Dostojewski

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Padreic
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So 6. Jun 2004, 13:40 - Beitrag #1

Dostojewski

Ich wollte hiermit mal einen Thread zu einem meiner Lieblingsautoren aufmachen, dem großen russischen Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881). Er ist vor allem durch seine fünf "großen" Romane bekannt, 'Schuld und Sühne', 'Der Jüngling', 'Der Idiot', 'Die Dämonen' und 'Die Brüder Karamsow', hat aber auch zahlreiche kürzere Prosa geschrieben. Sein Leben war recht bewegt: er war zuerst revolutionärer Sozialist und wurde wegen solche Umtriebe auch zu Zuchthaus verurteilt...später wandelte er sich dann zum eher konserativen Christen, was seine großen Romane auch belegen. Viel Zeit verbrachte er auch mit großen Spielschulden (wovon auch sein Roman 'der Spieler' zeugt), aber schließlich konnte er seine Spielsucht besiegen.

Ich persönliche habe bisher von Dostojevski nur 'Schuld und Sühne', 'Die Brüder Karamsow' und 'Helle Nächte' (eine kürzere Erzählung) gelesen; aber da mich diese drei Werke tief beeindruckt haben und ich mir eine Gesamtausgabe zugelegt habe, werden wohl weitere folgen.
'Schuld und Sühne' handelt vom ehemaligen Studenten Raskolnikow, der eine Pfandleiherin umbringt und sie beraubt, einerseits, weil er eben Geld braucht, andererseit auch, weil er die Theorie entwickelt hat, dass sich die Menschen in die Großen, die Gesetze übertreten bzw. selbst machen dürfen, und das Material einteilen lassen und er sich selbst beweisen will, dass er zu ersterer Sorte gehört, besonders aber, weil sich ihm plötzlich die Gelegenheit bietet. Eigentlich könnte man fragen, wo die Spannung bleibt (und es ist einer der spannensten Romane, die ich bisher las), wenn der Mörder gleich, wenn die Tat begangen ist, bekannt ist, und dann noch 700 Seiten folgen. Das spannenste ist hierbei nicht die Aufklärung des Verbrechens, die man ohnehin oftmals nur mittelbar mitbekommt, sondern vielmehr das Psychogramms Raskolnikows und auch das der Menschen, denen er begegnet. Dabei hat der Roman zusätzlich auch durchaus philosophisch zu nennende Züge, auch die Auseinandersetzung mit den revolutionären Ideen, die hier in mehreren Gestalten exemplifiziert oder auch geradezu karikiert werden.
Die Handlung von 'Die Brüder Karamsow' oder die Kerngedanken wiederzugeben, ist auf so geringem Platz wie hier unmöglich, aber zentral steht der Mordfall an dem Vater der drei dem Roman den Namen gebenden Brüder, aber das ist mehr der Aufhänger, um die Charaktere zu porträtieren (was auf beeindruckende Weise geschieht) und auch die philosophischen und religiösen Gedanken darzustellen, was beispielsweise in der Episode des Großinquisitors (wohl der bekannteste Teil des Buches) oder auch in den Aufzeichnungen der Reden des Staretz (die ich persönlich am beeindruckensten finde) geschieht. Ein Motiv, das sich durch das ganze Buch zieht, ist der Satz "Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt." Das Buch ist recht lang, aber trotzdem wirkt es nicht ganz fertig, was daran liegen könnte, dass im Buch eine Fortsetzung zwar explizit angedeutet wird, aber der Autor nicht lange nach Vollendung des Romans gestorben ist. Er mag nicht ganz so fesselnd sein, wie 'Schuld und Sühne', aber er ist auch alles andere als langweilig, insbesondere eben auch wegen der großen Gedankenfülle und der toll dargestellen Charaktere in Extremsituationen.
'Helle Nächte' ist eigentlich gänzlich anders als die beiden eben beschriebenen Werke. Ein Träumer begegnet einem Mädchen, dass auf ihren Verlobten wartet, der aber nicht kommt...und das fast vier Nächte lang, in denen der Träumer dem Mädchen Gesellschaft leistet und sich in sie verliebt. as ganze Buch durchzieht eine gewisse Süße der Sprache und Stimmung und es kommen auch leicht humoreske Elemente ins Spiel (z. B. wenn der Träumer erzählt, dass in den acht Jahren, die er jetzt in Petersburg lebt, die engste Beziehung, die er geführt hat, die mit einem Mann gewesen ist, dem er fast täglich auf der Straße begegnete und den er sogar einmal fast gegrüßt habe). Die beiden Hauptcharakter haben etwas wunderbar leicht absurdes, sind aber auf der anderen Seite mit Dostojevskis typischer Menschenkenntnis gezeichnet. Auf jeden Fall fehlt hier das Dramatische, das ständige Nah-Am-Nervenzusammenbruch-Sein aus den beiden anderen eben beschriebenen Werken.

