Hilfe bei Gedichtsinterpretation: "I sit in my cubicle..."

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Maurice
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Fr 30. Nov 2007, 14:59 - Beitrag #1

Hilfe bei Gedichtsinterpretation: "I sit in my cubicle..."

Ich glaube, ich habe das folgende Gedicht schon mal zur Diskussion gestellt, was aber schon Jahre her ist. Da ich in einem Gedicht-Seminr eine hausarbeit darüber schreiben will und Gedichte mir eigentlich nicht so liegen, würde ich mir hier gerne den ein oder anderen Ratschlag von euch holen. Erstmal das Gedicht:

I sit in my cubicle, here on the motherworld.
When I die, they will put my body in a box and
dispose of it in the cold ground.
And in all the million ages to come, I will never
breathe or laugh or twitch again.
So won't you run and play with me here among the
teeming mass of humanity?
The universe has spared us this moment.

Mir ist schon einiges zu dem Gedicht eingefallen, aber dazu später. Im Moment überlege ich mir, ob ich "eine geheime Botschaft" im Text gefunden habe. Wenn man die großen Buchstaben am Anfang eines Satz von oben nach unten liest, kommt meiner Meinung nach eventuell ein eigener Satz dabei raus: "I wast". Als mir das aufgefallen ist, war ich erstmal aus dem Häuschen, war aber auch schnell wieder etwas enttäuscht, weil ich kein englisches Wort kenne, das "wast" heißt. Ich kenne "waste", aber dafür fehlt ein "E". Mir kam dann die Idee, dass "wast" eine veraltete Wortform sein könnte und bei der Suche in Google wurde auch fündig: "Wast" soll eine veraltete Form von "be" sein.
Nun würde ich gerne von euch wissen, ob ich dieser Spur nachgehen sollte und das "I wast" irgendwie in die Interpretation einbringen sollte oder ich irgendwelchen Geistern hinterher laufe, weil das "I wast" bloßer Zufall ist und gar nicht in das Gedicht hineinpasst.

Ich poste später noch, was ich bisher in dem Gedicht entdeckt habe, damit die oben gestellte Frage besser diskutiert werden kann. :)

janw
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Fr 30. Nov 2007, 18:08 - Beitrag #2

Um genauer auf das Gedicht eingehen zu können, wäre es gut, etwas über Autor, Entstehungszeit und evtl, über den Hintergrund des Autors zu erfahren.

Deine Beobachtung hinsichtlich der Satzanfänge ist interessant, "wast" ist mir aber bisher nicht untergekommen. Welcher Tempus soll das sein?

Insgesamt scheint mir das Gedicht existentialistisch angehaucht zu sein, diesseitig orientiert, der Verweis auf das Universum klingt mir etwas modernistisch, in Richtung New Age. Vielleicht geht es um eine ironische Betrachtung dieser Denkströmung.
Aber ohne weitere Kenntnis des Hintergrundes ist das eher spekulativ.

Traitor
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Sa 1. Dez 2007, 05:40 - Beitrag #3

Es stammt aus dem SF-Globalstrategie-Computerspiel "Alpha Centauri". Dort ist es als "anonymous" verzeichnet, also wohl von nirgends übernommen, sondern von einem der Entwickler geschrieben worden, genaueres kann man aber nicht sagen. Die einzige verwertbare Hintergrundinformation wäre noch, in welchem Zusammenhang es auftauchte. Dem alten Thread (wo primär die letzte Zeile diskutiert wurde) nach beim Gebäude Wohnkuppel, was nahezu nichts über eine Intention aussagt.

Die "versteckte Botschaft" würde ich als puren Zufall ansehen.

janw
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Sa 1. Dez 2007, 11:59 - Beitrag #4

Immerhin bemerkenswert, daß ein Programmier-geek Lyrik fabriziert...und es für erstrebenswert hält, in der Masse der Menschheit mit jemandem zu spielen und zu laufen - anstatt bei Pizza und Cola in einem monitorbeleuchteten Raum zu hocken *Klischee trief*

Gut, dann stellt das Gedicht eine Kondensation der post²modernen Weltsicht dar, gekennzeichnet durch Diesseitigkeit, Realismus und Entwicklung neopseudoreligiöser Vorstellungen "the universe has spared us this moment".

Maurice
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Sa 1. Dez 2007, 12:48 - Beitrag #5

Traitor, da offenbarst du ja Schwächen in deinem SMAC-Wissen! :D
Der Zusatz "Datalinks" zeigt eindeutig, dass das Gedicht NICHT von den Programmierern geschrieben wurden. Alle echten Zitate (z.B. von Kant oder Platon) haben den Zusatz "Datalinks" am Ende. Alle Texte von fiktiven Autoren, wie Deidre oder Morgan, haben diesen Zusatz nicht. :P

@Hintergrundinfos: Ich poste später mal meine bisherigen ausformulierten Überlegungen. Ich wollte später noch ein bisschen was verfassen, weshalb ich es hier erst später poste.

