Marsyas - Eine Erzählung

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Maglor
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Mo 4. Okt 2010, 21:11 - Beitrag #1

Marsyas - Eine Erzählung

Angeregt von diesem griechischen Mythos überkam mich jüngst der Gedanke die Sache mal in eigene Worte zu fassen.
Auf Fußnoten zur Klärung der Namen und Begriffe habe ich erstmal verzichtet. ;)
Ich wünsche guten Appetit bei der bescheidenen Lektüre.

[align=left]Von Marsyas[/align]

[INDENT]Als die Göttin Athene am Bache saß und die Doppelflöte spielte, erschien ihr das eigene Gesicht im Wasser, erschrak über die aufgeblähten Wangen und ihren verzerrten Gesichtsdruck, mit welchem die schöne Melodie die Göttin entstellte. Erschrocken warf sie darob die Flöten beseite und ließ sie am Ufer liegen, denn mit ihrem zweiten Gesichte hatte sie bereits gesehen, welches Unheil und Unbill die Flöte bringen werde.

Wenig später fand sie der bocksbeinige Marsyas, der seit Jahr und Tag den Gott des Weines mit Trommel und Zimbel begleitete. Die Flöten führte der Satyr zu seinem Munde und hielt sie genauso schräg; wie ihm einst die Hörner aus der Stirn gewachsen; als er nun voll Freude blies und lustige Reigen spielte, kam das Unglück über ihn. Erst folgten seinem Flötenspiel nur die Satyrn, bald auch der greise Silen, endlich Nymphen und Panther, Zicklein und Menschen. Erfüllt vom unbekannten Klang der wunderlichen Flöte schien ihnen die karge Welt vergessen, erblickten Gesichte des Elyisums, sahen sie bald die Mänaden wie Semele den olympischen Zeus, tanzten, lebten, starben…

Da alle Welt seinem Spiel folgte, überkam ihm der Gedanke den unsterblichen Apollon herauszufordern, wer der beste Spielmann sei, ja selbst dessen Kranz zu tragen, dessen Thron zu besetzen. Derowegen trafen nun beide zusammen, Leier und Flöte, und wählten die neun Musen zu ihren Schiedsdamen, dass sie den Sieger bestimmten. Zuerst spielte der Satyr die Flöte mit bekanntem Zauber und ergriff die Musen, danach setzte Apollon nach mit dem Leierspiel, doch konnte er anfangs die Lorbeeren nicht für sich gewinnen, erst als der blonde Gott seine Stimme zum Lied erhob, konnte Marsyas mit seiner Flöte im Munde nichts mehr entgegen bringen und die Musen kürten schließlich Apoll zum Sieger, bekränzten ihn zur Gottheit.

Apoll als Sieger, heiß erzürnt über die eitle Herausforderung, ergriff die arme Bocksgestalt und in der Einfalt des Schinders hängte er ihn kopfüber wie ein Stück Wildbret auf. Statt ihm die Kehle durchzuschneiden, führte er das Messer zum Bauch des Opfers und trennte die Decke des jaulenden Marsyas aus. Apollon zog dem dreisten Flötenspieler das Fell über die Ohren, Sehnen und Muskeln kamen zum Vorschein. Der Satyr sah nun mit Schmerz verzehrten, lidlosen Augen den lichten Apoll an, wie dieser sich dessen rohe Haut gleich einem skythischen Mantel überwarf und des Satyrn Blut die blonden Locken des Gottes benetzte. Im Augenblick des Todes erkannte Marsyas die wahre Gestalt der Welt, des Alls und des Lebens, die im inneren verborgen lag wie der harte Kern im dünnen Fleisch der Olive.
[/INDENT]

Lykurg
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Di 5. Okt 2010, 00:09 - Beitrag #2

Oh, schön, Kafka hätte seine Freude daran Bild - damit meine ich aber die reine Schilderung; Sprache und Sympathiebekundungen/Wertungen sind klar in einem anderen Stil. Und sehr inspirierend, wirklich ein faszinierender Mythos.

