Lyrik: Welche Gedichte findet ihr schön?

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Lykurg
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Do 5. Jan 2006, 18:47 - Beitrag #101

Schön, aber unvollständig - zusammen mit der zweiten und der vierten Strophe erst ist es rund; greift auch den Anfang wieder auf.
Marcel Reich-Ranickis Literaturkanon weist es Simon Dach (Königsberger Dichter des 17. Jhs.) zu, die meisten Quellen im Netz nennen es anonym.
Es gibt übrigens auch eine reizvolle Vertonung von J. S. Bach, enthalten im "Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach".

janw
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Do 5. Jan 2006, 20:37 - Beitrag #102

Ich find´ja das Sonett so nett^^

Scorn not the Sonnet; Critic, you have frown´d,
Mindless of its just honours; with this key
Shakespeare unlock´d his heart; the melody
Of this small lute gave ease to Petrarch´s wound;
A thousand times this pipe did Tasso sound;
With this Camoens sooth´d an exile´s grief;
The Sonnet glitter´d a gay myrtle leaf
Amid the cypress with which Dante crown´d
His visionary brow: a glow-worm lamp,
It cheer´d mild Spenser, called from Faery-land
To struggle through dark ways; and when a damp
Fell round the path of Milton, in his hand
The Thing became a trumpet; whence he blew
Soul-animating strains - alas, too few!

William Wordworth

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Fr 6. Jan 2006, 00:04 - Beitrag #103

Mir gefällt der Köng in Thule vom Goethe


Es war ein König in Tule
Einen goldnen Bächer er hett
Empfangen von seiner Bule
Auf ihrem Todtesbett.



Der Becher war ihm lieber.
Trank draus bey iedem Schmaus.
Die Augen gingen ihm über
So offt er trank daraus.


Und als es kam zu sterben

Zählt' er seine Städt im Reich
Gönnt alles seinen Erben
Den Becher nicht zugleich.


Er sas beym Königs Mahle
Die Ritter um ihn her

Auf hohem Väter Saale
Dort auf dem Schloss am Meer.


Dort stand der alte Zecher
Trank lezte Lebens glut
Und warf den heilgen Becher
Bild Hinunter in die Flut.


Er sah ihn stürzen, trincken,
Und sinken tief ins Meer
Die Augen thähten ihn sinken
Trank nie einen Tropfen mehr.

Auch gern gesehen ist mein geschriebener Text. Der hat es ins Jahrbuch meiner Schule gebracht.

Dein Wesen

Ich stehe hier, weiß nicht wohin mit meinen Gedanken. Ich will schreien, doch kriege ich keinen Laut aus meinem Mund, es ist gerade so, als würden meine Lippen meine Worte aufsaugen. So will ich laufen, doch bin ich wie gefesselt an den Boden, als ob Terra slebst mich als Baum benutzen. Mein Körper, gestraft, gepeinigt und gequält, ja, er sieht tot aus und doch lebt etwas in ihm. Meine Wunden verteilen sich über ihn, entstellen ihn, machen ihn nutzslos und unschön.

Wieso bin ich hier? Wieso? Gibt es einen Grund? Gibt es einen wirklich triftigen Grun? Welche Kraft hält mich hier gefangen? Wer hat mich hierher geholt? Und gibt es einen Weg hier raus? Kann mir dies einer sagen? Gesichter zeigen sich mir, lachen mich aus, verspotten mich und versprecheh mir den Tod, so habe ich mein Leben komplett aufgegeben.

Doch auf einmal wied diese Dunkelheit durch einen Strahl weißen, gleißenden Lichtes durchbrochen, heller als die Sonne selbst ihn je erzeugen könnte. Wie ein Schwert, geführt von Götterhand, wird ein Schnitt in dieses Dunkle gebracht, und wie ein Glas auf den Boden fällt, zerspringt diese Umgebung. Und dort stehst du, lächelst mich an und winkst mich zu dir.

