumzeit. Calabi-Yau-Räume nun verfügen über die bemerkenswerte Eigenschaft beliebig mehrdimensional "biegsamer" und ineinander überführbarer "Innenflächen" bzw. "Innenräume" höherer Dimension (die "Branen" der M-Theorie) und sind daher prinzipiell geeignet, selbst fürchterlich komplizierte höherdimensionale topologische Situationen mathematisch abbilden zu können. Mit speziellen Calabi-Yau-Räumen lässt sich zum Beispiel begründen, dass unser Universum je nach Theorie 9, 10 oder 11dimensional sein muss, wobei die über 3 hinausgehenden Raumdimensionen in Art eines Gartenschlauchs "eingewickelt" sind.

Dass dies auf unabsehbare Zeit nicht exakt geht sondern nur störungstheoretisch angenähert, ist, wie schon gesagt, nicht mein Problem. Mein Problem beginnt mit dem Zusammenhang zwischen den CY-Räumen und der realen Wirklichkeit. Green entwickelt nämlich einen fundamentalen Schlußfolgerungs-Algorithmus: wenn durch die mathematische Charakterisierung eines spezifischen CY-Raumes die Erklärung eines ungelösten physikalischen Problems gelingt, ist das ein Hinweis darauf, dass dieses ungelöste physikalische Problem im Rahmen der Stringtheorie seinen natürlichen Erklärungshintergrund gefunden hat.

Wohlgemerkt - CY-Räume sind reine Mathematik, daran ist nichts Physikalisches. OB es einen Bezug zwischen ihnen und realer Physik gibt, das zu erweisen wäre aus meiner Sicht Aufgabe der Stringtheoretiker. Statt dessen springt Greene auf der Grundlage dieses Algorithmus - ich stelle mir dabei einen Nerd mit glühenden Augen, einen aficionado, einen Besessenen vor^^ - von Aussage zu Aussage. Und die Aussagen entfernen sich immer weiter von tatsächlicher Physik, bis sie nur noch innere Ableitungen einer mathematischen Konstruktion sind, deren Bezug zur Physik völlig spekulativ bleibt und deren einziges Formulierungskriterium die - für mich nicht nachvollziebare - "Eleganz" ist, die mit ihnen offenbar einhergeht.

Gut zwei Drittel des Buches bleiben für mich aufgrund dieses Umstands reine Spekulation, im Grunde Glaubenssache. Völlig abgedreht wird es zum Beispiel, wenn Greene die Physik des Urknalls oder die Physik der Singularität Schwarzer Löcher aus Sicht der Stringtheorie erläutert. Für mich türmt sich da einfach Behauptung auf Behauptung, trotz des Umstandes, dass Green offensichtlich davon überzeugt ist, Herleitungen zu geben.

Oder ich bin zu doof dafür. Glücklicherweise erwähnt er gegen Ende Lee Smolin, der anscheinend aus ähnlichen Erwägungen als renommierter Kritiker der Stringtheorie gilt.



ps: das "Super" der Superstringtheorie meint nicht, dass Strings oder Stringtheorie besonders toll wären sondern verweist lediglich darauf, dass Stringtheorie (und die M-Theorie) die Supersymmetrie mit einbeziehen. Die M-Theorie ist die Muttertheorie der Stringtheorien - es hat den Anschein, als gäbe es nicht die Stringtheorie sondern fünf davon, die alle in der M-Theorie zusammenfließen.

Ein Buch, das mich ratlos zurück lässt.

Traitor
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Mo 1. Okt 2012, 14:29 - Beitrag #536

Ipsi, wenn ich daran denke, zitiere und beantworte ich das nachher mal in einem Wissenschafts-Thread.

Stories from the Hugo Winners, 1962-1967 (Fawcett Crest, 1973)
Damals war anscheinend im Verlagswesen noch Understatement zu finden - enthalten sind nicht, wie der Titel nahelegt, irgendwelche Stories von den Winners, sondern tatsächlich genau jene Stories, für die die Winners gewonnen haben. ;) Zum Anfang erstmal Jack Vance, dann kommen noch Poul Anderson, Gordon R. Dickson, Harlan Ellison, nochmal Vance und Larry Niven. Dazu amüsante Vorworte von Asimov. Und der mit Abstand miserabelste Seitenschnitt, den ich je gesehen habe - die Ränder fluktuieren hin und her und sind stellenweise nur ein Zeichen breit.