Lykurg
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Di 5. Okt 2010, 02:10 - Beitrag #3

IN FETZEN hängt sie herab! Nein, nicht einmal dazu warst du imstande, grausamer Gott, in EINEM Stück mich zu schinden, um mit meinem Fell deine Lenden zu gürten, wie du es eben noch geschworen. Dein Haß ist zu brennend, du rast im Zorn, gleißend umstrahlt dich das Licht des Todes, des glühend, gnadenlosen Taggestirns. Die Menschen halten es für den Glanz deiner Gerechtigkeit, doch wer dem Blick zu dir erhebt, den wirst du blenden und verderben. Aber mein Blut wird selbst deine Glut nicht trocknen lassen, es wird strömen auf ewig, und es wird den Boden des Landes besudeln, SCHREIEN zum Himmel vom Frevel, den du mir angetan! Denn nicht ich war es, der dich verhöhnte, nicht ich war der Hybris verfallen zu glauben, hier gebe es eine größere Meisterschaft. Wie könnte ich das? Weiß ich doch, was wahre Kunst bedeutet, wußte es, sobald ich die Flöte fand, die Athene verworfen, da um sie zu blasen sie ihre Backen aufblähen mußte. Eitles dummes Weib, die von Here und Kypris verspottet, sogleich mit dem Fluch sie belegt, der zum Verhängnis mir wurde - doch auch sie wird es verderben, denn was wird ihre Eitelkeit bringen? Tod und Verderben und Leid den vielen, Niedergang der Kultur und Vergessen wartet zuletzt auch ihrer.

Nein, Apoll, SCHÄNDLICHER, der du hoffst, mit meiner Haut deine Blöße zu bedecken! Hast verblendet von eignem Licht du ernstlich geglaubt, Tyrannenjustiz sei Recht und dein Instrument edler als meines? Du gibst vor, das Maß und die Ordnung zu sein, und bist doch der rasendsten einer! Die Künste hast du verraten, als die Musen du zwangst, dir den Preis zuzusprechen, den du niemals verdientest. Denn in deinen Augen sah ich die Glut deiner Hingabe, als ich vor dir spielte – du liebtest bedingungslos, hemmungslos, du warst zu allem bereit, du warst im Rausch der Exstasis, DU WARST MEIN – und DAS ward mein Tod, nicht deine Niederlage in der Musik, sondern Hingabe in der Liebe. Denn sie kennst du nicht und kannst sie nicht beherrschen, der du die Rache bist und der Blutrausch, der aus dir sich ergießt wie ein Feuerstrom, wenn deine Maske zerbricht. Reiße mein Gehörn heraus und schmücke deine Lyra damit zum Schandmal deines vermeintlichen Sieges – es wird dir nichts nützen, Schinder der Musik, Meuchler des Rechts, MÖRDER!
Auch DEIN Tod wird kommen.

Lykurg
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Di 5. Okt 2010, 21:20 - Beitrag #4

Überaus lustig - ich habe eben die beiden Texte durch die FAZ-Stilanalyse geschickt.
Ergebnis: Du schreibst wie Heine, ich angeblich wie Schiller. Bild

Maglor
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Fr 8. Okt 2010, 18:44 - Beitrag #5

Der Marsyas hat dich offenbar schon beschägftigt, offensichtlich war es aber mein Marsyas und nicht der griechische Mythos, der im antiken Original wirft sich Apoll nicht die Haut des Satyrn über, dies tut er nur in der magloresken Bearbeitung. So soll der göttliche Apoll das Fell einfach irgendwo aufgehängt haben, das herunter tropfende Blut bedeckte nicht seine Schambehaarung sondern tropfte herab und bildete im Sinne einer Ovid'schen Metamorphose der kleinasiatische Fluss Marsyas, der gewissermaßen den Teheraner Blutbrunnen vorwegnahm.
Diesen geografischen Exkurs ersetzte ich durch eine krönende Szene der Barbarei.
(Kurioserweise gibt noch eine weitere Geschichts Apolls als unfairen Wettkämpfer. Diesmal duelliert sich Apollon mit Pan, Lyra gegen Syrinx. Schiedsrichter ist niemand anderes als König Midas. Da Midas Pan zum Superstar kürte, verwünschte Apoll den König, dass diesem Eselsohren wuchsen.)

Der Unterschied zwischen unseren Texten, ist sicher der, dass sich meiner aus einer chronologischen Beschreibung unter Einfügung zahlreicher Voraussichten besteht; die Lykurg-Version jedoch beschreibt allein die Innensicht des Marsyas in der Schlußszene als Monolog desselben.