Kennt und schätzt auch ihr Dostojewskis Werke? Ich würde mich freuen, eure Meinung über diesen Autor zu lesen.

Padreic

Erdwolf
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So 6. Jun 2004, 15:24 - Beitrag #2

Bislang kenne ich nur "Der Großinquisitor" von ihm und halte es für eine der besten Sachen, die ich je gelesen habe. Herrlich absurd und doch so nah an der Realität.
Einige Passagen sind wirklich zum Schreien komisch (und erschreckend, wenn man genau darüber nachdenkt).

Traitor
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So 6. Jun 2004, 15:30 - Beitrag #3

Bisher habe ich auch nur das Großinquisitor-Extrakt gelesen, im Reliunterricht (im Kurs ist es natürlich dank des hohen Durchschnitts-IQ kaum angekommen...). Vom Stil her etwas zu behäbig für meinen Geschmack, aber inhaltlich schlicht und ergreifend genial überlegt. Es gibt kaum ein Vergleichbares Werk, das in dieser Kürze soviel an hintergründigen Ideen aufbieten kann (vielleicht noch "Die Physiker").
Und wenn man Padreic Glauben schenken kann, wird dieser Schnitt ja im ganzen Buch beibehalten, und auch an den Stil wird man sich bei einem längeren Werk wohl gewöhnen können. Sprich, irgendwann muss ich dringend mal einen ganzen Dostojewski lesen.

Elbereth
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So 6. Jun 2004, 18:19 - Beitrag #4

Ich habe "Schuld und Sühne" gelesen, und das gehört seitdem zu meinen Lieblingsbüchern. Ich finde es faszinierend, wie Raskolnikovs Charakter und Gedanken dargestellt werden, man kann seine Gefühle vor und besonders nach der Tat gut nachvollziehen, und seine Philosophie (dass manche menschen das recht haben zu töten) finde ich auch sehr interessant. Nur der Schluss gefällt mir nicht. Und ich habe auch bald vor "Brüder Karamasov" zu lesen.

Padreic
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So 6. Jun 2004, 18:53 - Beitrag #5

@Elbereth
Das Ende wirkt in der Tat ein wenig seltsam, doch glaube ich nicht, dass nach dem ganzen Roman ein fundamental anderes Ende überhaupt wirklich denkbar wäre. Will man Raskolnikov überhaupt noch eine Art von "Läuterung" zugestehen, konnte es nicht mehr anders geschehen als durch das Christentum, insbesondere, wo Sonja als gläubige Christin sich seiner angenommen hat.

@Traitor
Dass das ganze Buch die gedankliche Dichte des Großinquisitors hat, würde ich nicht behaupten; das wäre bei einem Werk dieser Länge wohl auch kaum möglich. Aber das ganze Buch enthält natürlich noch einiges mehr an Gedanken, als dieses eine Kapitel.
Der Stil ist in der Tat etwas gewöhnungsbedürftig, liest sich aber nach der Gewöhnung erstaunlich flüssig (auch wenn es sicherlich viele größere Stilistiker gibt).

