Hat er oder hat er nicht?

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Ipsissimus
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Di 1. Nov 2011, 12:30 - Beitrag #21

na ja, eine "Verschwörung" wäre dann doch ein bisschen zu hoch gegriffen für eine letztlich nur ein bisschen zweifelhafte Geschäftspraxis^^

die Reihen der Anti-Stratfordianer bestehen halt, anders als bei den Kreationisten, nicht aus einschlägig vorgeprägten Personen. Es muss, anders als bei den Kreationisten, keine andere Sicht als die etablierte Sichtweise richtig sein. Welchen Grund sollte auch ein Siegmund Freud dafür haben, den einen oder den anderen Autor zu bevorzugen? Welchen Grund ein Geschichtsprofessor wie William Rubinstein, der sich dem Thema genauso professionell, nur eben aus einer anderen wissenschaftlichen Richtung als ein Literaturwissenschaftler nähert? Welchen Grund sollte ich haben? Mich leitet nur ein allgemeines Interesse am Thema, und ich halte keine der Theorien, inklusive der Standardtheorie, für bewiesen. Aber die offenen Fragen bleiben, und sie sind trotz der beruhigenden Versicherung, dass die wissenschaftliche Standardtheorie sie im Griff hat, offen.

e-noon
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Di 1. Nov 2011, 12:39 - Beitrag #22

Es bestreitet ja niemand, dass die Vertreter der Alternativtheorien nur das hehre Streben nach Wahrheit antreibt, aber das ist ja bei den meisten Verschwörungstheorien der Fall.

Eine großflächige Absprache innerhalb der Londoner Kreise hätte durchaus stattfinden müssen, um alle Kommentare von Schauspielkollegen, konkurrierenden Schriftstellern und Besuchern des Theaters aufeinander abzustimmen... gewiss nicht unmöglich, aber doch ein sehr großer Aufwand und eben ohne jeden Beleg.

Ipsissimus
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Di 1. Nov 2011, 12:50 - Beitrag #23

das ist übrigens auch bei den meisten etablierten Wissenschaftlern der Fall, solange die Wahrheit sich gut verkaufen lässt^^

nicht unbedingt, wenn der Kontakt zum Autor auf Shakespeare begrenzt geblieben wäre und der Autor nie öffentlich aufgetreten wäre

e-noon
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Di 1. Nov 2011, 13:11 - Beitrag #24

Ja, allerdings, das sollte kein Ausschlusskriterium sein. ^^

Das wäre natürlich möglich gewesen. Dann hätte Shakespeare wohl in London leben, als Nichtliterat (denn das wird ihm ja vorgeworfen) irgendwie in Berührung mit einem gebildeten Aristokraten gelangen müssen, der ihn gebeten hätte, zeitlebens die rege Produktion an meisterlichen Dramen auf seine Kappe zu nehmen und die Stücke mehr oder weniger auswendig zu lernen, denn vermutlich wandten sich ja die (auch nicht immer alphabetisierten?) Schauspieler in Regiefragen an ihn. Francis Bacon oder Queen Elisabeth, oder wem immer die Autorenschaft in die Schuhe geschoben wurde, hätten dann den sich ausbreitenden Ruhm ruhig betrachtet und in keinem Tagebuch oder Brief die Nachricht hinterlassen, dass er/sie der eigentliche Autor war.

Möglich, aber wie gesagt gibt es keinen Beleg dafür.

janw
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Di 1. Nov 2011, 13:29 - Beitrag #25

e-noon, Lykurg: Sicher gibt es eine große Zahl von Arbeiten der Skeptiker und Alternativtheoretiker, und sicher gibt es einige in diesem Bereich Tätige, die ihre Positionen über die Massenmedien zu transportieren suchen. Aber was besagt das genau?
Wenn ich das richtig sehe, findet sich kaum eine der Nicht-mainstreamigen Publikationen in den führenden und gepeer-reviewten Zeitschriften. Ich bin mir sehr sicher, daß dies daran liegt, daß die Herausgeber oder sonst die Reviewer derartige Publikationen - ungeachtet ihrer Qualität - nichtmal mit spitzen Fingern berühren, weil, wenn nicht der eigenen Attitüde, dann der eigenen Karriere schädlich. Von einem offenen wissenschaftlichen Diskurs kann jedenfalls nicht gesprochen werden.

