Deutsche Literatur oder auch nicht

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Traitor
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Mo 3. Apr 2006, 11:17 - Beitrag #1

Abgetrennte Folgediskussion zur zitierten Frage von Maurice aus dem Wblig.

Gelten Bücher von schwedischen Autoren auch als deutsche Literatur?
Da es du bist, der sich so um die Kategorien kümmert (iirc hatte ich mich schonmal befremdet dazu geäußert ;) ), kannst das natürlich nur du entscheiden. Wenn die Kategorie explizit deutsche Literatur heißt, würde ich es aber für sehr absurd erachten, schwedische Bücher hereinzunehmen. Allenfalls könntest du die Kategorie zu "germanischer Literatur" erweitern, aber das würde auch englische Bücher einschließen, und letztlich sehe ich nicht, warum für einen Deutsch-Lehrämtler (im Gegensatz zu einem richtigen Germanisten, nicht abwertend gemeint, nur in Hinsicht auf die Breite der fachlichen Ausrichtung) schwedische Literatur relevanter sein sollte als französische.
Iirc ist für die Oberstufe nur ein einziges ausländisches Buch vorgesehen, und das hat unser Lehrer sogar mit einer Handvoll Referate über Camus und Sartre abgehakt. (Somit konnte ich das bereits in Reli und Französisch gehaltene Referat zum dritten Mal verwenden. :D)

Maurice
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Mo 3. Apr 2006, 11:28 - Beitrag #2

Mir sind die Kategorien an sich nicht so wichtig, aber bei der Masse an Bücehrn, die es gibt, versuche ich eben nunmal besonders Bücehr zu lesen, die einen Mehrwert für mein Studium haben könnte. Von daher ist es mir nicht wichtig, was ich oder du als "deutsche Literatur" verstehen, sondern was "in der Germanistik" als solche gilt. Ich frage diesbezüglich am besten mal ein paar Profs, falls sich die Gelegenheit dazu beitet. Aber vielleicht kann mir eben auch schon vorher jemand eine passende Antwort geben. ;)
Ich glaube eine geeignete Richtlinie, ob ein Buch als "deutsche Literatur" eignestuft werden kann, ist ob es ursprünglich in deutscher Sprache gescherieben wurde. Darunter würden dann nicht nur die Bücher fallen, die in Deutschland geschrieben wurden, sondern auch z.B. welche aus Österreich. Die Frage ist dann nur, wann ein Buch noch in deutscher Sprache geschrieben ist...

Traitor
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Mo 3. Apr 2006, 11:48 - Beitrag #3

Ich glaube eine geeignete Richtlinie, ob ein Buch als "deutsche Literatur" eignestuft werden kann, ist ob es ursprünglich in deutscher Sprache gescherieben wurde. Darunter würden dann nicht nur die Bücher fallen, die in Deutschland geschrieben wurden, sondern auch z.B. welche aus Österreich. Die Frage ist dann nur, wann ein Buch noch in deutscher Sprache geschrieben ist...
Ja, das sollte ganz klar das Kriterium sein. Das Problem, was noch deutsche Sprache ist, sehe ich auch nichtmal so. Ab dem 17. Jahrhundert oder so ist eh alles klar, Alt- und Mittelhochdeutsch sind klar als Vorgänger zu identifizieren, die skandinavischen Sprachen haben schon seit präliterarischer Zeit eigene Entwicklungswege, und Dialekte sollten auch klar unter Deutsch einzuordnen sein. Der einzige Problemfall, der mir spontan einfällt, ist die Übergangszeit des Niederländischen vom Dialekt zur eigenen Sprache, aber ich bezweifle, dass es aus ihr allzuviel relevante Literatur gibt.

janw
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Mo 3. Apr 2006, 12:31 - Beitrag #4

Hm, auch wenn es vom Thema etwas wegführt...
Selektiv nur deutsche Bücher lesen, weil dies am meisten dem Studium dient?
Soll das Lesen nicht gerade der Erweiterung von Horizonten dienen, wäre nicht eine strikte Beschränkung nur auf den eigenen Sprachraum dem genau entgegen gesetzt?

