Alle Achtung, da stoße ich ja nun recht spät zu einer so vielfältigen und reichen Diskussion über Hesse, dass ich bereits etwa fünf Zitate geplant habe, wo ich doch nur eines im Zwischenspeicher lagern kann.
Hier also das erste:
Zitat von Maglor:Hesse scheint irgendwie eine besondere Vorliebe für moralischen Kitsch zu besitzen.
Bisher habe ich, in dieser Reihenfolge, Siddharta, Demian, die Morgendlandfahrer und das Glasperlenspiel gelesen und kann uneingeschränkt zustimmen. Dieser "moralische Kitsch" (ein treffender Begriff) findet sich in jedem der Werke, sein Oberthema, das Ringen um Weiterentwicklung der Persönlichkeit in Harmonie mit oder auch quälender Dissonanz mit dem Universum und der Gesellschaft ist ja in sich bereits sehr moralisch. In der Wiederholung (und diese findet sich sowohl im Vergleich der Werke, als auch innerhalb eines Werkes und, wie ich später noch ausführen möchte, innerhalb eines Satzes) und dem deutlich zu spürenden leidenschaftlichen Mitfühlen des Autors (keineswegs nur Erzählers, denke ich) mit seinen Grundsätzen liegt dann schon ein solch pathetischer Überschwang, dass man gerne von Kitsch reden kann. Nicht ohne Grund wurde an mehreren Stellen dieses Threads bereits ausgeführt, dass das Alter der größten Hesseempfänglichkeit in der Regel von 13-18 liegt, was sich dann wohl eher auf Demian, Narziß oder Siddharta bezieht/bezog, während das Glasperlenspiel doch noch mal mehr theoretische Grundlagen liefert, als jugendlicher Überschwang (oder ein leicht hessemüder Leser) sich wünschen würde.
Gestern haben wir nun das Glasperlenspiel im Lesekreis besprochen, und ich möchte zunächst einen Aspekt hinzufügen, der, wenn ich das richtig gesehen habe, hier im Thread noch weitgehend fehlt. Erklärend möchte ich vorausschicken, dass drei der Lesekreismitglieder ausgesprochen ge-gendert sind, es handelt sich dabei um eine Medienwissenschaftlerin, eine Sprachwissenschaftlerin und einen Mitarbeiter des Schwulen-und-Lesben-Referats (oder so) der Uni Köln. Somit kam bald die Feststellung auf, dass Frauen in Hesses Werk grotesk unterrepräsentiert sind, dass die einzige einigermaßen bedeutsame Frauenfigur, an die wir uns erinnern konnten (und mit unseren verschiedenen Vorbildungen bekamen wir immerhin die Werke Siddharta, Demian, Morgendlandfahrer, Narziß, Unterm Rad, Steppenwolf und eben das Glasperlenspiel zusammen), Frau Eva in Demian war, die ihrerseits das genaue Gegenteil von "Geist" repräsentiert und im Grunde, wie bereits gesagt wurde, mehr ein Prinzip als eine Persönlichkeit darstellt und wesentlich als Mutter ihres Sohnes auftritt, wie natürlich auch Frau Designori im Glasperlenspiel. Ich möchte mich, wobei ich einen gedanklichen Sprung wage, dem man folgen mag oder auch nicht, daher Ipsis These anschließen: Vielleicht hätte mehr Sex geholfen.