Lykurg
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Mo 1. Okt 2012, 15:05 - Beitrag #537

Und der mit Abstand miserabelste Seitenschnitt, den ich je gesehen habe - die Ränder fluktuieren hin und her und sind stellenweise nur ein Zeichen breit.
Hätte ich gewußt, daß du da ein Ranking betreibst, wäre es bei unserer Bibliotheksführung in HH kein Problem gewesen, das zu toppen. ;) Noch bis Anfang des 20. Jhs. war es normal, daß man seine Bücher beim Buchbinder individuell einbinden läßt, gern auch als Sammelband. Dafür wurde dann jeweils neu beschnitten, und je nach Formatdifferenz der zusammengebundenen Schriften und Sorgfalt des Buchbinders können da beim Schneiden schonmal eine halbe, schlimmstenfalls gleich mehrere Zeilen am oberen oder unteren Rand verlorengehen, oder halt ein paar Zeichenkolonnen am Außenrand. Da hab ich schon ein paar gruslige Beispiele von brutal zusammengestutzten Barockdrucken gesehen... (Gut ist natürlich auch, wenn mitten drin eine Lage überkopf eingebunden ist).

Da ich aber keines greifbar habe, hier nur die Verkaufsbeschreibung eines jüngeren Beispiels:
Bd.1 ist eine etwas kuriose Buchbinder (Fehl)-Leistung: I.: Sehr knapp beschnitten, so daß einige Seitenzahlen angeschnitten sind.II.: Die an das Buchende gehörenden Tafeln und Karten sind in drei Gruppen in dem Buch verteilt und, als Höhepunkt III.: Das Titelblatt, sowie Vorwort und Inhaltsverzeichnis (Seiten I-X) sind völlig unmotiviert irgendwo mitten in dem Buch plaziert. Aber, die gute Nachricht: Alles ist vorhanden und in gutem, sauberem Zustand. Bd. 2 mit einem leichten Wasserschaden, der nur den Einband im unteren Randbereich sowie sehr geringfügig den Rotschnitt betrifft. Ansonsten von innen ausgezeichnet, sauber, vollständig mit dem seltenen Anhang. Insgesamt ein brauchbares, vollständiges Arbeits-Exemplar dieses äußerst selten angebotenen, wertvollen Klassikers.

Bestellnummer: kai0916
Preis: 880,00 EUR
(Quelle)

Traitor
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Mo 1. Okt 2012, 16:41 - Beitrag #538

Ich dachte da nur an moderne Industriebindungen. Bei Altertümern habe ich auch schon einige weit absurdere Exemplare gesehen, wenn auch sicher weniger als du. ;) Und fehlender Text war bisher immerhin auch noch keiner (nicht) zu bemerken.

Titelblatt mitten im Buch ist schon grandios. Beim Inhaltsverzeichnis ist man das aber ja fast schon gewohnt, die Unsitte, es zwischen Hauptteil und Anhang zu stecken, ist insbesondere in Fachbüchern und -pdfs erschreckend weit verbreitet.

Lani
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Di 2. Okt 2012, 19:37 - Beitrag #539

"Ein plötzlicher Todesfall" von J.K. Rowling. Hmpf. Ich weiß auch nicht so recht. Es ist schon ein gutes Buch (bis jetzt), aber irgendwas hält mich davon ab, es zügig und richtig gern zu lesen. Es passiert nicht wirklich viel, Überraschungen gab es bis jetzt auch keine und die Charaktere sind allesamt unsympathisch. Aber halt auch nicht auf die interessante Art und Weise, wie mancher Bösewicht, sondern einfach nur lästig.
Habe aber gerade mal etwas mehr als die Hälfte geschafft und gebe - voller Hoffnung - nicht auf.

Lani
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Sa 13. Okt 2012, 21:08 - Beitrag #540

"Ein plötzlicher Todesfall" wurde übrigens dann besser. Hat dann auch Spaß gemacht, es zu lesen.

Heute durchgelesen: "The Silver Linings Playbook" von Matthew Quick. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, hätte ich mir das Buch nicht unbedingt gekauft, wenn da nicht der Film kommen würde...und nun bin ich noch glücklicher darüber, denn ich habe mich absolut in das Buch verliebt. Konnte es einfach nicht aus der Hand legen, weswegen ich nun ein wenig Nackenschmerzen habe, aber die nehme ich gerne in Kauf. Am liebsten würde ich das Buch direkt nochmal lesen, hach!

Ein paar Seiten habe ich auch schon von "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" von Jonas Jonasson gelesen, gefällt mir soweit auch gut.

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