Und auf einmal kann ich mich wieder bewegen, als hättest du Terras Hände von mir gelöst, ich kann wieder Laute aus mir geben, als hättest du den Sog von meinen Lippen genommen. Und ich kann wieder lachen, weinen, herumzicken, melancholisch rumsitzen, ja jetzt in diesem Moment bin ich sogar verliebt, ich kann es ganz deutlich fühlen, wie sich mein Herz wieder mit den Gefühlen füllt. Der doch vorher tot wirkende Körper, füllt sich mehr und mehr mit Leben.

So nimm mich doch in deine Arme, halte mich fest und lass mich nie wieder los. Deine Wärme erwärmt mein kaltes Herz, deine friedliche Aura, lässt mich all den Streit mit Freunden vergessen, deine Art heilt meinen Schmerz, deine Freude lindert meine Trauer... und deine Liebe, vernichtet meinen Hass. Lass mich bei dir sein, weiche nicht von meiner Seite!

Manche Menschen glauben nicht an das,was uns verbindet, viele sind gegen das, was wir tuen. Doch dies soll uns nicht stören, unsere Liebe soll nicht zerstört werden, werde von einer tiefen See noch von einem hohen Berg denn glaube mir... nichts ist mir wichtiger als du, mein Retter als ich dich brauchte, das Wesen, das mich wiederbelebte, als ich schon tot wirkte.
Kommentar... man gab dem ganzen die Überschrift:"Rettung" ... das klang so... aprubt. Aber naja, typisch Peter Errichsen, mein Deutsch- und Biolehrer und um 70 Ecken Verwandter(glaubt mir, ich hab mir das auch nicht ausgesucht)

Ipsissimus
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Sa 7. Jan 2006, 00:31 - Beitrag #104

nicht wo
nicht wann
nichtich

KEIN kompromiss^^

leere

Milena
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Di 10. Jan 2006, 17:56 - Beitrag #105

..um einem Engel zu begegnen,
musste ich wohl selbst auch einer sein
Um dich wirklich zu lieben
und sagen zu können,
du wirst niemals mein

Flügel, die hattest du keine an,
deine Augen, die schauen mich stets auch nur traurig an
und immer, warst du auch nicht da, du Engel,
doch verlangte ich oft danach
So, nun lasse ich dich weiterziehn,
auch wenn ich es nicht so gut kann
und trage dich sanft in meinem Herzen
mein kleines Leben lang.

Ipsissimus
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Fr 13. Jan 2006, 12:16 - Beitrag #106

froh hast du mich gemacht
dir es wiederzugeben
vermochte ich nicht

verzeih, dein Engel
konnte nicht sein
der Mensch, der ich bin

dein Liebster
wäre ich gerne
noch länger gewesen

doch als du "adé" sagtest
tat es zu weh

Lykurg
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Sa 14. Jan 2006, 00:44 - Beitrag #107