Padreic

Ecthelion
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Mo 7. Jun 2004, 20:31 - Beitrag #6

Ich habe bisher 'Schuld und Sühne' und 'Der Idiot' gelesen.

Ich muss zugeben, bei 'Schuld und Sühne' hab ich nach etwa 200 Seiten das Buch beinahe zur Seite gelegt... Aber danache war ich so begeistert von diesem Buch, dass ich einige Passagen gleich zwei oder drei mal gelesen habe. Das Buch ist wirklich ein Geniestreich, wie genial habe ich wohl bei weitem nicht erfasst.

'Der Idiot' ist übrigens auch sehr zu empfehlen... Länger als 'Schuld und Sühne'. Vor allem durch die langen Dialoge der "Dutzendmenschen", eines der Hauptmotive dieses Buches.

Worum gehts denn grob gesagt in diesem berühmten Ausschnitt mit dem Grossinquisitor?

Padreic
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Mo 7. Jun 2004, 21:37 - Beitrag #7

'Der Großinquisitor' spielt im Spanien zur Zeit der Inquisition und Christus kehrt wieder und wird erkannt. Und der Großinquisitor arrestiert ihn und hält ihm einen extensiven (und genialen...) Monolog über die Rolle der Kirche und warum Christus kein Recht habe, sich einzumischen etc. Christus schweigt während dieser ganzen Zeit und küsst ihn als Antwort. Und der Großinquisitor lässt ihn gehen und befiehlt ihm, nie wieder zu kommen...
Das ist so in etwa die Rahmenhandlung, aber der Monolog ist das zentrale...eine ausführliche Besprechung desselben würde aber sicherlich einen eigenen Thread erfordern.

Padreic

P. S. Wenn du ein wenig Zeit hat zum Lesen: http://bs.cyty.com/stjakobi/wort/inquisit.htm

Fargo
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Di 8. Jun 2004, 09:56 - Beitrag #8

Dostojewskis lange Texte habe ich früher nicht besonders gemocht. Mir schienen sie überfrachtet, schwurmelig, an ihren eigenen Gedanken fast erstickend. Früher habe ich viel und flott gelesen und hatte Spaß an schwierigen Texten, aber durch Dostojewski habe ich mich hindurchgequält.

Das ist im Lauf der Zeit anders geworden, und natürlich hat sowas viel mit Veränderungen im Lesenden zu tun. In diesem Fall aber auch exemplarisch mit Veränderungen am Text.

Die prägende alte Übersetzung - es gab mehrere konkurrierende -war die von E.K. Rahsin. Mitte der Neunziger aber hat Swetlana Geier eine Folge vielgepriesener Neuübersetzungen vorgelegt, die Rahsins alte Übertragung als stark moralisierende Deutung der Originaltexte kenntlich machte. In diesem Fall kann man die Differenzen schon am Titel erkennen: "Schuld und Sühne" heißt bei Geier "Verbrechen und Strafe".

Wissenschaft und Kritik scheinen sich einig, dass Geier tatsächlich näher an der Denkwelt des Originaltextes liegt als Rahsin. Mir gefällt die Neuübertragung ebenfalls sehr viel besser.

Fargo

Padreic
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Di 8. Jun 2004, 18:18 - Beitrag #9

'Schuld und Sühne' hab ich in der Übersetzung von Richard Hoffmann und 'Die Brüder Karamasow' in der von Johannes Gerber gelesen. Zumindest letztere fand ich teilweise ein wenig schwach [Aber auch die gesamte Ausgabe gehörte zu dem miesesten, was ich jemals bei einem Buch gesehen habe. Der Band ist Teil der Komet-Gesamtausgabe und es ist das erste Buch, bei dem ich erleben durfte, dass die Druckfehler buchstäblich in die Hunderte gingen...von jeglichem Zusatzmaterial fehlt natürlich auch jede Spur. Dafür ist sie aber billig...]. An ersterer hat mich eigentlich nichts konkret gestört (und man muss zugeben, dass 'Schuld und Sühne' etwas vielversprechender als 'Verbrechen und Strafe' klingt ;)), aber ich kann mir gut vorstellen, dass es bessere gibt. Hätte ich mir nicht die Gesamtausgabe gekauft, würde ich sicherlich auch mal die Geier-Übersetzungen ausprobieren.