@Janw: Setz bloß nicht unkritische lyrisches Ich und Autor gleich! :boah:

@"geheime Botschaft": Wir können leider nicht beweisen, dass es Zufall ist. Die Einschätzung, ob es Zufall oder ein gewolltes Stilmittel ist, muss daran geprüft werden, ob sich das "I wast" für die Interpretation nutzbar machen lässt. Es gibt nämlich genug Texte, in die so verfasst wurden, damit bestimmte Wörter zu lesen sind, wenn man bestimmte Buchstaben von oben nach unten ließt. Ein Beispiel dafür hatte ich erst in der Mediävistik-Vorlesung diesen Donnerstag, wo die Dozentin uns dieses Stilmittel am Beispiel eines Eulenspiegel-Textes gezeigt hat.
Dass es dieses Stilmittel gibt, zeigt natürlich noch lange nicht, dass es auch in dem SMAC-Gedicht vorliegt. Bei Gedichtsinterpretationen gilt aber die Regel, dass man jeder Spur nachgehen muss und das noch das kleinste Detail für den Sinn des Textes relevant sein kann.

Lykurg
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Sa 1. Dez 2007, 12:52 - Beitrag #6

Die "versteckte Botschaft" halte ich auch für Zufall, schon weil es in meinen Augen grammatikalisch nicht hinkommt: "wast" ist im Altenglischen zweite Person Singular (und Plural) von witan (wissen), also "I wast" -> "Ich weißt", was in meinen Augen nicht besonders viel Sinn ergibt; im Mittelenglischen (?) dann tatsächlich von be, aber ebenfalls 2. P. Sg. -> "Ich warst", auch nicht besser. Ganz abgesehen davon kommt ein Satz-Akrostichon eher selten vor, weil man es mit großer Wahrscheinlichkeit übersieht. Wenn, sollte es schon der Zeilenanfang sein. (Im Eulenspiegel waren es, wenn ich das richtig erinnere, die Kapitelanfänge... Schon schwieriger, aber das sind immerhin Prunkinitialen; wer will, kann es danach durchblättern und darauf stoßen. Außerdem dient es dem "Kenner" des Buches als Ordnungsprinzip - war da nicht auch irgendwas mit dem Alphabet drin?)

Man kann den Gedanken postmodern-neopseudoreligiös-diesseitig finden, oder auch ganz einfach im Sinne des "carpe diem, quam minimum credula postero" eine mögliche menschliche Grundhaltung durch alle Zeiten. :)

Übrigens findet man ähnliche Gedanken, wenn man nur danach sucht, auch in biblischen Texten - nur daß die daraus gezogene Folge eben keine Diesseitsbejahung, sondern eine Verneinung des Körpers gegenüber der Ewigkeit der Seele und Gottes (statt, im Sinne des Gedichts, gegenüber der Ewigkeit des Universums als einer "gewährenden" Instanz) ist. Die geistige Grundlage dafür ist ähnlich, und die Folgen (exzessive Diesseitigkeit von Teilen der mittelalterlichen Gesellschaft) eben auch...
Ps. 78,39
Denn er dachte daran, dass sie Fleisch sind, ein Hauch, der dahinfährt und nicht wiederkommt.

Hiob 7
6 Meine Tage sind schneller dahingeflogen als ein Weberschiffchen und sind vergangen ohne Hoffnung.
7 Bedenke, dass mein Leben ein Hauch ist und meine Augen nicht wieder Gutes sehen werden.
8 Und kein lebendiges Auge wird mich mehr schauen; sehen deine Augen nach mir, so bin ich nicht mehr.
9 Eine Wolke vergeht und fährt dahin: so kommt nicht wieder herauf, wer zu den Toten hinunterfährt;
10 er kommt nicht zurück, und seine Stätte kennt ihn nicht mehr.

Ps. 103
14 Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind.
15 Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde;
16 wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.

Maurice
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Sa 1. Dez 2007, 13:38 - Beitrag #7

Vielen Dank Lykurg für die vielen Infos! :pro:
Mein Alt- und Mittelenglisch ist nicht besonders, weshalb ich damit mit der zweiten Person nicht wusste. Jetzt wo du mich (mit überzeugenden Argumenten) darüber aufgeklärt hast, ist die Idee, dass es sich hier um eine Stilmittel handeln könnte, für mich bis auf weiteres gestorben. Ist auch irgendwo schade, da das eine spannende Sache war. Aber immer noch besser als auf den Holzweg zu geraten. ^^

janw
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Sa 1. Dez 2007, 18:52 - Beitrag #8

Maurice, die Sache mit dem lyrischen Ich war als Alternative mitgedacht, wenn auch nicht explizit erwähnt.

Mittelalterkunde kommt übrigens mit einem ä aus...