Börries Freiherr von Münchhausen:
Das alizarinblaue Zwergenkind

[align=left][/align]
[align=left]Nein, was hab ich gelacht![/align]
[align=left]Da kommt doch diese Nacht
Ein kleinwinzig Zwergenkind
Aus dem Bücherspind
Hinter Kopischs Gedichten hervor
Und krebselt an meinem Schreibtisch empor.[/align]
[align=left]Trippelt ans Tintenfaß:
"Was ist denn das?"
Stippt den schneckenhorndünnen Finger hinein,
Leckt,- "Ui, fein!"
Macht halslang, guckt dumm
Nochmal in der ganzen Stube rum,
Gottseidank, allein![/align]
[align=left]Zwergenvater begegnet sich selber im Mondenschein,
Mutti, um was Gescheiteres anzufangen,
Is e bissel spuken gegangen.[/align]
[align=left]Da knöpft es sein Wämschen ab,
Hemd runter, - schwapp!
Spritzt's ins Tintenbad hinein,
Taucht, plantscht, wischt die Augen rein,
Pudelt
Und sprudelt,
Nimmt's Mäulchen voll,
Prustet ein Springbrunn hoch zwei Zoll,
Streckt's Füßchen raus, schnalzt mit den Zeh'n,
Taucht, um mal auf'n Kopf zu stehn, -[/align]
[align=left]Endlich Schluß der Bade-Saison!
Klettert raus, trippelt über meinen Löschkarton,
Schuppert sich, über und über pitsche-patsche-naß,
"Brr, wie kalt war das!"
Ist selig, wie es sie zugesaut,
Und kriegt eine alizarinblaue Gänsehaut.[/align]
[align=left]Nun trocknet sich's auf dem Löschpapier,
Probiert dort und hier,
Was da für'n feines Muster bleibt, -
Als ob einer, der schreiben kann, schreibt!
Ein Fußtapf, - wie 'ne Bohne beinah!
Ein Handklitsch, - alle fünf Finger da![/align]
[align=left]Nun die Nase aufgetunkt,
Lacht schrecklich: Ein richtiger Punkt,
Ein Punkt![/align]
[align=left]Wo's aber gesessen hat
Auf dem roten Blatt, -
Wie's da hinguckt,
Da hat's ein Dreierbrötchen gedruckt,
Ein kleinwinziges zweihälftiges Dreierbrot,
Blau auf rot![/align]
[align=left]Erst lacht's. Dann schämt sich's. Und dann
So schnell es kann
Am Tischbein runter,
Durch den Mondenschein
In Schrank hinein![/align]
[align=left]Ein Weilchen noch hinter den Büchern her
Hörte ich's piepsen und heulen sehr,
Hat so arg geschnieft und geschluckt,
Weil es das - Dreierbrötchen da hingedruckt![/align]

Sulamith
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So 22. Jan 2006, 23:59 - Beitrag #108

Todesfuge, Paul Celan

Ganz neu bin ich, bisher habe ich nur mitgelesen -Philosophie meistens - und heute habe ich beschlossen, auch aktiv zu werden. Da ich auch Gedichte sehr liebe schien mir das ein idealer Ort für den Einstieg hier bei euch. Im Moment als ich den Celan-Band holen will, um mein Lieblingsgedicht -schön und schrecklich und anrührend mitten ins Herz - abzuschreiben, also genau in diesem Moment lese ich es hier. Ist das ein Wink des Schicksals oder nicht? Also: ich danke dir sehr dafür.

Sulamith


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Mo 23. Jan 2006, 01:01 - Beitrag #109

Willkommen, Sulamith! Ich freue mich darauf, mehr von dir zu lesen. Vielleicht auch im Quiz?^^
(Die 'Todesfuge' findet sich übrigens, wie du bereits gesehen hattest, hier.)


Ernst Stadler:
Der Spruch

In einem alten Buche stieß ich auf ein Wort,
Das traf mich wie ein Schlag und brennt durch meine Tage fort:
Und wenn ich mich an trübe Lust vergebe,
Schein, Lug und Spiel zu mir anstatt des Wesens hebe,
Wenn ich gefällig mich mit raschem Sinn belüge,
Als wäre Dunkles klar, als wenn nicht Leben tausend wild verschlossne Tore trüge,
Und Worte wiederspreche, deren Weite nie ich ausgefühlt,
Und Dinge fasse, deren Sein mich niemals aufgewühlt,
Wenn mich willkommner Traum mit Sammethänden streicht,
Und Tag und Wirklichkeit von mir entweicht,
Der Welt entfremdet, fremd dem tiefsten Ich,
Dann steht das Wort mir auf: Mensch, werde wesentlich!

Ipsissimus
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Mo 23. Jan 2006, 16:53 - Beitrag #110

die ersten drei Strophen des "Schlaflied für Mirjam" von Richard Beer-Hofmann (1866 - 1945) finde ich wunderschön; die vierte ist nur der Vollständigkeit mitgeliefert, ich finde, sie bricht eigentlich den Tenor des Gedichtes


Schlaf mein Kind, schlaf, es ist spät -
Sieh wie die Sonne zur Ruhe dort geht.
Hinter den Bergen stirbt sie in Rot.
Du, weißt nicht von Sonne und Tod.
Wendest die Augen zum Licht und zum Schein.
Schlaf, es sind so viel Sonnen noch dein.
Schlaf mein Kind, mein Kind schlaf ein.