Ich kann übrigens immer noch nicht verstehen, wie man 'Schuld und Sühne' überfrachtet oder gar langweilig finden kann...es hat mich damals so gepackt, dass ich es in einer Woche durchlas. Sicher hat es einiges an Nebenhandlungen, aber alles hat Bezug zur Haupthandlung und alles ist auf seine Weise wirklich schon fast notwendig. Ich hab mal gelesen, dass 'Schuld und Sühne' als Dostojewskis bestkomponierter Roman gilt und das kann ich auch durchaus nachvollziehen.

Padreic

P. S. Mal was für meinen Wortschatz: Was heißt 'schwurmelig'?

Prometheus
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Do 10. Jun 2004, 16:29 - Beitrag #10

Eine kleine Nachfrage an Padreic: Wie viele Bände umfasst denn deine Gesamtausgabe? Im Original sind es, soviel ich weiß, 18 Bände.

Padreic
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Do 10. Jun 2004, 17:06 - Beitrag #11

Sieben Bände sind es. Neben den genannten fünf großen Romanen sind enthalten: 'Erniedrigte und Beleidigte', 'Der Doppelgänger', 'Helle Nächte', 'Der kleine Held', 'Der Spieler', 'Die fremde Frau und der Mann unter dem Bett', 'Aus dem Totenhaus', 'Netotschka Njeswanowa' und 'Aufzeichnungen aus dem Kellerloch'. Ich hoffe (und glaube), dass die Ausgabe einigermaßen vollständig ist. Es ist aber, wie schon erwähnt, kein Fitzelchen an zusätzlichem Material vorhanden.

Padreic

Bowu
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Do 10. Jun 2004, 17:29 - Beitrag #12

Dostojewskis "Liebesgeschichten" sind auch sehr zu empfehlen, sie sind in jedem Falle sehr bewegend.

Fargo
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Fr 11. Jun 2004, 21:11 - Beitrag #13

Original geschrieben von Padreic

Ich kann übrigens immer noch nicht verstehen, wie man 'Schuld und Sühne' überfrachtet oder gar langweilig finden kann... Ich hab mal gelesen, dass 'Schuld und Sühne' als Dostojewskis bestkomponierter Roman gilt und das kann ich auch durchaus nachvollziehen.


Mit 'Überfrachtung' meinte ich nicht ein Zuviel an Handlung oder Figuren, sondern ein Zuviel an philosophischem Anspruch, zuviel Weltdruchleuchtunsgwille. Mir kam das damals wohl so vor, als überfordere hier einer den Roman als Erzählform, als tue er den Schritt von der Erzählung zur Abhandlung. Oder so ähnlich, das ist ein Vierteljahrhundert her, und über den Leser von damals kann ich wenig halbwegs präzise Erinnerungen zusammenkratzen. Ich habe ein ausgeprägtes Haustiergen und lebe ziemlich gedächtnislos in der Gegenwart.

