Der Schwarm

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
aleanjre
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Do 7. Okt 2004, 10:46 - Beitrag #1

Der Schwarm

"Der Schwarm" von Frank Schätzing

"Unter der Meeresoberfläche brodelt es neuerdings gehörig. Im Nordwesten Amerikas verschwinden Wale spurlos, um bald darauf gar nicht mehr artgerecht wieder aufzutauchen. Australien gibt Quallenalarm. Vor Norwegens Küste entdecken Ölbohrfachleute eine unbekannte Wurmspezies, deren monströse Kauwerkzeuge einen halben Kontinent zum Einsturz bringen können. Dem Meeresbiologen und Schöngeist Sigur Johanson schwant Übles: Die gesamte Meeresfauna und -flora scheint sich ferngesteuert gegen die Menschheit zu wenden. Ein wissenschaftliches Dreamteam nimmt den Kampf auf."
(amazon.de - Rezensionsausschnitt)

Auf fast tausend Seiten komprimiert der Autor geballtes Wissen. Wir erfahren unentwegt interessante Details über das Meer, Geologie, Geographie, Methangas, Bakterien, verschiedenes Tiefseegetier, Tauchroboter, Forschungsstationen, Satelliten, Strömungen, Klimazusammenhänge, Ölplattformen und, und, und.
Damit es nicht mit einem Sachbuch verwechselt wird, verpackt der Autor dies alles mal mehr, mal weniger geschickt in appetitliche Dialoge. Routiniert und gekonnt führt er uns vorwärts, zwischen all diesem Wissen spinnt er Handlungsfäden.
Und was für Fäden das sind! Stellenweise braucht man wirklich Baldrian und warme Fußbäder, um die Spannung zu ertragen, denn was hier aus dem Hut gezaubert wird, läßt bekannte Hollywoodkatastrophenfilmchen wie ein Sommergewitter erscheinen. Durch schnelle Szenenwechsel bleibt man nägelkauend am Buch kleben, dreht Seite um Seite, hofft und zittert - und leider, leider, wird man ein wenig enttäuscht. Das Ende ist zu lang, zu platt, unbefriedigend. Zu viele absolute Sympathieträger sterben, der Focus der Kamera auf den letzten Atemzug gerichtet. Nicht nur die Protagonisten fühlen sich wie im Film, gerade auf den letzten Seiten des Showdowns zitiert quasi jeder Hollywoodschmonzetten.

Selbige Protags sind auch die Schwachstelle des Romans. Klischeehaft, unglaubwürdig, teilweise völlig überzeichnet. Zu oft dazu verdammt, reine Stichwortgeber für die nächste Wissensflut zu sein. Mit der Brechstange wird der "reale Bezug" hergestellt, indem alle "Bösen" aus Amerika stammen. Man spürt, dass der Autor die Verfilmbarkeit des Stoffes im Blick hatte. Jeder Versuch, den Hauptpersonen Profil zu geben, versinkt im Kitsch.

Dennoch. Die Idee ist riesig. Die Umsetzung aufregend. Das Wissen muss zwar gesiebt werden zwischen Tatsache und Fiktion, ist aber so hervorragend gearbeitet, dass man stellenweise hochschreckt, um sich zu erinnern: "Nein, das ist jetzt gerade kein Tatsachenreport, sondern reine Fiktion!" Der Autor versteht es, einen so zu packen, dass man die "Ja, so könnte es sein" - Ebene schon verläßt.
Auch die philosophischen Gedanken über die wahre Bedeutung des Menschen sind teilweise ein sinnlicher Genuss.

Wenn man also mit einem platten Ende, Schablonenhelden und einer Akte - X - reifen Verschwörung leben kann - liest man ein phantastisches, lehrreiches Sci - Fi - Abenteuer, das sein Geld auf jeden Fall wert ist.
Schwimmflossen und Pulsuhr nicht vergessen!

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