Schlaf mein Kind, der Abendwind weht.
Weiß man woher er kommt, wohin er geht?
Dunkel verborgen die Wege hier sind
Dir und auch mir und uns allen mein Kind.
Blinde so gehn wir und gehen allein.
Keiner kann keinem Gefährte hier sein.
Schlaf mein Kind, mein Kind schlaf ein.

Schlaf mein Kind, und horch nicht auf mich.
Sinn hats für mich nur und Schall ists für dich.
Schall nur wie Windes wehn, Wassergerinn,
Worte vielleicht eines Lebens Gewinn!
Was ich gewonnen gräbt man mit mir ein.
Keiner kann Keinem ein Erbe hier sein.
Schlaf mein Kind, mein Kind schlaf ein.

Schläfst du Mirjam, Mirjam mein Kind?
Ufer nur sind wir und tief in uns rinnt
Blut von Gewesnen, zu Kommenden rollts.
Blut unsrer Väter voll Unruh und Stolz.
In uns sind alle, wer fühlt sich allein?
Du bist ihr Leben, ihr Leben ist dein.
Mirjam mein Leben, mein Kind, schlaf ein.

Ceitlyn
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Mi 25. Jan 2006, 17:49 - Beitrag #111

Ich liebe immer.
Die Entzückungen
der Seele.
Die in ein Auge
sieht, das Antwort
gibt,
Sie sind es, die ich
schamlos stehle.
Und niemand weiß,
wen ich geliebt,
als nur der eine,
den ich anseh,
Für eine Stunde,
einen Tag,
Und der mit
eingeht in mein
Fernweh.
Nach dem ich
immer wieder frag.



Eva Strittmatter - Immer

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Mi 25. Jan 2006, 18:03 - Beitrag #112

Die Liebe- Reiner Kunze

Die Liebe

Die Liebe
ist eine wilde Rose in uns
Sie schlägt ihre Wurzeln
in den Augen,
wenn sie dem Blick des Geliebten begegnet
sie schlägt ihre Wurzeln
in den Wangen
wenn sie den Hauch des Geliebten spüren
Sie shlägt ihre Wurzeln
in der haut des Armes,
wenn ihn die Hand des Geliebten berührt
Sie schlägt ihre Wurzeln,
wächst wuchert
und eines Abends
oder eines Morgens
fühlen wir nur:
Sie verlangt
Raum in uns

Die Liebe
ist wie eine wilde Rose in uns,
unerforschbar vom verstand
und ihm nicht untertan
Aber der verstand
ist ein Messer ins uns

Der verstand
ist einmesser in uns
zu schneiden der rose
durch hundert zweige
einen himmel

Reiner Kunze (1933)

Na dann schneidet mal schön;)

Lykurg
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So 12. Feb 2006, 12:19 - Beitrag #113

Ein Gedicht von Stefan George (aus "Der Stern des Bundes"), das ich in Hartmut von Hentigs Gedichtsammlung für mich entdeckte. Ärgerlich nur Georges Kleinschreibung und Nichtinterpunktion, die mE die Lesbarkeit stört - man muß es um so gründlicher lesen.


Wer seines reichtums unwert ihn nicht nützt
Muss weinen: nicht wer arm ist wer verlor . .
Du bist der gerte finder deren ruck
Verrät wo heilsam wasser steigen will
Und adern goldes in der tiefe ruhn.
Erschrick nicht staune nicht: ›warum denn ich?‹
Wirf nicht im trotz das wunderding beiseit
Weil du es nicht begreifst . . geniess und hilf
Solang der stab in deiner hand gehorcht.