Maurice, wie gefällt Dir der Gedanke, daß man über das Andersartige sich selbst erst richtig kennen lernen kann? ;)

Lykurg
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Mo 3. Apr 2006, 18:31 - Beitrag #5

Im Prinzip stimme ich sehr mit dir überein, janw, daß der Blick über den Tellerrand sehr nützlich ist, aber auch die Aufgabe, sich das eigene Fachgebiet, die deutschsprachige Literatur, einzulesen, ist auch nicht ansatzweise zu bewältigen, insofern habe ich Verständnis für Maurices Position und lese selbst zur Zeit relativ wenige nichtdeutschsprachige Autoren. Für einen Deutschlehrer ist es mE erheblich wichtiger, die zentralen Werke sämtlicher Epochen des eigenen Sprachraums zu kennen, als die ausländische Gegenwartsliteratur zu beobachten. Das bringt rein für das Fach wirklich wenig.

Ich finde es absolut lebensnotwendig, ein regelmäßiges Pensum an fremdsprachigen Texten im Original zu lesen, um die Sprachkompetenz nicht zu verlieren, aber das ist eine andere Sache und möge von jedem so gehalten werden, wie er lustig ist, oben geäußerter Standpunkt ist aus der Sicht des Germanisten die maßgeblichere Grundlage.

Und um auf die Frage zurückzukommen: Nein, Schweden und Niederländer gehören grundsätzlich nicht dazu, obwohl die Institute für Skandinavistik und Nederlandistik an vielen Unis der Germanistik angegliedert sind. Dagegen machst du mit österreichischen und schweizerischen Autoren im Prinzip nichts falsch. (Daß auch das aber später an der Schule nicht im Übermaß betrieben werden kann, ist klar.) Ich war zu Anfang sehr überrascht, wie unterrepräsentiert auch zentrale deutsche Autoren im österreichischen akademischen Betrieb sind, verglichen auch mit eher belanglosen hiesigen Zunftgenossen, aber das sieht man hier eben anders; und dementsprechend ist verständlicher, daß in Deutschland eben auch die kleinen Nachbarn etwas unter den Tisch fallen. Aber ohne Meyer, Frisch, Dürrenmatt; Handke, Bernhard, Jelinek, Canetti und Musil ist für mich der Blick auch irgendwo unvollständig. Soviel Nachbarschaft muß sein. :)

janw
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Mo 3. Apr 2006, 23:59 - Beitrag #6

Lykurg, Deine Aufzählung lässt doch noch einige Wünsche offen...Her Walter, Neithart und einige andere Größen der alt=ehrwürdigen deutschsprachigen Literatur waren aus heutiger Sicht Österreicher, bzw. gut^^, jetzt Italiener ;)

Lykurg
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Di 4. Apr 2006, 09:25 - Beitrag #7

janw, waren Gryphius und Opitz dann polnische Schriftsteller, und Simon Dach ein Litauer (geboren in Memel) oder Russe (gestorben in Königsberg)? ;) Entscheidend ist die Sprache, dachte ich.^^ Jedenfalls wäre es eher ungeschickt, irgendeinen deutschsprachigen Autor auszuschließen, weil er zeitweilig im Ausland gewirkt hat (etwa die gesamte Exilliteratur von Heine^^ bis zu den Manns, Brecht oder wai) bzw. die heutigen Landesgrenzen nicht den Sprachgrenzen und erst recht nicht den Landesgrenzen (so es denn welche gab) vergangener Epochen entsprechen.

Edit:
Meinst du, daß die mhd. Dichter im Schulunterricht derzeit massiv überrepräsentiert sind?^^ - Man sollte ein gutes Buch nicht dem Unterrichtsgeschehen entziehen, weil es in Österreich oder der Schweiz entstanden ist, auf keinen Fall. Aber es gibt wirklich genügend unbedingt notwendige Lektüre, daß das Problem nicht eben sein dürfte, woher man noch ein Buch nehmen soll.^^

Nur um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich bin kein Lehrämtler, ich gebe meinen Senf nur so als Außenstehender ab, kann mich nicht auf offizielle Quellen berufen.^^

janw
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Di 4. Apr 2006, 11:10 - Beitrag #8

Lykurg, ein kleines Mißverständnis, fürchte ich. Allein trachtete ich danach, mit ihnen Deine Liste an Österreichern und Schweizern deutscher Sprache weiters auszuschmücken.
Ein "auch" hätte sicher dies verhindert...doch ich vergaß :blush:

Was Walter betrifft, gewiss, er ist alt, doch wie Neithart sagte: "Her Walter von der Vogelweide, wer den nicht kennt, der tuot mir leyde".^^

Lykurg
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Di 4. Apr 2006, 14:26 - Beitrag #9

Das fiel mir verspätet auch auf, aber da hatte ich meinen kleinen Exkurs schon verfaßt und wollte ihn nicht mehr wegwerfen - insofern meine Schuld. :P

Und noch ein Beitrag aus dem Heinrich-von-Meißen-Seminar eben gerade^^:
[i]Swaz ie gesang Reimar und der von Eschenbach,[/i]
[i]swaz ie gesprach
der von der Vogelweide,
mit vergoltem kleide
ich, Vrouwenlob, vergulde ir sang, als ich iuch bescheide.
sie han gesungen von dem feim, den grunt han sie verlazen.
[...]
Swer ie gesang und singet noch
-bi grünem holze ein fulez bloch-,
so bin ichz doch
ir meister noch.