Lykurg, an carpe diem habe ich natürlich gedacht, aber das liefe denn doch auf eine dialektische Entwicklung der Geistesgeschichte hinaus...^^

"wast" als 2.Sg. macht Sinn, schöne Form :)

Maurice
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Sa 1. Dez 2007, 20:25 - Beitrag #9

Bisherige Interpretation

Es folgt mein bisheriger Text zu dem Gedicht. Ich lasse dabei das englische Gedicht und die Einleitung weg, da beides für euch nicht interessant sein sollte. Es sei lediglich noch erwähnt, dass unter dem englischen Gedicht "Anonymous, Datalinks" steht. Nun aber mein bisheriger Text:


II. Hintergrundinformationen zu dem Gedicht

Das Gedicht stammt aus dem PC-Strategiespiel „Alpha Centauri“ aus dem Jahre 199X. In diesem übernimmt der Spieler die Leitung einer Interessensfraktion, die zusammen mit anderen teils wohlwollend und teils feindlich gesinnten Fraktionen einen von der Erde weit entfernten fremden Planeten besiedeln. Diese Fraktionen zeichnen sich durch individuelle Stärken und Schwächen aus und beginnen nach der Landung, um Macht und Einfluss auf dem neuen Planeten zu wetteifern. Dazu gehört, neue Siedlungen zu gründen und auszubauen, neue Technologien zu erforschen, untereinander auszutauschen oder zu stehlen, Handel und Diplomatie zu betreiben und letztlich auch den ein oder anderen Konflikt mit Waffengewalt auszutragen.
Erforscht der Spieler neue Technologien oder baut er zum ersten Mal ein neues Gebäude, wird er u.a. mit einem kleinen Audiokommentar belohnt. Baut er zum ersten Mal einen “Habitation Dome” (in der deutschen Version „Wohnkuppel“ genannt), wird ihm das hier thematisierte Gedicht vorgespielt. Der “Habitation Dome” hebt die Bevölkerungsgrenze einer Basis auf, sodass ihre Bevölkerungszahl theoretisch unbegrenzt wachsen kann – vorausgesetzt, die Bevölkerung wird ausreichend mit Nahrung und Sozialeinrichtungen versorgt.

Der Spieler bekommt das Gedicht im Spiel nur als Audiodatei präsentiert, findet eine schriftliche Version aber in den entsprechenden Textdateien im Spielverzeichnis auf CD oder Festplatte. Die in dieser Arbeit verwendeten Texte wurden vom Schriftbild so übernommen, wie sie vorgefunden wurden und nur in ihrem Schrifttyp an den der Arbeit angepasst. Die bei der ursprünglichen Version vorkommenden Sonderzeichen wurden entfernt, da davon auszugehen ist, dass diese nichts mit dem Inhalt des Gedichts zu tun, sondern nur programmierungstechnische Relevanz haben.

Im Spiel kommen zwei Arten von Texten vor: Zum einen gibt es Texte, die extra für das Spiel erfunden wurden und die von fiktiven Autoren stammen. Zum anderen enthält das Spiel eine Reihe von Zitaten von berühmten Philosophen und Schriftstellern (u.a. Kant, Nietzsche, Platon). Bei Texten, die von realen Autoren stammen, steht hinter dem Namen des Autors der Zusatz „Datalinks“ und da dies auch bei dem obigen Gedicht der Fall ist, ist davon auszugehen, dass es nicht eigens für das Spiel geschrieben wurde. Im Internet lassen sich einige Webseiten finden, auf denen „Bertrand Russell“ als Autor des Gedichts angegeben wird. Es ist davon auszugehen, dass damit der englische Mathematiker, Philosoph und Nobelpreisträger gemeint ist, der zwischen 1872 und 1970 lebte. Leider konnte für diese Arbeit keine verlässlichen Quellen ausgemacht werden, die Russell als Autor des Gedichts sicher belegen. Auf Grund dieser Unsicherheit, wird die Frage nach dem Autor im Folgenden ausgeklammert.


III. Strukturanalyse

Der Text enthält keine Reime und besondere Melodie und ist fast wie ein normaler Prosatext strukturiert. Nur sein Zeilenverlauf macht es zu einem Prosagedicht. Das Gedicht besteht nur aus einer Strophe. Diese enthält fünf Sätze, die auf acht Zeilen verteilt sind. Ein Zeilenbruch nach dem Ende eines Satzes findet in der Zeile eins, drei, fünf, sieben und mitten im Satz in Zeile zwei, vier und sechs statt. Die drei mittleren Sätze, die jeweils zwei Zeilen umfassen, werden von jeweils einem einzeiligen Satz am Anfang und am Ende „eingerahmt“. Wenn eine neue Zeile innerhalb eines Satzes angefangen wird, werden die Wörter der neuen Zeile optisch zusätzlich hervorgehoben, indem sie etwas nach rechts verschoben stehen. Diese Aspekte und die Tatsache, dass Zeile eins und acht, zwei, vier und sechs und drei, fünf und sieben jeweils etwa gleich lang sind, verleihen dem Gedicht eine gewisse Symmetrie. Schaut man sich den Zeilenverlauf an, so lassen sich die unterschiedlichen Zeilenlängen als Wellenbewegung beschreiben. Dieser Zeilenverlauf baut mit Symmetrie des Textes je nach Perspektive eine Spannung zwischen Ordnung und Bewegung auf bzw. stellt eine Verbindung zwischen diesen beiden scheinbaren Gegensätzen her.