Mainstreamigen Wissenschaftlern wurde noch nie verübelt, wenn sie ihre Positionen in Massenmedien vertreten haben, nichtmal, wenn sie dabei Verfahren beworben haben, mit denen sie durch ausgegründete Unternehmen Geld verdienen wollten - man nehme nur die Biotechnologie als Beispiel.

e-noon
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Di 1. Nov 2011, 13:51 - Beitrag #26

Wenn ich das richtig sehe, findet sich kaum eine der Nicht-mainstreamigen Publikationen in den führenden und gepeer-reviewten Zeitschriften. Ich bin mir sehr sicher, daß dies daran liegt, daß die Herausgeber oder sonst die Reviewer derartige Publikationen - ungeachtet ihrer Qualität - nichtmal mit spitzen Fingern berühren, weil, wenn nicht der eigenen Attitüde, dann der eigenen Karriere schädlich.


Woher nimmst du diese große Sicherheit?

Die Qualität einer wissenschaftlichen Arbeit bemisst sich an ihrer Belegbarkeit und Plausibilität. Wenn es, wie von den meisten Anglisten bestätigt wird, keine Belege für andere Autoren gibt - worin sollte dann die "Qualität" von Artikeln von Anti-Stradfordianern liegen? Woran machst du fest, ob der Artikel abgelehnt wurde, weil er bei aller Rhetorik keinen einzigen Beleg vorweisen konnte, oder weil der Herausgeber zu borniert und um seinen Ruf besorgt ist?

Ipsissimus
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Di 1. Nov 2011, 15:52 - Beitrag #27

woher kommt nur all dieser Konservativismus^^

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Di 1. Nov 2011, 15:54 - Beitrag #28

Der beruht sicher auf heimlichen Absprachen. Obwohl... war nicht schon Shakespeares Publikum überaus konservativ?

janw, dazu habe ich eigentlich schon alles gesagt... und e-noons Vergleich mit der Kreationismusdebatte finde ich recht treffend.

e-noon
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Di 1. Nov 2011, 15:59 - Beitrag #29

woher kommt nur all dieser Konservativismus^^

Daher, dass man Wissenschaft betreibt und nicht Rätselraten oder Recherche für einen Geschichtsthriller.
Leider ist da wenig Raum für eine ernsthafte Diskussion, da man keine Belege gegeneinander abwägen kann; es gibt ja ausschließlich Belege für die Verbindung des William Shakespeares zu seinen Werken, keine für irgendeinen anderen Autoren.

Desweiteren liegt es wohl am Interessensschwerpunkt: Literaturwissenschaftler interessieren sich mehr für das Werk, das uns überliefert ist, als für mögliche Intrigen im Hintergrund der Entstehung. Für einen Literaturwissenschaftler würde sich nicht viel ändern, wenn sich herausstellte, dass Francis Bacon sämtliche von Shakespeares Werken geschrieben hätte; die Interpretationen erfolgen ja aufgrund der Texte und nicht in Bezugnahme auf die (ohnehin spärlich überlieferten) Angaben über Shakespeares Privatleben. Es ist einfach nur ein Ärgernis, wenn Menschen über das, womit man sich jahrelang seriös beschäftigt, wild spekulieren und bei der Öffentlichkeit dann nur diese Spekulationen ankommen.

Ipsissimus
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Do 3. Nov 2011, 13:36 - Beitrag #30

das besagt doch aber nur, dass das Erkenntnisinteresse von Literaturwissenschaftlern ein anderes ist als das von Historikern. An der Besprechung der Werke würde sich sicher nicht viel ändern, egal wer der Verfasser war, außer dass sie u.U. in den Kontext eines größeren Gesamtwerkes einzugliedern wären. Aber das mangelnde Interesse der Literaturwissenschaftler kann eigentlich nicht das entscheidende Kriterium für Historiker sein, oder? Wenn die völlig unabhängig von der literaturwissenschaftlichen (Nicht)Diskussion Belege oder zumindest Indizien finden, die für die Autorenschaft anderer Personen sprechen, dann ist das doch möglicherweise nicht mehr Frage einer bloßen Verschwörungstheorie, völlig unabhängig davon, wie es die Literaturwissenschaftler gerne hätten.

e-noon
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Do 3. Nov 2011, 16:14 - Beitrag #31

Völlig richtig. Ich wollte auch nur erklären, warum sich die Literaturwissenschaftler nicht in der Hauptsache mit der geduldigen Widerlegung dieser Thesen beschäftigen. Seriöse Historiker hätten die Sache vermutlich noch schneller abgefertigt als Literaturwissenschaftler, da alle in der Geschichtswissenschaft anerkannten Quellen dafür sprechen, dass Shakespeare der Autor war, und keine dagegen.

