Die Tribute von Panem

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Lykurg
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So 28. Okt 2012, 10:28 - Beitrag #1

Die Tribute von Panem

Zitat von wblig?:
Zitat von Lani:Ich habe gerade die Reihe von "Die Tribute von Panem" verschlungen, nachdem meine Mama mich lange überreden musste, es zu lesen.
Zitat von e-noon:@Lani: Die Rezensionen waren ja nicht so gut, auf Amazon hieß es, die Serie sei typisch amerikanisch gewaltverherrlichend und moralische Zweifel daran, andere Kinder zu töten, würden relativ schnell unterdrückt]
Zitat von Lani:Also ich find's überhaupt nicht gewaltverherrlichend ehrlich gesagt und die Hauptfigur hat ziemlich damit zu kämpfen, dass sie andere Kinder töten muss (bzw. das diese getötet werden)]
Das sehe ich ähnlich, Lani. Die Bücher sind aufgrund der Thematik zwangsläufig blutig und brutal, insbesondere das letzte, die Gewalt wird aber von der Erzählerin eindeutig abgelehnt. Um so spannender sind dann aber die Abstufungen in ihrer Bewertung, ziemlich kraß am Ende. Ich meine ebenfalls nicht, daß die Liebesgeschichte die moralischen Konflikte zudeckte, eher im Gegenteil wird sie entkompliziert [spoiler]indem Gale aus der Handlung verschwindet[/spoiler], wodurch andere Fragen mehr Raum erhalten.

Der dritte Band ist sehr gerafft, das sehe ich ähnlich, Handlungsstränge werden nicht zuende erzählt und ein massives ethisches Problem ungelöst gelassen. [spoiler]Katniss' Zustimmung zu den neuen Hungerspielen! - finden diese nach ihrem Akt der Selbstjustiz noch statt? Es gibt keine Erwähnung mehr davon.[/spoiler]Andererseits gefällt mir gut, daß die Bücher zentrale Fragen offenlassen (etwa einen genaueren Zeitpunkt der Handlung, aber besonders, wie es weitergeht), die Unwissenheit der Ich-Erzählerin ist in weiten Teilen schlüssig verwirklicht, und das gilt eben auch für den Epilog. Probleme entstehen daraus in der Beschreibung der Welt; ich weiß nicht recht, was ich als Fehler der Autorin und was als Fehler der Erzählerin auffassen will. Geschickt von beiden.^^

Um so schwieriger ist es meines Erachtens, den Text angemessen zu verfilmen. Ich habe den Film nicht gesehen, aber gerade zu diesem Aspekt Kritik gehört: Der Betrachter des Films hat zwangsläufig eine Außenperspektive, die völlig andere Wertungen zuläßt als der Ich-Bericht des Buches, von dem der Leser sich erst 'losmachen' muß, um seine eigenen Urteile zu treffen.

Traitor
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So 28. Okt 2012, 12:18 - Beitrag #2

Gerade vor der angeblich verunglückten Ich-Erzählerin wurde ich gewarnt, und vor generell, sagen wir mal, "bodenständigem" Stil. ;) Wenn ein Hochliterat wie Lykurg sich daran nicht stört, kann es aber eigentlich gar nicht so schlimm sein...?

Der Film wurde hier diskutiert. Er blieb, wenn natürlich auch optisch von außen, doch recht nah an Katniss' Perspektive. Die Welt erschien aber schon sehr, sehr löcherig.
Inzwischen ist mir übrigens noch aufgefallen, dass die ganze Konstruktion und Atmosphäre mich an nichts so sehr erinnerte wie an die originale Star-Trek-Serie. ;)

Lykurg
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So 28. Okt 2012, 13:52 - Beitrag #3

Ich fand den Sprachstil und die Erzählweise stimmig für eine Erzählerin, die z.B. nie etwas von Rom gehört hatte - entsprechend nervig die Stelle im dritten Band, als ihr "panem et circenses" erklärt wird, das hätte man mE lieber weglassen sollen. Der Name Panem war für mich damals übrigens ein Grund, nicht in den Film zu gehen - als hätte ich so eine Szene befürchtet.^^ Die Auswahl von Personennamen ist teilweise ähnlich holzschnittartig (Castor und Pollux z.B., auch diverse sprechende Namen), wird aber wenigstens - abgesehen von den Pflanzennamen - nicht auch noch kommentiert (bin kein Freund von unfreiwilligem Lampshading). Generell also stimmig mit ein paar Abstrichen, das kann man mögen oder auch nicht, muß sich nur halt drauf einlassen.