IV. Erste inhaltliche Annäherung durch den Vergleich zweier Übersetzungen

Es folgen nun zwei deutsche Übersetzungen, von denen die erste aus der deutschen Version des Spiels und das zweite aus einem Ratgeber zu dem Spiel stammt:

1.
Ich sitze in meiner Zelle, hier in der Mutterwelt.
Sterbe ich, so legen sie meinen Körper in eine Kiste und
verscharren ihn in kalter Erde.
Und in all den kommenden Jahrmillionen werde ich niemals mehr
atmen oder lachen oder zittern.
So, willst Du nicht mit mir laufen und spielen hier in der
wimmelnden Masse der Menschheit?
Das Universum ersparte uns diesen Moment.

Anonym, Datalinks

2.
Ich sitze in meiner Zelle, hier auf der Mutterwelt.
Wenn ich sterbe, werden sie meine Leiche in eine Kiste packen und
Diese in der kalten Erde versenken.
Und in all den Millionen Jahren, die noch kommen mögen, werde ich nie
Wieder atmen oder lachen oder zucken.
So komm und laß uns laufen und spielen, hier inmitten der
Wimmelnden Masse der Menschheit.
Das Universum hat uns diesen Augenblick geschenkt.

Anonym, Datalinks

Bis auf die letzte Zeile, ähneln sich die beiden Übersetzungen sehr stark. Lässt man die letzte Zeile außer Acht, sind die Unterschiede bei der Übersetzung einzelner Wörter für die Bedeutung des Textes nicht relevant. In Bezug auf Zeilenaufbau und Wortstellung ist die erste Übersetzung näher am Original. Entscheidender Unterschied ist die Übersetzung des „spare“ in der letzten Zeile. Dieses wird in der ersten Version mit „ersparen“ und in der zweiten Version mit „schenken“ übersetzt. Bezieht man das „spare“ auf die Aufforderung des lyrischen Ichs mit ihm zu laufen und zu spielen, scheint diese Hoffnung in der ersten Übersetzung enttäuscht und in der zweiten Übersetzung erfüllt zu werden. Je nachdem wie „spare“ übersetzt wird, bekommt die letzte Zeile und damit das ganze Gedicht eine optimistische oder pessimistische Färbung.

Generell lässt sich das Gedicht inhaltlich in drei Abschnitte unterteilen:
1. Beschreibung der misslichen Lage (1.-5. Zeile)
2. Aufforderung die Lage zu ändern (6.-7. Zeile)
3. Bewertung der Umsetzbarkeit der Aufforderung (8. Zeile)
Der erste Abschnitt besitzt eine negative, pessimistische Stimmung, während der zweite Abschnitt positiv und optimistisch ist. Bei einer positiven Interpretation der letzten Zeile ist auch eine Einteilung in zwei Teile möglich, nämlich in einen pessimistischen Anfang und ein optimistisches Ende.

Der inhaltliche Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Abschnitt spiegelt sich auch in der Wortwahl wieder. Die Verben „sitzen“, „sterben“, „legen“, „verscharren“ und die Substantive „Zelle“, „Kiste“ und „kalte Erde“ in der ersten bis dritten Zeile vermitteln eine düstere und passive Stimmung. Im zweiten Abschnitt unterstreichen die Wörter „laufen“, „spielen“ und „wimmelnde Masse“ die positive Atmosphäre, indem sie Freude und Aktivität suggerieren. Die Zeilen vier und fünf stellen dabei mit den Verben „atmen“, „lachen“ und „zittern“ den Übergang von Passivität zu Aktivität dar.

Des Weiteren lassen sich noch weitere inhaltliche Gemeinsamkeiten feststellen. Fast das ganze Gedicht über scheint das lyrische Ich ein wissenschaftliches, abgeklärtes Weltbild zu vertreten. Es ist sich dem voraussichtlichen Ende seiner Existenz mit dem Tod bewusst und beschreibt in nüchternen, sogar schon leicht resigniert wirkenden Tonfall, was mit ihm nach seinem Ableben passieren wird. In der letzten Zeile findet allerdings ein metaphysischer Bruch der Perspektive statt, indem das Universum personifiziert wird. Das Universum nimmt eine göttliche, schicksalhafte Position ein, indem es über das Glück des lyrischen Ichs und desjenigen, den es anspricht, entscheidet. Es ist interessant, dass nicht Gott oder das Schicksal die Situation bestimmt, sondern das Universum. Diese Personifikation des Universums lässt sich als Zusammenfall von metaphysischem und wissenschaftlichem Weltbild deuten.

janw
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So 2. Dez 2007, 12:29 - Beitrag #10

Das "spare" würde ich im Sinne von "schenken, offenhalten, aussparen, freihalten" übersetzen.
"To twitch"=zucken.

Könntest Du Dir vorstellen, das "wissenschaftlich" in "wissenschaftliches, abgeklärtes Weltbild" durch "nihilistisch" oder vielleicht besser noch "rationalistisch" zu ersetzen?
Der Bezug auf die Wissenschaft ist mir fast schon zu speziell.

"Schicksal" klingt so deterministisch, was, wenn das Universum "einfach nur so" gehandelt hat, oder es ist halt einfach passiert?