P. S. Mal was für meinen Wortschatz: Was heißt 'schwurmelig'?


Das ist die süddeutsche und österreichische Variante zu schwirbelig , die für mich aber wegen des dunklen Uuus eine leichte Bedeutungsänderung mit sich bringt. Schwirbeln benennt eine wirbelnde Kreisdrehung, schwirblig meint schwindlig, schwurmelig benennt für mich die Grippefiebererfahrung, sich haltlos und schwerfällig zugleich spiralig in einen dichten Nebel hineinzudrehen. :)

In einer Doktorarbeit über Dostojewski würde das als Stilbeschreibung vermutlich heftige Attacken der Prüfer auf sich ziehen. Aber ich bin ja zum Glück kein Akademiker, sondern ein einfacher Muschik, der täglich den Pflug durch die eigenen Gehirnfurchen ziehen muss. Da darf ich schon mal so daherreden. :s4:

Fargo

Rhianna
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Fr 11. Feb 2005, 18:32 - Beitrag #14

hallo^^

ich würd euch gern um nen gefallen bitten. ich muss in der schule nen vortag halten und wird mich freun, wenn ihr mir vielleicht erstens noch nen grund nennen könntet, warum schuld und sühne weltliteratur ist und zweitens, ob euch mein plädoyer gefällt.

Kurze Zusammenfassung:

Schuld und Sühne ist ein Kriminalroman, mit eher wenig Handlung.
Der Mörder ist dem Leser von vorneherein bekannt und die Hauptfigur der Roman-Tragödie.
Der Mord selbst wird in den ersten siebzig Seiten vollstreckt, während es in den restlichen rund 620 Seiten um die Psyche und Überführung des Täters geht.
Raskolnikow, die Hauptfigur, stürzt nämlich nach dem Mord ins Delirium und ist erst gegen Ende des Buches soweit von seiner „Krankheit“, die viel mit seinem schlechten Gewissen zu tun hat, geheilt.
Raskolnikow selbst ist ein verarmter Jurastudent, der eine alte Wucherin ermordet um so an ihr Geld zu kommen.
Er wird später zwar von wenigen Leuten verdächtigt, es liegen aber niemals auch nur klare Indizien geschweige denn Beweise vor. So dass er sich am Ende selber stellt, als er sieht dass das die einzige Möglichkeit ist, wieder aus seiner Einsamkeit herauszufinden.
Letztendlich wird er durch die Liebe einer Frau geheilt.



Was aber ist so besondere an dem Buch? Warum ist es Weltliteratur?:

Nun ich denke da gibt es viele Gründe.



  • Der Unterschied zu den üblichen Kriminalromanen ist sehr groß, da der Schwerpunkt hier ein anderer ist. Man fühlt richtig mit dem Mörder, versteht ihn bestens und hofft teilweise, dass er nie gefasst wird, obwohl man sich der Schwere seiner Tat noch bestens bewusst ist.
  • Obwohl nicht sehr viel Handlung existiert, ist das Buch nie wirklich langweilig. Man weiß nie ob es jetzt so weit ist und er geschnappt wird, ob er durch seine Krankheit stirbt oder sich selbst anzeigt.
  • Das Werk ist nicht nur sehr psychologisch, sondern auch philosophisch und kritisch. Die Kritik selber zielt meisten auf die Gesellschaft ab und am Anfang auch auf die Religion, wobei Raskolnikow am Ende des Buches schließlich selbst religiös ist, da Dostejewski seine eigene Wandlung vom Sozialisten zum gläubigen Christen dokumentiert. Generell wird die menschliche Persönlichkeit genauestens geschildert.
  • Die drei Dialoge zwischen Raskolnikow und dem Untersuchungsrichter Porfiri gehören zu den besten psychologischen Gesprächen der Weltliteratur und sind ein Genuss für sich.
  • In diesem Buch werden von Raskolnikow die ethisch, bürgerlichen Gesetze überschritten, was zu dieser Zeit auch nicht gerade üblich war, vermutlich auch einer der Hauptgründe, warum er so großen Einfluss auf die spätere Entwicklung des Romans hatte. Er ist praktisch der Erfinder und Gestalter des modernen Romans.
  • Das Werk schildert aber auch einen dauernden Kampf. Den des Verstandes und der Vernunft gegen das Herz und die Seele.

