Seite 1 von 1

Klassiker

BeitragVerfasst: Fr 17. Sep 2004, 19:29
von Padreic
Was ist ein Klassiker?

Im engeren Sinne ist es ein wichtiges Werk der Klassik der jeweiligen Nationalliteratur, wie beispielsweise in Deutschland die Weimarer Klassik, in England das elisabethanische Zeitalter oder in Spanien das Siglo de Oro.
Wie diese Beispiele zeigen, ist das aber keineswegs erschöpfend. Gerade die Weimarer Klassik beschränkt sich ja nur auf eine gewisse Schaffensperiode zweier Schriftsteller, die, so bedeutend sie auch sind, doch nicht alle Klassiker abdecken können. Schon zeitgleich entstanden Werke von Autoren wie Kleist oder Hölderlin, die man heute unter die Klassiker zählt, obwohl sie epochen-mäßig zu den Anti-Klassikern gehörten.
Ein Ansatz wäre einem Klassiker einen Mindestzeitraum, über den er sich hält, also gelesen wird und/oder von der Literaturkritik anerkannt wird, vorzuschreiben. Trotzdem gibt es Bücher, die trotz eher kleinem Alter schon als Klassiker gelten. Max Frischs 'Homo Faber' ist beispielsweise noch keine fünfzig Jahre alt. Oder noch extremer liegt der Fall bei Umberto Ecos 'Name der Rose', das quasi erst gestern (1980) veröffentlicht wurde, von manchen aber schon als Klassiker gehandelt wird, ist u. a. auch in der SZ-Bibliothek herausgekommen. Einen so kurzen Zeitraum mag man kaum als hinreichend für einen Klassiker annehmen, oder?

So what? Einen wirklichen Ausweg weiß ich auch nicht, bin aber gespannt auf eure Ideen :).

Padreic

BeitragVerfasst: Sa 18. Sep 2004, 00:46
von Traitor
Als Ausweg könnte ich anbieten:
Ein Klassiker ist ein Buch, das über einen längeren Zeitraum gelesen und/oder von der Literaturkritik anerkannt wird oder das seit eher kurzer Zeit die Bedingung erfüllt, von dem man aber vermutet, dass es über einen längeren Zeitraum in der Zukunft diese Bedingung erfüllen wird.

Ein interessanter Gedanke, der mir in diesem Umfeld mal kam, ist folgender: Neben allen Informationen erster Ordnung, die ein Zeitalter überliefern kann, kann eine der interessantesten Informationen über es sein, welche ältere Literatur es mochte. Eine "Bibliothek der Ewigkeit" sollte gleichberechtigt neben den Werken selbst auch Statistiken und Berichte darüber enthalten, wann und wie diese Werke noch rezipiert wurden.

BeitragVerfasst: Sa 18. Sep 2004, 23:36
von Elbereth
Als Klassiker würde ich ein Buch bezeichnen, das 2 Voraussetzungen erfüllt: es sollte representativ für eine Epoche/eine literarische Strömung sein und sich auch über einen längeren Zeitraum bewährt haben, d.h. wenn es auch nach mehrern Jahren mit Begeisterung von Millionen Menschen gelesen wird. Deswegen würde ich die relativ neuen Werke trotz ihres Erfolg nicht sofort als Klassiker bezeichnen.

BeitragVerfasst: So 19. Sep 2004, 01:34
von Traitor
es sollte representativ für eine Epoche/eine literarische Strömung sein
Ist dieses Kriterium wirklich nötig? Es gibt Klassiker, die quasi für sich alleine stehen, oder gerade erst durch ihre Einzigartigkeit zu Klassikern werden/wurden. Zu Shakespeare gibt es etwa noch Marlowe, aber weitere vergleichbare Autoren sind mir keine bekannt. Tolkien steht in seiner Art quasi ohne vergleichbares dar. Und sicher gibt es noch einige weitere Beispiele.

BeitragVerfasst: Mo 20. Sep 2004, 13:13
von Padreic
@Elbereth
und sich auch über einen längeren Zeitraum bewährt haben, d.h. wenn es auch nach mehrern Jahren mit Begeisterung von Millionen Menschen gelesen wird.

Ich denke, das ist nur beschränkt gültig. Es gibt durchaus Bücher, die als Klassiker zählen, deren Leserschaft aber wohl eher beschränkt ist. Wieviel Leute mögen Bücher wie 'Der Mann ohne Eigenschaften' oder 'Doktor Faustus' gelesen haben? Dagegen werden sie aber von der Literaturkritik anerkannt und hochgeschätzt, was ich ja schon als Kriterium ansetzte. Oder würdest du sagen, dass ein Werk, das sich einem breiten Leserkreis verschließt, kein Klassiker ist?