Maurice
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So 2. Dez 2007, 13:04 - Beitrag #11

@Jan:
Das "spare" übersetze ich wahrscheinlich mit "aufsparen" - aber ich schaue auch noch, ob eine andere Übersetzung besser klingt. ;)

@Wissenschaft: "Nihilistisch" finde ich eindeutig zu stark und negativ konnotiert. "Rationalistisch" ist dagegen wieder zu weit bzw. kann missverstanden werden, im Sinne von "anti-empirisch". "Wissenschaftlich" finde ich schon recht passend. Alternativ kann ich mir noch "naturalistisch" vorstellen, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das für eine Gedichtsinterpretation nicht schon zu fachphilosophisch ist. Darüber hinaus sind wissenschaftliche und mystische Perspektiven z.T. kompatibel im Gegensatz zu mystischen und naturalistischen. Und eine solche Verbindung scheint ja vorzuliegen, wenn das Universum als das Leben des Menschens bestimmende personifizierte Instanz beschrieben wird.

@Schicksal: Ich will ja das Universum nicht mit dem Schicksal gleichsetzen, sondern lediglich einen Vergleich bringen. Ich setze ja das Schicksal, wie hier darüber gesprochen wird, auch nicht mit Gott gleich, sondern weise auf gewisse Parallelen auf. ;)

Lykurg
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So 2. Dez 2007, 13:42 - Beitrag #12

In weiten Teilen stimme ich deiner Interpretation zu. Allerdings habe ich methodisches Bauchgrimmen dabei, eine Übersetzung in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen. Meines Erachtens wäre es grundsätzlich angemessener, die Vorlage in den Mittelpunkt zu stellen und etwa die entsprechenden Feststellungen im vorletzten Absatz mit den entsprechenden Wörtern aus dem Original zu belegen. Hast du dich weiter darum bemüht, der Spur Russell nachzugehen? Ich habe nichts darüber finden können, daß er irgendetwas in Richtung SF geschrieben hätte (zumindest "motherworld" kann ich schlecht anders deuten).

Die erste Übersetzung finde ich wesentlich schwächer als die zweite und würde sie mit weniger Gewicht, wenn überhaupt, behandeln. Verbindlich ist mE eben die Vorlage; und "ersparte" ist für die letzte Zeile einfach unpassend [siehe janw]. Die zweite Übersetzung gibt Ambivalenzen besser wieder ("it" V. 3); das "So," (V. 6) ist in der ersten Übersetzung ein sprachlicher und inhaltlicher Mißgriff. Auch hinsichtlich "(never) again" (V. 5) hat sich der zweite Übersetzer um genauere Wiedergabe bemüht; hier finde ich es nicht so ganz so überzeugend. "million ages" wird in beiden Übersetzungen nur unvollkommen mit "Jahre" wiedergegeben.
Ein ziemlich wichtiger Unterschied zwischen den Übersetzungen ist mE das "kommen mögen" (V. 4) - denn was kann die Zeit des Todes begrenzen? Ein Ende des Universums und mit ihm der Zeit? Oder spielen hier, wohlgemerkt in die Übersetzung, religiöse Endzeitvorstellungen hinein? Vorsicht!

Deine Beobachtungen zur Wellenform etc. sind ungesichert, da wir nicht wissen, ob es sich um die Erstpublikation handelt, und wenn nicht, wie diese aussah. Hier gilt also wie bei einer Übersetzungsinterpretation der methodische Vorbehalt, daß wir trennen müssen, was Autorintention und was editorischer Zusatz ist... Die Wellenbewegung als lebhafte Form aufzufassen ist mE aufgrund der von dir festgestellten diesbezüglich negativen Aussage der ersten Gedichthälfte nicht zwingend; damit würde der Autor seinem lyrisches Ich ja optisch in die Parade fahren, ein Signal geben, daß der Ansatz von vornherein ungültig war. Ebenso könnte man die wiederkehrende Zickzackform als Symbol der Kontinuität auch über den Stimmungsumschwung hinweg sehen und insofern als verstärkenden Ausdruck der nüchternen Hoffnungslosigkeit... Ich bezweifle, daß eines von beidem beabsichtigt war, und würde insofern nicht darüber hinausgehen, die Form als optische Gliederung, symmetrischen Aufbau oder wai zu beschreiben, die Interpretation dessen aber weglassen oder einschränken.

Was du nicht angesprochen hast, ist die Frage der Stimmen. Es wäre denkbar, daß Verse 6 und 7 oder sogar 6 bis 8 von einem anderen Sprecher stammen als der Anfang. Jedenfalls ändert sich hier außer der Atmosphäre auch das Umfeld des Ichs fundamental: Saß es zu Anfang noch im "cubicle" und nahm die Existenz anderer Wesen ausschließlich als "they" wahr, die nach dem Tod sich um die Entsorgung des Leichnams kümmern würden, wird nun die "teeming mass of humanity" beschrieben, unter der ein völlig anderes Leben möglich ist; es gibt innerhalb dieser Masse ein individuelles Gegenüber (je nach Lesart der Stimmen "you" bzw. "me") mit dem sogar, als abschließende Aufhebung der "cubicle", eine Gemeinsamkeit "us" möglich ist. Diese hat allerdings gegenüber den kosmischen Zeitdimensionen, die ja bereits in der ersten Hälfte angesprochen werden, aber im Gegensatz zu den restlichen Aussagen des ersten Teils ihre Gültigkeit auch im zweiten Teil bewahren (in der Gegenüberstellung "universe" - "moment"), nur momentane Dauer. Um so wichtiger ist es, sie zu nutzen.