Maglor
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Di 14. Feb 2006, 15:36 - Beitrag #114

Und hier ein Gedicht aus dem frühen 20. Jahrhundert. Vom guten, alten Professor Felix Dahn, der seinen Gedichten sehr wohl erzählenden und lehrenden Charakter gab.

Die letzten Goten

Gebt Raum, ihr Völker, unserm Schritt,
wir sind die letzten Goten;
wir tragen keine Krone mit,
wir tragen einen Toten.

Mit Schild an Schild und Speer an Speer
wir ziehn nach Nordlands Winden,
bis wir im fernsten grauen Meer
die Insel Thule finden.

Das soll der Treue Insel sein.
Dort gilt noch Eid und Ehre:
dort senken wir den König ein
im Sarg der Eichen- Speere.

Wir kommen her - gebt Raum dem Schritt
aus Romas falschen Toren,
wir tragen nur den König mit,
die Krone ging verloren.

Harr, harr. :king:
MfG Maglor

Windsbraut
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Di 14. Feb 2006, 16:15 - Beitrag #115

Lykurg, "Das alizarinblaue Zwergenkind" ist allerliebst!

Lykurg
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Di 21. Feb 2006, 13:15 - Beitrag #116

Maglor, Felix Dahns "Ein Kampf um Rom", in dem das Gedicht vorkommt, stammt schon von 1876... Mit einiger Vorsicht noch genießbar, finde ich. :snob:

Windsbraut, mir auch deshalb lieb, weil "... im Mondschein begegnen" und "schneckenhorndünne Finger" für meine Familie ständige Zitate sind^^

Jetzt mal wieder eines der Sorte, für das "schön" nicht so recht paßt... Hier ist übrigens auch der Gedicht-Status reichlich fraglich - aber die wiederkehrenden Motive gehen mE auch über einen 'komponierten' Prosatext bei weitem hinaus.


Ernst S. Steffen

Das Vorleben

Mein Vater war Oberfeldwebel
und starb in Stalingrad,
von wo er als mein Onkel zurückkehrte.
Er war ein guter Onkel.

Nach neunzehnhundertfünfundvierzig
nahm er jedoch
eine schwarze Hautfarbe an.
Das irritierte mich.
Ich war so jung damals.

Der staatlich geprüfte Jugendpsychiater
erzählte mir eine Geschichte,
in der ein Mann namens Oedipus vorkam,
und ich sei kein schlechter Junge,
sagte er;

der Krieg sei schuld,
so und so,
auch an der Null-acht,
mit der ich so sehr ins Schwarze getroffen hatte
zwischen den weißen Augen.

Er brachte mich dann selbst
in das Erziehungsheim,
weil sein Freund recht behalten hatte.

Im Heim erhielt ich eine Tante,
die sich meiner Komplexe annahm
und schließlich meiner Libido.
Ich war so hübsch damals.

Als sie ein Kind bekam,
begann ich den Vorgang zu verstehen
und erhielt wieder einen Onkel.

Irgend jemand sagte mir dann,
Flucht sei ein Ausweg.
Unterwegs lernte ich Motorrad fahren,
weil ich Blasen an den Füßen hatte.

Dann brachte man mich vor einen Onkel,
der von Schuld sprach
und mich seiner Gnade versicherte.

Im Jugendgefängnis lernte ich,
was er damit gemeint hatte.
Ich lernte viel im Gefängnis.
Besonders mochte ich Goethe leiden.
Er schrieb eine Farbenlehre.

Aydee
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Mo 6. Mär 2006, 14:07 - Beitrag #117

Traurigkeit die jeder kennt

Man weiß von vornherein, wie es verläuft.
Vor morgen früh wird man bestimmt nicht munter.
Und wenn man sich auch noch so sehr besäuft:
die Bitterkeit, die spült man nicht hinunter.

Die Trauer kommt und geht ganz ohne Grund.
Und angefüllt ist man mit nichts als Leere.
Man ist nicht krank. Und ist auch nicht gesund.
Es ist, als ob die Seele unwohl wäre.