@Traitor
Shakespeare ist so wichtig, dass er schon alleine für eine ganze Epoche genügt, für die er dann repräsentativ wäre ;).
Ich würde aus der deutschen Literaturgeschichte den schon oben erwähnten Kleist nennen. Er lebte während der Klassik und der aufkommenden Romantik, gehörte aber zu keinen von beiden. Am ehesten lässt er sich noch unter die Antiklassiker fassen, aber die waren eine so breite Strömung, die von Kleist über Hölderlin bis Jean Paul reicht, dass sie kaum als eine Epoche zu bezeichnen ist, die gar noch von einer einzige Person repräsentiert werden kann.
Es gibt aber wohl insgesamt mehr Beispiele dafür, dass ein Klassiker auch eine Epoche repräsentiert, als für das Gegenteil.

Padreic

BeitragVerfasst: Mo 20. Sep 2004, 15:48
von MagicMagor
Ich denke ein Klassiker kann seine Epoche repräsentieren, dies ist aber nicht Vorraussetzung dafür ein Klassiker zu sein. Klassiker im Sinne eines Buches, das man einfach kennen sollte, ist etwas völlig anderes als Klassiker, im Sinne eines Werkes aus der Epoche der Klassik. Aber ich denke wir reden hier über den ersten Fall.

Klassiker sind für mich, Bücher die, aus verschiedenen Gründen, zeitlos sind. Das heißt, deren Erfolg ist nicht unmittelbar mit der jeweiligen Zeit, in der es gelesen wird, verbunden. Das bezieht sich vor allem auf die Thematik, die ein Buch behandelt, aber auch auf den Umgang mit der Sprache.

Manchmal kann man die Zeitlosigkeit eines Werkes schon kurz nach Veröffentlichung feststellen, oder zumindest vermuten (wie bei Homo Faber), bei anderen Werken erkennt man das vielleicht erst einige hundert Jahre nach dem Erscheinen des Werkes.

Edit:
In Hinblick auf Padreics Post über mir, möchte ich hier mal einem Mißverständniss vorbeugen. Erfolg bedeutet nicht unbedingt eine große Leserschaft. Zeitloser Erfolg bedeutet vielmehr, daß ein Werk über die Jahrhunderte hinweg immer wieder gelesen wird und nicht einfach in der Versenkung verschwindet. Wobei ich aber auch nicht ausschließen will, das ein "Klassiker" zu einem späteren Zeitpunkt seinen Status verliert, was aber wohl eher bei jüngeren Werken zu vermuten ist, als den alten Klassikern.

BeitragVerfasst: Di 21. Sep 2004, 10:57
von Elbereth
@Padreic: Natürlich muss nicht die ganze Weltbevölkerung das Buch gelesen haben, damit es zu einem Klassiker wird, aber ein Buch dass nur von den Literaturkritikern gelesen wird ist für mich auch kein Klassiker. Es muss auch einer gewissen Anzahl von "Normalsterblichen" gefallen, es gibt ja noch genug Menschen die viel und gerne lesen, und sie können sich dann auch einen Urteil darüber bilden.

BeitragVerfasst: Mi 29. Sep 2004, 14:11
von Traitor
@Magor:
Wobei ich aber auch nicht ausschließen will, das ein "Klassiker" zu einem späteren Zeitpunkt seinen Status verliert, was aber wohl eher bei jüngeren Werken zu vermuten ist, als den alten Klassikern.
In diesem Zusammenhang vermute ich, dass ein gehöriger Teil der "Klassiker" der modernen deutschen Literatur, also Mitte des 20. Jahrhunderts, derzeit seinen Klassikerstatus verliert oder ihn bald verlieren wird. Böll und Grass etwa, zumindest das, was ich von ihnen gelesen habe, sind trotz aller Qualität sehr stark Zeitromane, und schon ich merkte beim Lesen, dass mir sicherlich ein Großteil ihrer Faszination entgeht, da ich im Gegensatz zu meinen Eltern viele der Ereignisse und Lebensweisen nur noch sehr indirekt kenne.
Bei den nur wenige Jahrzehnte älteren Werken dagegen scheint sich die Zeitlosigkeitsauslese schon quasi vollzogen zu haben: was aus dieser Zeit noch großen Rang hat, hat zwar Zeitbezüge, aber auch über diese hinaus mehr grundsätzliche und unabhängige Inhalte.

Grob verallgemeinernd wage ich mal die Hypothese, dass der Zeitrahmen, in dem sich ein Klassiker "beweist", bei ungefähr zwei Generationen, also 50-70 Jahren, liegt.