Maurice
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So 2. Dez 2007, 14:26 - Beitrag #13

Arg, willst du nicht die Interpreation für mich schreiben? Du kannst dich ja tausend mal besser reindenken als ich. ^^*
Besonders die Idee mit den mehreren Sprechern ist genial. Warum auch nicht: der erste Teil sagt Person X, der zweite Person Y und der letzte Satz wieder je nach Interpretation des "spare" X oder Y. Wie soll ich nur soviele Aspekte angemessen einbauen x_X ... das hat für mich so einen intuitiven Charakter, dass ich mich mit diesen ganzen impliziten Faktoren etwas überfordert fühle. :(

Aber vielleicht wird es ja noch besser, wenn ihr mir hier noch weitere Überlegungen präsentiert. ^^*
Ich werde auf jeden Fall heute versuchen, noch etwas zu schreiben und poste es dann später hier. :)

Auf jeden Fall schon mal danke an alle für all die vielen Anregungen! :pro:

Lykurg
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So 2. Dez 2007, 16:15 - Beitrag #14

Ich meine, du solltest es dir einfacher machen, indem du die mE fehlerhafte Übersetzung "spared"->"ersparte" beiseiteläßt. Sie erweckt den Eindruck, das lyrische Ich (bzw. Sprecher 1) beurteilte die in V. 6-7 erfolgte Aufforderung (an bzw. von Sprecher 2) rückblickend als nicht erstrebenswert - eine Aussage, die in meinen Augen nicht zum Sinn des Gedichts paßt, wie ich ihn verstehe (wobei allerdings eine derartige Argumentation, da auf die Kernaussage bezogen, zwangsläufig zur Zirkularität neigt^^).

Wie janw würde ich "spare" eindeutig als "schenken, offenhalten, aussparen, freihalten" verstehen, ich biete auch noch "gewähren, einräumen, vorbehalten, erübrigen" an.

Wäre ja auch schade, wenn ich mit der Materie gänzlich unvertraut wäre...^^

Maurice
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So 2. Dez 2007, 17:16 - Beitrag #15

@Russell: Ich habe auch noch ein bisschen rumgegoogelt, aber bisher außer zwei Webseiten keine Quellen gefunden, die Russell als Autor angeben. Mehr Infos scheienn sich nicht auftreiben zu lassen.

@spare: Ich habe mich fürs erste für "aufsparen" entschieden - auch weil es so schön als Alternative zu "ersparen" passt. ^^
Ich will die Sache diskutieren, auch wenn ich "aufsparen" von vorne herein deutlich plausibler finde als "ersparen". Das hat zwei Gründe: In der deutschen Version von "Alpha Centauri" steht "ersparen" und da die Lokalisation ansonsten insgesamt sehr gut ist, muss erst gezeigt werden, dass die ansonsten gelungene Lokalisation sich hier einen Patzer leistet. Zum anderen habe ich in einem anderen Forum auch einen Thread zu dem Gedicht eröffnet und da gab es durchaus User, die, wenn auch wenig bis gar nicht begründet, "ersparen" für passender halten.
Hier aber der Abschnitt, den ich heute bisher geschrieben habe (auf andere Punkte gehe ich später noch ein):

- - -

Die im vorangegangenen Abschnitt angeführten Überlegungen zum Inhalt des Gedichts sollen hier zu einer umfassenden Interpretation ausgeweitet werden. Dazu soll zuerst diskutiert werden, ob das „spare“ in der letzten Zeile positiv oder negativ gedeutet werden soll. Auf Grundlage dieser Entscheidung wird eine umfassende Deutung des Gedichts erarbeitet.