und mein plädoyer.....
[align=center]Plädoyer[/align]
[align=center][/align]
Hohes Gericht, verehrte Geschworene!
Vor Ihnen steht ein Mann, der kaltblütig zwei arme, hilflose Damen ermordet hat.
Ein Mann, der sich eine makabere und anstaltsreife Theorie ausgedacht hat um seine feige Tat zu rechtfertigen. Wie können wir da milde mit ihm umgehen?
Natürlich war er arm, hatte nicht mal genügend Geld sein Studium weiter zu finanzieren, aber es geht im Moment vielen Studenten so und SIE suchen immerhin einen besseren Ausweg, als den, Gott zu spielen. Denn was war es anderes? Wer außer ihm hat das Recht über das Leben des einzelnen Menschen zu entscheiden? Niemand! Und das wissen die meisten Menschen auch. Raskolnikow aber in seinem „Größenwahn“ verglich sich mit Napoleon und entschied, er wäre auserwählt worden ebenso Menschen „abzuschlachten“.
Er hat einen Doppelmord begangen! Und wer weiß wie viele er noch umgebracht hätte, wenn sie ihm unmittelbar im Weg gewesen wären?!
Wir wissen es nicht... genauso wie wir nicht wissen, warum er die gemachte Beute nicht verbraucht hat, sondern an einem entlegenen Ort versteckt hat, er hat sich angeblich nicht einmal angesehen was genau in dem Beutel war. Das könnte doch aber auch ein taktischer Grund gewesen sein, müssen es unbedingt Gewissensbisse sein, die ihn nach dem Mord angeblich gequält haben? Vielleicht wollte er einfach nicht aus Versehen etwas ausplaudern und wie kann man das, wenn man selbst nichts davon weiß?
Wann aber wären seine Skrupel gewichen, so wie sie es schon vorher getan haben, als er sich endgültig zu dem Mord entschloss und ihn dann geradezu perfekt durchführte, so dass nie wirklich klare Beweise vorlagen. Hätte er ihn vielleicht schon einen Tag oder eine Woche später geöffnet?
Und was den Mord betrifft, kann das wirklich jemand getan haben der nicht ganz bei Sinnen war? Und selbst wenn er es nicht war, ist das dann besser? Der Mann ist entweder ein kalt berechnender Killer oder ein gefährlicher Irrer! So jemand frei zu wissen, würde mir mehr als nur einige schlaflose Nächte bescheren, vor allem wenn ich mir dann noch eventuell Sorgen um meine Kinder machen müsste, die vielleicht ja eher in die „zweite Kategorie Mensch“ fallen und somit „Freiwild“ für die Erste darstellen... wenn denn noch andere seine Theorie übernehmen, was immerhin nicht so absurd ist, wo es doch sogar in der Zeitung erschienen ist.
So wie auch das hier vermutlich in den Zeitungen erscheinen wird, was auch uns mehr als genug Schande einbringen wird. Immerhin ist oder war er mal Jurastudent! Das alles färbt doch auf uns ab! Sowohl auf Sie Herr Verteidiger, als auch auf Sie Herr Richter und die Geschworenen, die in gewissem Sinne mit uns zusammenarbeiten.
Was aber haben wir mit seinen krankhaften Illusionen zu tun?! Nichts!!!
Außer... nun ja... wir könnten sie natürlich auch übernehmen. Ja das könnten wir, hier und jetzt im Gerichtssaal. Sie verstehen nicht worauf ich hinaus will?
Nun... ich will, dass sie sich einfach mal kurz vorstellen seine Theorie wäre gar nicht so falsch. Das würde bedeuten, dass er zwar mit dem Mord gewisse Grenzen überschritten hat und somit in die erste Gruppe übergegangen ist, aber durch alles Folgende, also Krankheit und Selbstzweifel, wieder in die Zweite „zurückgefallen“ ist.
Er hat sich also überschätzt, sich in die falsche Gruppe eingeordnet, hat das aber erst danach, und da liegt das Problem, eben erst danach gemerkt. Die Morde waren zu diesem Zeitpunkt schon geschehen. Nun können wir ja sagen, dass es dennoch nicht weiter bedeutend ist, was mit den zwei Frauen geschah, sie sind so oder so ersetzbar... aber ist er es jetzt nicht auch?
Ist sein Leben jetzt nicht genauso wertlos wie das ihre es für ihn war?
Sollten wir dann nicht ein Exempel an ihm statuieren um die Wiederholung eines solchen Vorfalls zu vermeiden?
Meiner Meinung nach schon! Deshalb plädiere ich in diesem Fall auch auf die Todesstrafe!
[font="][font=Verdana]Mit weniger würde ich mich hier nicht zufrieden geben, wenn wir die Jugend vor diesen falschen Idealen bewahren wollen, müssen wir handeln. Ohne Gnade![/font]


