Hallo, Feuerkopf & Ihr anderen Pot(ter)heads,
mir gefallen die Harry-Potter-Bände ja auch. Aber ich als drüben im
"Was lest Ihr gerade"-Thread Feuerkopfs Eintrag sah, sie lese dir Bände gerade zu dritten Mal, da kam mir doch eine skeptische Frage in den Sinn.
Fallen einem beim wiederholten Lesen nicht die Probleme und Ungereimtheiten von Rowlings Konzept stärker auf?
Ich meine vor allem diesen von Band zu Band wachsenden Widerspruch zwischen Kinder- und Erwachsenenbuch, der meiner Meinung nach viel mehr zu ihrer Schreibverlangsamung beigetragen hat als die oft vermutete Bequemlichkeit durch den neuen Reichtum.
Vielleicht sollte ich das noch etwas näher erläutern. Rowling hatte ja das sehr schöne Konzept, ihre Bücher und ihren Helden mit den Lesern altern zu lassen. Die Bücher sollten düsterer und komplexer werden, so wie Harry eben wacher, kritischer, skeptischer wird, und sie sollten auch neue Probleme (Pubertät etc.) integrieren.
Rowling hatte damals noch nichts vom Ausmaß des Potter-Erfolgs geahnt. Sie hatte in ganz normalen Buchmarktdimensionen und auch gar nicht an die Nachwachsenden gedacht. Ihr schwebten wohl ein paar tausend Kids vor, die den ersten Band kaufen und vielleicht mögen und dann im Jahresabstand den jeweils neuesten Band kaufen würden. In dem Harry dann wieder gleich alt mit ihnen wäre. Im Idealfall würden auch ein paar Jahre später noch ein paar Kinder auf HP stoßen, die dann wieder im Jahresabstand von Eltern, Tanten, großen Geschwistern die Folgebände gereicht bekämen.
Nun ist es aber ganz anders gekommen: es herrschte zeitweilig eine ungemeine Hysterie. Es stießen ständig neue Fans dazu, viele davon sogar jünger als das geplante Einstiegsalter, und die wollten jetzt und sofort alles über Harry Potter und dann noch mehr. Rowling sah sich von Kindern - gar von verzweifelten, beim Vorlesen für die noch nicht einmal Schulpflichtigen beständig zensierenden, umformulierenden Eltern - umringt, die sich durch Band 4 kämpften, der doch mindestens für 13-14-jährige gedacht war.
So was übt, jenseits von Vermarktungszwängen, enormen psychischen Druck aus. da hat man die Kleinen angefixt, für Literatur entzündet, nach der eigenen Fantasiewelt süchtig gemacht - und dann enthält man ihnen den Stoff vor. Beziehungsweise, hält den begeisterten ein neues Buch vor die Nase, mit dem sie dann doch nichts anfangen könnten, das sie ausschließt aus der neuen Welt, die sie so lieben.
Mir kam es so vor, als habe Rowling sehr stark auf diesen Druck reagiert. Als habe sie ihre Bücher zwar einerseits immer ernster werden lassen, ihnen aber anderseits dann doch wieder eine Naivität aufgezwungen, die anfangs so wohl gar nicht geplant war.
Das äußerst sich für mich am deutlichsten darin, dass sie Harrys Problembewusstsein zu Anfang jeden Bandes und Schuljahres wieder auf Null zu stellen versucht. Harry beginnt jedes Hogwartsjahr, als könne dies ein ganz normales Schuljahr sein, als es ginge es vor allem um das, was innerhalb des Unterrichts, im Schlafsaal und beim Freizeitsport so alles an harmlosen Sachen passiert. Er will sich auch jedes Mal für einen ganz normalen Schüler halten.
Spätestens nach dem 2.Band muss ihm aber - er ist ja eben kein Dummer und Transusiger - sein, dass er zu seinem Leidwesen eine ganz und gar herausgehobene Figur ist. dass Hogwarts und die überhaupt die ganze Gegenwelt der Magie nicht mehr sicher in den Fundamenten ruhen. Sondern dass da hinter den Kulissen und immer öfter auch davor ein unerbittlicher, bedrohlicher, erbarmungsloser Kampf im Gange ist, ein Umsturzversuch, der alles, aber auch wirklich alles, radikal verändern würde.
Harry erlebt aber die eskalierenden Einbrüche in Hogwarts Normalität als jeweils für sich stehende Störungen des Schuljahres, über deren weiterführende Bedeutung er sich innerhalb der Bücher nur zäh und allmählich bewusst wird. Und auch das lehrende Establishment gewinnt Band um Band eine Nähe zu Harry, die dann nach den Ferien wieder verschwunden ist und neu erarbeitet werden muss. Snapes Widerwille und Skepsis addieren sich vielleicht, aber Dumbledores Bewusstsein von Harry als zentraler, agierender Figur schrumpft immer wieder gehörig ein.
Das sind literarische Techniken, die Kleineren das Mitkommen, die ihnen zumindest für die Zeit des Lesens das Mitreifen und das schrittweise Abrücken vom eigenen Sicherheitsbedürfnis - die Welt muss geordnet sein - ermöglichen sollen.
Das scheint mir aber ein zweifelhaftes Unterfangen, und auch Rowling merkt ja, dass so ein Eilverfahren eigentlich nicht funktionieren kann. Weshalb ihre Romane immer dicker werden, wie ich finde, nicht zu ihrem Vorteil. Hier wird nicht mehr und Neues erzählt, hier wird bewusst gebremst und verzögert, damit das Kind länger im Buch verweilen muss, damit mehr Zeit für diesen Zeitraffer-Bewusstwerdungsprozess bleibt. Und natürlich, damit mehr Potter an die Süchtigen geliefert werden kann.
Beim ersten Lesen hat mich das zwar gestört, aber es hat mir nicht den Spaß vermiest. Beim Wiederlesen, fürchte ich, müsste ich mich schon ziemlich anstrengen, mich nicht eben auf die Brüche, Schwachstellen und Unstimmigkeiten zu konzentrieren.
Geht Euch das so? Oder gewöhnt Ihr Euch an diese Mängel und lest über sie hinweg? Oder empfindet Ihr das gar nicht als Schwäche der Serie?
Ein diesmal mit Rowling um Textlänge konkurrierender Fargo