„To spare“ kann mit „aufsparen“, „ersparen“ und XX übersetzt werden. Die beiden Möglichkeiten einer positiven und einer negativen Interpretation sollen hier exemplarisch an den Übersetzungen „ersparen“ und „aufsparen“ diskutiert werden. (Fußnote: Die letzte Zeile müsste dann mit „Das Universum sparte diesen Moment für uns auf.“ oder ähnlich übersetzt werden.)
Als erstes muss geklärt werden, auf was das „diesen Moment“ in der letzten Zeile verweist. Prinzipiell lässt sich der fragliche Moment auf den ersten oder zweiten Abschnitt beziehen. Es wird also entweder der Tod oder das Laufen und Spielen aufgespart bzw. erspart. Es gibt mehrere Argumente, die dafür sprechen, dass mit dem genannten Moment das Laufen und Spielen gemeint ist. Erstens müsste in der letzten Zeile noch ein Zusatz wie „bisher“ oder „bis jetzt“ stehen, wenn sich das „diesen Moment“ auf den ersten Abschnitt bezöge und „spare“ mit „ersparen“ übersetzt werden würde, weil davon auszugehen ist, dass das Universum dem lyrischen Ich den Tod nicht prinzipiell ersparen wird. Es ist aber ebenso unwahrscheinlich, dass sich „spare“ als „aufsparen“ auf den ersten Teil bezieht, da in diesem Fall das Universum den Tod für das lyrische Ich bis zu dem Moment aufsparte, als es den Text verfasste. Da das Aufsparen als vergangene Tätigkeit beschrieben wird, würde bei einer solchen Interpretation das lyrische Ich seinen Tod und den dessen der angesprochenen Person ankündigen. Es ist darüber hinaus auch grammatisch nahe liegender, dass sich „diesen Moment“ auf den zweiten Teil verweist, da sich Pronomen wie „diesen“ normalerweise auf den letzten passenden Sachverhalt beziehen. Dies ist in diesem Fall das Laufen und Spielen. Wenn mit dem besagten Moment der Tod gemeint wäre, wäre dies voraussichtlich explizit kenntlich gemacht, um Missverständnisse zu vermeiden.
Auf Grund der deutlich unterschiedlichen Färbungen des ersten und zweiten Abschnitts, lässt sich das Gedicht auch so lesen, als ob es zwei Sprecher enthielte. Die erste Person beschreibt seine missliche Lage und wird darauf hin von einer anderen aufgefordert, mit ihr zu laufen und zu spielen. Nimmt man zwei Sprecher an, kann „spare“ nur sinnvoll mit „aufsparen“ übersetzt werden, während sich „diesen Moment“ gleichzeitig auf das Laufen und Spielen beziehen muss. In diesem Fall würde die zweite Person ihre Aufforderung mit der Behauptung begründen, dass das Universum diesen Moment für beide aufgespart hätte.
Es lassen sich am Text keine direkten Hinweise finden, ob es einen oder zwei Sprecher gibt. Das Fehlen solcher Hinweise ist allerdings eher ein Argument dafür, nur von einem Sprecher auszugehen. (Fußnote: Hier gilt der methodische Grundsatz, dass eine Gedichtsinterpretation möglichst einfach uns dicht in ihrer Argumentation sein sollte. Die Zwei-Sprecher-Theorie würde auf Grund mangelnder Hinweise einen für das Verständnis nicht notwendigen Sprung darstellen und ist daher abzulehnen.) Dennoch spricht die Möglichkeit, dass zwei Sprecher vorliegen zusätzlich für die Theorie, dass sich „diesen Moment“ auf das Laufen und Spielen bezieht und „spare“ mit „aufsparen“ übersetzt werden muss.
Geht man also davon aus, dass sich „diesen Moment“ auf das Laufen und Spielen bezieht, kommt hinzu, dass man jemanden etwas Negatives erspart, laufen und spielen aber etwas Positives ist. Zwar kann man etwas Positives oder Negatives aufsparen, meistens ist es aber etwas Positives. Da sich das „spare“ aber gemäß den bisherigen Argumenten aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Laufen und Spielen bezieht, kann „spare“ letztlich nur sinnvoll mit „aufsparen“ (oder einem vom Sinn her ähnlichen Wort) übersetzt werden.

Maglor
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So 2. Dez 2007, 17:38 - Beitrag #16

Komisch das noch keiner, was von Carpe Diem geschrieben. Dieses Motiv findet sich ja im letzten Vers und steht quasi im Widerspruch zum pessimistischen Beginn des Gedichtes. Carpe Diem ist auch die Konsequenz des materialistischen Weltbildes, welches den Tod als endlos betrachtet.
Die Zwei-Sprecher-Theorie leuchtet mir auch nicht ein. Mein erster Gedanke war, dass der Sprecher erst sein Elend berichtet und anschließend einen Apell an sich selbst richtet.
Interessant ist vielleicht noch die Sache mit der Zelle "cubicle". Leider verstehe ich zu wenig von englischer Sprache, aber im Deutschen ist die Zelle ja bedeutungsschwanger, vom "biologischen Teilchen", über ein Gefängniszimmer bis zur klösterlichen Stube. Die Gefängniszelle klingt mir am naheliegendsten. Ich mutmaße mal, dass der sterbliche Körper hier als Zelle des Geistes gedacht wird. Also eine Dominanz des Leibes über den Geist!
MfG Maglor :rolleyes:

Lykurg
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So 2. Dez 2007, 18:39 - Beitrag #17