[font=Verdana]und meint ihr das geht? (man sollte das buch kennen um das plädoyer teilweise zu vestehen)
auch ist es nicht wichtig, dass ich gleich die todestrafe verlangt habe und geschworene im gerichtssaal habe. das ist alles bloß um den vortag spannender zu gestalten.
ich bin schließlich auch mehr auf raskolnikows seite, aber staatsanwalt spielen ist einfacher und klingt besser beim Halten.
und überhaupt hab ich ja nur 15 min zeit für alles un man verlangt noch ne leseprobe...
[/font][/font]

Padreic
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Fr 11. Feb 2005, 20:26 - Beitrag #15

Zur Zusammenfassung: Man könnte vielleicht die Rolle der Frau und warum er sich letztlich stellt etwas genauer herausstreichen. Und ich wäre vorsichtig mit der Aussage, dass Raskolnikow die Wucherin umbringt, weil er Geld haben will. Im Großen und Ganzen aber nicht schlecht.

Die Gründe sind wirklich gut ausgewählt. Man könnte vielleicht noch die in verschiedenen Personen durchgeführte Auseinandersetzung mit dem Sozialismus nennen. Und vielleicht auch, die beeindruckende Komplexität von Raskolnikovs Charakter nochmal genauer herausstellen.

Zum Plädoyer: Das gefällt mir eigentlich weniger. Zwei kurze Punkte dazu: erstens ist es etwas sehr reißerisch; so etwas würde wohl kein Staatsanwalt so vortragen. Zweitens würde den Staatsanwalt Raskolnikows Theorie wohl einen Dreck interessieren, wenn er denn überhaupt davon wüsste, was eher unwahrscheinlich ist.

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Fr 11. Feb 2005, 21:47 - Beitrag #16

o.O ...
Ich habe mir den Großinquisitor grade durchgelesen (hatte den thread vorher gar nicht bemerkt).
Äußerst bewegend, wie ich finde, und auch Watzlawicks Kommentar passt, er fügt sich ohne Bruch der Geschichte hinzu.

Während des Lesens hat mich die Geschichte nachdenklich gemacht; durch Watzlawicks Kommentar jedoch hat sich das Gedankenknäuel gelöst, und wie schon während des Lesens angedeutet liegen meine Sympathie und mein Verständnis bei beiden Hauptpersonen, meine Unterstützung erhielte jedoch der Großinquisitor. Da Christus die Möglichkeit hatte und hat, die Menschheit glücklich zu machen, ihm jedoch die Freiheit wichtiger war und da der Inquisitor eine große Last auf sich nimmt, um die Menschen glücklicher zu machen bzw. ihnen die Verzweiflung und quälende Sorge abzunehmen, welche die Freiheit und Jesu Wirken hinterlassen hat, ist in meinen Augen die Haltung des Inquisitors menschenfreundlicher und mir damit lieber.
Schade nur, dass Christus keine Stellungnahme oder Erklärung abgegeben hat;
dass der Inquisitor sein Wirken unter den Menschen so früh unterbrochen hat und man daher nicht weiß, was er sonst noch getan hätte;
dass er nicht versucht hat, Christus umzustimmen, sondern ihm nur vorgeworfen hat, was er iho letztes Mal an Fehlern begangen hat und
dass man nicht vielen oder gar keinem der früheren Inquisitoren unterstellen kann, in solchem Maße das Wohl auch und besonders des schwachen, sündigen Menschens im Sinne gehabt zu haben.