Man will allein sein. Und auch wieder nicht.
Man hebt die Hand und möchte sich verprügeln.
Vorm Spiegel denkt man: "Das ist dein Gesicht?"
Ach, solche Falten kann kein Schneider bügeln.

Vielleicht hat man sich das Gemüt verrenkt?
Die Sterne ähneln plötzlich Sommersprossen.
Man ist nicht krank. Man fühlt sich nur gekränkt.
Und hält, was es auch sei, für ausgeschlossen.

Man möchte fort und findet kein Versteck.
Es wäre denn, man ließe sich begraben.
Wohin man blickt, entsteht ein dunkler Fleck.
Man möchte tot sein. Oder Gründe haben.

Man weiß, die Trauer ist sehr bald behoben.
Sie schwand noch jedes Mal, so oft sie kam.
Mal ist man unten, und mal ist man oben.
Die Seelen werden immer wieder zahm.

Der Eine nickt und sagt: "So ist das Leben."
Der andre schüttelt seinen Kopf und weint.
Wer traurig ist, sei´s ohne Widerstreben!
Soll das ein Trost sein? So war´s nicht gemeint.

[align=right]Erich Kaestner[/align]

Aydee
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Mo 6. Mär 2006, 18:54 - Beitrag #118

Stiller Freund der vielen Fernen...

Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,
wie dein Atem noch den Raum vermehrt.
Im Gebälk der finsteren Glockenstühle
laß dich läuten. Das, was an dir zehrt

wird ein Starkes über dieser Nahrung.
Geh in der Verwandlung aus und ein,
Was ist deine leidenste Erfahrung?
Ist dir Trinken bitter, werde Wein.

So in dieser Nacht aus Überdruß
Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,
ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

Und wenn dich das Irdische vergaß,
zu der stillen Erde sag: Ich rinne.
Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.

[align=right]Rainer Maria Rilke
Die Sonette an Orpheus[/align]



/Edit.

Kennst du das auch?

Kennst du das auch, daß manchesmal
Inmitten einer lauten Lust,
Bei einem Fest, in einem frohen Saal,
Du plötzlich schweigen und hinweggehn mußt?

Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf
Wie Einer, den ein plötzlich Herzweh traf;
Lust und Gelächter ist verstiebt wie Rauch,
Du weinst, weinst ohne Halt - Kennst du das auch?

[align=right]Hermann Hesse[/align]

Lykurg
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Mo 1. Mai 2006, 18:05 - Beitrag #119

John Henry Mackay: Morgen

Und morgen wird die Sonne wieder scheinen,
und auf dem Wege, den ich gehen werde,
wird uns, die Glücklichen, sie wieder einen
inmitten dieser sonnenatmenden Erde . . .

Und zu dem Strand, dem weiten, wogenblauen,
werden wir still und langsam niedersteigen,
stumm werden wir uns in die Augen schauen,
und auf uns sinkt des Glückes stummes Schweigen . . .


(allerdings leicht verändert, in der von Richard Strauss vertonten Fassung, wie ich es gestern gehört und genossen habe)

C.G.B. Spender
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Mi 10. Mai 2006, 04:12 - Beitrag #120

Hermann Hesse, Aydee, er kennt das auch, was wir kennen.

_____________________

see the storm is broken
in the middle of the night
nothing left here for me
it's washed away
the rain pushes
the buildings aside
the sky turns black
the sky
wash it far
push it out to sea
there's nothing left here
for me
i watch it lift up to the sky
i watch it crush me
and then i die

speak to me baby
in the middle of the night
pull your mouth
close to mine
i can see the wind coming down
like black night
so speak to me
like the winds outside
it's broken up, pushing us
hear the rain fall
see the wind come to my eyes
see the storm broken
now nothing
speak to me baby
in the middle of the night
speak to me
hold your mouth to mine
'cause the sky is breaking
it's deeper than love
i know the way you feel
like the rains outside
speak to me

Moby - The Sky is broken

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