Was Reinmar und Wolfram je sangen,
was Walther dichtete,
im goldenen Gewand[Bezug unklar: Walther oder Heinrich]
ich, Frauenlob [=HvM], übergolde ihre Dichtung, wie ich euch [hiermit] verkünde.
Sie haben vom Schaum gesungen, den Grund [des Kessels] haben sie außer Acht gelassen.
[...]
Wer jemals sang und noch heute singt
-ein fauler Scheit im grünen Holz-,
ich bin jedenfalls
ihr aller Meister.
Der gute Mann hatte ein gesundes Selbstbewußtsein...[/i]

janw
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Di 4. Apr 2006, 14:37 - Beitrag #10

Doch...mir spricht kein kranker Geist daraus.
Vielleicht hatte er ein wenig viel getrunken, daß er die andern so unter sich stellte, aber das ist eher männliches^^ Gehabe.

Lykurg
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Di 4. Apr 2006, 21:58 - Beitrag #11

Der obige Text war damit nicht gemeint, wir haben in der Sitzung nicht nur einen Spruch behandelt.^^ Als einer der schwierigsten Sprüche Frauenlobs gilt (der von mir andernorts angesprochene, auch als "Zeugnis eines Geisteskranken" bezeichnete) VIII,26 - ein Nachruf auf Konrad von Würzburg. Ich stelle mal meine provisorische Übersetzung daneben, ohne jede Garantie, man könnte lange darüber diskutieren. Ich hänge es als PDF an, um die Formatierung kontrollieren zu können. Außerdem wird es wohl ohnehin die Wenigsten interessieren.^^

janw
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Mi 5. Apr 2006, 01:32 - Beitrag #12

Nun, auch dies Gedicht ist wohl gesetzt in meinen Augen, manic wort zwaere wunderlic in heutgen ougen, als wol diu sprak in dihters munt ganc [verstehen] niemen enkan.^^

Nehmen wir mal heutige Lyrik und hinterfragen den Konnex zwischen Aussagesinn, Verbalisierung und Syntax, so werden wohl Disjunktionen die Regel sein, ohne daß daraus auf den "Normalitätsstatus" des Autors geschlossen würde.
Wenn man dann noch einen Übersetzungsakt hinzu denkt, wie er ja bei dem Gedicht vorliegt - mhd. ist nicht ein einfach ein deutscher Dialekt - sind Schwierigkeiten bei der Wort-Sinn-Zuweisung und daraus folgende Probleme programmiert - in meinen Augen.

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Mi 5. Apr 2006, 09:17 - Beitrag #13

Sehe ich ähnlich - eben ein paar leicht skurrile Einfälle/Verknüpfungen, aber ansonsten ganz passabel. Man muß das auch forschungsgeschichtlich im Kontext sehen - die zitierten Positionen wurden vor dem Expressionismus geäußert. Und auch z.B. Benn wurde ja zu Anfang als kranker Perversling bezeichnet. Daß es da gewisse Vorläufer in der höfischen (Spät-)Klassik gab, konnte man nicht deutlich genug unterdrücken.

Jedenfalls handelt es sich dabei um deutsche Literatur.^^

Maurice
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Mi 5. Apr 2006, 11:59 - Beitrag #14

@Jan: Es ist weder so, dass ich ausschließlich Literatur von deutschsprachigen Autoren oder philosophische Bücher lese. Es liegt lediglich mein Schwerpunkt auf solchen Büchern. Wenn mich ein Buch interessiert, dann lese ich es auch, selbst wenn ich glaube, dass es mir wohl nie direkt im Studium oder später im Beruf nutzen würde.
Warum ich aber idR versuche, möglichst solche Bücher zu lesen, die in meine Kategorien "deutsche Literatur" und "Philosophie" fallen, sollte inzwischen nachvollziehbar geworden sein, oder? :)


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