Thomas Pynchon
Natürliche Mängel
Inherent Vice (englisches Original),
Turtleback Books, 2014
gelesene Fassung: Rowohlt E-Book, 2014
Nikolaus Stingl (Übersetzer)
Wer frühere Bücher Pynchons kennt, etwa "V" oder "Die Versteigerung von Nr. 49" oder "Die Enden der Parabel", weiß um die Stärken von Pynchons Prosa: virtuos verwobene Handlungslinien, höchste Sprachbeherrschung und - wofern man geneigt ist, Anklänge ans Verschwörungstheoretische zu tolerieren - philosophischer Tiefgang vom Feinsten.
Eine Sache konnte Pynchons Büchern bislang allerdings nicht nachgesagt werden: Spannend waren sie definitiv nicht. Eher etwas für echte Literaturliebhaber, die sich liebend gerne schon mal durch 500 Seiten Langeweile arbeiten, wenn nur die literarische Kunstfertigkeit stimmt, was bei Pynchon, diesem Shakespeare der Moderne, zweifellos gegeben ist.
Entsprechend überrascht war ich während der Lektüre von "Natürliche Mängel". Ein waschechter Pynchon, wie er im Buche steht, aber zusätzlich ein beinahe schon absurd spannender Roman. Im Stil eines Philipp Marlowe, aber platziert vor dem Hintergrund der auslaufenden Hippieära kurz nach den Tate/LaBianca-Morden an den sonnendurchfluteten Stränden und in den rauchgeschwängerten Bars und Clubs rund um L.A., entfaltet sich um den zentralen Charakter, den professionellen Kiffer und Hippy-Privatdetektiv Doc Sportello ein Panoptikum menschlicher Abgründe, bei dem ab einem gewissen Punkt bei niemandem mehr entschieden werden kann, wer Opfer und wer Täter ist, und Doc verbraucht erhebliche Mengen Gras und LSD, ehe in dem Gewirr von Spukgestalten, Toten, die leben, und Lebenden, die schon nicht mehr leben, die Fratze einer sehr realen Veschwörung auftaucht, die mittlerweile selbst die Verschwörer zu fressen droht.
Sehr lesenswert, sowohl als "echter" Pynchon wie auch als verdammt spannende Kriminalgeschichte.