Die Passage, in der der Großinquisitor Christus darauf hinweist, dass dieser schließlich die Führung der Kirche und damit die Verantwortung und Macht in die Hände von Petrus gelegt habe, unterstützt imo auch die Hauptthese in einem thread von Ipsissimus über das Christentum, dass die heutige Kirche eine Kirche Petri und nicht etwa Christi sei;
und bei näherer Betrachtung drängt sich mir der Gedanke auf, dass diese Entwicklung nicht etwa nur unaufhaltsam, sondern auch die bessere war.

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Fr 11. Feb 2005, 22:02 - Beitrag #17

@e-noon
Kleine Anmerkung: Ipsis These war IIRC, dass die Kirche die Kirche Paulus' ist. Nicht, dass sie die Petrus' ist.

Dass Dostojevski es schafft, jemanden von einer Position, die sicherlich nicht seine eigene ist, zu überzeugen, finde ich beeindruckend.
Und dass Christus umzustimmen versuchen zwecklos wäre, ist offenbar, wie man schon an der Schlußszene sieht, wo der Inquisitor dem Schweigenden doch unterliegt.

Padreic

P. S. Was ist das eigentlich für ein Kommentar, von dem du sprichst?

e-noon
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Fr 11. Feb 2005, 22:14 - Beitrag #18

Echt? wie kommt er darauf? Muss ich wohl nochmal nachlesen ^^
Die Grundthese, dass die katholische Kirche keine Kirche Christi mehr ist, dürfte jedoch trotzdem stimmen.

Dass er mich überzeugt hat (so ich denn gemeint bin) will ich nicht sagen; vielmehr, dass er einen Aspekt meiner diesbezüglichen Position sehr viel detaillierter, überzeugender und auch verständlicher darstellt.

Unter der Textstelle war ein Kommentar zu dem Textauszug. Oder sollte ich da einen Fehler gemacht haben? :confused:

Padreic
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Fr 11. Feb 2005, 22:19 - Beitrag #19

Nein, du hast nichts falsch gemacht; ich hatte mich nur nicht mehr an meinen eigenen Link erinnert ;).

Und auch wenn der Text dich nicht überzeugt hat, sondern nur vorhandene Anschauungen verstärkt und ausgeformt hat, so finde ich es dennoch so beeindruckend, dass jemand, der eigentlich entgegengesetzter Meinung ist, eine Position so gut ausformulieren kann. So gut, dass dieses eine Textstück mit sein bekanntestes überhaupt ist.

Padreic

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Sa 12. Feb 2005, 01:13 - Beitrag #20

Ich finde diese Wirkung des Stücks mindestens ebenso verwunderlich wie Padreic. Ist es für mich doch offenkundig nichtmal nur eine Meinung, die Dostojewski nicht selbst vertritt, sondern sogar eine Satire. Satire ist vielleicht ein wenig zu kurz gegriffen, aber das Stilmittel, eine gegnerische Position durch Zuspitzung auf den Kern untragbar zu machen, teilt das Stück definitiv mit dieser.

Aber ähnlich erstaunt war ich ja bereits, wie es möglich ist, dass Maurice die Brave New World gutheißen kann, bei der die Frage nach Position und Intention des Autors noch klarer ist.

Die Grundfrage ist auch interessanterweise in beiden Werken dieselbe: Glück gegen Freiheit.
Der Unterschied jedoch ist: während in BNW Säkularisten handeln, die sich glaubwürdig das reine Glück zum Ziel setzen können, ist der Großinquisitor ein Kirchenmann, der mit seinen Ausführungen das Bild, das die Kirche nach außen hin predigt, zerstört und das wahre Funktionsprinzip einer Kirche offenbart.

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