Achja, hast du die Symbolik der Olive am Ende verstanden?

Lykurg
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Fr 8. Okt 2010, 19:10 - Beitrag #6

Ich wußte, daß das nicht Bestandteil der Originalsage war, habe sie auch nochmal nachgelesen, bevor ich das hier schrieb (in der Ranke-Graves-Kompilation), fand die Idee aber überaus hübsch und habe sie deswegen in einer Geste des Respekts adaptiert ("eben noch" Bild ). Ich habe mir ja auch die eine oder andere Abweichung vom Mythos erlaubt, auch wenn ich mich etwa auf den Blutstrom ja explizit beziehe.
Der Unterschied zwischen unseren Texten, ist sicher der, dass sich meiner aus einer chronologischen Beschreibung unter Einfügung zahlreicher Voraussichten besteht; die Lykurg-Version jedoch beschreibt allein die Innensicht des Marsyas in der Schlußszene als Monolog desselben.
Genau, wobei auch mein Marsyas-Monolog Rück- und Vorausblicke enthält, aber weniger systematisch vorgeht. Außerdem spricht aus deinem Text (jedenfalls für mich) eine tiefe Melancholie, die ich in meinem nicht so sehe. -

Der Wettstreit mit Pan war mir bekannt, die Olive ist mir aber ein Rätsel geblieben, ich habe sie als Hinweis auf Athenes Geschenk an die Menschen gedeutet (im Gründungsmythos Athens) und zum Anlaß genommen, meinerseits über Athene herzuziehen (vielleicht hätte ich den Apfel als Gegenstück zur Olive erwähnen sollen?), wäre aber dankbar für weitere Aufklärung.

e-noon
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Sa 15. Jan 2011, 22:23 - Beitrag #7

Ich auch, um mich Lykurg's letztem Satz anzuschließen :)
Beide Texte sind sehr interessant, mit sehr eigenem Stil, erschreckend blutrünstig zwar (und fraglich, ob Marsyas solch ein Monolog durch den Kopf gegangen wäre, in dieser Situation, oder überhaupt etwas anderes als "Aua"), aber dennoch gut.

Lykurg
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So 16. Jan 2011, 12:48 - Beitrag #8

Danke! Ja, Plausibilität ist bei Annahme eines direkten Gedankengangs kaum gegeben, die enormen Schmerzen und der Blutverlust dürften Besinnungslosigkeit und Tod recht bald herbeiführen. Die Figurensicht wird aber mehrfach gebrochen bzw. aufgelöst durch Vorausdeutungen etc., die eher auf eine quasi-Außensicht im/nach dem Tod hindeuten.

Der Mythos ist entsetzlich blutig im Gegensatz zum klassizistisch weichgezeichneten Apoll, genau darum ging es mir ja, und Maglor offensichtlich auch, der allerdings stärker als ich eben diese Darstellungstradition zu Anfang aufruft, um sie zuletzt zu zerstören und umzuformen (während ich allein schon dank Maglors Erzählung die Stoffkenntnis voraussetzen konnte und direkt zum Gemetzel und zu meiner Umdeutung gehen konnte).

Maglor
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So 16. Jan 2011, 16:56 - Beitrag #9

Die Olive ist ein Anspielung auf Athene. Der Kern der Olive ist eben der wahre Kern der Sache.

Lykurg
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Do 27. Okt 2011, 15:01 - Beitrag #10

Übrigens ist, wie ich eben feststellte, auch die Darstellung bei Ovid sehr drastisch (Metamorphosen 6,387ff):

clamanti cutis est summos direpta per artus,
nec quicquam nisi vulnus erat; cruor undique manat,
detectique patent nervi, trepidaeque sine ulla
pelle micant venae; salientia viscera possis
et perlucentes numerare in pectore fibras.

Während er so schrie, wurde ihm die Haut überall an sämtlichen Gliedern abgezogen.
Da war nichts als eine einzige Wunde, überall strömte Blut,
entblößt sind die Sehnen, und unbedeckt
schlagen zuckend die Adern. Man hätte die bebenden Eingeweiden zählen
und im Brustkorb die Lungenflügel erkennen können.


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