Hitparade der europäischen Dramatiker

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
janw
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So 21. Sep 2008, 23:56 - Beitrag #1

Hitparade der europäischen Dramatiker

In den letzten Wochen wurde auf arte eine Sendereihe gesendet, in welcher durch Zuschauerwahl die bedeutendsten europäischen Dramatiker benannt werden sollten.
Zunächst wurde eine "shortlist" von 10 Dramatikern gewählt, danach bis zum gestrigen Finale die 10 Dramatiker vorgestellt und gestern dann das Ergebnis verkündet.

Danach landeten gestern Henrik Ibsen auf Platz 10, William Shakespeare auf Platz eins und Sophokles, Goethe, Schiller, Beckett, Sartre, Brecht, Moliere und Tschechow auf den übrigen Rängen.

Abgesehen davon, daß die Vorstellung der Kandidaten insgesamt recht mittelmäßig ausfiel, mit oft recht wenig tiefgehenden Kommentaren von Schauspielern und im Falle der Sartre-Sendung, die ich mir angesehen hatte, mit einer echten Überdosis an sinnfreien Comiczeichnungen, ich die Idee einer Hitparade der Dramatiker auch an sich für wenig gelungen halte, lässt die Auswahl in meinen Augen doch zu wünschen übrig und ist in ihrem Ergebnis allzu vorhersehbar gewesen.
Es war klar, daß unter den ersten Kandidaten 10 Shakespeare landen würde, Goethe und Schiller. Aber weshalb war Lessing nicht darunter, mit seinem Nathan immerhin wichtiger Schulstoff - oder gerade deswegen in Volkes Ungnade? Hätte, wenn Sartre darunter fallen sollte, nicht auch Ionesco ein Platz gebührt, vielleicht gar an dessen Stelle?
Aber gut, wen zählt Ihr zu den Dramatikern, die mensch gelesen haben muss, wer hat Eurer Meinung nach für uns heute etwas zu sagen?

Lykurg
[ohne Titel]
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Mo 22. Sep 2008, 12:39 - Beitrag #2

Daß Ibsen so weit hinten landete, finde ich schade, und über die Auswahl... tja - 10 sind eben nicht viel. Sartre hätte ich auch nicht unbedingt dazugezählt, Ionesco halte ich aber durch Beckett für hinreichend vertreten. Ansonsten finde ich aber Goethe als Dramatiker überschätzt^^ - gut, Clavigo und Egmont hatten ihre Wirkung, und Iphigenie ist auch heute noch ganz nett (Götz weniger), aber beide Fäuste dramaturgisch fast so problematisch wie das opus magnum von Kraus^^ - als Lesedrama sehr ordentlich, an den Erfordernissen des Theaters aber nur bedingt orientiert.^^

Für uns heute (und nicht nur für die unmittelbare Entstehungszeit) finde ich z.B. Frisch nicht unwichtig. Unter den Gegenwartsautoren ragt für mich Éric-Emmanuel Schmitt hervor, da ist aber noch zuviel zu erwarten, um sich jetzt schon ein solches Urteil zu bilden.

Maglor
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Mi 24. Sep 2008, 20:51 - Beitrag #3

Die Zusammenstellung ist interessant. Einige Namen sind mir völlig fremd und auch Sartre als Dramatiker ist mir neu.
Das Shakespeare ganz vor liegt, ist bestimmt kein Zufall. Das mag wohl mit der gegenwärtigen, weltweiten Dominanz der englischen Literatur zusammenhängen. :crazy:

Ipsissimus
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Mo 31. Mai 2010, 16:08 - Beitrag #4

der Thread war mir ganz entgangen^^ also mal aus der Versenkung damit

meines Erachtens fehlen zusätzlich zur Arte Top 10 ganz dringend

Edward Albee (Wer hat Angst vor Virginia Woolf uvm.),
Jean Anouilh (Antigone uvm.)
Ingeborg Bachmann - wenn man ihre Libretti und Hörspiele als Dramen akzeptiert
Gottfried Benn
Georg Büchner
Edward Bond
Elias Canetti
Chikamatsu Monzaemon
Jean Cocteau
Friedrich Dürrenmatt
T.S. Eliot
Erich Fried
Jean Genet
Karoline von Günderrode
Ödön von Horváth
Ted Hughes
Ben Jonson (den nicht nur ich deutlich über Shakespeare ansiedele)
Heinrich von Kleist
Karl Kraus
Arthur Miller
Sylvia Plath
Nelly Sachs
Arthur Schnitzler
George Bernard Shaw
August Strindberg
Tian Han
Kurt Tucholsky
Frank Wedekind
Oscar Wilde

und das sind nur die, die mir am Herzen liegen, nicht alle, die genannt werden müssten. Daraus (m)eine Top 10 zu komprimieren, fällt mir schwer, aber wenn, dann würde die ungefähr so aussehen

Edward Albee
Ingeborg Bachmann
Georg Büchner
Ödön von Horváth
Ben Jonson
Karl Kraus
Sylvia Plath
Nelly Sachs
August Strindberg
Kurt Tucholsky

(aber das tut schon weh, da wurden einige der "10" geopfert, die im Grunde genausowenig disponibel wie die aufgelisteten sind^^)

Traitor
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Mi 9. Jun 2010, 21:02 - Beitrag #5

Ich bin kein großer Theatergänger (genaugenommen fast nie einer), kenne daher die meisten Dramen nur in gelesener Form, was ihre Rezeption deutlich verändert. Und auch da kenne ich deutlich weniger Werke dieser Gattung als bei den Romanen.
Dennoch denke ich, dass die damals von Jan zitierte Liste im Gegensatz zu vielen solchen Bestenlisten aus anderen Bereichen gar nicht so schlecht ist. Nur sehr wenigen aus Ipsis Ergänzungsliste würde ich zusprechen, eine ähnliche Popularität und historische Bedeutung zu haben wie die Autoren aus der Hauptliste, und das muss eben das Hauptkriterium für so eine Liste sein. Es heißt ja "bedeutendste", nicht "beste".