Ipsissimus
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Do 3. Nov 2011, 16:42 - Beitrag #32

offenbar ist letzteres nicht ganz so eindeutig, wenn etablierte Geschichtsprofessoren (Brenda James, William Rubinstein) in Ausübung ihrer wissenschftlichen Tätigkeit zu dem Ergebnis kommen, dass der wahrscheinliche Autor Sir Henry Neville war

e-noon
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Do 3. Nov 2011, 16:58 - Beitrag #33

Das ist eben die Frage. Ich habe das Buch leider nicht gelesen, aber in der Zusammenfassung klingt es nicht sehr danach, als habe man sich der herkömmlichen Herangehensweise bedient. Das überzeugendste Argument war offenbar "Henry Neville hat sich an den Orten aufgehalten, die in Shakespeares Stücken vorkamen" - zwar ein Argument, aber einer, der Literatur- und Geschichtswissenschaft vermischt und Belege außen vorlässt.

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Do 3. Nov 2011, 17:08 - Beitrag #34

wenn du das Buch nicht gelesen hast, weißt du nicht, ob es Belege außen vor lässt^^ und auch nicht, ob das das einzige oder auch nur das wichtigste Argument ist^^ und auch nicht, welche Vorgehensweise gewählt wurde^^

e-noon
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Do 3. Nov 2011, 17:19 - Beitrag #35

Sowenig wie du, sicher weniger als Ramon Jiménez.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätten echte neue Belege in den 6 Jahren seit Erscheinen des Buches etliche Historiker aufhorchen lassen. Laut der Rezension und allen verfügbaren Quellen ist das nicht der Fall. Es ist auch nicht einzusehen, warum für etwas argumentiert werden soll, wenn alle Belege in die andere Richtung deuten. Einfach trotzdem? Dann aber bitte auch Kreationismus.

Ipsissimus
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Do 3. Nov 2011, 17:22 - Beitrag #36

die Belege zeigen nicht eindeutig in eine Richtung. Sie werden nur mehrheitlich in Richtung einer bestimmten Auffassung interpretiert^^

e-noon
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Do 3. Nov 2011, 17:29 - Beitrag #37

Auf jedem seiner Bücher steht sein Name. Soweit die 'harten Fakten'. Bis neues hinzukommt - entweder ein Zeitgenosse Shakespeares, der sich zur Autorenschaft bekennt, oder ein Inkongruenz, die Shakespeare als Autor völlig ausschließt - ist alles andere Spekulation.

Mehr kann ich dazu wohl auch nicht sagen, da ich zu dem Thema nicht umfassend genug informiert bin.

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Do 3. Nov 2011, 17:44 - Beitrag #38

Die Belege zeigen sehr deutlich in eine Richtung. Es gibt Hinweise, die in andere Richtungen deuten, die haben aber weit weniger Gewicht. - Auch in dieser Diskussion verlaufen übrigens die Linien zwischen Argumentation mit Quellenbelegen und solcher auf Grundlage von Mutmaßungen recht klar. Ich sehe aber ebenfalls die Schwierigkeit, sich in der Frage noch mit substantiellen Beiträgen einzubringen, da die bekannten Argumente längst gebracht sind und offensichtlich nicht überzeugen können. Möglicherweise gibt es auch einen Konservativismus der Skepsis.

e-noon
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Do 3. Nov 2011, 17:55 - Beitrag #39

Dh. durch Konservativismus erzeugte Skepsis gegenüber der Skepsis gegenüber Belegen?

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Do 3. Nov 2011, 18:02 - Beitrag #40

Wunderbar, du hast die Lesart gefunden, die ich genau nicht meine.

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