@Maglor: Carpe diem als Parallele hatten janw und ich doch angesprochen... (#6 und #8) Dein Hinweis, daß es sich jeweils um das Fazit des Gedichts handelt, ist natürlich nicht unwesentlich.
Deine These von der Selbstaufforderung allerdings kann ich weniger teilen - schließlich unterscheidet er you und me und spricht von us - es sind offensichtlich zwei Personen anwesend. Ob es sich um einen Monolog oder Dialog handelt, läßt sich nicht sicher entscheiden, in meinen Augen spricht der fundamentale Gegensatz der geäußerten Positionen dafür, mehr als ein Anhaltspunkt ist das aber natürlich nicht.
Zitat von Maurice:Die Zwei-Sprecher-Theorie würde auf Grund mangelnder Hinweise einen für das Verständnis nicht notwendigen Sprung darstellen und ist daher abzulehnen.
Ich halte deine Ablehnung der Theorie für nicht ausreichend fundiert. In meinen Augen läßt es sich nicht abschließend klären. Um die Zweifel auszuräumen, müßtest du mir erst erklären, warum der eine Sprecher, der zu Anfang in seiner Zelle sitzt, später (zu sich selbst? ;) ) "run and play with me" sagt, als säße er also schon nicht mehr dort. Genau ein solcher Sprung ist doch inhaltlich in den Aussagen vorhanden! Auch die von dir vermißten eindeutigen Markierungen könnten in der Vorlage ja durch Anführungsstriche, Kursivsatz, einen Absatz, Einrückung o.ä. angegeben sein. Explizite Sprecherbezeichnungen können in Gedichten durchaus fehlen...

@"ersparen": Was Mitglieder anderer Foren ohne Begründung behaupten, kann hier guten Gewissens als unbegründet abgetan werden. :snob:

Ich stimme dir zu, daß "aufsparen" die Ambivalenz (+/-) wiedergibt, finde es aber relativ schwer verständlich, weil es in meinen Augen in ein anderes Begriffsfeld verweist (Zeit sparen). Ich akzeptiere aber deinen Ansatz einer Gegenüberstellung, (auch wenn ich ihn als etwas künstlich empfinde, da sich in meinen Augen diese Frage nicht stellt) immerhin als produktiven, gedanklich weiterführenden Ansatz.

Maurice
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So 2. Dez 2007, 18:53 - Beitrag #18

Ich halte deine Ablehnung der Theorie für nicht ausreichend fundiert. In meinen Augen läßt es sich nicht abschließend klären.

Aber gilt nicht auch bei einer Gedichtsinterpretation, dass die positive Existenzbehauptung die Beweislast trägt? Also es muss erst derjenigen die guten Argumente liefert, der von zwei Sprechern ausgeht, weil er mehr behauptet, als derjenige, der von einem Sprecher ausgeht. Ich kann mir auch durchaus vorstellen, wie der Text von einem Sprecher geäußert wird: "Schau in was für einer misslichen Lage ich bin, die mich echt runterzieht. Willst du nicht mit mir ein bisschen Spaß haben? Das Universum hat uns immerhin diese Möglichkeit gegeben."
Ich werde aber die Zwei-Sprecher-Theorie nochmal überdenken. Was ich bisher geschrieben habe, ist ja nur die erste Version. Formal und inhaltlich kann sich da noch das ein oder andere ändern. ;)

Was Mitglieder anderer Foren ohne Begründung behaupten, kann hier guten Gewissens als unbegründet abgetan werden.

Die unbegründete Meinung hat zwar wenig Gewicht, aber da diese Punkte offensichtlich nicht für jeden klar sind, wollte ich eben begründen, warum man es so verstehen sollte, wie wir es verstehen und nicht anders. :)

@Maglor: Interessante Überlegung was die Vieldeutigkeit von "Zelle" angeht. Es wird sich aber wohl bloß um einen kleinen Raum handeln. (Zumindest liegt das das Online-Wörterbuch nahe, bei dem ich nachgeschlagen habe.)

Das mit dem "carpe diem" kommt auf jeden Fall noch rein - aber so weit bin ich ja noch nicht. ;)

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So 2. Dez 2007, 19:19 - Beitrag #19

Maurice, ich gab eine mögliche Interpretation an und begründete sie. (Aus allen meinen Beiträgen geht eindeutig hervor, daß es nur das, keinesfalls eine verbindliche Erklärung sein sollte). Wenn du diese Möglichkeit negierst ("... ist abzulehnen"), erweckt das den Anschein, du würdest von der Existenz nur einer möglichen, gültigen Lesart (von Gedichten im Allgemeinen?) ausgehen. Das kann ich nicht teilen (und ich hoffe, du auch nicht^^). Bild

@Rest: richtig, ja^^

Maurice
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So 2. Dez 2007, 20:25 - Beitrag #20

So meine ich das natürlich nicht. Vielleicht ist die Wortwahl etwas missverständlich gewesen. Was ich sagen will ist, dass man imo Theorie X der Theorie Y vorziehen sollte, wenn für Theorie X gemäß vorgegebener Kriterien mehr spricht. Im Moment spricht in meinen Augen mehr für die Ein-Personen-Theorie (Gründe habe ich ja genannt), weshalb man sie imo vorziehen sollte. Sie ist aber alles andere als bewiesen, sondern imo nur deshalb vorzuziehen, weil die für die Zwei-Personen-Theorie nötigen zusätzlichen Evidenzen fehlen. Da ich die Zwei-Personen-Theorie aber durchaus reizvoll finde, habe ich nichts dagegen, falls mir jemand noch weitere Gründe nennt, warum man diese den Vorzug geben sollte. :)
Vielleicht neige ich bis jetzt auch mehr zu der Ein-Personen-Theorie, da ich das Gedicht bisher immer nur so gelesen habe und im dazugehörigen Audiokommentar nur eine Person spricht. ^^

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