Der prominenteste Nichtvertretene Lessing könnte daran kranken, dass meines Wissens sein internationaler Ruf weit hinter Goethe und Schille zurücksteht, was beim ARTE-Publikum durchaus eingeflossen sein könnte. (Oder er mit Doris verwechselt wurde? ;))

Ipsissimus
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Do 10. Jun 2010, 12:43 - Beitrag #6

na ja, Büchner und Strindberg nicht in einer best of-Liste von Dramatikern zu führen, ist schon mehr als merkwürdig, wenn es denn eine best of-Liste sein muss^^

Traitor
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Sa 12. Jun 2010, 12:58 - Beitrag #7

Büchner würde ich aufgrund von zu wenigen Werken disqualifizieren. Der Woyzeck ist sicher sehr bekannt und einflussreich, aber die beiden anderen Werke doch eher Fußnoten der Literaturgeschichte.
Strindberg kenne ich ehrlich gesagt gar nicht, scheint definitiv eine gewisse Bedeutung zu haben, hatte in Deutschland aber wohl zu viel nationale Konkurrenz.

Aus deiner Liste hätte ich am ehesten Jonson und Miller herausgegriffen. Einige andere wie Shaw, Kleist und Tucholsky halte ich für sehr bedeutend, sie sind mir aber primär aus anderen Literaturgattungen ein Begriff.

Ipsissimus
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Sa 12. Jun 2010, 14:26 - Beitrag #8

ist halt die Frage, wie man "best of" versteht. "Best" hat in erster Annäherung zunächst mal nichts mit "known" zu tun, sondern mit der genuinen Qualität der Werke. Wahrscheinlich haben allerdings die meisten dieser Listen nicht wirklich die Qualität der aufgelisteten Sachverhalte im Sinn, sondern sind eher in dem Sinne von "noch ein Name, den ich schon mal gehört habe" gehalten.

In einer Liste, in der die Qualität der Sachverhalte bewertet wird, müssten Büchner und Strindberg unter allen Umständen enthalten sein, eher würde ich da Goethe als Dramatiker außen vor lassen^^

die Kritik an Shaw und Tucholsky sehe ich allerdings ein, die an Kleist wiederum nicht^^

Traitor
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Sa 12. Jun 2010, 15:51 - Beitrag #9

Ein "best of" im Wortsinne müsste natürlich primär an der Qualität festgemacht werden, ja. Aber die Qualität ist etwas sehr subjektives. Ich zum Beispiel würde Büchner qualitativ nicht als "best", noch nichtmal als "good" kategorisieren, zumindest vom Woyzeck her, anderes von ihm kenne ich nicht. Daher sind solche Listen, wenn überhaupt, dann eher als "bedeutendste" denn als "beste" sinnvoll. Da ist ein reines "oh, habe ich schonmal gehört" natürlich nicht das beste Kriterium, gehört neben historisch-analytischem Expertenurteil aber eben auch dazu.

Ok, Kleist scheint tatsächlich insgesamt doch eher ein Übergewicht zum Drama hin gehabt zu haben, mir war er bisher primär als Epiker (Kohlhaas) bekannt.

Goethe hat auch meines Erachtens in Epik und Lyrik mehr geleistet, aber persönliches Gefallen oder meinetwegen auch gebildetes Qualitätsurteil außenvorgelassen, kann man dem Faust die überragende Bedeutung nunmal nicht absprechen.

Ipsissimus
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Mo 14. Jun 2010, 10:38 - Beitrag #10

das eigentliche Problem besteht darin, dass es keine auf 10 Einträge beschränkte "best of"-Liste schafft, ihren Gegenstand adäquat wiederzugeben. Ich bestreite ja nicht ernsthaft, das Goethe auf die Liste gehört, nur, es sind eben nicht nur 10 Leute, die hinsichtlich ihrer Bedeutung und des Niveaus ihrer Sprachbeherrschung auf die Liste gehören, es sind allein in Europa gut 50 Personen und weltweit noch mal 100 mehr. Und auf deren Level entscheiden im Grunde nur nationale Einäugigkeit oder meinetwegen auch Vertrautheit, wer dazu gehört, nicht mehr aber echte Niveauunterschiede, die bestenfalls noch in Nuancen nachweisbar sind. Wer kennt denn wirklich die Großmeister fremder Kunst? Chikamatsu Monzaemon z.B., den du nicht auf der Liste haben willst, war für das No-Theater, was Shakespeare und Goethe zusammen für das europäische Theater waren. Gehört nicht auf die Liste?


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