Im Anschluss haben wir zudem Erotik diskutiert]Hesse, Knecht und/oder die Schreiber legen ja Wert darauf, zu betonen, dass das eben keine Senilität sei. Wo genau die Trennlinie liegen soll, ist aber schwer zu erkennen.[/QUOTE]
Ich denke, dass hier wie im Siddhartha sich das bereits beginnende Nirvana in einem überirdisch strahlenden Lächeln zeigt. Dieses Lächeln ist zweifellos ein wiederholtes Motiv in Hesse und verweist auf die zweifelhafte Lösung, die Hesse für den Konflikt zwischen ständiger Veränderung und Identität gefunden hat, nämlich das Hingeben des Ichs an den stetigen Moment im permanenten Dahinfließen der Welt; mit wachsender Hingabe an das Nirvana, den inneren Frieden, stirbt notwendig das Interesse an den konkreten Auswüchsen der Gegenwart, erlöschen die eigenen, unbedeutenden Begierden, sodass man letztlich psychisch dem Tod schon näher ist als dem Leben. Dies als den idealen Zustand hinzustellen ist Hesses gewagte These, die meines Erachtens im Siddhartha, das einen weit persönlicheren Protagonisten hat als die Idealfigur Josef Knecht, für den Leser nachvollziehbarer ist als im Glasperlenspiel.
Das Glasperlenspiel selbst, wie es im gleichnamigen Buch beschrieben oder eben nicht beschrieben wird, hat mich sehr enttäuscht. Letztlich handelt es sich um einen Traum, dem Hesse nicht gewachsen war, noch nicht einmal in der Phantasie; es gibt keine Erklärung dazu, wie genau Musik und Mathematik nicht willkürlich, sondern sinnerzeugend auf eine gemeinsame Formel gebracht werden können. Da ist ihm die Beschreibung in sich viel unerklärlicherer Zustände, wie beispielsweise des Nirvanas, deutlich besser gelungen. Für mich wurde aus der Beschreibung nicht ersichtlich, wie dieses Spiel einen so zentralen Stellenwert und eine derart große Bewunderung von Seiten des Ordens und sogar einiger weltlicher Kenner haben kann. Da musste man als Leser schon einiges selbst leisten, und ich hatte das Gefühl, dass ein heutiger Musikwissenschaftler- und Mathematiker das besser hinbekommen hätte (und damit meine ich nicht nur exakter, sondern mitreißender, denn die Idee ist ja durchaus anregend).
Zuguterletzt möchte ich noch auf die Sprache zu sprechen kommen... diese hat mich leider im Glasperlenspiel extrem gestört. Im Gegensatz zu anderen Lesekreismitgliedern, die in der ständigen Doppelung oder gar Reihung von Satzelementen ein geruhsames, entspannend dahinplätscherndes Fortschreiben sahen, hat es in mir nur Ungeduld und Langeweile ausgelöst. Ich schlage eine beliebige Seite auf und verweise auf die Scheu, wie "
Zurückgezogene und Alleinlebende sie manchmal an sich haben", Designori, "der dem Gegenspieler
auffiel und ihn
anzog", ein "
hübscher, feuriger und
beredter Jüngling", Kastalien "samt allen seinen
Gesetzen, Traditionen und Idealen", eine "
Schmach und Strafe" für den "
Büßer und
Mönch", mit "noch
knabenhaftem und
schauspielerischem" Eifer, seine "weltlichen
Auffassungen und
Normen" etc.
Der schlimmste Satz geht einher mit der störenden Idealisierung von Knecht, der ja wirklich alles, von der Musik über den Dienst und die Lehre und den Umgang mit Freunden und dem Glasperlenspiel, instinktiv richtig macht, gleichzeitig dabei eine Unschuld bewahrend, die jedes Kalkül und Machtstreben kategorisch ausschließt, sodass schließlich die oberste Behörde ihn unwissend zu Pater Jacobus schicken muss, um nur ja den lauteren, reinen Geist Knechts nicht mit einem strategischen Kalkül zu beschmutzen. Hier also mein persönlicher Satzalbtraum:
"Josef Knecht hat auf die wunderlichste, eigensinnigste Weise sich seiner Studierfreiheit bedient, auf eine verblüffende, jugendlich geniale Weise."
Aus Zeitgründen muss ich nun mit diesem negativen Aspekt abschließen, es bleiben aber ohne Zweifel noch genügend interessante Aspekte am Hesse'schen Werk offen, deren Diskussion man sich beizeiten widmen kann.