Aber ja, die Funktionsweise der erzählten Welt wirft an allen Ecken und Enden Fragen auf, was die Ressourcenversorgung, Technik und Transportmittel, das innere Funktionieren der Machtapparate, den genaueren historischen Hintergrund, selbstverständlich aber auch den Rest der Welt außerhalb von Panem angeht. Natürlich kann Katniss diese Dinge nicht überblicken, trotzdem fragt man sich, ob die Autorin sich darüber Gedanken gemacht hat.

e-noon
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So 28. Okt 2012, 20:33 - Beitrag #4

Aiiiiiiiiiiii!!! :boah:

Ich schließe mich dem bisher gesagten an, mit einem (entscheidenden!) Einwand, Achtung, Spoiler:
[spoiler]Lykurg: "Katniss' Zustimmung zu den neuen Hungerspielen! - finden diese nach ihrem Akt der Selbstjustiz noch statt? Es gibt keine Erwähnung mehr davon."

Seit Wochen (hier hat es jeder gelesen) argumentiere ich: Das komplette Buch ergibt keinen Sinn, wenn man Katniss' Zustimmung als echte Zustimmung wertet. Meine Interpretation aus dem Text heraus ist daher: Sie hat in dem Moment erkannt, dass die neue Präsidentin nicht besser ist als die alte, und dass sie dem Volk vielleicht noch mehr schaden wird als Snow. Also stimmt sie ihr zum Schein zu, nimmt Blickkontakt mit Haymitch auf - der ihr zustimmt, auch das äußerst entscheidend, es wird extra betont, WIE gut er sie kennen muss, um in dem Moment die richtige Entscheidung zu treffen - und beschließt, ihr eigenes Leben zu opfern, um den letzten Feind des Friedens zu töten.

Die Alternative wäre: Sie will die Hunger Games (aus Rache), tötet aber trotzdem noch Coin (aus Rache), weil Snow ihr erfolgreich eingeredet hat, dass diese für Prims Tod verantwortlich sein. DAS wäre WIRKLICH eine üble Aussage, die nicht zu dem versöhnlichen Ende passt und auch nicht zu Katniss (und Haymitch!).[/spoiler]

Lykurg
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Mo 29. Okt 2012, 13:27 - Beitrag #5

Hmm, das überzeugt mich nur so halb, e-noon. [spoiler]An der Stelle wird ausdrücklich angesprochen, daß sie mit ihren Rachegefühlen ringt. Auch die Tötung der Zivilistin und diverse weitere Entscheidungen, etwa ihr angeblicher Geheimauftrag, für den sie ganz nebenbei und ohne Zögern die Leben ihrer Freunde riskiert,auch die Anfälle von Mordlust gegen ihre Maskenbildner u.a., zeigen, daß sie teilweise unüberlegt handelt bzw. sich von ihrer Wut hinreißen läßt. Finde ich nebenbei bemerkt auch deutlich interessanter als eine perfekte Heldin.

Mir fehlen für deine Interpretation sowohl ihr Motiv bzw. ein äußerlicher Anlaß (denn daß sie Snow töten darf, steht da schon fest und hängt nicht von ihrem Einverständnis ab; auch Coins Blutdurst ist bereits durch diesen Vorschlag erwiesen und nicht erst dadurch, daß Katniss ihm zustimmt), als auch eine nachfolgende Erklärung etwa gegenüber Peeta. Es gibt für sie keinen einleuchtenden Grund, diese Hungerspiele herbeizuführen. Wenn sie, wie du meinst, davon ausging, bei Coins Tötung umzukommen, hätte sie keine Möglichkeit mehr, den Beschluß des Gremiums der Sieger zu revidieren oder sich zu rechtfertigen; möglicherweise würden die Spiele dann in ihrem Andenken oder in dem Coins trotzdem durchgeführt, möglicherweise wurden sie es sogar, es gibt einfach keine Aussage dazu im Text.

Eher folge ich deiner alternativen Deutung, wobei in meinen Augen gar nicht abschließend geklärt werden muß, ob Coin oder Snow für den Tod der Kinder verantwortlich sind - eher Coin, denke ich, in jedem Fall aber eine düstere Version. Haymitch und Katniss sind beide recht skrupellos; Gales Aussage, sie würde denjenigen nehmen, der ihr Überleben sichert, trifft sie ja nicht ganz zu Unrecht. Das Ende ist auch nur bedingt versöhnlich, finde ich; selbstgewählte Einsamkeit und allmähliches Verheilen der Wunden, aber eben kein Mitwirken an einer neuen, besseren Gesellschaft o.ä. - dafür fehlen ihr auch die Kenntnisse und eigenen Denkansätze. Gale ist dafür schon etwas besser geeignet und engagiert sich ja auch entsprechend, wozu sie auch psychisch noch nicht imstande ist. Die Beschreibung ihres Innenlebens gegen Ende erinnert mich an schwer traumatisierte Kriegsveteranen - auch das eine Stärke des Textes, das absolute Gegenteil von 'Eroberer wird Herrscher', wie auch, daß sie in so vielfacher Hinsicht scheitert.[/spoiler]


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